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Schreiben for Future? Warum werden die Klimakrise und die ökologische Krise in der Literatur so wenig thematisiert?

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10.07.2007
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Schreiben for Future? Warum werden die Klimakrise und die ökologische Krise in der Literatur so wenig thematisiert?

Liebes Forum,

ich bin jetzt eine ganze Weile inaktiv gewesen, und werde wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit weiterhin nicht mehr dazu kommen, regelmäßig zu schreiben oder zu kommentieren. Aber ich habe ein Thema, das mich schon eine ganze Weile bewegt und wo ich mich über Input von Menschen mit Schreiberfahrung unheimlich freuen würde. Und deshalb werde ich es einfach mal ganz unverschämt ausnutzen, dass hier so viele davon versammelt sind.

Das Thema hat auch viel damit zu tun, warum ich nicht mehr dazu komme, hier aktiv zu sein, weil ein Großteil meiner Freizeit jetzt in Aktivismus fließt. Und es tut mir leid, ich hab versucht, mich kurz zu fassen, aber ich komme nicht drum herum, relativ weit auszuholen. Und das, was ich dazu schreiben werde, ist ziemlich deprimierend, deshalb eine ernst gemeinte Aufforderung: Sollte es euch gerade aus irgendwelchen Gründen psychisch nicht so gut gehen, dann zieht euch diesen Post vielleicht lieber nicht rein.

Okay.

Wir (sprich, die Menschheit, oder genauer gesagt hauptsächlich der reiche Teil der Menschheit, zu dem wir im globalen Norden gehören) sind dabei, auf dem einzigen bekannten Planeten, auf dem wir leben können, das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte und eine Heißzeit zu verursachen. Wenn diese Prozesse erst mal so richtig in Gang kommen (bisher stehen wir erst ganz am Anfang davon) ist nicht garantiert, ob es danach immer noch ein Planet sein wird, auf dem wir leben können. Falls ja, wird es aller Voraussicht nach ein ziemlich beschissenes Leben sein, weil wir und die Pflanzen- und Tierarten, die wir zum Leben brauchen, überhaupt nicht an die Umweltbedingungen angepasst sind, die dann herrschen werden. (Nebenbemerkung: Ich weiß, dass das alles nicht aus böser Absicht geschieht und ein einzelner Mensch in der Regel nur sehr sehr wenig dafürkann, es geht hier nicht darum, irgendwem ein schlechtes Gewissen zu machen. Nur darum, wie wir mit dieser Faktenlage umgehen.)

Dieser Prozess läuft wahnsinnig schnell ab, könnte aber vielleicht noch aufgehalten werden, wenn weltweit innerhalb kürzester Zeit (nicht Jahrzehnte, sondern wenige Jahre) sehr drastische Änderungen passieren. Das erscheint momentan nicht sehr wahrscheinlich. Und selbst wenn das gelingen sollte, ist es durchaus möglich, dass schon Rückkopplungsprozesse in Gang gekommen sind, durch die es effektiv bereits zu spät ist (tauender Permafrost setzt wahnsinnig viele Treibhausgase frei, was wiederum zu mehr tauendem Permafrost führt, und solche spaßigen Dinge).

Ich denke, dass das für niemanden überraschend ist. Es geht alles regelmäßig durch die Nachrichten. Und ich denke, wir können uns auch darauf einigen, dass es wichtig ist. Es geht – wirklich, wortwörtlich – ums Überleben. Wir wissen auch, dass es kein Thema für „kommende Generationen“ mehr ist. Wer jetzt am Leben ist, ist davon betroffen. Ein australischer Buchladen hat während der Brandkatastrophe im Januar – ja, das war auch in diesem völlig verrückten Jahr! – ein Schild aufgehängt: „Post-apocalyptic fiction has been moved to our current affairs section“.

Was ich mich frage, ist: Warum wird darüber so wenig geschrieben?

Es geht mir dabei nicht so sehr um das, was ich mal als „aktivistische“ Literatur bezeichnen würde, Bücher, mit denen die Absicht verfolgt wird, die Leser:innen zu motivieren, ihr Verhalten zu ändern. Ich glaube zwar daran, dass Literatur positiv zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen kann, weil das Einfühlen in Charaktere, die anders sind als man selbst, Empathie fördert und dabei hilft, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Aber kein literarisches Werk wird für sich genommen „die Welt retten“, und die, die sich daran versuchen, gehen in künstlerischer Hinsicht oft mehr oder weniger in die Hose.

Was ich mehr vermisse, ist Literatur, die einfach thematisiert, dass es diese Krisen gibt und sich damit auseinandersetzt, was das bedeutet.

Es gibt natürlich ein paar, wo das der Fall ist, zum Beispiel:

  • Die MadAddam-Trilogie von Margaret Atwood
  • Den Roman „Macht“ von Karen Duve
  • Den Roman „American War“ von Omar ElAkkad
  • Die Romane „Die Geschichte der Bienen“, „Die Geschichte des Wassers“ und „Die letzten ihrer Art“ von Maya Lunde
  • Viele Science Fiction-Geschichten, wo sich mittlerweile „Climate Fiction/ CliFi“ als Subgenre etabliert hat

Aber dafür, dass das Thema so allumfassend und so wichtig ist, und dafür, dass ich jemand bin, die a) relativ viel liest und recht intensiv verfolgt, was es an Neuerscheinungen gibt und b) explizit nach solchen Geschichten sucht, ist die Ausbeute doch eher gering, finde ich.

Ich bin auch nicht die einzige, die sich diese Frage stellt. Es gibt ein interessantes Buch von dem indischen Autor Amitav Ghosh, „The Great Derangement“ (mittlerweile auch deutsch erschienen als „Die große Verblendung“), wo er sich damit auseinandersetzt. Das Buch ist ein langer, lesenswerter Essay, der viele spannende Gedanken enthält, aber so ganz haben mich Ghoshs Thesen nicht überzeugt. Das Buch betont irgendwie sehr stark den Unterschied zwischen „ernsthafter“ Literatur und Unterhaltungsliteratur – ich persönlich bezweifle, dass es objektive Kriterien für die Unterscheidung zwischen „ernsthafter“ und „nicht ernsthafter“ Literatur gibt, das sind letzten Endes so Geschmacksurteile von Feuilleton-Snobs, die man nicht unbedingt teilen muss.

Aber es ist eigentlich auch egal, ob man nur einen willkürlich gewählten Ausschnitt der Literatur betrachtet oder alle Arten von Literatur – Fakt ist, für ein Thema, das die ganze Menschheit betrifft und das mittlerweile im Alltag spürbar ist, wird wirklich sehr wenig drüber geschrieben – obwohl es nach meinem Empfinden unglaublich viel „Stoff“ bietet.

Die jungen Leute, die seit über einem Jahr versuchen, sich politisch Gehör zu verschaffen, weil sie wissen, dass ihre Zukunft auf dem Spiel steht, Menschen, die mitansehen, wie ihre Heimat von immer heftigeren Stürmen, Bränden oder dem steigenden Meeresspiegel zerstört wird, Wissenschaftler:innen, die seit Jahrzehnten vor katastrophalen Folgen warnen und jetzt mitansehen, wie ihre Vorhersagen nach und nach eintreffen und oft sogar von der Realität übertroffen werden, skrupellose Entscheidungsträger:innen in fossilen Brennstoffkonzernen, die alles dafür getan haben, um diese Warnungen unter Verschluss zu halten oder mit Fake News zu bekämpfen – es gibt so viele hoch interessante Figuren, so viele dramatische Geschichten – man sollte doch meinen, dass sich Autor:innen darauf stürzen!

Vielleicht ist es auch eine unrealistische Erwartung von mir – wenn ich so darüber nachdenke, welche anderen globalen Umwälzungen es in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten gab – Industrialisierung, Globalisierung, Internet … und mir dann anschaue, wie viele Menschen sich damit bewusst literarisch auseinandergesetzt haben, dann finde ich, wenn ich ganz ehrlich bin, auch nicht so wahnsinnig viele Beispiele. Vielleicht ist es normal, dass es lange dauert, bis solche Themenkomplexe in der Literatur (oder der Kunst im allgemeinen) „ankommen“.

