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Sie ließen ihn nicht gehen

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10.11.2003
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Sie ließen ihn nicht gehen

Seit Jahren schon hatte er kein Mädchen mehr angefasst. Obwohl er das gekonnt hätte! Ehrlich! Aber er wollte nicht, nie mehr wollte er ein Mädchen anfassen. Und dennoch ging er immer wieder hin, in diese Disco, einer Kleinstadt entsprechend Tanzcafé genannt. Ja, trotz seines Alters ging er hin, „Was will der Opa hier!“, das war das Harmloseste, was er dort zu hören bekam.

Er wollte dort nicht tanzen, er fand sich selbst ein bisschen zu alt dafür. Vielleicht war er auch zu fett, sein neues T-Shirt spannte jedenfalls unangenehm unter den Achseln. Sein Dreitagebart machte ihn intellektueller, für junge Mädchen anziehender. Dachte er zumindest. Er könnte deren Vater sein, freilich, aber einer mit Gel im Haar. Und einem coolen T-Shirt. Er war nicht wie ihre wirklichen Väter. Er war nicht die ewig kontrollierende und befehlende Autorität zu Hause und auch nicht der sich am Wochenende in Trainingshosen lächerlich machende Sportschauzuschauer, er war nur ihr Freund. Der gute, väterliche Freund. Ein Freund, dem sie sich anvertrauen konnten, der sie verstand. Der mit ihnen litt, wenn sie Liebeskummer hatten, und der mit ihnen froh war, wenn sie sich mit ihrer besten Freundin wieder vertrugen. Der … Nein, er war das alles nicht. Leider nicht. Aber er könnte es sein! Ehrlich!

Er war wie immer schon am frühen Abend da und besetzte die eine Nische an der Bar, wo er nicht weiter auffiel und von wo er doch dem Geschehen auf der Tanzfläche folgen konnte. Er lehnte an der Wand, trank seine Rum-Cola und war zufrieden. Er war immer zufrieden, wenn er jungen Mädchen zusehen konnte, das war er schon als Junge. Auch als Junge spielte er lieber bei den Mädchen mit. Er beneidete sie, für ihn waren sie schon damals das interessantere, schönere Geschlecht. Als er älter wurde, haben sie ihn allerdings weggejagt, alle, die jungen Mädchen und die Erwachsenen, wollten plötzlich nicht mehr auf seine Wünsche eingehen.

Stattdessen musste er Maurer lernen. Damit ein Mann aus ihm wird. Er ist einer geworden, wenn auch nur widerwillig. Und er hat geheiratet, auch das widerwillig. Eigentlich hat er das gar nicht getan, er wurde geheiratet. Aber wenigstens musste er der Frau kein Kind machen. Sie hatte schon eines. Ein Mädchen, da war er wieder zufrieden.

Er war ein guter Vater. Ein zu guter. Zu spät begriff er, dass da ein Unterschied existierte. Dabei wollte er nur mit seinem Kind spielen. Wie alle Kinder, wie alle Väter. Nicht, dass er sich deswegen schuldig fühlte, das nicht, aber er wusste nun, dass er von Mädchen die Finger lassen musste. Er hielt sich eisern daran, wie ein trockener Alkoholiker die Flasche, rührte auch er die ihm verbotene Frucht nicht an.

Doch sehen wollte er sie schon noch, die Frucht. Freitags und samstags. Am frühen Abend. Aber nun war es schon spät. Sehr spät, alle jungen Mädchen waren schon längst zu Hause und in ihren Betten. Auch er wollte ins Bett, schon vor Stunden, doch sie ließen ihn nicht gehen. Erst waren es zwei, dann drei, dann fünf. Sie standen an der Bar und tranken Bier. Friedlich. Das heißt, wenn ein Mädchen oder eine junge Frau an ihnen vorbei musste, versperrten sie ihr schon den Weg, grabschten auch mal spielerisch nach ihr, aber ließen sich von bittenden Blicken der Opfer regelmäßig erweichen, machten letztlich doch den Weg frei. Laut lachend.

