Was ist neu

Schreiben wir bald nur noch für eine Elite?

Warum regt sich das Kellerkind so auf?

Weil hier jemand Schwachsinn in die Welt pustet, um sein Unternehmen in den Fokus zu rücken.

Ein ernstes Problem als Werbung für ein privates Unternehmen abzutun, wird der Sache nicht gerecht, mein liebes Kellerkind. Dies vor allem dann nicht, wenn, wie du, Pisa-Studien als Quatsch abtust, nur um das Problem des funktionalen Analphabetismus als gering zu erklären.

Zugegeben, Analphabeten gibt es seit dem es die Schrift gibt. Das war so lange kein Problem, solange es genügend Jobs gab, für die die Kenntnis bzw. Verständnis des Geschriebenen keine Rolle spielte. Aber diese Jobs gibt es seit der Computerisierung der Arbeitswelt immer weniger, deshalb ist die Arbeitslosigkeit unter den funktionalen Analphabeten jetzt schon 3 Mal höher als unter des Lesens Kundigen.

Diese Menschen können weder am gesellschaftlichen Leben partizipieren, noch sind sie in der Lage, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden. Sie verstehen schlicht nicht, wovon jeweils die Rede ist – und sind deswegen anfällig für Parolen, die komplizierte Zusammenhänge auf Schwarz-weiß-Bilder verkürzen.

Und weil sie diesem Schwarz-Weiß-Denken gewissermaßen blind folgen, darf uns nicht verwundern, dass sie bei Wahlen gegen ihre eigenen Interessen stimmen. Das ist nicht nur bei uns so, sondern überall – und besonders in Staaten, wo die Bildung Privatsache ist, wie z.B. in den USA.

Ich möchte nicht erleben, dass wir in 10 Jahren einen Bundeskanzler haben, der mit der gleichen Methoden wie Trump arbeitet, um dann nach und nach die Freiheiten abschafft, mit deren Hilfe er an die Macht gekommen ist. Siehe auch Putin mit seiner gelenkten Demokratie, die es nun geschafft hat, ein Gesetz Wirklichkeit werden zu lassen, das dem Staat erlaubt, ein eigenes Internet zu installieren, der keine oder nur erlaubte Kontakte zur übrigen Welt haben wird: Die Infrastruktur ist bereits aufgebaut.

Wehret den Anfängen!

 

Hallo Werter @Dion,

Über Pisa-Studien habe ich gar nichts gesagt, sondern lediglich klargestellt, dass der funktionelle Analphabetismus in Deutschland kontinuierlich abnimmt. Das bedeutet, dass an dem Problem mit Erfolg gearbeitet wird.
Ich habe nicht das Problem als Werbung abgetan, sondern den überzogenen Alarmismus.

Ein großes Problem für die Demokratie sehe ich darin nicht. Als diese in den USA eingeführt wurde, konnten mit Sicherheit weniger als die Hälfte der Bürger lesen. Aber ich glaube auch nicht, dass Menschen, die nicht lesen können, deshalb komplett zurückgeblieben seien. Auch des Lesens kundige Bürger informieren sich zu großen Teilen über visuelle Medien. Auf den albernen Wahlplakaten gibt es ohnehin nicht viel zu lesen, außer: Wohlstand für alle! Das versteht sogar der Analphabet. Und die Zahl der Bürger, die sich alle Parteiprogramme durchlesen, dürfte überschaubar bleiben. CDU und SPD werden in einigen Regionen aus Tradition gewählt.
Die Legende von den Ungebildeten, die aus mangelndem Verständnis den Antidemokraten huldigen ist längst statistisch widerlegt. Um es deutlich zu sagen: Nazis werden von Menschen gewählt, die Nazis wollen. Egal ob sie lesen können oder nicht. Empathie und Solidarität mit Schwächeren lernt man nicht im Deutschunterricht, sondern zuhause und mit anderen Menschen. Eine Gesellschaft, die Individualismus und den Wettbewerb zwischen den Bürgern als ideologische Basis wählt, braucht sich nicht um die Lesekompetenz ihrer Kinder zu sorgen, sondern über den allmählichen Verlust der sozialen Kompetenz. Die Verlagerung dieses Problems auf eine, wie auch immer definierte Unterschicht, dient in der Hauptsache der Legitimierung des Ausbaus eines Kastensystems in Deutschland. Neben der ökonomischen Überlegenheit wird eine moralische konstruiert.

Und weil sie diesem Schwarz-Weiß-Denken gewissermaßen blind folgen, darf uns nicht verwundern, dass sie bei Wahlen gegen ihre eigenen Interessen stimmen.
Ich vermute, Du meinst Arbeiter, die SPD wählen? Oder eher Niedriglöhner, die Grün bevorzugen?

Herzliche Grüße
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Sehe das ähnlich wie @Kellerkind.

Das Interesse an Geschichten wächst. Die Rezipienten sind auch nicht dümmer geworden, sondern klüger. Was sich tatsächlich gewandelt hat, ist die Geduld beim Lesen. Nicht am Lesen persönlicher, literarischer Lieblinge!! – egal welche Interessenssparte. Trotz der Befürchtungen um die Allmacht der Algorithmen und Datensammler, können wir uns als Rezipienten heute mehr denn je aussuchen, was wir wirklich lesen oder anderweitig rezipieren möchten. Die kulturelle Öffentlichkeit ist in Sparten zerfallen, die sich nicht ausschließen, sondern sich überschneiden. Auf Facebook/Insta. etc. teile ich Inhalte und schaffe Subkultur am laufenden Band.
Die Erzählungen wiederholen sich, trotzdem wundert es keinen, dass Kulturschaffende wie Ingenieure das Rad eben doch neu und immer neuer erfinden. Der Fundus an Geschichten ist eine überquellende Rumpelkammer geworden. Das ist nicht mehr interessant, es gibt so viel Neues zu besprechen.
Zwei Fragen:
1. Warum wird heute überhaupt noch gelesen?
2. Warum schwindet die Lust am Lesen? (behauptet folgender Artikel: Ernüchternde Studie: Die Lust am Lesen schwindet)


1.Bücher eröffnen den intensivsten Zugang zu Geschichten – Nur Träume erreichen die Fantasie unmittelbarer.
2. Die meisten Bücher werden von geduldigen Menschen geschrieben, nicht von ungeduldigen. Nicht die Qualität, die Geduld ist das Mittel der Passung.*

*Der Anspruch an die Qualität von Literatur, Film, Musik ist auf das Gros der Produktionen betrachtet gesunken. Nicht, weil die Künstler es nicht mehr drauf hätten, sondern weil sie nicht höher springen müssen als nötig. Du musst kein Bob Dylan mehr sein, kein Steve Reich, Keith Richards, Truman Capote, Fellini, kein Kubrick. Es ist genauso gut, im Vergleich zu diesen Größen mittelmäßig zu sein (Bov Bjerg, John Green, Susan Kreller, Stefanie Höfler – so ein paar aus der dt. Literatur/Unterhaltung). Du kannst eine Idee klauen, sie billig nachmachen und das funktioniert schon, weils eben problemlos zu machen und mal eben zu lesen ist. Krimis und Fantasy-Schinken - Jugendliteratur und Romanzen – Ratgeber und Polemik.
Ich denke, wer Angst vor mittelmäßiger Qualität hat, sollte auf gute Qualität setzen. Das funktioniert nach wie vor (Stokowski, Kehlmann, Biller, Zeh, Hermann, Taha – und das sind jetzt nur ein paar "Elitäre" und dazu aus dem Dt.sprachigen).
Das einzige, was nicht mehr funktioniert, ist geduldige Literatur. Der Maßstab wird von Serienproduzenten, zeitgenössischen Musikern, selten Romanciers und (leider noch viel seltener) von Künstlern festgelegt. Eine wohlgesonnene Leserschaft dem, der diesem Maßstab mit den Mitteln der Literatur gerecht wird. Ansonsten weiterhin wortkrieger.de – mit Geduld und ohne Marktdruck.