Andererseits sind die Werke, die sich mit diesen Krisen befassen, für mich persönlich wichtig und hilfreich, um psychisch mit dem ganzen Scheiß fertig zu werden, und ich wünsche mir mehr davon. Deshalb würde ich mich freuen, in einen Austausch zu kommen, warum es bisher eben so wenig von dieser Art von Literatur gibt. Richtig traumhaft fände ich, wenn das vielleicht sogar ein paar Leute hier im Forum motivieren würde, Sachen zu dem Thema zu schreiben … aber vielleicht fangen wir erst mal mit dem Austausch an. :)

Wenn ihr bis hierher durchgehalten habt (danke! :) ), hätte ich ein paar Fragen, von denen ich hoffe, dass sie eine interessante Diskussion in Gang bringen.

  1. Habt ihr selbst schon einmal etwas geschrieben, wo die Klimakrise und die ökologische Krise eine Rolle spielen (wenn die Antwort ja und es ist online zu finden, freue ich mich über Links)? War das nach eurem Gefühl schwieriger, als über andere Themen zu schreiben, und woran hat das gelegen?
  2. Empfindet ihr es selbst auch als Mangel, dass diese Themen in der Literatur bisher so eine geringe Rolle spielen? Woran liegt das eurer Meinung nach, und wie könnte sich das vielleicht ändern?
  3. Kennt ihr noch mehr literarische Werke als die, die ich genannt habe, die sich mit diesen Themen beschäftigen? Findet ihr sie gut oder nicht so gut gelungen, und woran liegt das?

 
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Hallo Perdita,

wenn ich mich richtig erinnere, hab ich vor sehr langer Zeit spannende Kommentare von dir hier gelesen. Herzliche Grüße von der anderen Seite, übrigens (Voluntary Human Extinction Movement). In manchen Punkten wollen wir wohl dasselbe, aber ich habe keine Hoffnung, dass unsere Spezies zu Verstand kommt.

Aber zu deinen Fragen:

Habt ihr selbst schon einmal etwas geschrieben, wo die Klimakrise und die ökologische Krise eine Rolle spielen (wenn die Antwort ja und es ist online zu finden, freue ich mich über Links)? War das nach eurem Gefühl schwieriger, als über andere Themen zu schreiben, und woran hat das gelegen?
- Ja, vor fast 10 Jahren eine postapokalyptische Dystopie, die von einer rein dörflichen Selbstversorger-Gemeinschaft (sowie Demenz & Wiedergängern) handelt, implizit geht es um Tschernobyl und eine Welt ohne u.a. Elektrizität, fließend Wasser etc.
- Nicht mehr online.
- Und nicht schwieriger zu schreiben als andere (ich hab sehr viel nachrecherchiert, aber das mache ich für jeden Text).
Empfindet ihr es selbst auch als Mangel, dass diese Themen in der Literatur bisher so eine geringe Rolle spielen? Woran liegt das eurer Meinung nach, und wie könnte sich das vielleicht ändern?
Das sehe ich nicht so, das Thema wurde bereits (wie du ja auch schreibst) in der SF behandelt, bevor es die postmodernen Umweltbewegungen gab.
Sollte sich das ändern? Klar sollte gute Literatur Probleme andeuten, vllt. Analysen bieten, aber - selbst gut gemeinte - Lösungsmodelle, politische Forderungen etc. geraten schnell zur Wachturm-artigen Propaganda. Das mag ich nicht, selbst bei Themen, hinter denen ich stehe.
Kennt ihr noch mehr literarische Werke als die, die ich genannt habe, die sich mit diesen Themen beschäftigen? Findet ihr sie gut oder nicht so gut gelungen, und woran liegt das?
Guck doch hier mal rein, da sind ein paar Dutzend Erzählungen zum Thema Klimawandel (1962 - heute).

Dmitri Gluchowskis Metro 2033 ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher, daher lese ich alles von ihm. Das meiste gefällt mir leider aus verschiedenen Gründen nicht, und sein Futu.re, in dem es um Überbevölkerung, Klimawandel und Energiekrise geht, hab ich tatsächlich an die Wand gepfeffert. Hinter dem kritischen Thema (das übrigens interessante Charaktere und sehr, sehr gute dreckige Actionszenen bietet) versteckt sich leider diese "einer geht noch"-Mentalität, die ja der Grund für unsere Misere ist (-> "Okay, es gibt zu viele Leute. Die arme Umwelt, wo soll das hinführen, aber meine Kinder passen noch rein" i.e. nach mir die Sintflut). Im Grunde versteckt sich hinter der hochaktuellen Fragestellung des Buches ein simples human overbreeding als Grundrecht.

Cixin Lius The Three-Body Problem (Rememberance of Earth's Past-Trilogie) sowie eine Reihe zusammenhängender KGs in The Wandering Earth und der satirisch-politische Roman The Supernova Era schneiden das Thema auch an. Liu ist auf jeden Fall einen Blick wert.

Ein anderer Roman hat mir auch sehr gut gefallen, da reist jemand in Wells' Zeitmaschine in die Zukunft und London ist durch den Klimawandel ein Dschungel. Der Erzähler gewinnt einen Panther als Begleiter und reist nach Schottland, wo noch ein paar Menschen leben: Highlander, deren Haut nun evolutionär wegen der stärkeren Sonneneinstrahlung schwarz ist. Das Buch ist skurril, aber nicht komplett realitätsfern. Blöderweise komme ich nicht mehr auf Autor oder Titel (und das ist doof, ich schreibe zu dem Thema Posthumanismus und 'Abandoned' demnäxt ein langes Essay und brauchte es dringend :P). Männlicher Autor, UK, sicher nach 1990-, vermutlich von 2000-irgendwas.

Und aus der verlinkten Liste: Adam Nevill würde ich grundsätzlich immer wärmstens empfehlen, auch wenn einges weniger gut als anderes ist. Lost Girl kenne ich noch nicht, aber habe von Bekannten viel Lob gehört.

China Miéville: Polynia Der Autor ist ja in der Politik aktiv (Sozialist/Marxist) und wird da sicher ne Menge Meinung reinpacken. Ich habs aber noch nicht gelesen, von ihm war ich bislang auch schon zu oft enttäuscht (Ideen besser als Ausführung).

Kennst du Robin Stevenson: The World Without Us? Ein tolles Buch, aber eben keine Prosa.

"Viel Spaß" oder "viel Erfolg" wäre vllt. etwas unpassend, aber liebe Grüße auf jeden Fall,
Katla

 

Hallo @Perdita
Eine interessante Fragestellung!

Habt ihr selbst schon einmal etwas geschrieben,
Ja. Habe vor wenigen Jahren etwas für eine kleine SF-Anthologie eingereicht. Wurde aber abgelehnt. War wohl zu anarchistisch.

Empfindet ihr es selbst auch als Mangel, dass diese Themen in der Literatur bisher so eine geringe Rolle spielen? Woran liegt das eurer Meinung nach, und wie könnte sich das vielleicht ändern?
Ich lese nicht häufig aktuelle Veröffentlichungen. Wenn die Situation so ist, wie von Dir geschildert, wäre es sicher eine Bereicherung, wenn mehr Autoren den Mut fänden, das Thema literarisch aufzuarbeiten.
Die Ursachen für die Zurückhaltung, vor allem in Unterhaltungsmedien, könnten einen Essay füllen. An erste Stelle würde ich setzen, dass der Buchmarkt kapitalistischen Regeln unterworfen ist. Die einzige Dystopie, die in den letzten Jahrzehnten bis in die oberste Liga des Mainstreams gepusht wurde, war ein Loblied auf den Kapitalismus und gleichzeitig Warnung vor einer schröcklichen Diktatur des Verzichts. Wie sollte man auch erwarten, dass die intellektuelle Bourgeoisie das System infrage stellt, das sie ernährt? Aus ähnlichen Gründen wird der Klimaschutz-Aktivismus scheitern. Man wagt sich nicht an die systemischen Ursachen.

