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Sich spiegelnde Sterne

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12.10.2005
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Sich spiegelnde Sterne

Der warme Meerwind ließ die Kälte der nassen Steine, auf denen Manuel saß, vergessen, die Fahnen vor den Hotels hin und her wirbeln und die Mollakkorde einer Gitarre, die ein Junge auf der Strandpromenade zupfte, in die Nacht schweben. Manuel saß seit Stunden auf den Steinen und blickte in die Weite des Meeres. Sein Rücken schmerzte noch von den vielen Kilometern, die er an diesem Spätsommertag in einem engen, nicht klimatisierten Bus zurückgelegt hatte, während die Sonne selbst das Kunstleder der Sitze zum Schwitzen gebracht hatte. Die Stadt Porto hatte ihn verzaubert; er hatte drei Tage lang die unzähligen Straßen und Gassen erkundet, am Hafen gesessen, Wein getrunken und mit portugiesischen Mädchen getanzt, bis er weiterzog. Aus der großen Hafenstadt abzureisen, erinnerte ihn daran, wie er vor einem Monat aus der Haustür gegangen war und nicht gewusst hatte, ob er der linken oder rechten Hand folgen sollte. Es war ihm egal, wohin ihn seine Reise führt; er wollte einfach nur los, ohne Rückreisedatum oder vorgezeigte Route.
Plötzlich hörte er ein Geräusch hinter sich. Der Junge, der eben noch gitarrespielend an der Hotelwand gesessen hatte, näherte sich ihm. In Manuels Ohren klang die Melodie weiter und wäre es sicher noch Stunden, hätte der Junge ihn nicht aufgeschreckt. Dieser balancierte geschickt und achtete darauf, nicht auf den glitschigen, mit Algen bedeckten Steinen auszurutschen. Als er fast neben Manuel stand, betrachtete der Junge ihn länger.
„Hallo. Bist du Deutscher?"
Manuel nickte und wunderte sich nicht einmal sonderlich, dass der Fremde gleich richtig getippt hatte, konnte er doch meistens ebenfalls problemlos sagen, welcher Nationen die Reisenden angehörten, denen er in der Welt begegnete. Der Junge sprach mit holländischem Akzent und war etwa zwei Jahre jünger als er selbst. Über sein ganzes Gesicht waren Sommersprossen verstreut, was ihn noch sympathischer machte. Manuel gefiel die Aussprache.
„Ich heiße Manuel."
„Yannik", antwortete der Junge und setzte sich auf einen freien Stein. „Schon lange hier gestrandet?"
„Nein, bin erst heute angekommen", meinte Manuel.
„Und wann fährst du weiter?"
„Weiß ich noch nicht. Vielleicht morgen, vielleicht erst in drei Tagen."
„Ich bin seit zwei Wochen mit meiner Familie hier", erklärte Yannik. „Seit drei Jahren das gleiche Reiseziel."
„Ich kann mir nicht so recht vorstellen, wie es sein wird, wenn ich wieder nach Hause fahre", sagte Manuel und blinzelte Yannik zu. Der Holländer war am ganzen Körper dunkel gebräunt, alleine am Handgelenk sah er die weißen Konturen einer Uhr, welche dieser aber jetzt nicht trug.
„Irgendwann wirst du es müssen. Umkehren!"
„Ja ... klar. Aber das habe ich erst vor, wenn ich das Gefühl habe, es könne nicht mehr weiter gehen."
Yannik lachte, nahm einen Kieselstein aus seiner Hosentasche und warf ihn in das Meer. Beide Jungen lauschten auf das Eintauchen des Steins und sahen sich verwundert an, als das Geräusch nach einer Weile immer noch nicht ertönte.
„Und wann meinst du, wird es passieren? Wenn eine Mauer ohne Tür vor dir auftaucht?"
„Ich weiß nicht. Erst war ich mir sicher, dass ich umkehren würde, wenn ich den Nordatlantik sehe. Meine Schritte wurden vor vier Tagen, als ich weiter nördlich in Porto Meersalz roch, immer schneller. Ich sehnte mich fast nach dieser Erleichterung, die kommt, wenn man etwas erreicht hat. Aber jetzt sitze ich hier und sehe das Wasser, aber keine Grenze, die mich hindert, weiter in Richtung Algarve zu wandern ... Was machst du da?"
„Ich werfe Steine. Abends wird das Meer manchmal trügerisch ruhig und die Kiesel erzeugen Ringe, wenn sie ins Wasser eintauchen. Wie in einem See daheim."
