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SIEBEN – Ein Kurzpraktikum an der öligen Kante des Verstandes
Ich erschien gegen 15 Uhr; Klaus, der Besitzer des Sonnenstudios, war ein achtschrötiger Mann, der auf zwei Dinge Wert legte, nämlich erstens unfassbare Summen aus seinem Studio zu schöpfen und zweitens trotzdem nicht anwesend zu sein.
Er sah aus wie man sich Indianer Joe, die böse Rothaut aus Tom Sawyer vorstellt. Tättowiert bis unters Kinn, die Haut allerdings nicht rot, sondern von einem Braunton, der an Kuvertüre denken ließ, und dann diese Stiefel: Wahnhaft besticktes Cowboyschuhwerk, das aussah, als müsse er erst seine Füße in einen Industrieanspitzer schieben, um die Teile anzubekommen.
Im Großen und Ganzen erinnerte mich sein Kopf an ein Toffifee, in das jemand das Gesicht eines Orks geschnitzt hatte.
»Du musst die Bänke nach jedem Besonnungsvorgang säubern. Ist das klar?«
Da diese Anweisung nicht ganz so kompliziert war wie beispielsweise die Montage eines Computertomografen gab ich zu verstehen, dass das klar war.
»Du musst Kaffee kochen. Der erste Kaffee ist für den Kunden umsonst. Kapiert?«
Kapiert. Ich fragte nicht, ob der zweite Kaffee dann doppelt so teuer sei wie marktüblich, um diesen grässlichen Verlust auszugleichen.
»Wenn jetzt ein Kunde unter die Bank schlüpft, muss der rufen - und du schaltest von hier die Bank ein.«
Er wies auf eine Schalttafel.
»Was rufen die denn?«
»Irgendwas.«
»Zum Beispiel?«
»Fertig. Sowas.«
»Fertig?«
»Ja was sollen sie den brüllen«, brauste er auf. »Ich bin nackt, gib mir Saueres oder was?«
»Ist ja gut.«
»Gut, wenn das gut ist«, sagte er.
»Danach reinigst du die Bank.«
»Das war doch Punkt eins«, warf ich ein.
»Pass auf, Klugscheißer: vor dem Reinigen ist nach dem Reinigen. Nach jedem Durchgang: Bank sauber.«
»Zu Befehl.«
»Werd nicht pampig. In einer Stunde kommt die Sabine. Versuch bis dahin, hier nicht alles in Schutt und Asche zu legen. Ich fahr jetzt in die Metro. Und noch was: Falls sich einer für Lara interessiert – ich will mindestens die 200 Euro.«
Mitten im Gang zu den Bänken stand eine lebensgroße Statue von LARA CROFT, der Videospielsexgöttin der Neunziger. An ihrer Brust, an der noch reichlich Platz für weitere Zettel war, hing ein Fetzen Papier: ZU VERKAUFEN.
Wir verabschiedeten uns; ich, indem ich »Tschüssi« sagte, er, indem er zwei seiner Finger zu einem V formte und auf seine grimmigen Augen wies:
Big brown Brother is watching you.
From the Metro aus.
Ich nahm hinter dem Tresen Platz und begann, die Tuben, Cremes und anderen Zusatzartikel zu inspizieren.
Nicht ein Behältnis zeigte eine klare Beschreibung der Wirkung der Präparate; das einzig Transparente war der Preis – nicht, wie er zustande kam, aber immerhin war er verständlich.
Turbo Cacao Hyper Boost. 10 Milliliter. 7,50 Euro.
Excellent Egypt Tanning Mousse with Guacamole. 5 Milliliter 10 Euro.
Ich fragte mich, warum es für derartige Kostbarkeiten keinen Safe gab – zumindest versuchte ich, das zu denken, aber mein Hirn brachte keinen Prozess zu ende, weil die musikalische Beschallung mit die Hirnwindungen straff zog.
Ich drückte den Ausgabeknopf am CD-Spieler. Das Fach glitt auf und brachte eine CD namens Terror-Trance 2008 ans Licht, und ich erkannte verblüfft, dass dieser Titel noch besser zur Musik passte als MENSCH zu Grönemeyer.
