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Sniper
Schwer lastete der Winter auf der weißen Landschaft. Der Schnee auf den Baumkronen und der Lichtung hatte im trüben Licht des frühen Nachmittags den Glanz seiner Frische verloren. Es hatte den ganzen, unnatürlich langen und eiskalten Vormittag hindurch geschneit; jedoch wie auf Kommando aufgehört, als Verloo endlich eine geeignete Position gefunden hatte. Tief auf den Boden gekauert saß er im Schutz einiger Bäume und beobachtete den gegnerischen Kommandostand am gegenüberliegenden Rand der Lichtung. Keine Bewegung war zwischen den wenigen flachen Bunkern zu sehen, und hätte Verloo nicht zweifelsfrei gewußt, daß der kleine Stützpunkt besetzt war, er hätte es nicht vermutet. Kein Fahrzeug stand vor den Bunkern und es gab auch keine Spuren von kürzlich erfolgten Shuttlestarts oder Landungen.
Verloo blickte aus zusammengekniffenen Augen in den wolkenverhangenen Himmel, der von einem matten Grau war, wie er es ähnlich von seinem Heimatplaneten, der Erde, kannte. Zum wiederholten Male zog er das Fernglas hervor und studierte die kleine Anlage der Feinde, die dort so scheinbar verletzlich, wenige hundert Meter von ihm entfernt im Schnee lag. Es handelte sich um einige schmutzigweiße Standardgebäude aus Fertigteilen, die so ähnlich auch bei den eigenen Streitkräften eingesetzt wurden. Überhaupt waren die Feinde den Menschen sehr ähnlich was Statur und Körperbau betraf, und auch der Stand ihrer Technik schien auf nur unwesentlich niedrigerem Niveau zu liegen.
Der größte Unterschied in der äußeren Erscheinung zwischen Menschen und Pelzen war tatsächlich die durchgehende Körperbehaarung und die raubtierartige Kopfform der Fremden. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln zuckte über Verloos Lippen als er an die Holoaufzeichnungen dachte, die er von gefangenen Pelzen gesehen hatte, die man zu Studienzwecken entkleidet und vermessen hatte. Im Durchschnitt waren diese Wilden einen guten Kopf kleiner als die menschlichen Soldaten, hatten im Verhältnis zu ihren Beinen übermäßig lange Arme und verfügten über einiges mehr an Muskelkraft. Dazu kamen ihre langen Schnauzen, die voller scharfer Reißzähne steckten. Verloo legte keinen Wert darauf, mit einem der Pelze in einen Nahkampf verwickelt zu werden. Doch der Krieg war erst wenige Wochen alt und es hatte bis jetzt außer dem ersten verhängnisvollen Zusammentreffen zweier Kriegsschiffe und einigen kleinen Schießereien aus der Ferne noch keine schwerwiegenden Auseinandersetzungen gegeben. Es war den Gehirnakrobaten bei der Aufklärung auch noch nicht gelungen, die kehlige, knurrende Sprache der Pelze zu entziffern. Die Schwierigkeiten hatten tatsächlich erst angefangen, nachdem die Allianzarmee der Erde Fuß auf diesen unbedeutenden Planeten gesetzt hatte.
Verloo hatte keine Ahnung, warum ausgerechnet diese ungemütliche, ständig eingeschneite Scheißkugel als Kriegsschauplatz so überaus wichtig war. Er wußte nur, daß der Bodenkrieg sich seit ihrer Landung zu einem blutigen Masssenschlachten entwickelt hatte. Die Pelze kämpften verbissen und brutal und schienen sich erstaunlich schnell auf die menschliche Art der Kriegsführung einzustellen. Sie setzten den Massen der Menschenarmee durch gezielte überfallartige Angriffe zu, nur um sich dann schnell wieder zurückzuziehen. Alles in allem sehr unbequeme Gegner. Verloo verspürte eine unbestimmte Hochachtung für die Wilden und ihre Art der Kriegsführung. Es war auch seine bevorzugte Art des Kampfes.