 
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Über Pisa-Studien habe ich gar nichts gesagt …
Doch hast du – siehe hier:
Kann man von seriösen Aussage ausgehen, wenn der Analphabetismus von 7-Jährigen thematisiert wird?
Ich habe das schon gesagt, aber weil das bei dir anscheinend nicht angekommen ist, wiederhole ich das: Wenn von der Lesekompetenz von 7-25-Jährigen die Rede ist, dann sind damit dem jeweiligen Alter angepasste Texte gemeint. Und klar kann sich die Lesekompetenz eines 7-Jährigen im Laufe der Zeit verbessern, aber sie kann sich auch verschlechtern. Das gleicht sich also aus.

Ich habe nicht das Problem als Werbung abgetan, sondern den überzogenen Alarmismus.
Doch, du hast das Problem als Werbung abgetan – siehe hier:
Warum regt sich das Kellerkind so auf?
Weil hier jemand Schwachsinn in die Welt pustet, um sein Unternehmen in den Fokus zu rücken.
Du solltest schon dazu stehen, was du schreibst.

Ein großes Problem für die Demokratie sehe ich darin nicht. Als diese in den USA eingeführt wurde, konnten mit Sicherheit weniger als die Hälfte der Bürger lesen.
Das ist ein unzulässiger Vergleich, weil aus einer Zeit stammend, in der die Lesekompetenz kaum eine Rolle spielte.

Auch des Lesens kundige Bürger informieren sich zu großen Teilen über visuelle Medien.
Vielleicht – hast du darüber belastbare Zahlen?

Und selbst wenn das stimmen sollte, es ist die Frage, welche visuellen Medien konsumiert werden. Seitdem wir private Fernsehsender haben, die sich allein durch Werbung, sprich durch Quote finanzieren, kann man bei denen von einem seriösen Journalismus nicht mehr sprechen. Aufmacher sind oft Unglücke, Mord und Totschlag, selbst wenn sie am anderen Ende der Welt stattfinden, Hintergrundberichte dagegen sind Mangelware, weil sie dafür keine Leute haben, denn alles Geld geht in die Unterhaltung (gerade gegoogelt) alla Bauer sucht Frau, Adam sucht Eva, The Voice of Germany, Grill den Henssler, Die Geissens, Die Reimanns oder wie diese Sendungen noch heißen, die meistens nichts anderes im Sinn haben als ahnungslose Zeitgenossen vorzuführen.

Um es deutlich zu sagen: Nazis werden von Menschen gewählt, die Nazis wollen.
Nazis kann nur jemand wollen, der nicht informiert ist, weil er sich nicht informieren kann oder will.

Empathie und Solidarität mit Schwächeren lernt man nicht im Deutschunterricht, sondern zuhause und mit anderen Menschen.
Wir wissen doch, dass die Erziehung gerade in den Familien mangelhaft ist, die dazu nicht in der Lage sind, weil sie selbst keine oder nur mangelhafte Erziehung „genossen“, und die selbst keine Lesekompetenz haben. Statt wie du zu sagen, Schule leistet das nicht bzw. könne das nicht leisten, wäre es besser, Ganztagsschulbesuch verpflichtend einzuführen, damit solche Kinder und Jugendlichen ihrem Milieu entzogen werden. Anders kann man diesen Teufelskreis nicht durchbrechen.

Die Verlagerung dieses Problems auf eine, wie auch immer definierte Unterschicht, dient in der Hauptsache der Legitimierung des Ausbaus eines Kastensystems in Deutschland. Neben der ökonomischen Überlegenheit wird eine moralische konstruiert.
Das kann nur für diejenigen gelten, die in der Erziehung und der Wissensvermittlung nichts ändern wollen. Es ist ein Unding, nach 4 Jahren Schulbesuch schon auszusieben, weil in diesen jungen Jahren die Unterschiede in den häuslichen Milieus am stärksten zu spüren sind. Das wird allgemein anerkannt, aber geändert wird nichts, weil Elitedenken von CDU/CSU das verhindert. Und die AfD will dieses Denken noch forcieren.

Und weil sie diesem Schwarz-Weiß-Denken gewissermaßen blind folgen, darf uns nicht verwundern, dass sie bei Wahlen gegen ihre eigenen Interessen stimmen.
Ich vermute, Du meinst Arbeiter, die SPD wählen? Oder eher Niedriglöhner, die Grün bevorzugen?
Wo lebst du? Hast du nicht die Analysen der letzten Wahlen in Thüringen gelesen?

Um es dir leicht zu machen, hier ein Link zur Süddeutschen Zeitung. Da kannst du in leicht verständlichen Grafiken sehen, dass gering gebildeten kaum die Grünen gewählt haben. Und Frauen – wir erinnern uns: sie haben mehr Lesekompetenz als Männer – haben um 11 Prozentpunkte (17 % zu 28 %) weniger AfD gewählt als Männer.

Man sieht: Lesen bildet.


Trotz der Befürchtungen um die Allmacht der Algorithmen und Datensammler, können wir uns als Rezipienten heute mehr denn je aussuchen, was wir wirklich lesen oder anderweitig rezipieren möchten.
Das ist ja das Drama: Es gibt zu viele, die nur das rezipieren, was sie in ihren Ansichten bestätigt. Sie informieren sich nicht mehr aus unabhängigen Quellen, sondern nur noch von Gleichgesinnten, die gern Tatsachen verdrehen oder schlicht erfinden – das sind die sogenannten Fake News. Das Schlimme dabei: Richtigstellungen erreichen sie nicht, weil sie so gut wie nie aus ihrer Blase herauskommen.

Und die Befürchtungen über die Allmacht der Algorithmen und der Datensammler sind berechtigt: Sowohl der Brexit-Entscheid als auch die letzte Präsidentenwahl in den USA wurden durch ein Unternehmen namens Cambridge Analytica (als Geldgeber fungierte ein Milliardär) und die sogenannten Social Bots beeinflusst.

Und in Deutschland? Die AfD ist die einzige Partei, die es abgelehnt hat, sich zu verpflichten, solche Methoden nicht anzuwenden.