Ich huschte zu meinem Wagen und holte eine CD von Diana Krall, ihres Zeichens Swingpianistin mit einer wunderschönen Stimme, die zerbrechlich wie Eierschalen klingt. Sie ist die Gattin von Elvis Costello, der auch nicht eben für seine Brüllerei bekannt ist. Was musste in der Villa des Paares für himmlische Ruhe herrschen.
Selbst wenn man Diana Krall brülllaut dreht, verspürt man nach drei Minuten das Verlangen, sich hinzulegen, und hier, im Kabinett der UV-Röhren, war ja exakt dies erwünscht.
Nach einigen Minuten betrat eine Dame das Studio.
»Ist der Chef nicht hier?«, fragte sie. Sie war das Klischee der UV-Süchtigen. Komplett in die Kollektion von Ricarda M. gekleidet - jener Botox-Matrone von QVC, die vermutlich ihren Nachnamen abkürzt, damit ihr die Geschmackspolizei keine Handgranate ins Treppenhaus wirft, - wirkte sie wie ein ANDY WARHOL-Siebdruck, der mit Plakafarben gefertigt worden war.
Und dann dieses unglaublich gegerbte Gesicht. Sie musste zwischen 40 und 92sein. Sie wirkte weniger wie eine feine Dame als vielmehr wie Clint Eastwood.
»Nein«, erwiderte ich. »Chef weg. Metro.«
»Ist Sabine auch nicht da?«
»Nein, Sabine ist auch nicht da.«
Gedanklich fügte ich hinzu: Und Stalin, Dracula, Florian Silbereisen und Bruno der Problembär, oder wen auch immer du sonst so vor meiner Person bevorzugst, auch nicht.
Sie nickte. Ihr Kinn war so spitz, dass man damit Kondensmilchdosen aufstechen konnte.
»Ich gehe«, sagte sie streng, »immer vierzig Minuten unter die Sieben.«
»Na so was«, antwortete ich.
»Und ich nehme das Dark- Moisture-Hyper-Spray.«
Nimm lieber dieses Wildleder-Imprägnierspray. Gibt’s bei Deichmann fürn Fünfer, und ist komplett in Deutsch beschriftet.
Ich drehte mich um, starrte ins Regal und suchte die Flaschen nach dem Gewünschten ab.
»Wie hieß das Zeug?« hakte ich nach, und damit hatte ich auch schon ihre Restgeduld verbraucht.
»Ich bin hier Stammkundin«, sagte sie. »In der Schublade ist eine Flasche mit meinem Namen drauf.«
»Welche Schublade?«
Warum hatte mir der Maestro von diesem Bums nicht mitgeteilt, dass es eine geheime Lade mit dem gehorteten Kram der kross Angebratenen gab?
Ich machte mich derartig zum Idioten – und das lag nicht daran, dass ich blass und unrasiert war und somit in diesen Laden passte wie Frankenstein ins Rapunzelmärchen. Ich war einfach nicht richtig eingewiesen worden. Immerhin: Acht Minuten waren schon rum.
»Wissen Sie denn überhaupt nichts?« zischte sie.
»Doch«, erwiderte ich nicht minder giftig.
»Clint Eastwood hatte seine erste Filmrolle als Pilot in einem Monsterfilm namens Formicula. Elche haben keine Kniegelenke und müssen deswegen im Stehen an einen Baum gelehnt schlafen. Der Darsteller von Fantomas war schwul.«
»Ich möchte jetzt mein Dark- Moisture-Hyper-Spray. Sofort!«
Während ich planlos Schubladen aufzerrte, dachte ich: Du brauchst wohl eher eine Würzmischung für Grillgut.Ich fand die Flasche. Ein Post-it-Zettel klebte daran.
RITA.
»Hier. Rufen Sie, wenn’s losgehen kann.«
»Der Chef weiß immer, wann ich liege. «
»Vielleicht hat der Chef ja das Dritte Auge«, sagte ich. »Ich jedoch weiß es nicht. Bitte rufen Sie.«
»Was soll ich denn rufen?« Ihre Stimme klang seltsam beherrscht.