„Gerade nicht", bemerkte Manuel, folgte in Gedanken aber der Flugbahn des Steins und glaubte, sein Eintauchen zu hören. Er dachte an seine Reise, an die vielen Stunden in fremden Autos, das unbequeme Sitzen in den Bussen und Zügen, aber auch an die Entdeckungslust, die sich nicht stillen ließ; die immer wieder von neuem aufkam. Morgen würde er einen Monat unterwegs sein. Die Sohlen seiner Turnschuhe waren vom vielen Wandern glatt wie der Teer der Straßen, die ihn auf seiner Reise begleiteten. Er wusste überhaupt nicht, wohin er gehen wollte, wusste meistens nicht einmal genau, wo er überhaupt war und wohin ihn die Wege führen würden, die er einschlug. An manchen Abenden vergegenwärtigte er sich die Reise und folgte mit dem Zeigefinger auf Landkarten den Autobahnen, die er befahren hatte. Jeder Zentimeter, auf den er seinen Finger setzen konnte, gab ihm Freiheit und spornte ihn an, am nächsten Morgen weiterzufahren.
„Was denkst du?", flüsterte Yannik.
„Nichts Richtiges ... Ich hab seit gut einer Woche mit Niemandem mehr deutsch geredet. Seltsam, es wieder zu tun. Das letzte Mal war, als ich bei einem deutschen LKW-Fahrer eingestiegen bin. Viel gesagt hat er nicht."
„Hm ... es wird spät. Ich muss zu meiner Familie", meinte Yannik. „Ich würde dir raten, noch ein wenig zu bleiben. Warte so lange, bis das Meer ruhig wird."
„Danke für den Tipp", antwortete Manuel.
„Falls wir uns morgen nicht noch einmal sehen, wünsche ich dir eine gute Weiterreise."
„Leb wohl, Yannik."
Manuel sah dem Jungen hinterher, wie dieser den Weg zurück zur Strandpromenade kletterte. Als Yannik auf festem Untergrund war, schlenderte er gemütlich zum Hotel, packte seine Gitarre über die Schultern und verschwand zwischen mehreren Sonnenschirmen. Manuel bezweifelte, Yannik jemals wiederzusehen. Planlos durch die Welt Reisen bedeutet sowohl Finden, wie wieder Verlieren. Er hatte auf seiner Reise viele Orte, die ihm gefallen hatten, verlassen und nur die Erinnerung an sie mitgenommen. Wieder bemerkte er den warmen Meerwind und atmete ihn langsam ein, um auch den Salzgeruch zu erfassen. Und mit der Luft, die er einatmete, erinnerte er sich wieder an die Melodie, welche Yannik auf seiner Gitarre gespielt hatte. Ganz leise erklang sie in seinem Kopf. Er dachte noch ein wenig an den Holländer und an dessen Familie. Ihm gefiel der Gedanke, jedes Jahr hierhin zu reisen und sich auszuruhen, doch würde es ihn auf Dauer langweilen.
Manuel blickte auf das Meer und wunderte sich; es hatte sich etwas verändert. Sein erster Sinneseindruck war, dass es vollkommen windstill zu sein schien, dann erst sah er die eigentliche Veränderung. Die See war seltsam ruhig, einzig kleine Brandungswellen platschten gegen die Steine. Silbern glänzte das Wasser und spiegelte die Sterne, als würde die Nacht einen Meter unter den Steinen, auf denen er saß, anfangen. Es glitzerte so hell, dass seine Augen schmerzten. Wieviel davon Einbildung war, fragte er sich erst viel später. Unfähig nach hinten zu sehen, stand er auf und prägte sich die Szenerie so gut ein, wie er konnte. Yannik hatte recht gehabt und es hatte sich gelohnt auf diesen Moment zu warten. Es war wie das Ende eines guten Kinofilms, welches man beim Hinausgehen den Menschen in der Ticketschlange verraten will.
Wieder wehte Wind durch seine Haare, ließ die See unruhig werden, Wellen entstehen, die Sonnenschirme schwanken und den Sand über den Strand wirbeln. Manuel drehte sich um. Es geht nicht mehr weiter, wohin ich von hier aus auch reise. Etwas Schöneres sehe ich diesen Sommer, unter dem portugiesischen Himmel, nicht mehr. Es fiel ihm so leicht wie selten, auf den Steinen zurück zum Hotel zu gehen, sich ins Bett zu legen und am nächsten Morgen umzukehren; Richtung Heimat.