Kennt ihr noch mehr literarische Werke als die, die ich genannt habe, die sich mit diesen Themen beschäftigen? Findet ihr sie gut oder nicht so gut gelungen, und woran liegt das?
Wie erwähnt, bin ich nicht ganz auf dem Laufenden. Ich habe erst vor kurzem ein Buch von 2010 entdeckt: The Windup Girl (Biokrieg) von Bacigalupi. (Hugo- / Nebula-Award)
Meiner Meinung nach, eines der besten SF/Dystopie-Werke der Gegenwart. Dort wird sehr realistisch, ohne moralisches Gesülze, eine nahe Zukunft dargestellt, in der unter anderem Klimawandel und Mangel an Energieressourcen den Alltag prägen. Obendrein sehr unterhaltsam geschrieben.

Grüße! Kellerkind

 

Der Erzähler gewinnt einen Panther als Begleiter
Ein Puma. Es ist ein Puma :D

Zum Faden-Thema gibt es jede Menge Stoff in der Phantastik. Im zwanzigsten Jahrhundert hat sich selbst Hollywood der Sache dutzendfach angenommen. Ich will jetzt nicht zu pessimistisch klingen, aber: was hat es gebracht?

Eben. Es wird soviel konsumiert, wie nie.

Zur Frage, weshalb derzeit so wenig Stoff (für meinen Geschmack zu viel) nachkommt: Vielleicht, weil das Thema phasenweise wirklich allgegenwärtig ist. In den Medien, in der Politik, in den Schulen und Universitäten. Ich denke, die Leute wollen davon nicht auch noch in ihrer Freizeit lesen.

Ich für meinen Teil glaube nicht, dass die Menschheit durch ein bisschen weniger Flugreisen, mehr Busfahren und den massenhaften Konsum von Fleischersatzindustrielebensmitteln das Weltklima über den Promillebereich (Temperatur) hinaus beeinflussen kann. Ich glaube allerdings auch nicht, dass das ohne Maßnahmen in der Größenordnung von Terraforming klappt, also ohne künstlich massiv in die Umwelt einzugreifen.

Etwas ganz anderes ist es mit der Verschmutzung der Weltmeere, der Flüsse, der Felder, der Wälder und der Luft. Da lässt sich mit Sicherheit innerhalb einiger Jahre oder weniger Jahrzehnte was machen. Man muss es nur wollen. Aber: schau dir die Autobahnen an. Eng an eng stehen die LKW's. Denk dir die Hälfte weg, verleg sie auf die Gleise, und es sind immer noch zuviele. Dass das Mist ist, weiß wohl jeder, kann jeder riechen, aber wenn es dann um den täglichen Schokoriegel, das Wurstbrot, die Schachtel Kippen, das Bier, oder gar das neue Smartphone und Paar Schuhe, die schicke Jeans oder den Restaurantbesuch geht, da ist der Abgasgeruch schnell wieder vergessen. Ach, sagt man sich, um das Gewissen zu beruhigen, dann mache ich dieses Jahr statt Malle-Flug mal eine Bahnreise ins Erzgebirge.

So funktioniert das aber nicht.

 

Ich denke, es hängt auch etwas davon ab, nach was für Literatur man sucht. SF greift traditionell aktuelle Probleme auf und betrachtet sie aus einem zukünftigen Blickwinkel. Fantasy macht oft nichts anderes, nur deutlich versteckter.

Weder dem einem Genre, noch dem anderen, noch der Dystopie würde ich "Eine Billion Dollar" von Andreas Eschbach zuordnen, und dennoch greift er in seinem Roman genau die gewünschten Themen auf.

Grüße
Feurig

 

Was ich mich frage, ist: Warum wird darüber so wenig geschrieben?

Ich weiß nicht, wie man auf diese Frage kommen kann. Es ist doch noch nie so viel Literatur und "Kunst" als direkte Reaktion auf so ein Thema publiziert worden, das fängt bei Hollywood-Blockbustern wie The Day after tomorrow an und hört bei Ratgebern, Performance-Kunst (sogar bei uns in der Provinz) und Belletristik auf. Bücher über Minimalismus, wie ich meinen Umweltbelastungsfußabdruck reduziere, wie lege ich ein Hochbeet an und ziehe mir mein eigenes Gemüse, Imkern, Jagen, Umwelt als Stichwort - das ist doch alles so präsent wie selten zuvor. Du nennst sogar selbst einige populäre Titel und spricht von "vielen" SF-Titeln, die dieses Thema aufgreifen.

Die einzige Dystopie, die in den letzten Jahrzehnten bis in die oberste Liga des Mainstreams gepusht wurde, war ein Loblied auf den Kapitalismus und gleichzeitig Warnung vor einer schröcklichen Diktatur des Verzichts.

Bisschen widersprüchlich. Ich dachte, du liest keine aktuellen Veröffentlichungen, oder kaum. Wie kannst du dann so genau über die Veröffentlichungspolitik der Verlage Bescheid wissen? Fakt ist doch, in den letzten Jahren ist "der böse Kapitalismus" doch in die Kritik geraten wie nie zuvor. Es gibt Regale voller Literatur, die sich mit den systemischen Verfehlungen, Systemsturz und Revolutionen beschäftigen, es gibt sogar einige Ewiggestrige, die wieder vom Umsturz und von Karl Marx und Kommunismus träumen.

Aus ähnlichen Gründen wird der Klimaschutz-Aktivismus scheitern. Man wagt sich nicht an die systemischen Ursachen.
Genau, weil die existierenden sozialistischen Länder wie China auch bekannt dafür sind, besonders umweltfreundlich zu produzieren und zu leben.

Solche Literatur, Literatur die eine Agenda hat, hat eben ein massives Problem: den moralinsauren Zeigefinger. Das wirkt auf mich verdächtig nach erzieherischer Maßnahme, dann muss ich sofort an die DDR denken und mir wird übel. Mich provoziert das auch. Wenn einer vom diesem Safran Foer und "Tiere essen" erzählt, dann erzähle ich ihm im Gegenzug, wie gut mein letztes selbst erlegtes Wildschwein geschmeckt hat. Man muss schon selber draufkommen und es auch wollen. Da muss ich Katla absolut Recht geben: diese Mentalität, meine Kinder, das geht noch, die ist eben weit verbreitet. Würde sich die Weltbevölkerung auf die Hälfte reduzieren, hätten wir viele Probleme nicht. Tip: Mal in das Buch "10 Milliarden" reinlesen.

Zuerst sagst du, @Perdita, du willst hier allen kein schlechtes Gewissen machen, schreibst dann aber:

Wir (sprich, die Menschheit, oder genauer gesagt hauptsächlich der reiche Teil der Menschheit, zu dem wir im globalen Norden gehören) sind dabei, auf dem einzigen bekannten Planeten, auf dem wir leben können, das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte und eine Heißzeit zu verursachen.
Wir. Also ich und du. Wir alle. Damit machst du, vielleicht auch unbewußt, uns doch allen ein schlechtes Gewissen. Ohne Bescheid zu wissen, was der Einzelne hier vielleicht bereits geleistet hat, abseits von offensichtlichem Aktivismus.

Gruss, Jimmy

 

:D
Heute ganzseitige Anzeige in der Süddeutschen Zeitung (und vermutlich einigen anderen)
DIRK ROSSMANN: Der neunte Arm der Oktopus.
Beworben als Klima-Thriller
Erhältlich ab Montag in jeder Filiale
Udo Lindenberg: Hammer!:sealed:

Ist jetzt bisschen Realsatire.

Ich stimme Jimmy grundsätzlich zu: Literatur kann im Idealfall zeigen, was ist, möglicherweise auch Alternativen anbieten, aber verantwortlich für das, was geschieht, ist die Gesellschaft als Ganzes.