»Fertig?«
»Ich bin nach vierzig Minuten fertig.«
Irrtum, dachte ich.
»Dann pfeifen Sie. Husten Sie. Schnippen Sie mit den Fingern.«
»Sie sind ja wohl nicht gerade für diesen Job gemacht, junger Mann.«
»Das hoffe ich zumindest«, entgegnete ich.
Sie schulterte ihre Ricarda M. Tasche, deren Schließe einen goldenen, brüllenden Löwen zeigte, drehte auf dem Absatz und ging in Kabine Sieben.
Es dauerte keine Minute, bis sie kreischte:
»Nun machen Sie schon die verdammte Bank an.«
»Ober - und Unterhitze?« brüllte ich zurück.
»Was?«
»Nichts.« Ich schaltete die Bank ein.
Diana Krall spielte »the look of Love«, als der junge Mann eintrat.
Er war ganz in imitierte Markenkleidung gewandet: Pseudo-Armani-Jeans mit derartig bescheuert aufgesticktem Riesenadler, dass ich zuerst dachte, es wäre ein überfahrener Habicht, den er sich mit Druckknöpfen an die Buchse gepappt hatte. Ein Kapuzensweater von GUCCI, der eine Fälschung sein musste, denn eine orangefarbene GUCCI-Herren-Kapuzenjacke war ähnlich abwegig wie Tampons von Porsche ... und dann, unter der Jacke, ein Fred-Perry Poloshirt.
Der Junge Mann, optisch klar dem Süden zuzuordnen, schien sich nicht ganz im Klaren, welches Klientel gerne in Fred-Perry Hemden schlüpfte, nämlich jene, die auch gern mal libanesische Rosenverkäufer zu Langstreckenläufen durch deutsche Innenstädte bewegte und auch ansonsten recht dumpf daherkam.
»Ist einer tot?«, fragte er nach einigen Sekunden intensiven Lauschens auf die Musik.
»Nein. Das ist Diana Krall.«
»Hast du 50 Cent?«
»Warum? Hast du`s nicht passend?«
Wir verplemperten etwas Zeit damit, uns anzustarren.
»Möchtest du `n Kaffee?«
»Ne, Lan, ich nehme die Sieben.«
»Die Sieben ist belegt. Da musst du warten.«
»Wie lange?«
Weiß nicht, dachte ich, ich hab keines dieser Garthermometer in die Tante gerammt.
»Noch so ne halbe Stunde.«
«Scheiße. Ist die geilste Bank.«
»Ja ja«, sagte ich. »Bestimmt die geilste Bank. Sonst komm doch in zwei Stunden wieder.«
»Ich denk, das dauert nur ne halbe.«
Aber in zwei Stunden bin ich nicht mehr da.
»Auch richtig. Setz dich doch hin und warte einfach.«
»Hast du Gabber?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte ich. »Warum?«
»Weils endgeil ist.«
»Ja. Klar. Gabber«, stellte ich in den Raum. »Gabber.«
Ich atmete unser Schweigen, lauschte der Krall und spazierte zur elektronischen Tafel, welche die Banken steuerte.
Das Million Dollar Baby hatte noch 27 Minuten.
»Geht das nicht schneller?«
»Irgendein Blödmann hat festgelegt, dass die Minute 60 Sekunden und die Stunde 60 Minuten hat. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich das beschleunigen kann.«
»Ich komm hier total auf aggro«, sagte der Junge einigermaßen bedrohlich.
»Sowas«, sagte ich sanft.
»Hast du Bushido?«
»Wie die Pest«, gab ich zurück. »Ist ja auch ein arrogantes Arschloch.«
Der Junge erhob sich. »Ob du den da hast, Oppa?«
»Nein. Nein, ich denke nicht. Ich schau mal, ob du doch etwas schneller unter die Sieben kannst.«
Eins auf die Fresse konnte ich gerade nicht gebrauchen, und vielleicht hatte Rita nicht nur die Haut, sondern auch das Zeitgefühl eines Warans. Sicher konnte man über das Eingabefeld für die Besonnungszeit was tricksen. Die Sieben hatte noch 22 Minuten. Vielleicht konnte ich 10 abziehen.
