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Schreiben for Future? Warum werden die Klimakrise und die ökologische Krise in der Literatur so wenig thematisiert?
Liebes Forum,
ich bin jetzt eine ganze Weile inaktiv gewesen, und werde wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit weiterhin nicht mehr dazu kommen, regelmäßig zu schreiben oder zu kommentieren. Aber ich habe ein Thema, das mich schon eine ganze Weile bewegt und wo ich mich über Input von Menschen mit Schreiberfahrung unheimlich freuen würde. Und deshalb werde ich es einfach mal ganz unverschämt ausnutzen, dass hier so viele davon versammelt sind.
Das Thema hat auch viel damit zu tun, warum ich nicht mehr dazu komme, hier aktiv zu sein, weil ein Großteil meiner Freizeit jetzt in Aktivismus fließt. Und es tut mir leid, ich hab versucht, mich kurz zu fassen, aber ich komme nicht drum herum, relativ weit auszuholen. Und das, was ich dazu schreiben werde, ist ziemlich deprimierend, deshalb eine ernst gemeinte Aufforderung: Sollte es euch gerade aus irgendwelchen Gründen psychisch nicht so gut gehen, dann zieht euch diesen Post vielleicht lieber nicht rein.
Okay.
Wir (sprich, die Menschheit, oder genauer gesagt hauptsächlich der reiche Teil der Menschheit, zu dem wir im globalen Norden gehören) sind dabei, auf dem einzigen bekannten Planeten, auf dem wir leben können, das sechste große Massenaussterben der Erdgeschichte und eine Heißzeit zu verursachen. Wenn diese Prozesse erst mal so richtig in Gang kommen (bisher stehen wir erst ganz am Anfang davon) ist nicht garantiert, ob es danach immer noch ein Planet sein wird, auf dem wir leben können. Falls ja, wird es aller Voraussicht nach ein ziemlich beschissenes Leben sein, weil wir und die Pflanzen- und Tierarten, die wir zum Leben brauchen, überhaupt nicht an die Umweltbedingungen angepasst sind, die dann herrschen werden. (Nebenbemerkung: Ich weiß, dass das alles nicht aus böser Absicht geschieht und ein einzelner Mensch in der Regel nur sehr sehr wenig dafürkann, es geht hier nicht darum, irgendwem ein schlechtes Gewissen zu machen. Nur darum, wie wir mit dieser Faktenlage umgehen.)
Dieser Prozess läuft wahnsinnig schnell ab, könnte aber vielleicht noch aufgehalten werden, wenn weltweit innerhalb kürzester Zeit (nicht Jahrzehnte, sondern wenige Jahre) sehr drastische Änderungen passieren. Das erscheint momentan nicht sehr wahrscheinlich. Und selbst wenn das gelingen sollte, ist es durchaus möglich, dass schon Rückkopplungsprozesse in Gang gekommen sind, durch die es effektiv bereits zu spät ist (tauender Permafrost setzt wahnsinnig viele Treibhausgase frei, was wiederum zu mehr tauendem Permafrost führt, und solche spaßigen Dinge).
Ich denke, dass das für niemanden überraschend ist. Es geht alles regelmäßig durch die Nachrichten. Und ich denke, wir können uns auch darauf einigen, dass es wichtig ist. Es geht – wirklich, wortwörtlich – ums Überleben. Wir wissen auch, dass es kein Thema für „kommende Generationen“ mehr ist. Wer jetzt am Leben ist, ist davon betroffen. Ein australischer Buchladen hat während der Brandkatastrophe im Januar – ja, das war auch in diesem völlig verrückten Jahr! – ein Schild aufgehängt: „Post-apocalyptic fiction has been moved to our current affairs section“.
Was ich mich frage, ist: Warum wird darüber so wenig geschrieben?
Es geht mir dabei nicht so sehr um das, was ich mal als „aktivistische“ Literatur bezeichnen würde, Bücher, mit denen die Absicht verfolgt wird, die Leser:innen zu motivieren, ihr Verhalten zu ändern. Ich glaube zwar daran, dass Literatur positiv zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen kann, weil das Einfühlen in Charaktere, die anders sind als man selbst, Empathie fördert und dabei hilft, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Aber kein literarisches Werk wird für sich genommen „die Welt retten“, und die, die sich daran versuchen, gehen in künstlerischer Hinsicht oft mehr oder weniger in die Hose.
Was ich mehr vermisse, ist Literatur, die einfach thematisiert, dass es diese Krisen gibt und sich damit auseinandersetzt, was das bedeutet.