 

Ich finde das generelle Aber immer schwierig. Ich als Einzelner kann ja nichts tun, weil ich nur ein Einzelner bin und die Entscheidungen von anderen getroffen wird.
Ja, das ist richtig. Allerdings basiert Kapitalismus auf der Bedürfniserfüllung der Masse der Einzelnen. Um Gewinn zu erzielen, muss ein kapitalistisches Unternehmen das anbieten, was der Markt will. Und das tun sie letztendlich. Natürlich versuchen sie dabei mit Hängen und Würgen ihre Marge zu erhöhen. Kapitalismus eben.
Wenn wir allerdings vergleichen, was in Japan durchschnittlich pro Monat für Lebensmittel ausgegeben wird und was im Vergleich in Deutschland durchschnittlich pro Monat für Lebensmittel ausgegeben wird, ist ziemlich klar, warum Japan ein kleineres Qualitätsproblem hat als Deutschland.
Vor zwanzig Jahren hatte es ein Veganer schwer, heute gibt es wenigstens ein veganes Restaurant mit Michelin Stern.
Jahrzehnte hat es niemanden interessiert, dass bei der Eiproduktion alle männlichen Küken getötet werden, heute kannst du im Supermarkt Eier kaufen, bei deren Herstellung das nicht passiert.
Je mehr Einzelne eine Entscheidung treffen, desto mehr beeinflussen sie damit den Markt und damit auch das Angbot auf diesem.
Wenn jeder einzelne sich denkt, meine zwei Aluminium-Kapseln in der Kaffeemaschine pro Tag beeinflussen doch nicht die Höhe des Müllbergs, beeinflusst das halt letztendlich doch genau die Höhe des Müllbergs.
Wenn jeder Einzelne sich es nicht mehr zum Anspruch nimmt, jedes Jahr mehrfach mit den Flugzeug die Welt zu erkunden und versucht Geschäftsreisen durch virtuelle Meetings zu ersetzen, kummuliert sich das recht schnell.

Ich glaube jedoch, dass da ein bisschen abschweift, weil eigentlich sollte das ja nur eine Sammlung über die verfügbare Literatur zu diesem Thema werden :)

Lustigerweise fallen mir jedoch jedes Mal wenn ich darüber nachdenke Filme ein.
- Zum obigen angesprochenen Thema der Halbierung der Menschheit: What Happened to Monday
- Leben mit den Konsequenzen: The Day After Tomorrow, Mad Max, Soylent Green, The Book of Eli, Waterworld, I am Mother

Waren jetzt nur spontane Einfälle.

 

Hallo zusammen,

freut mich sehr, dass das Thema schon auf ein bisschen Interesse gestoßen ist!

Allgemeine Anmerkung, bevor ich auf Einzelheiten in den Kommentaren eingehe: Das Thema hat natürlich Berührungspunkte mit vielen anderen Themen, die in den bisherigen Kommentaren auch schon angeschnitten wurden – Klimawissenschaft, Politik, Darstellung des Themas in den Medien, individuelle Lebensweise, und so weiter. Das wären alles potenziell interessante Aufhänger z.B. für eine Diskussion im Kaffeekranz, aber ich würde gerne versuchen, die Diskussion hier im „Autoren“-Forum wirklich zu fokussieren auf die Frage: Wie gehen wir als Autor:innen mit der Thematik um, inwiefern beeinflusst sie die Literatur und ggf. unser eigenes Schreiben (oder auch nicht). Sonst kann das leicht ausufern.

Wenn ich also auf bestimmte Punkte in euren Kommentaren nicht oder nicht ausführlich eingehe, dann deshalb weil ich denke, dass sie ggf. zu weit weg führen von der ursprünglichen Fragestellung.

Hi @Katla,

Katla schrieb:
wenn ich mich richtig erinnere, hab ich vor sehr langer Zeit spannende Kommentare von dir hier gelesen.

Ich war letztes Jahr zumindest noch sporadisch aktiv, aber der Höhepunkt meiner Aktivitäten hier liegt schon eine Weile zurück. Ich freu mich auf jeden Fall, wenn meine Kommentare in positiver Erinnerung geblieben sind :)

Katla schrieb:
In manchen Punkten wollen wir wohl dasselbe, aber ich habe keine Hoffnung, dass unsere Spezies zu Verstand kommt.

Wenn das Thema Hoffnung zur Sprache kommt, hole ich immer ein Lieblingszitat hervor, von Vaclav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass es Sinn hat, egal wie es ausgeht“.

Katla schrieb:
Sollte sich das ändern? Klar sollte gute Literatur Probleme andeuten, vllt. Analysen bieten, aber - selbst gut gemeinte - Lösungsmodelle, politische Forderungen etc. geraten schnell zur Wachturm-artigen Propaganda. Das mag ich nicht, selbst bei Themen, hinter denen ich stehe.

Da bin ich voll bei dir, Propaganda mag ich auch nicht. Aber das ist für eine Analyse oder einfach eine emotionale Auseinandersetzung mit einem Thema ja auch nicht notwendig. Für mich fängt Propaganda da an, wo man versucht, Leser:innen zu manipulieren, wo Schwarzweißdenken gefördert und Komplexität unterschlagen wird.

Möglicherweise ist es aber individuell unterschiedlich, was von verschiedenen Leser:innen und auch von Autor:innen selbst als „politisch“ oder als „Propaganda“ wahrgenommen wird.

Ich meine, die Aussage: „Wir stehen kurz vor der Katastrophe und wenn wir noch eine Chance haben wollen, halbwegs glimpflich da rauszukommen, brauchen wir jetzt sofort dramatische Änderungen“ ist aus meiner Sicht erst mal eine ganz wertfreie Zustandsbeschreibung. Ich beobachte es aber relativ häufig, dass als Reaktion auf so eine Aussage kommt: „Wer diese Aussage macht, hält mich persönlich für böse/macht mich als Individuum für den Zustand der ganzen Welt verantwortlich und verlangt von mir, dass ich unzumutbare Opfer bringen soll“. Das ist zwar kein Beispiel aus dem Literaturbereich, aber an den vielen hasserfüllten Reaktionen auf Reden von Greta Thunberg kann man das gut sehen.

Ich könnte mir vorstellen, dass das ein Faktor ist, der Hemmungen auslöst, sich literarisch mit dem Thema zu befassen – aber ich weiß nicht, ob das zutrifft. Vielleicht gibt es ja noch den einen oder anderen Kommentar wo Leute drauf eingehen, ob es bei dem Thema irgendwelche Besonderheiten gibt, die die Auseinandersetzung damit schwierig machen.

Vielen Dank für deine Literaturempfehlungen! Manche Autorennamen habe ich schon gehört (die spezifischen Titel noch nicht, glaube ich), werde ich mir bei Gelegenheit gerne näher anschauen!

Hi @Rob F

Rob F schrieb:
Zur Zeit rücken diese Themen durch Corona und die US-Präsidentschaftswahl in den Hintergrund, aber grundsätzlich wird m.E. in den Medien ausreichend darüber berichtet.

Es gibt mittlerweile auf jeden Fall mehr Berichterstattung als noch vor ein paar Jahren. Ob das tatsächlich schon in ausreichender Qualität und Quantität erfolgt, wäre so ein Thema, was man im Kaffeekranz besser diskutieren kann. :)

Nachrichtenmedien und Literatur erfüllen aber aus meiner Sicht sehr unterschiedliche Funktionen. Die Medien haben die Aufgabe, mich darüber zu informieren, wenn eine Klimakonferenz stattgefunden hat, eine neue Umweltgesetzgebung diskutiert wird, mal wieder x Millionen Hektar Waldfläche abgebrannt sind, etc. Sie können aber aus meiner Sicht nicht so viel dazu beitragen, mir wirklich begreiflich zu machen, wie es sich anfühlt, wenn man z.B. sein Zuhause durch so einen Brand verloren hat.

Um sich einem Thema wirklich anzunähern, es auch emotional zu durchdringen, kann ein guter Roman effektiver sein als ein Zeitungsartikel oder eine ZDF-Doku, behaupte ich mal.

Rob F schrieb:
Auch deswegen brauche ich diese stets präsenten Themen nicht auch noch in der Literatur. Gerade hier möchte ich eher etwas abseits der täglichen Probleme, Geschichten sind für mich auch ein Zufluchtsort.

Eskapismus ist natürlich eine bedeutende (und auch vollkommen legitime) Motivation für das Schreiben und/oder Konsumieren von Geschichten.