Doch das Friedliche war bald dahin, das Lachende auch, jetzt grölten sie nur noch. Und grölend versperrten sie ihm den Weg. Sicher nicht absichtlich, und er wäre auch schon längst gegangen, wenn er bloß nicht solche Angst gehabt hätte. Angst vor Entdeckung. Denn einen von den fünfen kannte er, und der kannte ihn, ein Blick hatte genügt. So hielt er es für besser, in seiner Nische zu bleiben - nur nicht auffallen, früher oder später werden sie schon gehen. Aber sie gingen nicht. Stunde um Stunde verging und sie standen und tranken weiter, sie tranken und standen und versperrten ihm den Weg nach Hause, ins Bett, in seine Träume.

Es war, als ob sie das wüssten, als ob sie wüssten, dass er in seinen Träumen ein glücklicher Mensch würde. Denn glückliche Menschen konnten sie nicht ertragen, und einen, der allein vom Sehen satt wird, schon gar nicht. Alle mussten so sein wie sie, elend, frustriert, nichts zu ficken. Und da war einer, der das nicht brauchte, der sich aus Frauen nichts machte, der unempfindlich war für weibliche Reize wie ein Schwuler. Wie konnte so einer hier sein, mitten unter ihnen? Ein Kinderschänder, er, einer, den man bei Hitler sofort vergasen, ja selbst bei Honecker niemals so frei herumlaufen lassen würde. Die gerechten Bürger können sagen, was sie wollen, die gerechten Zeitungen können schreiben, was sie wollen, aber dieser Staat tat nichts, dieser Staat tat nie was, dieser Staat war nicht ihr Staat.

Als es gefährlich wurde, floh er. Er, der Maurer, bahnte sich seinen Weg nach draußen, denn draußen, kaum fünfzig Meter entfernt, war die Polizeiwache, dort draußen konnte ihm nichts mehr passieren. Aber sie holten ihn ein, erschlugen ihn, den hell erleuchteten Fenstern der Wache zum Trotz.

Später, am nächsten oder übernächsten Tag, wird einer genau hinter diesen Fenstern in die Mikrofone erklären, dass das junge Leute wären, die nicht wüssten, was sie angerichtet haben. Die gerechten Bürger und die gerechten Zeitungen hielten einen Augenblick inne, dann ging man wieder den Geschäften nach – nur ein Mann ist erschlagen worden, kein Kind.

 

Der arme, mißverstandene Kinderschänder? :shy:

Hätt er eine Therapie gemacht, statt sich vor sich selbst zu rechtfertigen, wär ihm das wohl nicht passiert.

 

Dass du, Häferl, Lynchjustiz gut findest, hätte ich nicht gedacht. Aber man täuscht sich so oft in Menschen, warum sollte für die auf kg.de eine Ausnahme gelten.

Dion

 

Dass du, Häferl, Lynchjustiz gut findest
Wo hab ich das gesagt? - Ich hab gesagt, er hätte eine Therapie machen sollen, das ist doch keine Lynchjustiz...:susp:

 

Nein? Du, Häferl, sagst: hätte er eine Therapie gemacht, würde man ich nicht erschlagen. Dass heißt, nicht die Täter, sondern er selber war schuld an seinem Tod. Nichts anders argumentieren die Täter – und stillschweigend die schweigende Mehrheit in diesem Land.

Dion

 

Kann man schon so sagen, Dion. Wer gefährlichen, intoleranten Leuten alle Toleranz gibt, wird selbst gefährlich. Das ist nicht so tolerant wie du. Allerdings auch nicht gegen die Lyncher. Und ja, er ist nicht ganz unschuldig an seinem Tod. Ich bin kein Jurist, aber das ist mein Empfinden. Will sagen, die Lyncher bekommen mildere Umstände.