Warum wird heute überhaupt noch gelesen?
Weil der Mensch vom Brot allein nicht leben kann.
Okay, manche können offensichtlich trotzdem leben, aber das ist wahrscheinlich eher ein Vegetieren. :D

 
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Ich habe das schon gesagt, aber weil das bei dir anscheinend nicht angekommen ist, wiederhole ich das: Wenn von der Lesekompetenz von 7-25-Jährigen die Rede ist, dann sind damit dem jeweiligen Alter angepasste Texte gemeint.

Ne, Dion, da ist bei dir anscheinend offensichtlich was nicht angekommen. Mehrere User haben dich bereits darauf hingewiesen, dass ein statistisches Summieren der Lese- und Schreibfähigkeit von Sieben- bis Fünfundzwanzigjährigen zum Heraufbeschwören dieser von der SZ und dir (?) herbeigedachten Variable Quatsch ist.

Quatsch wäre es nicht, wenn es beispielsweise hieße:

"30% der Siebenjährigen sind funktionale Analphabeten."

oder

"3% der Fünfundzwanzigjährigen sind funktionale Analphabeten."

Und klar kann sich die Lesekompetenz eines 7-Jährigen im Laufe der Zeit verbessern, aber sie kann sich auch verschlechtern. Das gleicht sich also aus.

Ne, da gleicht sich gar nichts aus. Die Lesekompetenz einer siebenjährigen Person entwickelt sich in mehr als 9 von 10 Fällen statistisch positiv. Wenn sich da was ausgleichen würde, dann hätten wir in Deutschland vierzig Millionen Analphabeten.

 

Hallo alle ,

wenn wir von "früher" und "heute" reden, dann frage ich mich eh, von welcher Zeitspanne. Gewisse Bücher wurden doch schon immer für die Bildungselite geschrieben. Ich denke, dass der Buchmarkt sich in der Nachkriegszeit eher positiv entwickelt und mit "leichter" Lektüre sich andere Zielgruppen erschlossen hat, z.B. eben Teenager, die noch bis in die 70er, wenn sie keine Gymnasiasten waren, bereits mit 14 ihre Lehren begannen und gar keine Zeit mehr zum Lesen hatten. Solche Erlebnisbüchereien wie die Mayersche, Hugendubl, Thalia und Co. in manchen Städten aufbauen, das war doch bis in die 80er kaum denkbar.

Ich frage mich daher, ob soziale Medien nicht einfach die Bildungselite etwas wachgerüttelt haben und sie damit konfrontieren, dass sie eigentlich in einer Enklave lebt. Ich glaube auch nicht, dass das Wählen bestimmter Parteien entscheidend etwas mit Analphabetismus zu tun hat, sondern eher mit einer weit verbreiteten Politikverdrossenheit. Denn wer liest schon die Parteiprogramme vor einer Wahl? Die Stimme der meisten Wähler wird vermutlich auf Basis der knappen Werbeslogans (sei es nun mündlich oder auf Wahlplakat) abgegeben, wenn nicht eine Parteitreue besteht, die immer die Stimme bekommt, egal, was sie sagt. Ich bin mir sicher, dass durchweg jede Partei Stimmen verlieren würde, wenn die (potentiellen) Wähler sich mit den Parteiprogrammen wirklich auseinandersetzen würden. Aber wer tut das? Vermutlich nicht einmal die Bildungselite.

Ich komme selbst nicht aus einem Akademiker-Haushalt und erinnere mich lebhaft an eine Szene aus dem Politikunterricht in der sechsten Klasse, in der mein Lehrer mir partout nicht glauben wollte, dass meine Eltern keinen Brockhaus hatten (haben sie bis heute nicht). So etwas zeigt, wie blind häufig die sogenannte Bildungselite für das Leben der breiten Masse ist. So viel hat sich da m.E. gar nicht verändert. Die Medien verändern sich, E-Book-Reader, Tablets, Streaming-Dienste, YouTube etc. arbeiten Lesestoffe anders auf. Das muss per se nicht schlimm sein. Und wenn ich morgens in S-Bahn und Bus die Schüler beobachte, die häufig dicke Schinken mit gut 600 Seiten mit sich schleppen, dann spricht das nicht gegen ihre Konzentrationsfähigkeit. Dass das selten Shakespeare ist (der allenfalls in seiner Gesamtausgabe auf 600 Seiten kommt), sondern eher Fantasy- oder Mysteryromane, ist eben altersgerecht. Da hat eben jede Generation ihren Hype.

Mich stört es vielmehr auf andere herabzuschauen, weil sie nicht Arte, sondern GNTM oder DSDS schauen, Rita Falk lesen und nicht Dostojewski. Zum einen schließt das eine das andere nicht aus und wenn doch, dann ist es jedem seine freie Entscheidung, womit er oder so die Freizeit verbringen wollen.

Politikverdrossenheit, der Vertrauensverlust in die Parteien der "bürgerlichen Mitte" sind meines Erachtens andere Probleme, die nicht unbedingt mit besserer Bildung zu bekämpfen sind. Und ehrlich gesagt, ich habe Leute gekannt (die meisten sind schon tot), die jeder Zeit wieder braun gewählt hätten, hätte es die Möglichkeit gegeben, auch nachdem sie Krieg, Leid, Tod und Holocaust am eigenen Leib erlebt haben. Das war kein Mangel an Bildung. Es gibt Menschen, die sind so und finden das richtig (auch wenn es mich davor gruselt). Es ist daher naiv zu denken, dass ein gebildeter Mensch nicht rechts oder gar braun wählen würde. Es gibt immer Personen, die von einem Unrechtsstaat profitieren und dafür alles andere in Kauf nehmen. Politische Bildung ist wichtig, um solche Mentalitäten nicht erneut als Massenphänomen aufkeimen zu lassen. In dieser Verantwortung sehe ich mich aber nicht unbedingt als Schriftstellerin. Da bietet die Politik eine viel bessere Plattform und nicht zuletzt die Familie, die in erster Linie für die Wertevermittlung verantwortlich ist, knapp gefolgt vom sozialen Umfeld, zu dem mitunter auch Schulen gehören.

So, das war mein Wort zum Sonntag.
LG
Mae

 
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Mehrere User haben dich bereits darauf hingewiesen, dass ein statistisches Summieren der Lese- und Schreibfähigkeit von Sieben- bis Fünfundzwanzigjährigen zum Heraufbeschwören dieser von der SZ und dir (?) herbeigedachten Variable Quatsch ist.
Um dem Streit um die Prozentzahlen und die (Un)Korrektheit der Statistiken ein Ende zu machen: Fakt ist, dass wir 6,2 Millionen funktionale Analphabeten in Deutschland haben, das sind 7,75 % der Bevölkerung, zu der bekanntlich auch Babies und Kleinkinder zählen, die naturgemäß noch gar nicht lesen können. Deswegen war es richtig, die funktionalen Analphabeten erst ab der 2. Grundschulklasse zu zählen, und noch richtiger wäre es, nicht beim 25 Lebensjahr halt zu machen, sondern alle Erwachsene mit einzubeziehen.


