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Schritte im Dunkeln

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01.05.2005
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Schritte im Dunkeln

Schritte im Dunkeln

Ampy öffnete die Augen, doch sie sah nichts. Nichts war um sie herum, nur tiefschwarze Dunkelheit. Es muss noch mitten in der Nacht sein. Sie wollte sich zur Seite drehen, um mit ihren Fingern nach der Nachttischlampe zu tasten, als ihr bewusst wurde, dass sie nicht lag. Schon gar nicht in ihrem Bett. Sie stand barfuss in der Finsternis. Über diese Erkenntnis geriet sie abrupt ins Taumeln. Unwillkürlich streckte sie beide Arme von sich, um Gleichgewicht zu finden. Verwirrung breitete sich mit der Balance in ihrem Körper aus, forderte sie auf, sich neu zu orientieren. Wenn ich in meinem Zimmer bin, muss irgendwo an der Wand der Lichtschalter sein.
Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den nächsten, während ihre Hände die Umgebung nach Bekanntem - nach dem Eichenschrank, der Wand, dem Bücherregal - absuchten. Aber kein Hindernis, keine Begrenzung stellte sich ihr in den Weg. Sie war mindestens zwanzig Schritte gelaufen. Das Zimmer ist niemals so groß. Ich muss träumen!
Sie fragte sich, ob ihr bewusst sein konnte, dass sie träumte oder ob dies eher einer Indiz für ihre Vigilanz war. Nachdem sie sich etliche Male schmerzhaft in den Unterarm gekniffen hatte, entschied sie zu glauben, dass sie wach war, um dann fassungslos zu rekonstruieren, was sie erinnern konnte.

Weiße Blätter eines blühenden Kirschbaums - rieselten wie Puzzleteile vom blaugrauen Himmel. Sie saß unter dem Baum an einem kleinen Holztisch - ihre Augen geschlossen - die Nase nach oben gereckt. Genüsslich sog sie den Duft des Frühlings ein, während einige Blütenblätter Stirn und Wangen streiften und danach lautlos vom Wind auf das Gras getragen wurden. Sie spürte Ales Atem an ihrem Hals, bevor seine Lippen sie dort warm berührten.

Viele Schmeicheleien hatte er ihr zugeflüstert - über ihre vollen Lippen, das hübsche Kleid, ihren Humor. Er hatte sie endlos angesehen, aufmerksam zugehört und an den richtigen Stellen herzhaft gelacht. Der anfängliche Abstand zu ihr - war immer geringer geworden, bald berührte er sie bei fast jeder Geste. Ihr Magen kribbelte und prickelte wie früher, wenn sie zuviel Brausepulver genascht hatte.

Der Kuss im letzten Tageslicht, während Blüten auf sie herabrieselten wie dichte Schneeflocken, war sein wertvollstes Kompliment an sie.

Die weißen Blätter welkten, wurden braun, bis sie sich schließlich im Schwarz der Wirklichkeit auflösten. Ampy schritt blind weiter ohne an Grenzen zu stoßen. Der Boden fühlte sich jetzt an wie Eis. Kälte bohrte sich langsam durch ihre Zehen bis zu den Waden und immer höher hinauf. Sie zitterte und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie vollkommen nackt war. Nur kleine Härchen stellten sich schützend über ihrer Haut auf. Wie bin ich hier nur hineingeraten? Gestern war doch alles noch schön!

Ihre Ratlosigkeit stimmte sie so traurig, dass sie Tränen, die sich hinter ihren Lidern drängten, nicht mehr zurückhalten konnte. Hilflos ließ sie zu, dass mehr und mehr strömten und rasch über ihr Kinn ins Nichts sprangen.

Sie suchte verzweifelt Unterschlupf in den verflossenen Bildern, suchte Ales begehrenden Gesichtsausdruck und seine Hände, die beseligend gestreichelt hatten. Was ist danach geschehen?

Nachdem er ihr all die feinen Liebkosungen geschenkt, sie in ihrem Selbst erbaut und sie spät nach Sonnenuntergang zu Hause abgesetzt hatte, war er aus ihr heraus gebrochen wie ein fauler Zahn.

Die vorangegangenen Stunden verblassten zur Bedeutungslosigkeit. Ales Bauwerk war zerflossen, wie eine Sandburg im Regen, ließ sie haltlos zurück. Hatte sie sich nicht eben noch für kostbar gehalten? Hatte er ihr nicht gezeigt, wie sehr er sie schätzt, wie sehr er sie mag?