 

Hallo Dion,

wenn der Wut der Massen freier Lauf gelassen wird, dann entfalten sich beängstigende Kräfte.
Nehmen wir einmal an, der Mann hätte wirklich nur in dem Tanzlokal gesessen, ohne die von die angedeutete Vorgeschichte. Hätte er dann nicht genau das gleiche Misstrauen erweckt? Mir geht es manchmal so, wenn ich in Hamburg jemanden vom Hauptbahnhof abhole, der ein ganzes Stück jünger ist als ich, sei es einen Neffen oder eine Nichte. Ich muss zwangsläufig durch die Zone, an der sich drogensüchtige Minderjährige ihre Sucht finanzieren, und jedes Mal fühle ich mich dabei unwohl, trotz reinen Gewissens. Sieht der Mob mir das reine Gewissen an?
In deiner Geschichte geht es um Fanasien, um Träume, aber auch um die Sublimierung der Bedürfnisse. Dein Prot vergreift sich nicht mehr an den jungen Mädchen. Er braucht sie aber um sich, er muss sie betrachten und benötigt die Erfrischung des Eindrucks als abendliche Wichsvorlage.
Das tut niemandem weh, möchte man meinen, auch wenn zu inensives Anstarren durchaus schon als Belästigung gilt oder gelten kann.
Aber die Frage bleibt, ist das ein Grund, jemanden zu erschlagen? Ist es moralischer einen Mann zu erschlagen, der sich visuel seine "unanständigen" Träume unterstützt, als einen Migranten oder einen Schwulen?
Deine Geschichte fordert Widersprüche heraus, etwa hier:

Er war ein guter Vater. Ein zu guter. Zu spät begriff er, dass da ein Unterschied existierte. Dabei wollte er nur mit seinem Kind spielen. Wie alle Kinder, wie alle Väter. Nicht dass er sich deswegen schuldig fühlte, das nicht, aber er wusste nun, dass er von Mädchen die Finger lassen musste. Er hielt sich eisern daran, wie ein trockener Alkoholiker die Flasche, rührte auch er die ihm verbotene Frucht nicht an.
"Nein!", möchte ich da rufen, er hat nicht begriffen, er hat gelernt. Er hat gelernt, sein Verhalten anzupassen an die Konventionen der Gesellschaft. Einsicht, warum die Konvention so ist, hat er nicht gewonnen. Nicht einmal darein, dass er eben kein guter Vater war.
oder auch hier:
Es war, als ob sie das wüssten, als ob sie wüssten, dass er in seinen Träumen ein glücklicher Mensch würde. Denn glückliche Menschen konnten sie nicht ertragen, und einen, der allein vom Sehen satt wird, schon gar nicht. Alle mussten so sein wie sie, elend, frustriert, nichts zu ficken.
"Glücklich?" möchte man fragen, nach der von dir beschriebenen Haltung, die er in der Disko annimmt? Betrügt er sich da nciht selbst?
Aber ist das ein Grund, ihn zu erschlagen?
So richtig Mitleid mit ihm lässt du nicht aufkommen in deiner Geschichte. Dafür ist seine äußerliche Beschreibung zu abstoßend, dafür ist die verstohlene Haltung zu abschreckend mit der du sein Verstecksspiel in der Disko beschreibst. Gel im Haar und cooles T-Shirt sehen im Zweifelsfall nicht weniger lächerlich aus, als Trainingshosen beim Konsum der Sportschau. Sich zu verstecken stempelt einem ein schlechtes Gewissen auf die Stirn, erst recht, wenn man eventuell schnell wegschaut beim "Erkanntwerden". Die Furcht des schlechten Gewissen setzt Aggressionen frei, insofern hast du das Folgende konsequent beschrieben. Er hat eine Opfermentalität. Er sieht sich als Opfer, unabhängig davon, ob er zu diesem Zeitpunkt schon eines ist.
Er wird eines. Er bedient die Erkenntnisse über Selffulfilling Prophecy in dem er bleibt, sich duckt und letzlich flieht, als die Stimmung angeheizt genug ist.
Aber rechtfertigt das einen Mord oder einen Totschlag?

