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Sigga und die Nacht der Papageitaucher

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16.05.2013
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Sigga und die Nacht der Papageitaucher

Sigga und die Nacht der Papageitaucher

„Sigga! Wo bleibst du denn?“ ruft Arne, ihr älterer Bruder.

„Ja-haa! Endlich! Dachte schon, wir gehen gar nicht mehr.“ Sie stürmt aus ihrem Zimmer. Heute ist eine besondere Nacht: die Nacht der Papageitaucher.

„Hilf mir!“

Jäh bleibt sie am Treppenabsatz stehen. Hat sie es wirklich gehört, dieses Stimmchen? Zart klingt es, aber auch ein wenig… krächzend. Ein Kobold, an den vor allem die älteren Leute in Island immer noch glauben? Sigga wird unheimlich.

Und was ist das für ein samtiges, blaues Leuchten, das sich plötzlich hinter den Fenstern ausbreitet? Es ist schon dunkel über Meer und Insel. Das müssen die Lichter der Stadt sein, die sich auf die Unterseite der Wolken legen.

Da ertönt der Hilferuf noch einmal. Er muss von draußen kommen. Irgendwie erinnert die Stimme an einen Seevogel, eine Möwe… eher an einen Papageitaucher.

Aber… ein Vogel, der wirklich spricht?

Sigga lebt mit ihrer Familie auf einer kleinen Insel, die vor der Südküste Islands im weiten Atlantik liegt. Einmal im Jahr helfen die Kinder den Papageitauchern. Sie gehören zu Siggas Lieblingstieren, diese kleinen, schwarz-weißen Seevögel. Wie Pinguine sehen sie aus, nur können sie anders als diese auch fliegen. Dennoch fühlen sie sich nur im Meer zuhause. Dorthin flattern die kleinen Papageitaucher, sobald sie groß genug sind, ihre Nesthöhlen in den Klippen zu verlassen. Sie wagen den ersten Flug nur bei Nacht, das Dunkel schützt sie vor den großen Möwen. Die haben so riesige Rachen, dass sie einen Papageitaucher in einem Haps verschlingen könnten!

Doch viele der Jungvögel machen eine Bruchlandung in der Stadt. Dann ziehen große wie kleine Papageitaucher-Freunde los. Sie sammeln die verirrten Seevögel in Kartons und bringen sie bei Sonnenaufgang zum Meer.

„He, Sigga! Vergiss deinen Pappkarton nicht!“

Sie hat kaum noch ein Ohr für Arne. Verwundert beobachtet sie das blauviolette Licht, das über dem Vorgarten spielt. Es verdichtet sich zu einer Blase und schwebt auf den Kellerabgang zu.

„Hier unten bin ich! Beeil dich!“

Vorsichtig geht Sigga in die Hocke und späht in den Treppenschacht hinab. Tatsächlich – der Schimmer umrahmt eine kleine Gestalt, die neben dem Gullideckel auf ihren Schwimmfüßen hockt. Aber die kann nicht gerufen haben… Tiere sprechen nicht.

„Lundi“, haucht Sigga zärtlich. Das ist das isländische Wort für Papageitaucher.

In der Eile hat sie ihre Taschenlampe vergessen, aber die braucht sie nicht. Das Zauberlicht ist hell genug, dass sie den Vogel in seinen Einzelheiten erkennen kann. Lundis Gesicht ist noch nicht weiß wie bei den erwachsenen Papageitauchern, sondern von einem dunklen Silbergrau, fast schwarz. Auch der dicke Schnabel muss seine knallig roten und gelben Farben noch entwickeln. Dann wird er aussehen wie eine bunte Maske.

Sacht hebt Sigga ihn vom Boden auf. Der Kleine riecht nach Fisch. Kein Wunder. Seine Eltern haben ihn ausschließlich damit gefüttert, seit er aus dem Ei geschlüpft ist.