Marburg, 22.12.2006

 

Hi mein Liebligssegler,

Sein Rücken schmerzte[n] noch
da hat Selina was übersehen *g*

Aus der großen Hafenstadt abzureisen, erinnerte ihn daran, wie er vor einem Monat aus der Haustür [ging] gegangen war und nicht gewusst hatte, ob er seiner linken oder rechten Hand folgen sollte.
Tempi!

Manuel hat sich fort gesagt von dem verschwenderischen Gedanken, wohin ihn seine Reise führen soll; er will einfach nur losfahren, ohne Rückreisedatum, ohne vorgezeigte Route.
??? Tempus

Als dieser wieder auf festem Untergrund war

denn ihm war klar, dass planlos durch die Welt Reisen sowohl Finden wie wieder Verlieren bedeutet.

Wieder bemerkte er den warmen Meerwind
:google: Meinten Sie Meereswind? :D

als würde sie wissen, wie perfekt sie in diesen Abend hinein passte.

einzig ein paar kleine Brandungswellen prasselten gegen die Steine.
prasselten üasst nicht, das falsche Geräusch (aber ich hab eauch keinen Vorschlag)

Silbern glänzte das Wasser und spiegelte die Sterne des Himmels, als würde die Nacht einen Meter unter den Steinen, auf denen er saß, anfangen und erst im Weltraum aufhören.
Hübsch!

Es war wie das Ende eines Filmes und das schwarze Sternenwasser in Kombination mit dem Himmel wie der Vorhang, der über die Leinwand geschoben wird.
Nee, ne?

die Sonnenschirme wackeln
schwanken fänd ich besser

Etwas schöneres sah er diesen Sommer, unter dem portugiesischen Himmel nicht mehr
??? würde er ... sehen?

So, hier noch Feedback zu den neuen Stellen. ;)

Gruß, Elisha

 

Hm... vielleicht hätt ich Selina das doch lesen lassen sollen :D Dann wärs sicher fehlerfreier... naja. Danke für die anmerkungen. Werd gleich dran arbeiten.
Wie findest du denn das Ende?

LG,
Eike

 

Hey Sternensegler!

ich finde deine Geschichte toll.. schön geschrieben! ;)
Was mich ein wenig stört, ist das Ende...

Manuel drehte sich um. Es geht nicht mehr weiter, wohin ich von hier aus auch reise. Etwas Schöneres sehe ich diesen Sommer, unter dem portugiesischen Himmel, nicht mehr. Es fiel ihm so leicht wie selten, auf den Steinen zurück zum Hotel zu gehen, sich ins Bett zu legen und am nächsten Morgen umzukehren; Richtung Heimat.

=> allein das Sternenbild hat seine "Sehnsucht" Neues zu entdecken, gestillt? Okay, vllt möglich.. dann finde ich hat er aber ne gaaanz schön lange Reise auf sich genommen! ;)

aber trotzdem: nette geschichte =)

 

Hey kichererbse. FInd ich gut, dass du meine story schön findest.

Ja und warum nicht? Manche suchen halt nicht nach der großen Liebe, dem Geld, sondern nach Eindrücken, die einen nicht mehr los lassen. Soll es geben.

E.

 

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