Wie viel bin ich wert? Wie viel bin ich mir wert? Düsternis zog sie zurück, legte sich drückend auf ihre Schultern. Es kam ihr so vor, als wöge sie plötzlich das Doppelte. Die Bewegungen wurden langsam und zäh, ihre Lungen kämpften um Atem. Keuchend blieb sie stehen, argwöhnend, ob sie je irgendwo ankommen würde.

Und wenn doch, was erwartete sie?

In ihrem Leben war stets Hoffnung gewesen. Auch bevor sie Ales in dem Café kennen gelernt hatte. Viele Menschen kamen und gingen, bauten auf und brachen ein. Niemand war an das Vertrauen herangekommen, das sie sorgsam im Tiefsinn verbarg. Ihre Ansichten erschienen ihr so präzise und facettenreich wie ein Diamant.

Sie vergrub das Gesicht mit der Düsterheit in ihren Händen. Bedenken schlichen sich unaufhörlich in ihren Kopf, rumorten im Hirn, ließen sie über die Perspektive ihres Daseins nachdenken. Ist er mir vielleicht zu nah gekommen?

So wie jemand mit einem offenen Feuer verfährt, in Distanz die Wärme genießt, um sich an den Flammen kein Mal zuzuziehen, hatte sie ihm begegnen wollen. Dass er sie sehen, sie wirklich sehen, seine Hände sie wirklich spüren würden, hätte sie nie, nie für möglich gehalten. Von dieser Gefahr war sie keinesfalls ausgegangen.

Denn sie selbst kannte sich nicht. Bis zu dieser Nacht.

Ampy kauerte sich auf den eisigen Untergrund und gähnte. Des Gehens und Nichtverstehens war sie müde geworden. Ich werde versuchen zu schlafen. Wenn ich erwache, ist alles wie früher.

Sie senkte die Augenlider.

Mit einem Mal blinzelte sie ein Licht an, nicht größer als das eines brennenden Streichholzes. Erstaunt beobachtete sie, wie dieses Licht stetig wuchs. Der schmale Raum weitete, dehnte, streckte sich, bis er ihr unendlich erschien.

Allmählich gewöhnten sich ihre Pupillen an die quälende Helligkeit. Suchend blickte sie um sich, fand jedoch nichts. Weder über, weder neben, noch unter ihr war etwas. Selbst ein Boden existierte nicht.

Dieser Ort war leer. So leer wie ihre Seele.

 

Hallo, liebe KG-Fans!

Hiermit feiere ich meinen Einstand mit der ersten Kurzgeschichte.

Danke für`s Lesen und für mögliches (kritisches) Kommentieren!

Gruß,

Danielle

 

Hallo Danielle und herzlich willkommen auf kg.de. :)

deine Geschichte ist ganz spannend erzählt. Sie lädt zum Weiterlesen ein und ich als Leser wollte wirklich wissen, was denn nun mit ihr passiert ist. Das gibt schon mal 'nen dicken Pluspunkt. :)

Dann hast du einige schöne Bilder eingebaut. Da gibt es nur ein Problem: Manche passen sehr gut, andere weniger. Letztere wirken eher so, als hättest du partout an dieser Stelle ein Bild einflechten wollen, aber es kam grad kein passendes. Zum Beispiel die Stelle mit den Facetten eines Diamanten. Das passt zwar gut zu Ansichten, aber mir ist hier der Zusammenhang zum Plot nicht ganz klar. Was hat das Vertrauen und ihre Scheu, es jemandem zu schenken, mit ihren facettenreichen Ansichten zu tun? Hier geht es ja eher um eine spezielle Ansicht.

Einige weitere Anmerkungen habe ich noch, die ich an Textstellen verdeutlichen möchte:

Nichts war um sie herum, nur tiefschwarze Dunkelheit. Es muss noch mitten in der Nacht sein. Sie wollte sich zur Seite drehen,
Hier habe ich zuerst einen Tempusfehler vermutet. Bis ich dann ein paar Sätze später erkannt habe, dass du Gedanken der Prot in der Gegenwartsform einbaust, ohne sie als solche kenntlich zu machen. Das hat mich anfangs etwas verwirrt. Setz sie vielleicht einfach in Anführungszeichen mit einem ', dachte sie' oder setz sie kursiv. Das hilft dem Leser. ;)

Ihre Ratlosigkeit stimmte sie so traurig, dass sie Tränen, die sich hinter ihren Lidern drängten, nicht mehr zurückhalten konnte.
Ich wäre in einer solchen Situation wahrscheinlich nicht traurig, sondern eher panisch. Hier kommt mir die Empfindung deiner Prot unrealistisch vor. Und ich würde "dass sie die Tränen, die..." schreiben.

abgesetzt hatte,

war er aus ihr heraus gebrochen wie ein fauler Zahn.