Trotzdem gibt es ja viele Geschichten, die sich auch mit unangenehmen oder düsteren Themen beschäftigen, und eigentlich sind Konflikte ein Element, das fast alle Geschichten benötigen. Deshalb wundert es mich halt, dass ein Thema was in der Hinsicht so viel Potenzial hat, bisher relativ selten genutzt wird. Vielleicht hat es damit zu tun, dass viele Menschen am liebsten Geschichten mit Katharsis mögen. Also Geschichten, wo am Ende der Mörder gefasst wird/die Guten gewinnen, etc., sind wesentlich beliebter als welche, wo der zentrale Konflikt nicht gelöst werden kann. Und bei der Klimakrise/ökologischen Krise sieht es an der Lösungsfront halt ziemlich finster aus.

Hi @Kellerkind,

Kellerkind schrieb:
Die Ursachen für die Zurückhaltung, vor allem in Unterhaltungsmedien, könnten einen Essay füllen. An erste Stelle würde ich setzen, dass der Buchmarkt kapitalistischen Regeln unterworfen ist.

Hmm. Ich glaube, Nachfrage wäre durchaus da, also ich würde die These wagen, dass wenn mehr zu dem Thema geschrieben würde, auch mehr darüber gelesen werden würde. Und es gibt ja mittlerweile auch relativ viele Möglichkeiten, am traditionellen Markt „vorbei“ zu publizieren, mit Self-Publishing etc. Also ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich so ist, dass „systemkritische“ Stoffe vom System ausgebremst werden. Das interessiert sich ja letzten Endes eigentlich nicht für Inhalte, solange etwas Geld bringt.

Kellerkind schrieb:
Die einzige Dystopie, die in den letzten Jahrzehnten bis in die oberste Liga des Mainstreams gepusht wurde, war ein Loblied auf den Kapitalismus und gleichzeitig Warnung vor einer schröcklichen Diktatur des Verzichts.

Worauf beziehst du dich da? Dystopien waren doch in den letzten Jahren an sich relativ zahlreich und erfolgreich – vielleicht häufiger in Form von Filmen als von Büchern, aber mir ist tatsächlich nicht klar, welches Werk du hier meinst.

Kellerkind schrieb:
Aus ähnlichen Gründen wird der Klimaschutz-Aktivismus scheitern. Man wagt sich nicht an die systemischen Ursachen.

Auch das ist mMn ein Thema, das eher für einen Thread im Kaffeekranz geeignet wäre: Nur soviel: Ich bin jetzt seit ca. zwei Jahren richtig aktiv in der Klimagerechtigkeitsbewegung und würde dir bei dieser Aussage komplett wiedersprechen. Natürlich gibt es Leute, die darauf hoffen, Lösungen innerhalb unseres kapitalistischen Systems zu finden, CO2-Steuern, CCS-Technologie, etc. Die zählen aber eher nicht zu den aktivistischen Teilen der Bewegung. Da sind die systemischen Ursachen wohlbekannt und werden auch nach außen klar kommuniziert, genauso werden Alternativen intensiv diskutiert und wo es möglich ist, auch gelebt. Es kommt nur außerhalb der Blase offensichtlich nicht viel davon an. (Was vielleicht anders werden könnte, wenn es mehr Literatur gäbe … :))

Kellerkind schrieb:
The Windup Girl (Biokrieg) von Bacigalupi. (Hugo- / Nebula-Award)

Danke, das ist mir schon ein paar Mal untergekommen als Empfehlung, kommt auf die Liste :)

Hi @Analog,

Analog schrieb:
Ein Puma. Es ist ein Puma

Du scheinst ja das Werk zu kennen, auf das Katla sich bezieht. Da sie es für ihren Essay braucht, magst du vielleicht noch den Titel und Autor verraten? :)

Analog schrieb:
Ich will jetzt nicht zu pessimistisch klingen, aber: was hat es gebracht?

Na ja, ich glaube Literatur „bringt“ selten etwas in dem Sinne, dass Menschen aufgrund eines Buches ihre Lebensweise ändern. Aber es gibt andere, subtilere Wirkungsweisen, die man mMn nicht außer Acht lassen sollte. Ich versuche es mal an einem Beispiel festzumachen: Ein Roman wie „The Handmaid’s Tale“ von Margaret Atwood ändert zunächst mal rein gar nichts daran, dass nach wie vor in vielen Teilen der Welt Frauen unterdrückt werden oder Gefahr laufen, ihr Recht auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung zu verlieren. Aber die Tatsache, dass es ein literarisches Werk gibt, dass so großartig auf den Punkt bringt, dass diese Formen der Unterdrückung scheiße sind, inspiriert sehr viele Menschen, die sich politisch dagegen engagieren – was sich zum Beispiel dadurch ausdrückt, dass bei Proteste gegen Gesetzgebung, die Frauen schadet, oft Leute in „Handmaid“-Kostümen auftauchen. Die Proteste würde es natürlich auch ohne das Buch geben, aber es ist trotzdem wertvoll, so ein starkes Symbol zu haben. Das ist aus meiner Sicht das Beste, was Literatur „leisten“ kann, wenn es um das Streben nach gesellschaftlicher Veränderung geht.

Analog schrieb:
Ach, sagt man sich, um das Gewissen zu beruhigen, dann mache ich dieses Jahr statt Malle-Flug mal eine Bahnreise ins Erzgebirge.

So funktioniert das aber nicht.


Na ja, so funktioniert es unter anderem deshalb nicht, weil die eine individuelle Entscheidung eben nichts an einem System ändert, in dem der Malle-Flug unter Umständen weniger kostet als eine Bahnreise. Das Spannungsfeld zwischen individuellen und systemischen Ansätzen wird ja in mehreren Kommentaren thematisiert. Hoch komplex, hoch spannend – wäre sicher interessant, das in einer Kurzgeschichte auszuloten. :)


Das waren jetzt glaube ich alle Rückmeldungen von gestern, zu den anderen würde ich später kommen. Ist schön, wieder hier zu sein :)

 

Lesen wir nicht schon von "unserer" Zukunft, wenn wir Erpenbecks "Gehen, ging, gegangen" lesen oder auch nur "Erschlagen wir die Armen" hierorts besprechen und beschweigen?
(https://www.wortkrieger.de/threads/erschlagen-wir-die-armen.59244/)?

Als Anfang der 1970er “The Limits to Growth. A Report for the Club of Rome's Project on the Predicament of Mankind“ veröffentlicht wurde, gab es bereits Kritik an der „Entwicklungshilfe“ des Westens wie des Ostblocks. „Entwicklungshilfe“ der Form, dass sich mit dem kindlichen Spiel mit Förmchen im Sandkasten vergleichen lässt und Abbilder einer vorgegeben Form „bäckt“, dass im Umfeld von Herbert Marcuse* das geflügelte Wort vom kindlichen Vergnügen Afrikas am westlichen Lebensstandard aufkam.
Da konnte noch keiner so recht glauben, dass es mal die Müllhalde der „Zivilisation“ würde. Stattdessen schrieb die „Zukunftsforschung“ schlicht und einfach – wie in volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen üblich – die Zahlen fort und wenn ich mich recht erinnere, war es ein Deutscher, der als erster und das zeitlich ziemlich genau den Aufstieg Rotchinas prognostizierte und den Staatskapitalismus, der in der Sowjetunion und ihren Satelliten gescheitert war, als Gegenmodell erfolgreich aufstellt.
So ist die obsiegende Wachsumsideologie ohne Gegenmodell und wir schauen zu, wenn dem Amozanasindianer Zivilisation nahegebracht wird.

Friedel

 

Hi @Perdita

Ja, spannendes Thema, das Du da ansprichst. Zu Deiner zentralen Frage kamen mir zwei Gedanken in genau dieser Reihenfolge:

Was ich mich frage, ist: Warum wird darüber so wenig geschrieben?

1. Gedanke: Stimmt doch gar nicht. Ich bin SF-Leserin und würde sagen (genauso wie viele anderen hier), dass der Klimawandel in der SF-Literatur (sowie im Film) schon lange und kontinuierlich präsent ist. Warum das so ist und was es da für Werke gibt, dazu wurde jetzt schon Einiges geschrieben.