Klick.
Die Anzeige sprang auf 44 Minuten. Verdoppelt. Ich drückte erneut.
88.
Scheiße.
Es gab auch eine Taste Escape. Ich drückte. Nichts. Ich drückte erneut. Nochmal nichts. Doppelnull.
»Nee«, tut mir leid«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Dauert noch. Soll ich dir `ne Caprisonne holen?«
In Frankfurt zum Bespiel? Mit Übernachtung und Frühstück?
»Kannst du wenigstens Radio anmachen?«
»Super Idee.« Momentan hätte ich für ihn auch Limbo getanzt.
An der Anlage waren Aufkleber unter den Knöpfen. Unter dem einen stand Lautsprecher Bänke, unter dem anderen RADIO. Na bitte.
Da konnte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und Rita für die nächsten anderthalb Stunden einen Kessel Buntes durch die Boxen säuseln. Hauptsache, die sagten nicht die Zeit an.
Ich drückte LAUTSPRECHER BOXEN, dann RADIO, und genau in diesem Moment fiel mir ein, dass es sich bei der gebrannten Diana Krall, die ohnehin schon sehr ruhig war, um eine sehr leise ausgesteurte Version handelte.
Die aktuellen Verkehrsmeldungen knallten ohrenbetäubend aus den Boxen- ich hörte die Warnhinweise noch hier, zwanzig Meter entfernt und durch eine Tür getrennt, aus den Lautsprechern der Sieben brüllen.
Ich schloss die Augen und versuchte, positiv zu denken.
Natürlich ist das nicht schön, wenn einem ein zwölf Zoll Nagel von einer Staumeldung in die Gehörgänge getrieben wird – andererseits bewahrt man so das Wissen, dass irgendwann auf der A 44 der rechte Fahrstreifen gesperrt war, bis ins hohe Lebensalter.
In diesem Moment rief Sabine an – meine Ablösung.
»Warum ist das Radio so laut?«, schrie sie.
»Keine Ahnung«, brüllte ich zurück, während ich hektisch Knöpfe drückte und Regler drehte.
Endlich wurde es leiser.
»Du«, kam sie zur Sache, »der Klaus hat mir erzählt, dass du heute aus Fun mitarbeitest.«
»Ja«, sagte ich. »Ist ein Riesenspass.«
Würde ich zuerst verklagt und dann zusammen gewichst oder andersrum?
»Kannst du ne Stunde dranhängen? Ich muss mit Jaqueline zum Kinderarzt.«
Ich dachte an Ritas Gesicht, dass alsbald durchgebacken sein dürfte wie ein Türschild aus Fimo.
»No Way«, erwiderte ich. »Ich hab den … Wellensichtich meines … Taufpaten in Pflege. Der heißt«, fügte ich zur Untermauerung meiner Glaubwürdigkeit hinzu, »Kuki. Wie der Gebissreiniger. Schaffst du es nicht eher? So in drei Minuten?«
»Nein. Da wird Klaus aber nicht begeistert sein.«
»Du, ich muss Schluß machen«, sagte ich. »Da will einer auf die Sieben.«
Ich legte auf und schrieb einen Zettel.
Klaus, ich musste n paar Minuten früher los. Wir sprechen uns noch. Ich habe leider einen Todesfall in der Familie.
Irgendwie stimmte das auch. Wenn ich bliebe, wäre ich das wohl.
Ich zog meine Jacke an, entnahm meine CD dem Player und ging zur Tür.
»Machs gut, Lara«, flüstere ich und winkte kurz der Statue.
Die würde bestimmt bald verkauft.
Aber ich machte mir keine Sorgen wegen der Deko. In siebzig Minuten käme ja aus der Sieben ein erstklassiger Terrakottakrieger.