der doppelte Zeilenumbruch ist sicher aus Versehen reingeraten, richtig? Und hier haben wir eines der schiefen Bilder. Ich weiß ehrlich nicht, was du damit sagen willst. :shy:

Ales Bauwerk war zerflossen, wie eine Sandburg im Regen, ließ sie haltlos zurück. Hatte sie sich nicht eben noch für kostbar gehalten? Hatte er ihr nicht gezeigt, wie sehr er sie schätzt, wie sehr er sie mag?
Das Bauwerk hat mich auch zuerst stutzen lassen. Wie es hier erwähnt wird, hätte vorher schon so etwas wie sein Bauen auftauchen müssen. Und dann fiel mir wieder ein, dass du "sie in ihrem Selbst erbaut" geschrieben hattest. Das war mir bei der hier zitierten Stelle nicht mehr ganz präsent. Kann an der Uhrzeit und an mir liegen, aber sollten noch mehr Leser darüber stolpern, solltest du es an der ersten Stelle vielleicht doch etwas stärker herausarbeiten (nur so ein Tipp).

Sie vergrub das Gesicht mit der Düsterheit in ihren Händen.
Ringsum ist nichts als Düsternis. Da ist die Düsternis ihrer Hände irrelevant. Damit schließt sie ja kein Licht aus. Hier hinkt wieder was. ;)

Sowie jemand mit einem offenen Feuer verfährt, in Distanz die Wärme genießt,
"So wie" oder einfach nur "Wie"; "sowie" hat eine andere Bedeutung (und, auch)

So ganz löst du es nicht auf, was mit deiner Prot passiert ist. Aber ich mutmaße mal, dass du ihren Tod beschreibst, oder? Sie "wacht auf" und muss sich orientieren und stellt nach und nach fest, dass sie tot ist. Das passt auch zu der Schwerelosigkeit (nicht direkt merken, dass man nicht liegt, dieses niemals an etwas anstoßen, ect.). Es sind im Grunde über den ganzen Text Hinweise verstreut, die im Nachhinein einen Sinn ergeben, die während des Lesens aber nicht zu viel verraten. Dafür gibt's abschließend noch einen dicken Pluspunkt. :)

Insgesamt: Sehr gute Idee, gute Umsetzung mit einigen Schwächen bei den Bildern. Auf jeden Fall freue ich mich über weitere Geschichten von dir. :)

 

Hallo Katzano!

Danke für die freundliche Aufnahme in diesem Forum und deine detaillierte Kritik.

Erst einmal bin ich froh, dass meine Schreibe nicht gänzlich auf Abneigung stößt!

Deine Hinweise und Tipps sind mir sehr hilfreich; ein paar konnte ich bereits auf die Schnelle umsetzen, z.B. die kursive Schrift, dessen Fehlen mir erst heute aufgefallen ist, weil du es erwähnst hast. Bin nicht auf die Idee gekommen,dass ich mit diesen eckigen Klammern arbeiten muss...

An den Bildern muss ich noch ein wenig basteln. Die Änderungen werde ich dann ebenfalls hier hineinsetzen.

Aber vielleicht fällt ja dem ein oder anderen noch etwas ein.

Ach, noch etwas: Ich habe dem Ende noch einen Satz hinzugefügt. Ich hoffe, dass dann deutlicher wird, worauf ich hinaus will. ;-)

Gruß,

Danielle

 

Hi Danielle,

und ich noch einmal. :)

Nachdem ich meinen Kommentar gestern gepostet hatte, fiel mir noch ein Kritikpunkt ein. Denn nach meiner Interpretation macht die Stelle mit den Härchen, die sich an ihren Armen aufrichten, keinen Sinn. Denn ich hatte ja an eine körperlose Protagonistin gedacht. Aber nun sehe ich an deiner Antwort, dass ich komplett auf dem Holzweg war. :shy: Lag wohl doch an der Uhrzeit. Mit dem neuen letzten Satz wird es auf jeden Fall klarer, was du meinst. Jetzt kapier es sogar ich. :D

Ich habe mir jetzt nicht noch einmal alles durchgelesen, aber ganz am Anfang hast du einen Satz, der Gedanken ausdrückt und damit auch kursiv sein müsste übersehen:

Es muss noch mitten in der Nacht sein.

Viele Grüße
Kerstin

 

UPS!

Ja, du hast Recht; habe den Satz ebenfalls "kursiviert"!

Der letzte Satz, welchen ich noch hinzugefügt habe, stand übrigens in der Ur-Version noch drin. Aber ich dachte, es wäre zu offensichtlich, in welche Richtung ich will.

Anscheinend war dem nicht so.

Gruß,

Danielle

 

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