Verloo war ein einfacher Mann, ein Sergeant, der nur wegen seinem Talent und seiner Ausbildung für diese Mission ausgewählt worden war. Er war ein Oberflächenspezialist, ein Einzelkämpfer, ein Scharfschütze, kurzum nichts anderes als ein Auftragskiller, ein Sniper eben. Die Hintergründe interessierten ihn ebensowenig wie die Umstände seiner Einsätze. Obwohl, ein wenig wärmer hätte es für seinen Geschmack schon sein dürfen, überlegte er und zog sich tiefer in die wärmende Hülle seines Kampfanzuges zurück.
Was genau bei der ersten Begegnung mit der außerirdischen Kultur schiefgegangen war, dafür gab es noch keine offizielle Erklärung, würde wahrscheinlich niemals eine geben. Verloo, der nach über fünfzehn Jahren aktivem Militärdienstes einiges über die verdrehte Denkweise der höheren Offiziere wußte, konnte sich allerdings recht gut vorstellen, was dort passiert war. Von der ersten Ortung des unbekannten Flugobjekts bis zum Abfeuern der Waffen hatte es den Computeraufzeichnungen zufolge nur wenige Sekunden gebraucht, genau das was man von Streitkräften erwarten konnte, die zur absoluten Paranoia erzogen worden waren.
Bei dem feindlichen Bunker tat sich jetzt etwas. Eine gepanzerte Tür öffnete sich langsam und Verloo beeilte sich, seine kritischen Gedanken zu verdrängen. Er brachte das Scharfschützengewehr in Anschlag. Das Zielfernrohr zeigte ihm eine graue Kontur, die sich aus dem Dunkel des größten Bunkers - vermutlich die Kommandozentrale - löste und langsam tapsend hinaus auf die Lichtung trat. Verdammt, die sehen aber auch alle gleich aus, dachte er und studierte aufmerksam die Abzeichen auf der Brust des Wilden. Die Anordnung von senkrechten Farbstreifen zeigte ihm, daß es sich bei diesem Exemplar um einen einfachen Soldaten handelte. Nicht sein Zielobjekt!
Der Wilde umkreiste die Anlage vorsichtig, wobei er immer wieder stehen blieb und seine lange Schnauze prüfend gen Himmel reckte. Man wußte noch nichts genaues, aber es wurde vermutet, daß die Pelze über einen wesentlich stärkeren Geruchssinn und wahrscheinlich auch bessere Augen verfügten als ihre menschlichen Gegenspieler. Kein Problem für Verloo, der sich seit Tagen in den finsteren Wäldern des fremden Planeten herumtrieb und inzwischen einen recht 'natürlichen' Eigengeruch angenommen hatte. Gute Augen hatte er ohnehin - eine Grundbedingung für jeden Sniper.
Der fremde Soldat bewegte sich jetzt auf einen anderen Bau der kleinen Anlage zu; etwas kleiner als der Befehlsbunker und mit zahlreichen antennenähnlichen Gebilden bedeckt, schien es sich um einen Leitstand oder eine Kommunikationseinrichtung zu handeln. Der wilde Soldat trat mit einem seiner nackten Füße kräftig gegen die Tür und wurde eingelassen. Verloos empfindliches Richtmikrofon fing einige kehlige Laute ein, bevor sich die Tür hinter dem Soldaten schloß. Danach fiel wieder die fast gespenstische Ruhe über die Lichtung, an die Verloo sich in den letzten Tagen gewöhnt hatte. Es gab in diesen fast ganzjährig eingeschneiten Wäldern kaum Tiere. Er legte das Gewehr zurück in die isolierende Hülle, die neben ihm im Schnee lag und widmete sich erneut einer mehr generellen Beobachtung seiner Umgebung.