So, wie du deinen Kommentar geschrieben hast, liebe Häferl, lässt er tatsächlich den Schluss zu, du toleriertest, was da geschehen ist. Der Umkehrschluss wäre nämlich, dass er durch die nicht gemachte Therapie selbst schuld an seiner Erschlagung ist. So hast du das sicherlich nicht gemeint, aber man könnte es herauslesen.

An einem Punkt habe ich Schwierigkeiten mit deinem Plot, Dion. Dass er unter den erleuchteten Fenstern einer Polizeiwache erschlagen wird, ohne dass zumindest ein Polizist kommt, und sich mal umschaut, was da passiert, bedarf schon recht schalldichter Verglasung. Auch wird dadurch eine Mittäterschaft der Polizei "auf Grund eines gewesenen Verbrechens" assoziiert, die faktisch nicht stimmt, denn auf wen da draußen eingeprügelt wird kkönnen die Polizisten nicht wissen. Ich weiß nicht, ob mich das reale Vorbild deiner Geschichte in dieser Hinsicht Lügen straft, so gut habe ich die Nachrichten von Montag nicht mehr im Kopf, vielleicht ist auch der naive Wunsch Vater des Gedankens, dass das so nicht sein kann.

Insgesamt hat mir deine Geschichte aber gerade in ihrer Uneindeutigkeit gfallen. Sie regt zum Nachdenken, zum Widerspruch und damit zur Diskussion an.

Auf Rechtschreibfehler habe ich jetzt leider nicht geachtet. Vielleicht hole ich das mal nach. ;)

Lieben Gruß, sim

 

So, wie du deinen Kommentar geschrieben hast, liebe Häferl, lässt er tatsächlich den Schluss zu, du toleriertest, was da geschehen ist. Der Umkehrschluss wäre nämlich, dass er durch die nicht gemachte Therapie selbst schuld an seiner Erschlagung ist. So hast du das sicherlich nicht gemeint, aber man könnte es herauslesen.
Etwas mit mehr oder weniger Schulterzucken hinzunehmen und etwas zu befürworten ist nicht dasselbe.
So gesehen hätte gestern die Wien-Heute-Sprecherin das Erstechen eines Mannes gutgeheißen, als sie einen Beitrag über einen erstochenen Dealer mit den schulterzuckenden Worten kommentierte: "Eine Abrechnung im Ganoven-Milieu eben." - Wer sich selbst dorthin begibt, braucht sich dann nicht zu wundern.

Und so sehe ich es auch in dem Fall: Die Tat an sich ist nicht gerechtfertigt. Aber es hat ihm auch keiner angeschafft, nichts gegen seine Triebe zu unternehmen. Er hat sie in abgeschwächter Form weiter ausgelebt, obwohl er sich schon dessen bewußt war, daß es falsch ist, was er tut.
Als erwachsener Mensch hat er mit mehr Verantwortung zu handeln. Andernfalls eben Schulterzucken, wenn er dabei in ein Messer läuft - er hatte die wahl.

Würde ich meinen Sohn schlagen und er mich später mal dafür umbringen, würde auch niemand mit der Entschuldigung "Sie ist ja selbst mißhandelt worden" anfahren. - Mein Handeln liegt in meiner Hand.

Und eines weiß ich ganz genau: Es hilft nicht viel, sich vorzunehmen, etwas nicht zu tun. Solange man die inneren Voraussetzungen nicht ändert, steckt es in einem drin, und der einzige Weg zu einer wirklichen Änderung ist eine Therapie. - Alles andere ist ein Sich-selbst-in-die-Tasche-Lügen.