2. Gedanke: In der Prosa fordern wir ja häufig voneinander: "Show, don't tell." Für die Nicht-SF-Literatur ist das im Kontext des Klimawandels möglicherweise problematisch, da es zumindest in unseren Breitengraden und in der menschlich lebenszeitlichen Beschränkung relativ schwierig wird, eine Buchfigur den Klimawandel erleben zu lassen. Selbst bei Naturkatastrophen ist das mMn schwierig, denn diese werden einerseits komplex verursacht und stellen außerdem nur ein einzelnes sehr sichtbares und heftiges Puzzleteil im gesamten Klimawandelprozess dar. Dass – was weiß ich – mein Apfel wegen anhaltender Dürre zwei Cent teurer wird, gibt aber keinen tollen Romanstoff her. Das wird dann exciting, wenn ein Apfel in der Zukunft dann eben zehn Euro teurer wird. Womit wir wieder bei SF wären.

Das ist aber nur so eine Überlegung von mir. Den Klimawandel realistisch und eindrücklich darzustellen, ist schwierig. Das ist ja auch ein wesentliches Problem damit, den Klimawandel in der Realität zu bekämpfen.

Eine Notiz am Rande, @jimmysalaryman:

Würde sich die Weltbevölkerung auf die Hälfte reduzieren, hätten wir viele Probleme nicht.

Das wird zwar häufig so erzählt, macht es aber nicht wahrer (oder konstruktiver). Wenn nur vier Milliarden Menschen mit den Pro-Kopf-Emissionen der deutschen Bevölkerung auf diesem Planeten leben würden, hätten wir (zumindest mit dem Klimawandel) exakt das gleiche Problem. Das "Problem" mit Überbevölkerung ist, dass die emissionsintensiven Technologien inzwischen so günstig und verbreitet sind, dass immer mehr Menschen immer mehr emittieren können. Oder anders gesagt: Nicht die Menschen sind das Problem, der Konsum ist es. Wir schmeißen ja auch alles Mögliche weg, wofür wir aber in der Produktion und im Transport bereits emittiert haben. Der Klimawandel wird absolut nicht verschwinden, indem man Geburten kontrolliert. In Deutschland kontrollieren wir Geburten seit langer Zeit, trotzdem verfehlen wir unsere Klimaschutzziele und stoßen pro Jahr viermal (glaube ich) mehr Emissionen aus als der Durchschnittsmensch. Mehr hier.

Ich könnte mehr dazu schreiben, halte mich aber kurz. Back to work.

Cheers,
Teddy

 

Hallo @Perdita :-),

ich habe ein kleines Faible für antiquarische Zukunftsliteratur. Über Sätze wie "Die DDR wird im Jahre 2000 den Kraftfahrzeugbestand der Bundesrepublik Deutschland (einschl. Berlin [West]) von 1970 erreicht haben" mache ich mich nicht lustig, auch wenn ich ein bisschen schmunzeln (Exkurs: schmunzeln, so ein schönes Wort, da kneift die Omma gleich in die Wange, nicht wahr?) muss. Solche Prognosen sagen etwas über den Eindruck aus, den ein Mensch von der Gegenwart hat und wie er diesen Eindruck in die Zukunft verortet.

Und ich denke, wir können uns auch darauf einigen, dass es wichtig ist. Es geht – wirklich, wortwörtlich – ums Überleben. Wir wissen auch, dass es kein Thema für „kommende Generationen“ mehr ist. Wer jetzt am Leben ist, ist davon betroffen.
Da bin ich mir nicht so sicher. Nicht der Klimawandel ist ja das Problem, sondern wie ich als Mensch den Klimawandel einordne. Welche Eindruck ich davon habe, wie wichtig ich ihn für das eigene Leben und die Alltagsgestaltung empfinde. Vielleicht auch für die eigene Identität. Den Klimawandel kann man als größtes Problem menschlichen Verhaltens deuten, man kann ihn akzeptieren, seine Wichtigkeit für das eigene Leben reduzieren. Oder ihn verleugnen. Oder ihn als "irgendwas von da oben" abtun, als das Thema einer urbanen Ober/Mittelschicht, die die Gestaltung des eigenen Lebens als Ausdruck bewusster, optimierter, eigenverantwortlicher Entscheidung sieht und nicht als notwendiges Funktionieren unter eingrenzenden Umständen. Die Welt muss ja offen sein, und ich will ein guter Mensch sein statt Schule, Lehre/Studium, Abschluss, Arbeit plus Familie, Rente. Fokus auf das Lokale statt das Globale. Aber das ist (oder besser wird) ein anderes Thema.

So kann ich, je nach Eindruck, mir meine ganz eigene Realität zum Klimawandel basteln. Kritisch sehe ich aber das Verlangen, dass der andere diese Realität genau so zu sehen hat. Weil ich die richtigen Argumente habe. Das geht für mich schnell ins Dogmatische, in einen Machtanspruch, der den anderen als gleichberechtigten Teilnehmer nicht ernst nimmt. Ich sende, du empfängst, aber dein Senden ist falsch. Vielleicht kann ja Literatur zeigen, wie in einer Welt aus ganz vielen kleinen konstruierter Realitäten ein großer Konsens entsteht. Aber wahrscheinlich denke ich gerade viel zu naiv.

Lg
kiroly

 

Analog schrieb:
Ein Puma. Es ist ein Puma

Du scheinst ja das Werk zu kennen, auf das Katla sich bezieht. Da sie es für ihren Essay braucht, magst du vielleicht noch den Titel und Autor verraten? :)

Ich habe sie bereits dahingehend berichtigt, dass es kein Panther, sondern ein Puma ist. Ein Essay sollte schon selbst erarbeitet werden. Die Antwort lautet also: Nein! :D

Oder wolltest du es für private Recherchen wissen? Wenn ja, dann:

Die Schönheit jener fernen Stadt (A Scientific Romance)

Analog schrieb:
Ach, sagt man sich, um das Gewissen zu beruhigen, dann mache ich dieses Jahr statt Malle-Flug mal eine Bahnreise ins Erzgebirge.

So funktioniert das aber nicht.


Na ja, so funktioniert es unter anderem deshalb nicht, weil die eine individuelle Entscheidung eben nichts an einem System ändert, in dem der Malle-Flug unter Umständen weniger kostet als eine Bahnreise.
Wenn der Verbraucher im Winter sonnengereifte Orangen statt Rübeneintopf will, dann kriegt der Verbraucher sonnengereifte Orangen statt Rübeneintopf. Nicht der Markt ist dann Schuld, der Verbraucher ist es. Nicht die Reederei, die Fluggesellschaft oder das Logistikunternehmen ist der Umweltverschmutzer.

Wer ohne Fehl und Tadel ist, der werfe den ersten Stein. Schokolade nur noch an Ostern und Weihnachten; und eine Jeans hält zwei Jahrzehnte. Wozu gibt es Flicken.

Nur weil das System schlechtes Verhalten begünstigt, ist das System nicht auch automatisch Schuld am schlechten Verhalten.

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Analog,

Ein Puma. Es ist ein Puma
Nope, das Tier war (unmutiert) schwarz. Ich würde mich auf eine Diskussion um einen schwarzen Jaguar einlassen, der auch ganz gut zum Londoner Regenwald passte, bin aber sicher, das Tier war schlanker.
EDIT: Yes! Du bist ja ein Schatz! Wie cool. :bounce:

Wegen dem PumaPanther sprechen wir noch, wenn ich das nochmal gelesen hab. :D

Liebe @Perdita ,

ah, aber letztlich hat doch gar nichts einen Sinn (außer dem, den wir etwas selbst geben). Mein Lieblingszitat wäre eher so:
“Das Leben ist ein ständiger Kampf, und der Tod bedeutet Frieden – nicht umgekehrt. Alles, was lebt, kämpft ums Dasein, bis es stirbt. Dann schläft es bis in alle Ewigkeit und fügt niemandem mehr Leid zu. Diejenigen, die für Frieden auf der Erde beten, beten eigentlich für das Weltenende.”

Stefán Máni: Das Schiff, isländisches Original Skipið, 2006.
Ein gradioses Buch übrigens; nur nicht Thread-relevant. (Wobei: individuell gesehen empfinde ich mein Leben als äußerst angenehm, aber für die Spezies Mensch sehe ich es auch so.)