Es gibt natürlich ein paar, wo das der Fall ist, zum Beispiel:
- Die MadAddam-Trilogie von Margaret Atwood
- Den Roman „Macht“ von Karen Duve
- Den Roman „American War“ von Omar ElAkkad
- Die Romane „Die Geschichte der Bienen“, „Die Geschichte des Wassers“ und „Die letzten ihrer Art“ von Maya Lunde
- Viele Science Fiction-Geschichten, wo sich mittlerweile „Climate Fiction/ CliFi“ als Subgenre etabliert hat
Aber dafür, dass das Thema so allumfassend und so wichtig ist, und dafür, dass ich jemand bin, die a) relativ viel liest und recht intensiv verfolgt, was es an Neuerscheinungen gibt und b) explizit nach solchen Geschichten sucht, ist die Ausbeute doch eher gering, finde ich.
Ich bin auch nicht die einzige, die sich diese Frage stellt. Es gibt ein interessantes Buch von dem indischen Autor Amitav Ghosh, „The Great Derangement“ (mittlerweile auch deutsch erschienen als „Die große Verblendung“), wo er sich damit auseinandersetzt. Das Buch ist ein langer, lesenswerter Essay, der viele spannende Gedanken enthält, aber so ganz haben mich Ghoshs Thesen nicht überzeugt. Das Buch betont irgendwie sehr stark den Unterschied zwischen „ernsthafter“ Literatur und Unterhaltungsliteratur – ich persönlich bezweifle, dass es objektive Kriterien für die Unterscheidung zwischen „ernsthafter“ und „nicht ernsthafter“ Literatur gibt, das sind letzten Endes so Geschmacksurteile von Feuilleton-Snobs, die man nicht unbedingt teilen muss.
Aber es ist eigentlich auch egal, ob man nur einen willkürlich gewählten Ausschnitt der Literatur betrachtet oder alle Arten von Literatur – Fakt ist, für ein Thema, das die ganze Menschheit betrifft und das mittlerweile im Alltag spürbar ist, wird wirklich sehr wenig drüber geschrieben – obwohl es nach meinem Empfinden unglaublich viel „Stoff“ bietet.
Die jungen Leute, die seit über einem Jahr versuchen, sich politisch Gehör zu verschaffen, weil sie wissen, dass ihre Zukunft auf dem Spiel steht, Menschen, die mitansehen, wie ihre Heimat von immer heftigeren Stürmen, Bränden oder dem steigenden Meeresspiegel zerstört wird, Wissenschaftler:innen, die seit Jahrzehnten vor katastrophalen Folgen warnen und jetzt mitansehen, wie ihre Vorhersagen nach und nach eintreffen und oft sogar von der Realität übertroffen werden, skrupellose Entscheidungsträger:innen in fossilen Brennstoffkonzernen, die alles dafür getan haben, um diese Warnungen unter Verschluss zu halten oder mit Fake News zu bekämpfen – es gibt so viele hoch interessante Figuren, so viele dramatische Geschichten – man sollte doch meinen, dass sich Autor:innen darauf stürzen!
Vielleicht ist es auch eine unrealistische Erwartung von mir – wenn ich so darüber nachdenke, welche anderen globalen Umwälzungen es in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten gab – Industrialisierung, Globalisierung, Internet … und mir dann anschaue, wie viele Menschen sich damit bewusst literarisch auseinandergesetzt haben, dann finde ich, wenn ich ganz ehrlich bin, auch nicht so wahnsinnig viele Beispiele. Vielleicht ist es normal, dass es lange dauert, bis solche Themenkomplexe in der Literatur (oder der Kunst im allgemeinen) „ankommen“.
Andererseits sind die Werke, die sich mit diesen Krisen befassen, für mich persönlich wichtig und hilfreich, um psychisch mit dem ganzen Scheiß fertig zu werden, und ich wünsche mir mehr davon. Deshalb würde ich mich freuen, in einen Austausch zu kommen, warum es bisher eben so wenig von dieser Art von Literatur gibt. Richtig traumhaft fände ich, wenn das vielleicht sogar ein paar Leute hier im Forum motivieren würde, Sachen zu dem Thema zu schreiben … aber vielleicht fangen wir erst mal mit dem Austausch an.
Wenn ihr bis hierher durchgehalten habt (danke! ), hätte ich ein paar Fragen, von denen ich hoffe, dass sie eine interessante Diskussion in Gang bringen.
- Habt ihr selbst schon einmal etwas geschrieben, wo die Klimakrise und die ökologische Krise eine Rolle spielen (wenn die Antwort ja und es ist online zu finden, freue ich mich über Links)? War das nach eurem Gefühl schwieriger, als über andere Themen zu schreiben, und woran hat das gelegen?
- Empfindet ihr es selbst auch als Mangel, dass diese Themen in der Literatur bisher so eine geringe Rolle spielen? Woran liegt das eurer Meinung nach, und wie könnte sich das vielleicht ändern?
- Kennt ihr noch mehr literarische Werke als die, die ich genannt habe, die sich mit diesen Themen beschäftigen? Findet ihr sie gut oder nicht so gut gelungen, und woran liegt das?