 

Oh, bitte liebe Susi, was ist denn das für eine Logik? *koppschüddl*
Nehmen wir mal an, der Protagonist wäre nicht in einer Disco gewesen, sondern z.B. in einem schlichten Gasthof, nehmen wir dazu noch an, er hätte eine solche Therapie gemacht und nehmen wir obendrein noch an, diese hätte etwas Positives bewirkt. Wie fiele dann deine Antwort aus, wenn er trotzdem von jemandem als ehemaliger Täter erkannt wird und von der Gruppe Männer erschlagen wird?

 

nehmen wir dazu noch an, er hätte eine solche Therapie gemacht und nehmen wir obendrein noch an, diese hätte etwas Positives bewirkt
...dann wäre er nicht gaffend in der Disco gestanden, womit sich für mich Deine Frage auflöst...;)

 

tut mir leid, aber du machst es dir zu einfach, liebe Susi...

Aber ok, wir müssen darum nicht streiten. :kuss:

 

Tja, sim, was soll ich sagen, du hast es voll erkannt. Der Grund für diese Geschichte sind die Geschehnisse im Burg in Sachsen-Anhalt, als am Samstag, den 31.1.2004, früh morgens ein 46-jähriger Mann von 5 Männern im jungen Alter von 16 bis 22 Jahren erschlagen wurde. Sie wurden noch am gleichen Tag gefasst. Als Begründung für ihre Tat gaben sie an, dass einer von ihnen im späteren Opfer einen verurteilten Kinderschänder (1 ½ Jahre auf 3 Jahre Bewährung) wieder erkannt hatte. Da schlugen sie zu.

Süddeutsche Zeitung schrieb dazu unter anderem:

Das Opfer war von fünf jungen Männern geschlagen worden, zu Boden gedrückt, in einen Hofeingang gezogen und dann immer wieder getreten worden. Sie haben Martin G. offenbar, so erklärt der Polizeisprecher, gezwungen, in die Kante eines Bordsteins zu beißen und ihm dann mit aller Kraft auf den Hinterkopf getreten. Dies nennt man in der Szene zynisch „Bordsteinkicken“, man kennt es aus einem amerikanischen Gewaltfilm. So etwas fürchterlich Brutales, sagt ein Polizist später, hätten er und seine Kollegen noch nicht erlebt. Der herbeigerufene Arzt konnte nach der Tat am frühen Samstagmorgen nur noch den Tod von Martin G. feststellen.
Zwei der geständigen Täter sind noch nicht erwachsen, 16 und 17 Jahre alt. Zwei sind 19 Jahre alt, einer 22. Sie handelten tatsächlich in einer Art Selbstjustiz. Nach ihren eigenen Angaben gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft haben sie den 46-Jährigen angegriffen, weil er ein „Kinderschänder“ gewesen sei. So rechtfertigen sie ihren Angriff. Persönlich näher gekannt haben sie ihn, so die Polizei, nicht.
Der junge Mann ging in der Discothek auf Martin G. zu, beschimpfte ihn. Draußen auf der Straße gegen zwei Uhr nachts überfielen die jungen Männer, die stark betrunken gewesen sein sollen, den Mann dann. Die Disco liegt im Zentrum von Burg, keine fünfzig Meter von einer Polizeiwache entfernt. Dennoch bemerkte den Erkenntnissen der Polizei zufolge niemand den Angriff. Der Hinterhof, in dem das Opfer später aufgefunden wurde, ist nicht leicht einzusehen. Die Täter, die schnell innerhalb eines Tages ermittelt wurden, sind bei der Polizei wohl schon mal aufgefallen, heißt es. Vorbestraft sei keiner der Jugendlichen. Ein rechtsextremistischer Hintergrund wird definitiv ausgeschlossen.
Ich habe mich bemüht, mehr Infos zu bekommen, aber da ist nichts. Außer diesem Bericht der SZ und einem Video auf mdr.de gibt es im Netz so gut wie keine weitere Informationen: weder FAZ noch Bild noch Welt noch Stern noch Zeit haben hier etwas veröffentlicht, es ist ein eisiges Schweigen überall. Das finde ich schon sehr interessant, weil ja Medien immer sofort und dann wochenlang zu Stelle sind, wenn wieder einmal ein Kinderschänder zugeschlagen hat.