„Endlich! Allein finde ich hier nicht mehr raus!“

„Ich helf´ dir… He! Wieso kann ich dich verstehen?“

„Wieso nicht? Na ja… Ich bin den Lichtern nachgeflogen und erst einmal in dieses Loch gefallen. Dann habe ich dich hinter dem durchsichtigen Feld in deiner Wohnklippe gesehen. Mir war, als hätte dieses blaue Licht zu mir gesagt: Ruf das Menschenmädchen. Es wird dir helfen. Siehst du es auch, das blaue Licht?“

„Warum bist du dem Licht hierher gefolgt?“

„Wo Licht ist, da ist das Meer. Jede Nacht habe ich es vom Steilhang aus in der Dunkelheit schimmern sehen. Dem Schimmer musst du folgen, hat mir meine Mutter erklärt. Also bin ich der Helligkeit nachgeflogen… “

„Du bist dumm! Das waren die Lichter der Stadt! Jedes Jahr fallt ihr darauf rein. Deswegen müssen wir euch einsammeln und zum Strand bringen. Haben denn deine Eltern nicht besser auf dich aufpassen können?“

„Nein.“ Lundi schüttelt sich, es sieht aus, als wundere er sich über diese Frage. „Es ist schon ein paar Tage her, seit sie mir den letzten Schnabel voll Fische brachten. Auch zu keinem meiner Freunde sind die Eltern zurückgekehrt. So laut wir auch gerufen haben.“

„Sie lassen euch… allein da oben zurück?“ Sigga ist entsetzt. Solche Rabeneltern…

„Mit einem Mordshunger. Na ja, aber ich war so dick, ich hätte keinen Schritt weit fliegen können, nicht einmal flattern. Und wir waren nicht allein. Immer sind die Eltern um unsere Klippen geflogen und haben uns Mut zugerufen. Heute Nacht habe ich mich leicht genug gefühlt und mich getraut…“

Siggas Kopf schwirrt. Noch immer kann sie nicht glauben, dass sie da auf der Stufe sitzt, einen jungen Papageitaucher streichelt und sich mit ihm unterhält, als wäre er ein Menschenkind wie sie. Ob es mit dem seltsamen Licht zusammenhängt?

„Jetzt bring mich ins Meer. Es kann doch nicht weit sein!“

„Sigga, Sigga? Mit wem redest du denn da? Ach, du hast schon einen gefunden.“

Blinzelnd muss Sigga ihr Gesicht beiseite wenden, als der Strahl von Arnes Taschenlampe sie von hinten streift. Da merkt sie: Das blauviolette Glimmen ist erloschen. Nur die fahle Dämmerung umgibt sie. Und das Mondlicht, das durch die Wolken schmilzt.

Lundi ist nur noch ein gewöhnlicher kleiner Vogel, der in ihren Armen zappelt, dessen Sprache sie plötzlich nicht mehr verstehen kann.

Oder ist er doch mehr als das? Wenn sie noch einmal mit ihm reden könnte…

„Mach´s gut, Lundi. Viel Glück!“ Sie will gerne glauben, dass er es ist, den sie aus dem Karton hebt. Gestern Abend hat sie gebettelt, dass Papa sie mit Lundi sofort zum Strand fährt, aber sie hat sich die ganze Nacht gedulden müssen und vor Aufregung kaum schlafen können. Immer musste sie an die armen Vögel denken, die in Pappschachteln eingesperrt in der Garage auf den Morgen warten mussten.
Endlich ist es so weit: Endlich können sie die Schar entlassen. Viele haben sie in der Nacht noch aufgelesen.

Hinter seinen Kameraden rennt Lundi auf die Welle zu, die in breiten, flachen Schaumzungen ausläuft. Schwarz schimmert der glatte Sand, schwarz wie die Rückenfedern der Papageitaucher. Er ist vom Meer zerriebenes Vulkangestein, wie aller Fels auf der Insel.

Die Welle neigt sich herab, hebt Lundi auf ihren Kamm. Wie ein schwarzweißes Schiffchen tanzt der Vogelleib auf dem Wasser. Lundi ist zuhause, in Sicherheit.

Der Wind riecht nach Salz und Tang, der Weite und Tiefe des Ozeans. Er spielt mit Siggas langen, schwarzen Haaren. Ihre Augen werden feucht.

Doch da: Da schwebt ein blauviolettes Licht über den Wellen! Nein – drei, vier, fünf – viele – über jedem der kleinen Papageitaucher geht ein Lichtlein auf. Bestimmt werden die Vögel sie verstehen, noch einmal verstehen. Doch sie ahnt, der Zauber wird nur anhalten, bis die ersten Sonnenstrahlen den Lichtschimmer in sich aufnehmen. Schon funkeln die Lichtblitze des neuen Tages auf der See.