Ich denke, Hoffnung ist der falsche Weg, denn sie führt zu der Illusion, wir hätten realistische Auswege, ohne Einschränkungen hinnehmen zu müssen. Das weckt Ideen wie: Unsere Lebensraumexpansion in die Wildnis und industrielle Fleisch-, Milch- und Luxusgüterproduktion mit Tierzucht sind das Problem hinter Zooanthroponosen - aber puh, zum Glück gibt es ja bald einen Corona-Impfstoff; die Erde ist zu voll - Auf zum Mars!; wir müssen mehr "grüne" Autos bauen, fürs Wachstum (eben Elektroautos. Nach dem Motto "Ich brauche kein Atomkraftwerk, mein Strom kommt aus der Steckdose!") und weil der Straßenverkehr immer tödlicher wird, brauchen wir dann mehr SUVs; wenn Plastikmüll die Meere killt, entwickeln wir eben ein plastikfressendes Bakterium. Pah, wär doch gelacht! Unsere Spezies hat ein Problemlösungsverhalten wie Goethes Zauberlehrling, nur gibt es in der Realität keinen Meister, der das alles wieder fixt.

Genau wie Friedl sagt: Es gibt kein Gegenmodell. Weil wir die Einschränkungen der Alternative als nicht hinnehmbar ansehen. Tja ...

Anders als ihr in Deutschland haben wir keinen Lockdown, und das liegt an: die Länder sind flächenmässig circa gleich groß, aber bei uns leben 5,5 und nicht 82 Millionen Leute; social distancing war hier schon immer way of life, und wir haben nicht Massenpsychosen, wobei Leute denken, Reptilien-Illuminati würden über Maskenpflicht die globale Kontrolle anstreben (oder so). In kleinerem Bevölkerungsrahmen kriegst du solche Probleme eben leichter in den Griff. Und zum Thema Energie: 100% von Helsinkis Energie wird aus umweltveträglicher Müllverbrennung gewonnen. Das ist alles aber bei einer irrwitzigen Bevölkerungsdichte nicht mehr realisierbar.

Und auf die "reiche westliche Mittelschicht" würde ich nicht unbedingt schimpfen, das sind die mit u.a. der besten Bildung, den wenigsten Kindern, dem Geld, zero waste-Produkte oder sail transport Wein, Kaffee & Schokolade zu kaufen, die nehmen dann Fair Ferry statt den Flieger etc.

Kennst du übrigens Donna J. Haraway? Hängt um Ecken mit deinem Thema zusammen und ist ein echt frischer Wind (naja, seit den späten 80ern, aber gerade sehr aktuell).

Liebe Grüße,
Katla

 

Ein Puma. Es ist ein Puma
Nope, das Tier war (unmutiert) schwarz. Ich würde mich auf eine Diskussion um einen schwarzen Jaguar einlassen, der auch ganz gut zum Londoner Regenwald passte, bin aber sicher, das Tier war schlanker.
Aus biologischer Sicht:
Als Panther wird ein aufgrund seines Melanins schwarz gefärbter Jaguar oder Leopard bezeichnet, im amerikanischen Raum wird ein Puma auch Panther genannt.
Man könnte also euch beiden gleichzeitig recht geben.

 
Zuletzt bearbeitet:

@feurig und @Analog (sorry, @Perdita !)

Im Buch steht: "tauchte aus dem Gebüsch eine schwarze Gestalt auf" (S. 257) "Du bist ein Panther mit guten Manieren" (S. 259f), "Pantherdame" etc. Tatsächlich redet der Erzähler davon, er wisse nicht, wie ein schwarzer Puma aussehen würde, das gibt es ja nicht und mag ein Übersetzungsfehler sein oder eine absichtliche Ungenauigkeit des Prots, und kommt da in der Textumgebung auch nicht mehr vor.
Hatte grad als pdf nur die Übersetzung gefunden, aber kaufe mir das Original jetzt nach.

Nrgh, Panther sind doch schwarze Leoparden, aber Jaguare (egal ob gefleckt oder schwarz) sind eine andere Unterspezies: ganz anderer Körperbau.
EDIT: Missverständnisse kommen wohl über den lateinischen Gattungsbegriff Pantherinae zustande, das hatte ich auch nicht auf dem Schirm.

Egal, Hauptsache ist, dass Analog das Buch fand. Lieben Dank nochmal!

 
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Hallo @Perdita,

ein zeitgemäßes Thema hast Du Dir ausgesucht. Der Klimawandel. Und Du möchtest wissen, warum die Angst davor nicht (noch) stärker in der Literatur verarbeitet wird.

Ich habe da meine ganz eigene Sicht auf die zugrundeliegenden Sachverhalte.

Als erstes fällt mir ein gewaltiger Widerspruch auf. Klimawandel ist zunächst etwas Selbstverständliches. Die Erde ist kein statisches System, sondern ein dynamisches und Wandel und damit auch der Klimawandel gehören zur Erde dazu. Ob uns das gefällt oder nicht. Unsere Vorfahren kannten noch eine Eiszeit und haben Mammuts gejagt. Auch das Verschwinden ("Aussterben") von Tierarten und Pflanzenarten ist ein völlig normaler Vorgang. Wer meint, dass man einfach die Erde konservieren könnte oder den "status quo" einfrieren oder dass dieser sogar der "Normalfall" wäre, unterliegt aus meiner Sicht einem völligen Fehlverständnis der Vorgänge auf diesem Planeten, inkl. Plattentektonik und Evolution. Die Erde wird sich verändern - mit uns, aber auch ohne uns.

Daher finde ich es so merkwürdig, dass sich dieser Begriff "Klimawandel" als Inbegriff des klimaschädlichen Verhaltens der Menschen durchgesetzt hat.

Was wir aber tatsächlich tun, ist Terraforming im großen Maßstab und das auch noch sehr schnell.

Das ist ein völlig neuer Vorgang. Die Menschen haben zwar schon früh damit begonnen, ihre Umwelt zu beeinflussen, aber das war normalerweise lokal begrenzt (bspw. Abholzung). Jetzt führen wir gerade mit dem gesamten Planeten ein Terraformingexperiment durch, ohne zu wissen was wir tun und ohne eine Ersatzerde zu haben. Je nach Sichtweise kann man das mutig oder dämlich finden (so viel zur "Schwarmintelligenz") - ich tendiere zu letzterem.

Wir haben also das Terraforming nicht im Griff, führen es ziellos durch und sind außerdem (noch) gar nicht in der Lage, die Erde als Ganzes zu simulieren und damit auch unfähig, zu prognostizieren, was passieren wird. Wir können nur schätzen. Diese Schätzungen lassen viel Raum für Spekulation, von Leugnen bis Panikattacke. In dieser Bandbreite bewegen sich dann auch die menschlichen Reaktionen.

Klar ist aber, es wird Auswirkungen geben, die zu Klimaveränderungen führen. Diese Veränderungen sind nicht überall gleich, sondern lokal unterschiedlich. Während der eine sich noch darüber freut, dass er weniger im Winter heizen muss, steht der andere buchstäblich mit seinen Füßen im Wasser.

Und damit kommen wir zur Literatur.

Die Auswirkungen sind lokal so unterschiedlich, dass sie sich sogar in unserem vergleichsweise winzigen Land völlig unterschiedlich bemerkbar machen.

Was bleibt da einem als Autor für Raum, das Thema insgesamt zu verarbeiten? Man kann völlig übertreiben, wie z. B. in "The day after tomorrow" oder man versucht das herunterzubrechen auf das Schicksal einzelner Personen.

Man könnte bspw. einen Winzer in Franken nehmen, der aufgrund des Klimawandels gezwungen ist, andere Rebsorten anzubauen und andere Anbaulagen auszuprobieren.

Da bleibt dann aber nicht mehr viel von der Klimawandelpanik übrig und solche Probleme gibt es auch ohne die Auswirkungen des Klimawandels, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen (bspw. wegen Krieg oder Naturkatastrophen), dass Menschen sich neue Einkommensquellen suchen müssen (weil ihr Produkt nicht mehr zeitgemäß ist, der Markt sich verändert), etc.