Das allein hat mich dazu veranlasst, diese Geschichte zu schreiben. Aus Mangel an Informationen, habe ich den Kinderschänder neutral oder eher negativ gezeichnet, auf die Täterbeschreibung und auf Details der Tat verzichtet. Auf was ich aber auf jeden Fall aufmerksam machen wollte, ist dieses Schweigen in den Medien – mir kommt es vor, als fühlten sie sich schuldig. Ich meine, diese jungen Menschen haben sicher noch keine Kinder, um die sie fürchten müssten, ja sie haben ihn gar nicht gekannt, oder wenn, dann nur aus den Medien, die wahrscheinlich einen Monster aus ihm gemacht haben, nur so kann ich mir die Tat erklären.

@Häferl
Ich weiß nicht, was dich dazu veranlasst hat, diesen Fall mit einer Abrechnung unter Kriminellen zu vergleichen, denn die haben eigene Gesetzte nach denen sie leben, urteilen und morden.

Wir anderen, und damit meine ich ausdrücklich auch diesen Martin G., wir mögen ab und zu Gesetze übertreten und müssen dafür büßen, wenn wir erwischt werden, aber wir töten nicht, ja wir strafen nicht einmal, wenn wir Zeuge eines Verbrechens sind, denn das Strafmonopol haben wir aus gutem Grund dem Staat übertragen. Mehr will ich dazu nicht sagen.

Dion

 

Wie gesagt, ich heiße die Tat an sich nicht gut, aber ich kann für so einen Menschen beim besten Willen kein Mitleid aufbringen.

 

Eine Rechtfertigung für Pädophilie kann ich im Text nicht entdecken. Es wird nur beschrieben, was in dem Mann vorgeht, was er denkt und sich wünscht, es wird nichts entschuldigt. Außerdem richtet sich das Begehren des Prot nicht auf Kinder, sondern auf junge Frauen, die längst das Alter der sexuellen Mündigkeit erreicht haben, sonst wären sie nicht abends alleine noch unterwegs in Kneipe/Club/Disco. Und da wird er nicht der einzige ältere Mann sein, der lieber und länger als nötig hinsieht; dass er auf diesem Gebiet gerichtsnotorisch ist, macht das nicht verwerflicher als bei "unschuldigeren" Peepern.

Dion, deinen "Objektträgerstil", mit dem du in scheinbarer analytischer Unbeteiligtheit das jeweilige Phänomen, das du schreiberisch erforschst, aufzeichnest, spricht mich ungemein an. Du schaffst es, diese lärmige, gröhlige Saufkumpanen-Atmosphäre auf den Punkt zu bringen.

Das Ende der Story kommt mir ein wenig überstürzt: Zuerst baust du gelungen einen Spannungsbogen und dann besteht der Showdown in der lapidaren Feststellung, dass er erschlagen wurde. Ich könnte verstehen, wenn du nicht detailliert die Tat beschreiben willst, aber ich vermute eher, dass du das mit Absicht so gestaltet hast. Nur - wie gesagt - wie Wirkung beim ersten Lesen war die einer kleinen Enttäuschung über die Verpuffung.

LG, Chica

 

Danke für die freundlichen Worte, Chica. Es tut mir leid, dass dich das Ende meiner Geschichte enttäuscht hat, aber mir ist darin nicht darum gegangen zu zeigen, wie sie ihn erschlagen, sondern DASS sie das überhaupt getan haben.

Niemand erschlägt einen anderen Menschen nur so, es gibt immer einen Grund, und wenn es nur die andere Hautfarbe ist oder eben ein Gesicht, das die Medien zum Monster hochstilisierten.