Säuseln da nicht Stimmen durch das Rauschen der Brandung in ihr Ohr: „Ich bin da! Ich hab´s geschafft!“ – „Zum ersten Mal getaucht! Hui, wie grün es da unten aussieht!“ – „Hast du schon Fischlein gesehen?“

„Lundi!“ Sigga hüpft und winkt. „Ihr alle! Wenn ihr mal Kinder habt, sagt ihnen, dass sie nicht mehr zu den hellen Lichtern der Stadt fliegen sollen. Da, wo es nicht so hell ist, liegt das Meer!“

Kein Vogel soll sich mehr verirren. Auch wenn es sie dann für die Kinder nicht mehr gäbe: die Nacht der Papageitaucher.

 

Wenn ihr mal Kinder habt, sagt ihnen, dass sie nicht mehr zu den hellen Lichtern der Stadt fliegen sollen.
Ja, das wird ein Problem nicht nur für kleine Alken, wenn der Mensch in seinem Wahn die Nacht zum Tage machen wird,

lieber Roger,

da kann man nicht früh genug mit beginnen, die Kleinsten an ein solches Problem heranzuführen und sei es über die putzigen, kleinen Fratercula arctica. Zwei oder drei kleine Anmerkungen zu dem kleinen Märchen.
*
Einmal wäre ein Komma nachzutragen

„Sigga! Wo bleibst du denn?“[,] ruft Arne, ihr älterer Bruder.
*
Zum zwoten zeigen die Auslassungspunkte an, dass an einem Wort, in einem Satz/Text etwas ausgelassen wurde.
Die von Dir durchgängig direkt hinters vorhergehende Wort gesetzten Punkte behaupten, dass wenigstens ein Buchstabe an dem Wort fehlte. Besser, eine Leertaste zwischen dem letzten Buchstaben und den Auslassungspunkten …
…, aber auch ein wenig… krächzend.

Hier nun ist die Gefahr der Mehrdeutigkeit gegeben
Sigga wird unheimlich.
Man weiß schon, dass "ihr" und keinem andern "unheimlich" wird, aber die Gefahr des Missverständnisses (sie werde unheimlich, um schließlich unheimlich zu sein) ist gegeben, zumindest nicht auszuschließen.

Statt der Passivkonstruktion ist das Verb „gruseln“ eindeutiger: Ihr „gruselt“.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Lieber Friedl,

vielen Dank für Deine Anmerkungen. Zum Hintergrund: Das Märchen ist für eine Ausschreibung gedacht mit dem Titel "Bunter Märchenglobus". Länger als so kann und möchte ich die Geschichte nicht halten, deswegen ist die Handlung auch recht simpel. Das Zielpublikum sind Kinder im Alter von fünf bis neun Jahren.

Selbstverständlich werde ich Deine Korrekturen einarbeiten, ich bin ohnehin an einer von mehreren Überarbeitungen, die ich in der Zwischenzeit schon vorgenommen habe. Außerdem versuche ich, das Märchen in der gleichnamigen Stichwort-Rubrik unterzubringen, wo ich es ursprünglich platzieren wollte. Ich hatte wohl zu früh auf "absenden" geklickt.

Demnächst also die überarbeitete Fassung. Vielen Dank fürs Gegenlesen und Kommentieren, es freut mich, dass es Dir gefallen hat

Roger

 

Hallo Roger,

ich fand die Grundidee zu deiner Geschichte schön, auch ist es für Kinder bestimmt interessant, etwas über die Papageitaucher zu erfahren, die du recht liebevoll beschreibst.
Was mich noch interessiert hätte ist, warum Sigga plötzlich die Vögel verstehen kann, d.h. woher kommt das blaue Licht?

Dann fand ich es anstrengend den Text zu lesen, weil da permanent Absätze waren, das macht es abgehackt. Ich würde z.b. vom Beginn, bis zu dem Satz: "Aber… ein Vogel, der wirklich spricht?" alle Absätze weglassen.

Auch schreibst du oft wörtliche Rede und erst im Nachsatz wird klar, wer da spricht. Das ist v.a. im Dialog mit ihrem Bruder so. Bei Kindern funktioniert es dann, wenn die Geschichte gut vorgelesen wird. Wenn sie selber lesen, finde ich es problematisch.

Säuseln da nicht Stimmen durch das Rauschen der Brandung in ihr Ohr

Da fehlt mir ein Fragezeichen.


Die Szene, wie die Papageitaucher am Ende ins Meer laufen, hat mir sehr gut gefallen, da hörte man geradezu die Wellen rauschen und konnte die Freude der Vögelchen gut mitempfinden. (Sehr passend dazu auch das momentane Hintergrundbild :)

Viel Erfolg bei der Ausschreibung und ein frohes neues Jahr wünscht

Chutney

 

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