Die Stimme der meisten Wähler wird vermutlich auf Basis der knappen Werbeslogans (sei es nun mündlich oder auf Wahlplakat) abgegeben …
Nein, die meisten wissen zu unterscheiden zwischen den Parolen auf Wahlplakaten und dem, wofür eine Partei wirklich steht. Einem Slogan wie „Ein Männlein steht im Walde, ganz grün und dumm.“ – das hat die CSU mal gebracht, um die Grünen zu desavouieren – glaubt doch kein informierter Mensch, sondern nur einer, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat.

Die Medien verändern sich, E-Book-Reader, Tablets, Streaming-Dienste, YouTube etc. arbeiten Lesestoffe anders auf. Das muss per se nicht schlimm sein.
Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen einem Buch und einem Video: Das erste lässt Raum für die eigene Fantasie, das andere erfordert eine ständige Konzentration auf die Bilder, für eigenes Denken ist da kein Platz oder höchstens ganz am Ende, wo aber oft schon das nächste Video wartet. Videos sind zudem absichtlich so gemacht, dass man dran bleiben muss, weil schon nach einer Minute, in der „nichts“ geschieht, die Abbruchtaste droht. Netflix weiß davon und versucht dagegen zu steuern.

Und wenn ich morgens in S-Bahn und Bus die Schüler beobachte, die häufig dicke Schinken mit gut 600 Seiten mit sich schleppen, dann spricht das nicht gegen ihre Konzentrationsfähigkeit.
Das habe ich auch schon gesehen und nie in Abrede gestellt. Aber es sind vor allem Mädchen und Frauen, die diese dicke Bücher lesen, was auch die Untersuchungen bestätigen: Sie sind lesekompetenter als Jungs und Männer.

Mich stört es vielmehr auf andere herabzuschauen, weil sie nicht Arte, sondern GNTM oder DSDS schauen, Rita Falk lesen und nicht Dostojewski.
Es liegt mir fern, auf irgendjemand herabzuschauen, habe doch in meiner Kindheit und Jugend selbst Abenteuerromane verschlungen und in der klassischen Musik ganz profan mit „Eine kleine Nachtmusik“ und „Divertimento K. 136“ von Mozart angefangen (die Platte, auf der die beiden Stücke drauf sind, habe ich immer noch, aber leider keinen Plattenspieler mehr).

Zum einen schließt das eine das andere nicht aus …
Ganz genau.

Und ehrlich gesagt, ich habe Leute gekannt (die meisten sind schon tot), die jeder Zeit wieder braun gewählt hätten, hätte es die Möglichkeit gegeben, auch nachdem sie Krieg, Leid, Tod und Holocaust am eigenen Leib erlebt haben. Das war kein Mangel an Bildung.
Klar. Hier spielt eher das Unvermögen eine Rolle, einen Fehler nicht zugeben zu können.

Es ist daher naiv zu denken, dass ein gebildeter Mensch nicht rechts oder gar braun wählen würde. Es gibt immer Personen, die von einem Unrechtsstaat profitieren und dafür alles andere in Kauf nehmen.
(…)
Politische Bildung ist wichtig, um solche Mentalitäten nicht erneut als Massenphänomen aufkeimen zu lassen.
Weil damals zu viele weggeschaut und geschwiegen haben, muss man sich zu Wort melden, wenn diese Hydra wieder den Kopf hebt, weil sie meint, es sei genug Zeit vergangen, um alles, was einst geschehen, vergessen zu lassen. Stichwort: Fliegenschiss der Geschichte.

In dieser Verantwortung sehe ich mich aber nicht unbedingt als Schriftstellerin. Da bietet die Politik eine viel bessere Plattform und nicht zuletzt die Familie, die in erster Linie für die Wertevermittlung verantwortlich ist, knapp gefolgt vom sozialen Umfeld, zu dem mitunter auch Schulen gehören.
Das ist natürlich richtig. Dennoch gebe ich dir zu bedenken: Wenn jeder auf andere zeigt, die es richten sollen, tut am Ende keiner was. Texte in der Rubrik Gesellschaft, die sich mit der augenblicklichen Lage in Deutschland und in der Welt auseinandersetzten, sind Mangelware. Meistens wird da menschliche Schwäche thematisiert, was fast automatisch jeden Fall als Einzelfall erscheinen lässt.

Der Rechtsruck aber ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das in den letzten Jahren schleichend Fahrt aufgenommen hat. Ich denke hier vor allem an Pegida und sog. Identitäre, die allesamt eine rassistische Ideologie vertreten: Deutschland und Europa hat weiß und christlich zu sein bzw. zu bleiben. Die AfD ist nur der nach außen sichtbare politische Arm dieser Bewegung, denn die anderen „arbeiten“ in Verbogenem.

Es gibt Listen, auf denen sog. unliebsamen Personen stehen (Politiker, Journalisten, Kulturschaffende), die im Fall einer Machtübernahme aus der Öffentlichkeit zu entfernen sind. Das sind eindeutig Parallelen zu den Nazis, die schon wenige Wochen nach der Machtübernahme politische Gegner in KZs einsperrten, wo ihnen jede rechtliche Hilfe untersagt blieb und wo politische Morde an der Tagesordnung waren.

Um zum Thema zurückzukehren: Noch größer als die Zahl der Analphabeten ist die Zahl derer, die des Lesens fähig sind, aber trotzdem keine Zeitungen und/oder keine Bücher lesen. Das sind jene, die mangels tiefergehender Informationen eher auf Parolen hereinfallen als andere. Wobei es natürlich auch unter den Lesekompetenten welche gibt, die rechts wählen. Aber das sind verhältnismäßig wenige, denn je höher der Bildungsgrad, desto kleiner ist die Gefahr, den Populisten Vertrauen zu schenken. Das zeigen die Analysen zur Landtagswahl in Thüringen eindeutig.

Lesen und das Gelesene verstehen zu können immunisiert gewissermaßen vor Gefahren, die in einfachen Lösungen für komplizierte Probleme stecken. Ein Lesender weiß, dass die Welt nicht nur schwarz oder weiß, sondern bunt ist. Selbst in sogenannter Trivialliteratur erfährt man von dieser Buntheit und davon, dass es nicht nur gute und böse Menschen gibt, sondern dass beides in uns allen steckt, und dass Zufälle des Lebens es sind, die einen mehr in die eine oder in die andere Richtung tendieren lassen.

Wer aber fast nur Gleichgesinnte kennt und von Andersgesinnten nur negative Bilder geliefert bekommt, der schmort im eigenen Saft bis er in einer Diktatur aufwacht – und sich auch hinterher keiner Schuld bewusst ist: Er hat nur getan, was auch andere getan.

Deshalb: Wehret den Anfängen!

 

Ich bin 26 - und definitiv nicht der Bildungselite angehörig. Und ich lese auch kaum. Beobachte aber, dass die meisten um mich herum noch weniger lesen.

 

Populisten richten ihre Forderungen häufig nach den Ängsten einiger Bevölkerungsschichten aus, um Bekanntheit und Anerkennung zu erlangen.
Dieser Politiker ist ein Populist, der mit pauschalen Schuldzuweisungen versucht, Wähler zu gewinnen.
Ist diese Definition richtig?