Um im Menschen wie du und ich die Tötungsbarriere zu überwinden, muss der Umzubringende erst mal entmenschlicht werden. Das haben schon Hexenjäger der frühen Neuzeit gewusst, auch die Nazis haben die Methode gekannt und perfektioniert: Juden=Ritualmörder oder Russen=Untermenschen.

Wenn sich diese Bilder in Menschen festsetzen, dann kann man mit den Opfern nach belieben verfahren, es wird sich kein Mitleid rühren, denn die Menschen werden immer vor Augen haben: recht geschieht ihnen, oder um die ist es nicht schade. Und wenn doch jemand es wagt dagegen zu opponieren, dann ist er selbst bald dran, dann wird er zum Judenfreund oder eben zum Kinderschänderfreund – wie kann man bloß für diese Bestien sein!

Deswegen sind die Täter in Burg und auch in meiner Geschichte unwichtig, sie haben getan, was auch tausend Andere getan hätten, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten, die Stimmung in diesem Lande ist so – Kinderschänder sind keine Menschen, sondern Monster, und die kann und soll man ruhig umbringen, das Durchfüttern kostet eh nur Geld.

Dion

 

Hallo Dion,
hinter dem langweiligen Titel verbirgt sich ein Text, der zum Nachdenken anregt, der mich irritiert. Täter, Opfer, Opfer, Täter? Zu positiv wird das spätere Opfer dargestellt. Es fällt mir schwer, auch nach zweimaligem Lesen eine halbwegs brauchbare Kritik zu schreiben. Sagst du viel, sagst du wenig?
Mir fällt eine Stellungnahme zum Inhalt schwer. Was mir einfacher fällt zu sagen: Deine Schreibe hat mir gefallen. Unauffällig, aber durchdacht und flüssig zu lesen. Schwer zu sagen ist, ob der autoriale Erzähler nicht etwas zu dicht an den Personen hängt. Naja, Geschmackssache, wahrscheinlich.

Stattdessen musste er Maurer lernen. Damit ein Mann aus ihm wird. Er ist auch einer geworden, wenn auch nur widerwillig.
Obwohl korrekt, stört mich das plötzliche Präsens.

Aber sie holten ihn ein, erschlugen ihn, den hell erleuchteten Fenstern der Wache zum trotz.
"zum Trotz"

PS:
Ich hab grad mal in die Antworten reingeschaut und muss sagen: Die SZ ist schon ein komisches Blatt, irgendwie bin ich selten mit einem ihrer Artikel zufrieden. Auch bei deinem SZ-Zitat: "Dies nennt man in der Szene zynisch „Bordsteinkicken“, man kennt es aus einem amerikanischen Gewaltfilm."
Der "amerikanische Gewaltfilm" ist wohl "American History X" - eine aus meiner Sicht ergreifende Stellungnahme gegen Extremismus/Rassismus in Amerika.

Viele Grüße,
...para

 

Ja, Paranova, mein Text sollte zum denken anregen, erst in zweiter Linie auch gefallen, dass mir beides – zumindest deinen Worten zufolge - gelungen ist, ehrt mich, ich danke dir für die Mühe, die dir das Auseinandersetzen mit dem Text gemacht hat.

Es ist nicht leicht, beim schreiben unparteiisch zu sein, ich habe es versucht, und doch vielleicht instinktiv die Partei des Schwächern ergriffen, ich habe halt was übrig für die so genannten Außenseiter der Gesellschaft, also für jene, die nicht so stromlinienförmig durch das Leben gehen können wie die Mehrheit.

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass die Nachrichtenlage in diesem konkreten Fall äußerst dürftig ist, die SZ hat die mit Abstand umfangreichste Beschreibung des Geschehens geliefert, Zeitungen, die dem Ort geografisch viel näher sind - zum Beispiel Volksstimme Magdeburg -, haben nur eine dürre Notiz veröffentlicht, unter Weglassung brutaler Details.