Die Probleme, die der Klimawandel für den Einzelnen verursacht, sind also nicht so speziell, dass man sie exklusiv dem Klimawandel aufs Auge drücken kann. Angenommen jemand muss seine Farm verkaufen, dann macht es für die Person vielleicht gar keinen so großen Unterschied, ob er die Farm verkaufen muss, weil sein Produkt nicht mehr gekauft wird, weil die Bank ihm kein Geld gibt oder weil es aufgrund von Trockenheit zu viele Ernteausfälle gibt. Der Verlust ist immer der gleiche, nur die Ursache für den Verlust unterscheidet sich. Wenn man literarisch die Gefühlswelt des Protagonisten verarbeitet, tritt da der "Klimawandel" schnell in den Hintergrund und verliert seine Wichtigkeit.

Literarisch bleiben auch noch Dystopien. Ich hatte mal eine einigermaßen weitgediehene Plotidee über eine Ökodiktatur - ist ja recht naheliegend, denn nur unter einer Diktatur könnte man eine CO2-Vollbremsung durchführen. Letztlich habe ich das aber fallenlassen, weil es für mich zu weit weg von der Realität ist. Außerdem ging das thematisch vielleicht eher nach hinten los.

Unterm Strich befürchte ich übrigens, dass wir den Wandel gar nicht aufhalten können, sondern bestenfalls bremsen. In dem ganzen Prozess wird es Gewinner und Verlierer geben und ich weiß wer gewinnt: Das Kapital. Es gibt keinen stärkeren Magneten für Geld als Geld und Wandel ist sozusagen das Lösungsmittel, das Geld aus Strukturen herauslöst, welches dann zu den größten Geldhaufen fließt. Das bedeutet aber auch, dass der CO2-Ausstoß erst dann wirklich runtergehen wird, wenn man global mit "grünem Handeln" mehr Geld verdienen kann als mit "umweltschädlichen Handeln".

Auf diese Grunddynamik hat man weder als Autor noch als Einzelner einen starken Einfluss, egal was man schreibt oder wie viel Fahrrad man fährt. Bestenfalls ist das ein langer Prozess, den man über das Konsumverhalten oder politisch als Gemeinschaft beeinflussen kann. Inwieweit wir aber als Deutschland, mit einem Anteil von ca. 1% an der Weltbevölkerung, tatsächlich einen Einfluss auf das globale Terraforming haben, ist dann eine andere Frage.

Was mir in der Literatur fehlt, wobei ich vielleicht solche Bücher auch einfach übersehen habe, ist die Auseinandersetzung mit der Lösung des Problems unter der Voraussetzung, dass wir den Klimawandel nicht entscheidend abbremsen werden.

Gruß
Geschichtenwerker

 

Hi @Perdita

anhand der schnellen Reaktionen kann man wohl davon ausgehen, dass Autoren keineswegs blind für das Thema sind.
Es ist sehr schwer, konsequent bei der Fragestellung zu bleiben, was ja zeigt, dass die meisten Foristen sich damit beschäftigen und ihre Standpunkte besitzen.

Also ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich so ist, dass „systemkritische“ Stoffe vom System ausgebremst werden. Das interessiert sich ja letzten Endes eigentlich nicht für Inhalte, solange etwas Geld bringt.

Als ich erwähnte, dass ich den aktuellen Markt nicht überblick, bezog ich mich ungefähr auf die letzten fünf Jahre. Wie andere Foristen schon erwähnten, ist das Thema, vor allem in der SF-Szene gar nicht so selten. Für andere Formen der Belletristik ist es natürlich schwer umzusetzen, da die erwarteten Auswirkungen die Zukunft betreffen. Nun steht SF aber nicht gerade an der Spitze bei der Beliebtheit der Leser und fristet bei vielen Verlagen immer noch ein Dasein im Nerd-Eckchen. Die Ausnahmen betreffen hauptsächlich Teenie-Romanzen für die das SF-Setting nur als Kulisse dient.
Was ich eigentlich zum Ausdruck bringen wollte: Der Klimawandel wird durchaus thematisiert, da er sich als schön gruseliger Hintergrund für schön flache Unterhaltung eignet. Jedoch gibt es kaum Veröffentlichungen, in denen Wege aus der Krise gezeigt werden, die auf tiefergehenden Analysen der Ursachen beruhen. Positive Utopien sind absolutes Kassengift. Sowohl in der Literatur als auch im Film. Bei der kleinsten Kritik am kapitalistischen System werden Augen verdreht, die typischen "Geh doch nach drüben" Sprüche werden recycelt, bezüglich China, Cuba oder Nordkorea. In den USA wird die Idee einer allgemeinen Krankenversicherung als kommunistisch empfunden. Nicht vom bösen Trump, sondern von den meisten Bürgern.
Welche Utopien würden diese Menschen lesen wollen?
Die sozialdarwinistische Ideologie des Wettbewerbs beherrscht das Denken und Handeln der Menschen. Greift man diese Ideologie an, will das keiner lesen, weil die Leser dann alles verlieren, worauf sie ihr Weltbild und ihr Leben aufbauen. Die Gesellschaftsutopie in belletristischer Form ist absolut tot. Mangels Nachfrage.
Du erwähnt alternative Veröffentlichungswege. Selfpublishing und Underground-Verlage gibt es natürlich. Aber ohne ein pumpendes Management im Hintergrund bleibt das eben auch nur Literatur für den kleinen, geschlossener Leserkreis.
Im Übrigen riskieren Autoren beim gegenwärtigen Zeitgeist, der die Kulturbranche beherrscht, schnell als Verschwörungs-Trottel abgestempelt zu werden.
Die Antwort war jetzt länger als geplant. Ich hoffe, ich habe mich nicht zu weit von der Frage entfernt.
aber mir ist tatsächlich nicht klar, welches Werk du hier meinst.

Hunger Games. Die ideologische Botschaft steckt schon im Namen: Wer sich vom kapitalistischen Prinzip abwendet, wird hungern müssen. Im Unterschied zu Orwell, der den Verlust der individuellen Freiheit in einer Diktatur verarbeitet, setzt Collins auf die Angst vor dem wirtschaftlichen Verlust der Menschen nach einer pseudo-kommunistischen Revolution. Der Roman erschien zur Zeit der größten Bankenkrise seit den Dreißigern, als sich sogar im Mutterland des Wirtschaftsliberalismus allmählich Zweifel bei den Bürgern zeigten. Da wurde das politisch Gewünschte hervorragend mit der Sehnsucht der Leser nach einer heilen, bürgerlichem Welt verknüpft. Sehr auffällig, dass ein literarisch eher mittelmäßiges Buch einen dermaßen überwältigendem Erfolg hatte.

Anmerkung: Die Verwendung generalisierender Begriffe, wie: alle, keiner, jeder, dienen der Vereinfachung des Beitrags. Mir ist durchaus bewusst, dass mindestens drei bis vier Autoren, Verlage, Leser gibt, die nicht meinem Vorurteil entsprechen.

Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

@ Katla

Panther sind doch schwarze Leoparden, aber Jaguare (egal ob gefleckt oder schwarz) sind eine andere Unterspezies: ganz anderer Körperbau.
Alle haben Recht und liegen doch falsch. :)
Der Panther ist keine zoologisch-systematische Bezeichnung, sondern Volksmund. Je nach Region werden überwiegend schwarz gefärbte Großkatzen so bezeichnet. Das können Pumas, Geparden, Jaguare sein.
Panther sind also keine Art oder Unterart, sondern eine Zusammenfassung von verschiedenen Arten nach phäotypischen Merkmalen.
Es gibt noch den Gattungsbegriff Panthera für alle Großkatzen.

Ich hab das mal studiert. ;)

p.s. ich hatte über sehen, dass feurig das bereits geklärt hat.

 

@Kellerkind Touché, du hast bzw. ihr habt Recht. Lustig, ich hatte grad was anderes in in einem Onlineartikel gelesen, der war aber auch sehr populärwissenschaftlich (oder nur populär und gar nicht wissenschaftlich, wie es jetzt aussieht :D). Danke sehr!

 

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