Wenn ja, dann sind da nicht wirklich viele, die sich dieser Bedeutung bewusst sind.[] Zumindest in meinem Alltag erlebe ich, dass gerade dieses Wort ausschließlich benutzt wird um Menschen mit rechter Gesinnung zu betiteln, wenn das Wort Nazi zu plump klingt.

Die Definition ist nicht falsch, allerdings wäre es redlich zu sagen, woher du das Zitat hast. Von der Wikipedia, wo der Begriff besser erklärt wird, hast du sie nicht - also habe ich ein wenig gegoogelt und eine Seite gefunden, wo die obigen Aussagen ebenfalls zitiert werden. Aber die Seite ist mir suspekt, weil dort heißt es auch: Populisten sind die wahren Demokraten. Das ist Bullshit.

Andererseits ist es richtig, dass dieser Begriff fast ausschließlich für Menschen mit rechter Gesinnung benutzt wird. Mit Recht, denn die mit linker Gesinnung schüren z.B. keine Ängste „um Bekanntheit und Anerkennung zu erlangen“.

Wobei es natürlich auch unter den Lesekompetenten welche gibt, die rechts wählen. Aber das sind verhältnismäßig wenige, denn je höher der Bildungsgrad, desto kleiner ist die Gefahr, den Populisten Vertrauen zu schenken. Das zeigen die Analysen zur Landtagswahl in Thüringen eindeutig.
Das zeigen sie nicht.
Doch, die Analyse der Forschungsgruppe Wahlen, auf die ich bereits am Samstag um 22:06 Uhr verwies, zeigt die Korrelation zwischen Bildung und Wählen eindeutig: Die mit Hauptschulabschluss wählten zu 28 % die AfD, die mit Hochschulabschluss aber nur zu 10%. Jetzt kannst du natürlich sagen, die Forschungsgruppe Wahlen arbeitet interessengesteuert, aber einer Organisation, die seit Jahren mit ihren Wahlvoraussagen und Analysen meistens richtig liegt, wird man das nur schwer vorwerfen können.

Ohne die schwarz-weiß-Seher, gäbe es überhaupt keinen Grund die Behauptung überhaupt aufzustellen. Und was ist mit all den Farbschattierungen, Farbverläufen und Perspektiven auf das Ganze?
Du weißt genau, was ich mit „die Welt ist bunt“ ausdrücken wollte, deshalb ist deine Kritik, es fehlten darin „Farbschattierungen, Farbverläufen und Perspektiven“ eine lächerliche.

Deshalb: Wehret den Anfängen!
(…)
Leider sehe ich politisch und gesellschaftlich keine Anfänge, denen man sich erwehren könnte, weil die Anfänge schon längst an uns vorübergezogen sind, wir zu beschäftigt damit waren auszuknobeln, wer jetzt Recht hat und wer nicht. Wer der Gute ist und wer der Böse. Wer die fremdenfeindlichen Populisten sind und wer die verblendeten Gutmenschen.
Der letzte Satz mit den „verblendeten Gutmenschen“ verrät ungewollt deine politische Position, obwohl du dich anfangs mit
Ich teile keinerlei Sympathie zu jedweder Seite in diesem Theater.
neutral gibst.

Das ist ja der Trick der etwas intelligenteren Rechten: Sich neutral geben, andererseits aber neutrale Aussagen anderer bezweifeln, ersatzweise auch auf scheinbare Parallelen in der Argumentation der Linken und Rechten weisen, um so unterschwellig zu sagen: Wir tun nicht Unrechtes, und wenn es doch so scheinen sollte, dann nur, weil die anderen das auch tun.

 

Wir driften ab. Aber ich lese gerade ein Buch über Caesar von Christian Meier, dort Seite 56: „Es bildete sich die neue Rolle des Populären. Dieser Terminus bezeichnete eine besondere politische Methode, das populariter agere - auf populäre Weise Politik machen - sowie den, der sich ihrer bediente.“

Zweck war es, den Senat zu blockieren. Volkstribunen versuchten so, Anträge bei der Volksversammlung durchzusetzen, die vor dem Senat keine Chance hatten.

Die Lektüre des Buches kann ich sehr empfehlen. Fast erschreckend die Parallelen zur modernen Gesellschaft.

LG
Mae

 

zum Gutmenschen Zitat: ich habe hier die Extreme so abgebildet, wie sie sich jeweils gegenüberstehen (aus ihrer Sicht). So wie sieh sich gegenseitig scheinbar wahrnehmen.
Nein, nicht gegenseitig, denn der wesentliche Unterschied ist: Während z.B. AfD stolz darauf ist, dass sie wegen ihrer Fremdenfeindlichkeit gewählt wird – was wohl auch die Hauptmotivation der AfD-Wähler ist –, wird der Begriff (verblendete) Gutmenschen von eben solchen Rechtsradikalen als Schimpfwort auf alle Menschen angewendet, deren Handeln sich an humanistischen, ethischen Prinzipien orientiert: Ein Wort, das Gutes bedeutet, wurde so in das Gegenteil verkehrt.

Deutungshoheit über Worte zu haben ist wichtig, weil politisches Handeln erst einmal sprachliches Handeln ist.

Andererseits ist es richtig, dass dieser Begriff fast ausschließlich für Menschen mit rechter Gesinnung benutzt wird. Mit Recht, denn die mit linker Gesinnung schüren z.B. keine Ängste „um Bekanntheit und Anerkennung zu erlangen“.
Es ist meiner Meinung nach niemals richtig die Bedeutung eines grundsätzlich beschreibenden Wortes auf eine Menschengruppe einzugrenzen, während man es anderen vorenthält auf die die Definition ebenfalls zutrifft.
Ich kenne heute in der Mitte und auf der linken Seite der Gesellschaft keinen Politiker, auf den die Bezeichnung Populist zuträfe. Aber vielleicht kannst du mir welche nennen?

Ich bezweifle nicht, dass zwischen diesem Level und Wahlverhalten ein Zusammenhang besteht. Es repräsentiert nur nicht die Ursache in Gänze.
Das habe ich auch nicht behauptet, sondern gesagt, dass höherer Bildungsgrad davor schützt, den Populisten Glauben zu schenken. Natürlich gibt es auch andere Gründe für eine Wahlentscheidung, einen davon habe ich oben selbst erwähnt: Fremdenfeindlichkeit, denn die ist in allen Schichten latent vorhanden.

Und aus den Analysen zur Thüringer Landtagswahl geht hervor, dass Frauen in wesentlich weniger großer Zahl als Männer die AfD gewählt haben. Daraus habe ich abgeleitet, das läge an der höheren Lesekompetenz der Frauen, von der hier vorher die Rede war. Das war aber sicher nicht der alleinige Grund dafür – ich könnte mir z.B. vorstellen, dass die aggressive Rhetorik der AfD sie abstößt, Männer aber ermutigt.