Daher kann ich deine Kritik an der SZ nicht ganz nachvollziehen, jedenfalls habe ich die Bemerkung der SZ über das so genannte Bordsteinkicken als reine Information und nicht als Tadel aufgefasst – ich wusste schlicht nicht, dass jenes Vorgehen eine eigene Bezeichnung hat.

Dion

 

Servus Dion!

Dein klarer, flüssiger Schreibstil liest sich sehr angenehm, und die Wortwahl wirkt routiniert. Kompliment!

Was mich am Inhalt der Geschichte, die wohl aufgrund eines Zeitungs-Berichtes zustande kam, ein wenig irritierte, hat Paranova auf den Punkt gebracht: Deine Sympathie für den Prot. ist deutlich spürbar. Vielleicht wäre die Beschreibung eines unauffälligen Aussehens hilfreich für eine neutralere Beurteilung seiner Persönlichkeit. Ich weiß es nicht ...

Obwohl ich für Erwachsene, die sich an Kindern vergangen haben, weiß Gott kaum Verständnis aufbringen kann, halte ich einen Gewaltakt, wie er im Text beschrieben wird, für unentschuldbar und zutiefst grausam. Ein gutes Thema also, bei dem Du auch die Rolle des Staates anklagst. Es schauen schließlich nicht immer nur Bürger weg ...
Regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.


Gruß
Antonia

 

Aber Antonia! Der Prot ist doch alt und fett und findet sich trotzdem toll, denkt gar, er wäre anziehend, nur weil er sich Pomade ins Haar schmiert und T-Shirts trägt wie die Jungen, er bildet sich doch nur ein, er wäre ein besserer Vater gewesen!

Was hätte ich noch schreiben sollen, um ihn noch unsympathischer zu machen? Ihm einen Pickel auf die Nase setzen, Schwarz unter die zu langen Fingernägel fabrizieren und ihn heimlich an getragener Unterwäsche seiner Stieftochter schnüffeln lassen? Oder ihn an Ort uns Stelle die Mädchen mitbegrapschen lassen, damit die fünf Gerechten einen handfesten Anlass haben?

Ach, Antonia, für einen aus der Haft entlassenen Kinderschänder ist völlig egal, wie er aussieht oder was er tut, er trägt sowieso ein Kainsmal auf der Stirn, in einer Kleinstadt ist das ganz sicher der Fall.

Es freut mich, dass du meinen Schreibstil als angenehm empfindest und die Wortwahl auf dich routiniert wirkt, hoffentlich werde ich dadurch nicht eingebildet. Und wenn schon, Schuld hättest du und die anderen, so ist das doch immer, oder?

Danke für die freundliche Worte, Antonia, vielleicht sehen wir uns bald in München, habe gehört, dass du die heimliche Hauptstadt im März wieder unsicher machen willst.

Dion

 

Servus Dion!

Aber nein! Unsympathischer hättest Du Deinen Prot. kaum noch machen können. Obwohl solch ein Pickel auf der Nase vielleicht doch das Tüpfelchen auf dem "I" gewesen wäre... Hehe.
Meine Irritation ist auch keine Folge falscher Charakterisierung. Sie ergibt sich aus einer sehr persönlichen Einschätzung des beschriebenen Mannes. Und zwar: Ein Automatismus in meinem emotionalen Bereich führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Mitleid. Eigentlich absurd, aber das zum Scheitern verurteilte Bemühen des späteren Opfers, durch alberne Stilmittel Anerkennung zu erlangen, stimmt mich ihm gegenüber milde.

Verdoppelungseffekt. Ich spüre Deine Sympathie für ihn, addiere mein Mitgefühl - et voilá.

Das allein wollte ich mit meinen nebulösen Worten ausdrücken. Klaro?


Antonia

P. S.: Ob das mit München klappt, steht noch in den Sternen. Wäre nett.

 

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