Das ist ja der Trick der etwas intelligenteren Rechten: Sich neutral geben, andererseits aber neutrale Aussagen anderer bezweifeln, ersatzweise auch auf scheinbare Parallelen in der Argumentation der Linken und Rechten weisen, um so unterschwellig zu sagen: Wir tun nicht Unrechtes, und wenn es doch so scheinen sollte, dann nur, weil die anderen das auch tun.
Wie gesagt, diese Anspielung tut mir unrecht.
Möglich, dass ich dir damit Unrecht getan habe, aber ich schreibe hier nach besten Wissen und Gewissen, was ich auch von anderen erwarte. Und weil ich in deinen Argumenten Parallelen zu Argumentation der Rechten entdeckt habe, habe ich das auch so gesagt. Tut mir leid.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich finde die Diskussion interessant und wichtig, habe aber leider zu wenig Zeit gerade, um mich intensiv einzubringen, von daher nur ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, um vielleicht Denkanstöße zu geben.

Zunächst ist nicht bei jeder vermuteten Korrelation auch wirklich eine vorhanden. Dies bezieht sich auf die einfachen Rückschlüsse von Schulbildung oder Lesekompetenz auf Fremdenfeindlichkeit bzw. Wahlverhalten. Wer sich mit dieser Thematik ein wenig auseinandersetzen möchte, wie schnell selbst Profis sich von vermeintlichen Korrelationen in die Irre führen lassen, dem kann ich als Ausgangspunkt bspw. "Schnelles Denken, langsames Denken" von Kahneman et al. empfehlen. Für den interessierten Laien leicht verständliche Lektüre.

Damit möchte ich nicht sagen, dass in den genannten Statistiken kein wahrer Trend enthalten sein kann, sondern dass solche Rückschlüsse tatsächlich falsch sein können und oftmals sind, auch wenn sie sich einem aufdrängen.

Zum Beispiel kann ein Grund für das Wahlverhalten auch eine schlechte Einkommenssituation sein, die bis zu einem gewissen Grad mit der Bildung korreliert ist.

Zur Pisastudie: Am Lehrstuhl haben wir uns damals um 2000 rum köstlich über die Dummheit der Politiker amüsiert: Testweise diese Studie durchführen und dann entscheiden, ob weitere Gelder für einen weiteren Test bereitgestellt werden. Wer den Wissenschaftsbetrieb von innen kennt, weiß wie Forschungsgelder akquiriert werden. Wie auch immer. Der Aufschrei war groß, die Gelder flossen weiter. Natürlich gibt es auch bei solchen Studien einen wahren Kern, aber die wissenschaftliche Aussagekraft darf man nicht mit der Pressemitteilung verwechseln, die zur Sicherung der Forschungsmittel dient.

Das führt mich zur Literalität. Hier ein Link zur Pressemitteilung der LEO-Studie:
https://www.bmbf.de/files/2019-05-07 leo-Presseheft_2019-Vers10.pdf

Und hier der Link zum Fragebogen:

https://leo.blogs.uni-hamburg.de/wp...03/Fragebogen_V12-zur-Publikation_ergänzt.pdf

Mal abgesehen davon, dass kein Lehrstuhl sich gerne selbst abschafft und Karrieren junger Wissenschaftler zerstört, was natürlich das Verkaufen der Ergebnisse an die Politik beeinflusst, konnte ich leider auf die Schnelle keine Details zur Auswertung finden (zur meiner Forschungszeit hätte man daher solche Ergebnisse wegen mangelnder Überprüfbarkeit in den Papierkorb geworfen). Man kann sich aber ganz gut ein Bild davon machen, wie so ein Fragebogen funktioniert:

Nur als kleines Beispiel
Variable Dig017:

Frage: Wie häufig sehen Sie nach, was Ihre Bekannten in sozialen Netzwerken wie z.B. Facebook mitteilen?

Rationale: Geringe Literalität müsste mit geringer Nutzung korrelieren

Variable Dig020:

Frage: Wie häufig sehen Sie sich Online-Tutorials oder Erklärvideos an, z.B. für Kochen, Softwarebedienung, Bedienungsanleitungen oder Spieleanleitungen, für Heimwerken, Hobbies, Schminken, HipHop oder Autoreparaturen?

Rationale: Kann als Kompensation für geringe Literalität dienen. Die bisherige Weitergabe von Erklärungen über Distanzen war auf Schrift angewiesen (Kochbuch), heute wird v.a. von Jüngeren das Tutorial stärker verwendet

Ich bin z. B. in sozialen Netzwerken gar nicht aktiv und schaue auch gerne solche Videos. Je nachdem also, welche Gewichtung die Variablen Dig017 und Dig020 haben, beeinflusst das meine statistische Wahrscheinlichkeit, dass ich ein funktionaler Analphabet bin.

Gruß
Geschichtenwerker

 

@Geschichtenwerker

Danke für den Link. Die Leo-Studie habe ich selber als Argument herangezogen. Nach Lektüre des Fragebogens ziehe ich meine diesbezügliche Aussage zurück. Unfassbar, wie in manchen Bereichen gearbeitet wird.
Ich konnte bereits mit vier Jahren Wortgruppen buchstabieren. Heute sehe ich mir, wenn möglich, Tutorials nur noch in Videoform an. Facebook ist mir unbekannt.

 

Zunächst ist nicht bei jeder vermuteten Korrelation auch wirklich eine vorhanden. Dies bezieht sich auf die einfachen Rückschlüsse von Schulbildung oder Lesekompetenz auf Fremdenfeindlichkeit bzw. Wahlverhalten.
Wenn das auf meine Ausführungen zielen sollte, dann irrst du dich: Ich habe oben Fremdenfeindlichkeit ausdrücklich als latent in allen gesellschaftlichen Schichten vorhanden bezeichnet. Sie ist also unabhängig von der Lesekompetenz. Geringe Lesekompetenz, die ja in der Regel mit geringer Schulbildung korreliert, macht lediglich anfällig für einfache populistische Parolen, weil solche Menschen nur die ganz verstehen können, nicht aber die damit zusammenhängenden Hintergrundinformationen, die meistens nicht einfach sind.

Zum Beispiel kann ein Grund für das Wahlverhalten auch eine schlechte Einkommenssituation sein, die bis zu einem gewissen Grad mit der Bildung korreliert ist.
Geringes Einkommen bekämpft die SPD mit dem Mindestlohn und will ihn erhöhen, während die AfD dies ablehnt. Würde schlechte Einkommenssituation eine Rolle spielen, müsste die SPD davon profitieren, nicht die AfD.

AfD ist z.B. auch gegen Erbschaftsteuer und gegen Vermögenssteuer, die ja nur Vermögende trifft bzw. treffen würde. Dennoch geriert sie sich als Partei der kleinen Leute – und die kleinen Leute glauben das auch, weil sie aufgrund der geringen Literalität die Zusammenhänge kaum verstehen können.

Zur Pisastudie: Am Lehrstuhl haben wir uns damals um 2000 rum köstlich über die Dummheit der Politiker amüsiert:
Nobody ist perfect – das gilt auch für die Pisastudien. Will sagen: Kritik gab es von Anfang an, aber mittlerweile sind die Studien anerkannt als taugliches Mittel, um den Bildungspolitikern zu sagen, woran es in ihren Schulen mangelt bzw. was sie dort verbessern könnten.

Man kann sich aber ganz gut ein Bild davon machen, wie so ein Fragebogen funktioniert:

Nur als kleines Beispiel

Variable Dig017:

Frage: Wie häufig sehen Sie nach, was Ihre Bekannten in sozialen Netzwerken wie z.B. Facebook mitteilen?

Rationale: Geringe Literalität müsste mit geringer Nutzung korrelieren

Dazu nur eine kleine Anmerkung: Du hast vergessen hier die Spalte Forschungsstand/Theorie zu erwähnen. Dort steht – Zitat:

Geringere Nutzung von Lesen am Arbeitsplatz und außerhalb der Arbeit unter gering literalisierten Erwachsenen, aus PIAAC z.B. (Grotlüschen et al. 2012, S. 40).

und

Laut JIM-Studie (2017) nutzen Kinder und Jugendliche mit niedriger formaler Bildung das Internet anteilig stärker zur Kommunikation (Feierabend et al. 2017b, S. 31).

Das sind zwei sich widersprechende Aussagen, und offenbar sind die Fragebogenersteller beim verfassen von Rationale der ersten, älteren Aussage gefolgt. Dies vielleicht, weil die ältere von Grotlüschen mit verfasst wurde, die auch die hier von dir verlinkte LEO-Studie mit verantwortete. Das wäre dann Wissenschaft vom Feinsten. Oder wie sie leibt und lebt. :D


Mir liegt was an der Thematik, denn noch vor einigen Jahren hätte ich niemals gedacht, dass sich Umfeld und Freundeskreis so dermaßen spalten könnten. Da sind Leute, die miteinander aufgewachsen sind, sich immer bestens verstanden haben, sich jetzt aber Spinnefeind sind.
Das ist eine eher milde Form der Feindschaft, denn was unter Nachbarn, die miteinander aufgewachsen sind, möglich ist, hat der Bosnienkrieg gezeigt.

Darunter sind außerdem Grün- sowie Linkswähler, sich selbst der Mitte oder anderweitigen Parteien Zuordnende (z.B. den Humanisten) und auch Leute mit Bezug zur Antifa, sowie Nichtwähler.
Vor allem die (ehemaligen) Nichtwähler sind diesmal zur Wahl gegangen und in großer Zahl AfD gewählt, die es offenbar verstanden hat, sie in ihrem Sinne zu motivieren.

Meiner Meinung nach liegt es deshalb auch eigentlich im Interesse der Allgemeinheit, sich dem Missbrauch der Worte durch eine selbsternannte Deutungshoheit entgegenzustellen, egal von welcher Seite dieser Anspruch gestellt wird.
Bedeutung der Wörter wandeln sich durch die Benutzung in anderen Zusammenhängen – siehe z.B. das Wort geil – dagegen kann man nichts machen. Auch im politischen Zusammenhang sind Versuche, ein verbranntes Wort wie z.B. Gutmensch zu rehabilitieren, zum Scheitern verurteilt.

Ich kenne heute in der Mitte und auf der linken Seite der Gesellschaft keinen Politiker, auf den die Bezeichnung Populist zuträfe. Aber vielleicht kannst du mir welche nennen?
Ich werde mich jetzt nicht hier hin stellen und fingerzeigend Namen ausrufen, das verstehst du sicher, ist auch überhaupt nicht mein Anliegen.
Nein, das verstehe ich nicht, denn Ross und Reiter zu nennen ist keine Schande, sondern sogar geboten, wenn du glaubwürdig bleiben willst. Wenn ich z.B. Björn Höcke und Alexander Gauland als Populisten bezeichnen kann und darf, dann kannst du auch Personen nennen, die deiner Meinung nach auf der anderen Seite des Politikspektrums heute als Populisten auftreten.

Du sprachst in einem vorigen Post von einer Blase, die entsteht, und das empfinde ich auch so. Die Blase entsteht aber nicht ausschließlich aus böswilligen Absichten und böswilligen Menschen. Sie bekommt auch Zulauf, wenn eigentlich kommunikationswillige, offene Menschen auf der Suche nach z.B. Kompromissen oder Konsens bei diesem Versuch direkt eine Keule abbekommen und vor aller Augen wo eingeordnet werden, wo sie selbst als Mensch überhaupt nicht stehen.
Das klingt nach: Die anderen sind schuld, dass ich so bin. Dies mag es im Einzelfall geben, aber nicht in der Menge, die sich in Hass- und Drohbotschaften landesweit manifestiert. Die Leute in einer Blase sind fanatisch und daher keinem Argument zugänglich und auch nicht kritikfähig: Sie schmeißen dich raus, sobald du eine andere Position vertrittst als sie. Diese Blasen sind vergleichbar mit den „Fans“ eines Fußballklubs: Für sie sind Anhänger anderer Klubs grundsätzlich Gegner oder gar Feinde, die es zu bekämpfen gilt, wozu es übrigens keinen Anlass alla Keule braucht: Es genügt deren bloße Existenz.

Wir driften wirklich weg vom eigentlichen Thema, das da eigentlich heißt: Wie steht es mit Literalität in Deutschland oder wie sollte man schreiben, um wen zu erreichen?

Als @Maedy im MLb aus ihrem geplanten Roman (Feuerkraniche) vorgelesen hat, gab es nur milde Kritik, weil sie zuvor gesagt hat, ihre Zielgruppe sind Jugendliche von 14 bis 17 Jahren. Es gab daraufhin eine Diskussion, ob man in so einem Fall erzieherisch tätig sein, sprich penibel die grammatikalische Regeln auch dann befolgen müsse, wenn dies auf Kosten z.B. des Leseflusses ginge. Die sklavische Befolgung der Regeln führten zu umständlichen oder komplizierten Satzkonstruktionen, sagten die einen, und die anderen sagten, gerade den jungen Leuten müsse man zeigen, wie man korrekt schreibt.

Wie seht ihr das?

 

@Dion

Es gab daraufhin eine Diskussion, ob man in so einem Fall erzieherisch tätig sein, sprich penibel die grammatikalische Regeln auch dann befolgen müsse, wenn dies auf Kosten z.B. des Leseflusses ginge. Die sklavische Befolgung der Regeln führten zu umständlichen oder komplizierten Satzkonstruktionen, sagten die einen, und die anderen sagten, gerade den jungen Leuten müsse man zeigen, wie man korrekt schreibt.
Dazu habe ich auch eine Meinung. :)
Das Einhalten grammatikalischer Regeln ist nicht diskutierbar. Zumindest nicht für diese Altersgruppe. Wenn wir von Leseanfängern reden, ist sicher nichts gegen "Lilo im Haus" einzuwenden. Junge Leser brauchen keine Erleichterungen, sondern Orientierung. In Berlin ist das Experiment "Schreiben nach Gehör" grandios gescheitert, so wie es etliche Fachleute für Didaktik und Pädagogik vorausgesagt haben. Das folgt aus der Missachtung einer Binsenweisheit aus Großmutters Tagen: Es ist hundertmal schwieriger etwas falsch gelerntes zu korrigieren, als es sofort richtig zu lehren. Daher auch die Schwierigkeiten der Umstellung älterer Bürger auf die reformierte Rechtschreibung, obwohl die in den meisten Fällen Erleichterung gebracht hatte.
Im Übrigen, kann ich mir kaum vorstellen, wie die Grammatik den Lesefluss dermaßen behindert, dass man nicht durch eine Umformulierung Abhilfe schaffen könnte. Das wäre eher eine Frage der Stilistik. Ich werde den Beitrag mal suchen.

Gruß!
Kellerkind

 
Zuletzt bearbeitet:

Da muss ich klarstellen, dass ich mich an den besagten Stellen nicht wegen des kindlichen Publikums gegen das PQP entschieden habe, sondern wegen der allgemeinen Lesbarkeit. Dies vor allem nach langen Diskussionen hier im Forum mit Friedel, Teddy, Chris oder NGK, ob man die mit PQP einhergehenden Wortwiederholungen (hatte, war, ge...) nicht mit Tricks vermeiden kann. Chris‘ Lösung ist es, den ersten Satz grammatisch korrekt und die folgenden Sätze dann im Imperfekt zu schreiben. Friedel - dem habe ich mich angeschlossen - schlug vor, dass PQP wegzulassen, wo die Vorvergangenheit durch Signalwörter verdeutlicht wird, wie z.B. „damals“ oder „gestern“. Damit habe ich im Prolog drei Sätze „aufgelockert“, da, wo es aber nicht ging, PQP genutzt.
Im Übrigen halte ich viel von Pädagogik in der Jugendliteratur, weshalb ich auch immer versuche, by the way Allgemeinwissen zu vermitteln oder z.B. den Konjunktiv 2 zu nutzen, was von einem Zuhörer ja kritisiert wurde, weil er meinte, dass Jugendliche nicht so reden oder denken.

(@Kellerkind : Es ging um meinen Prolog zum „Fluch der Feuerkraniche“ und die Diskussion drehte sich um das PQP und nicht Grammatik allgemein.)

 

Du hast vergessen hier die Spalte Forschungsstand/Theorie zu erwähnen

Wollte es nicht noch weiter aufblähen, sondern im Wesentlichen zeigen, wie interpretationslastig solche Studien sind und wie sehr davon auch die Ergebnisse abhängen.

Wenn das auf meine Ausführungen zielen sollte, dann irrst du dich: Ich habe oben Fremdenfeindlichkeit ausdrücklich als latent in allen gesellschaftlichen Schichten vorhanden bezeichnet.

Das bezog sich eher auf den Zusammenhang zwischen Bildung und AfD-Wählern aus der SZ.

Ja, das mit der latenten Fremdenfeindlichkeit ist einfach schwierig, wobei nicht jeder der ängstlich ist, auch gleich feindlich ist.

Ich glaube übrigens sehr wohl, dass viele aus Protest rechts wählen, weil sie sich abgehängt fühlen (z. B. finanziell) und bspw. der SPD nicht (mehr) zutrauen, dass sie ihre Probleme angreift. Insofern ist es auch egal, was die AfD in dieser Hinsicht sagt, denn es geht auch bei vielen darum, den etablierten Parteien den Stinkefinger zu zeigen, weil sie sich nicht vertreten fühlen.

Ich befürchte außerdem, dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir radikale Wähler einfach als Menschen mit zu geringer Literalität abstempeln. Da steckt eine gewisse Arroganz der Elite in dieser Aussage, die gerade Menschen, die sich als nicht dazugehörig fühlen, in die Arme derer treiben, die (vermeintlich) den Eliten aufs Dach steigen.

Aber zurück zur Literatur:

Die sklavische Befolgung der Regeln führten zu umständlichen oder komplizierten Satzkonstruktionen, sagten die einen, und die anderen sagten, gerade den jungen Leuten müsse man zeigen, wie man korrekt schreibt.

Ich sage mal ganz ketzerisch, was hilft die schönste Konstruktion, wenn man keinen Leser hat? Aber ich sage auch: Wenn die Geschichte spannend ist, lesen Kinder/Jugendlich auch komplizierte Sätze.

Für mich fängt die Krux schon in der Grundschule an, wo die Kinder erst einmal schreiben dürfen, wie sie möchten und alles auf Vereinfachung getrimmt ist, damit ja keiner überfordert ist (Bayern, wo das Niveau ja eher höher sein soll). Damit hängt man vielleicht weniger ab, aber das Durchschnittsniveau sinkt auch und für die Kinder ist es schwer nachvollziehbar, warum z. B. auf dem Gymnasium plötzlich die Rechtschreibung und die Grammatik wichtig sind und man nicht mehr schreiben darf, wie einem der Schnabel gewachsen ist.

 

Hallo @Maedy

Da muss ich klarstellen, dass ich mich an den besagten Stellen nicht wegen des kindlichen Publikums gegen das PQP entschieden habe, sondern wegen der allgemeinen Lesbarkeit. Dies vor allem nach langen Diskussionen hier im Forum mit Friedel, Teddy, Chris oder NGK, ob man die mit PQP einhergehenden Wortwiederholungen (hatte, war, ge...) nicht mit Tricks vermeiden kann. Chris‘ Lösung ist es, den ersten Satz grammatisch korrekt und die folgenden Sätze dann im Imperfekt zu schreiben. Friedel - dem habe ich mich angeschlossen - schlug vor, dass PQP wegzulassen, wo die Vorvergangenheit durch Signalwörter verdeutlicht wird, wie z.B. „damals“ oder „gestern“. Damit habe ich im Prolog drei Sätze „aufgelockert“, da wo es aber nicht ging PQP genutzt.
Im Übrigen halte ich viel von Pädagogik in der Jugendliteratur, weshalb ich auch immer versuche, by the way Allgemeinwissen zu vermitteln oder z.B. den Konjunktiv 2 zu nutzen, was von einem Zuhörer ja kritisiert wurde, weil er meinte, dass Jugendliche nicht so reden oder denken.
Ich hoffe, dass ich nicht aus dem Topic rutsche ...
Also mein Kommentar war in Unkenntnis der speziellen Beispiels formuliert. Die Weiterführung der Vorvergangenheit in Form des Präteritums ist ein durch Gewohnheitsrecht legitimierter Trick in der Belletristik. Wenn Du den Konjunktiv 2 als wörtliche Rede für (normale) jugendliche Figuren verwendest, leidet sicher die Authentizität. Aber auch das ist keine Frage der Grammatik, sondern des Stiehls. ;)
Figurenrede muss sich nicht an Grammatik halten, das wäre ja schrecklich!

Gruß!
Kellerkind

 

Hallo @Kellerkind ,

mein Roman hat eine Ich-Erzählerin, daher Konjunktiv 2 im Gedanken. Das ist sicher eine Frage des Stils. Ich fand es an den Stellen passend. Zudem ist meine Prota Abiturientin aus einer Adelsfamilie, deren Vater Lehrer und Mutter Literaturwissenschaftlerin ist. Für mich passte das ?.

LG

 

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