Verloos Auftrag war klar und eindeutig. Colonel Mounahir hatte ihm genau erklärt, warum es so überaus wichtig war, eine bestimmte Offizierin der Feindarmee auszuschalten. Die weibliche Wilde befand sich seit einiger Zeit in dieser Einrichtung um dort einen massiven Gegenschlag vorzubereiten - so hatte Mounahir ihm mitgeteilt. Sie war offensichtlich auch die Hauptverantwortliche für die guerillaartigen Überfälle der pelzigen Horden, die bei den Allianztruppen der Erde seit einigen Wochen zu unerwartet großen Verlusten führten. Mounahir hatte noch viel mehr erklärt, aber Verloo hatte ihm nur mit halbem Ohr zugehört. Er hegte eine tiefverwurzelte Abneigung gegen Offiziere im Allgemeinen und gegen seinen Divisionskommandeur im Besonderen. Er hatte kein Interesse an den Hintergründen, er wollte überhaupt nicht wissen, was zum Teufel die Arschlöcher im Oberkommando zu diesem Krieg getrieben hatte. Was Verloo interessierte, war einzig und allein sein Job. Während er frischgewaschen und rasiert in seiner besten Uniform in dem provisorischen Büro des Colonels saß, sah er sich in Gedanken bereits in den tiefen Wäldern des namenlosen Planeten unterwegs, alleine und ohne Unterstützung. Das war Kriegsführung auf die vorsintflutliche Art - anschleichen, tarnen, das Zielobjekt ausschalten und wieder verschwinden. Verloo war gut darin. Nein, er fand keinerlei Befriedigung darin, andere Lebewesen zu töten, aber wenigstens boten ihm seine Einsätze die Möglichkeit, dem unsinnigen Militäralltag und vor allem den Offizieren für eine Weile zu entkommen.
Mit quälender Langsamkeit, aber dennoch unaufhaltsam, kroch die Dämmerung über die verschneite Waldlandschaft und es kam ein leichter, unangenehm kalter Wind auf. Die obersten Äste der Bäume wurden durchgeschüttelt und befreiten sich von ihrer frischen Schneelast, die auf den einsamen Mann herabfiel. Verloo zog die kunstfellbesetzte Kapuze unter dem Kinn dicht zusammen und regelte die intere Heizung des Kampfanzuges noch ein Stückchen höher. Er warf einen Blick auf seine Uhr und beschloß, sich einige Meter zurückzuziehen, um sich die Beine zu vertreten und sein Lager vorzubereiten. Es konnte noch einige Tage dauern, bevor sich sein Ziel außerhalb des Bunkers zeigen würde. Er musste sich auf einen längeren Aufenthalt einstellen.
Es wurde Zeit, sich auf eine lange und kalte Nacht vorzubereiten. Mit bloßen Händen grub Verloo eine kleine Höhle in den Schnee, die ihm über Nacht Sichtschutz gewähren würde. In einem Umkreis von zwanzig Metern versteckte er einige Sonden, die ein Warnsystem auslösen würden, sollte jemand in die Nähe der Höhle kommen. Nach einer Stunde konzentrierter Arbeit begutachtete er sein Werk. Sein Quartier war nicht komfortabel und alles andere als sicher, aber unter den Umständen das Beste, was er tun und erwarten konnte. Grummelnd packte er seinen Rucksack in die kleine Höhle, schnappte sich einige Nahrungsriegel und schlich zurück zu seinem Beobachtungsposten am Waldrand.
Genau zur festgelegten Zeit, meldete sich das Hauptquartier über Funk mit einem zischelnden Piepen, das schmerzhaft aus Verloos Ohrstöpseln drang. Die Frequenz schien also sicher zu sein, anderenfalls hätte man nicht gesendet.
"Eichhörnchen! Eichhörnchen bitte kommen für den Großen Bär!"
Verloo verzog das Gesicht. "Hörnchen hier", subvokalisierte er tonlos in das stecknadelkopfgroße Mikrophon, das an seinen Kehlkopf geklebt war.
"Eichhörnchen: Lage?"
"Hörnchen in Position, noch keine Sichtung des ZO."
"Bleiben Sie in Position und warten Sie bis eine Erfassung des Zielobjekts möglich ist", klang die Stimme des unbekannten Funkers leidenschaftslos aus den Ohrstöpseln.
"Natürlich!" Verloo hatte keine anderen Anweisungen erwartet. Er ärgerte sich über diese sinnlose Kommunikation und beendete die Übertragung, ohne sich vorschriftsmäßig abzumelden.
Inzwischen war es zu dunkel geworden, um in dem trüben Zwielicht noch Einzelheiten ausmachen zu können. Verloo klappte das Visier mit dem Restlichtverstärker vor den knappen Schlitz, der in seiner Kapuze Platz für die Augen ließ und widmete sich erneut der Beobachtung des Feindpostens. Regungslos und für einen ahnungslosen Beobachter so gut wie unsichtbar, ging seine vermummte Gestalt in der dunkelgrauen Umgebung unter. Nach zwei Stunden überkam ihn eine bleierne Müdigkeit, gefördert durch seine Untätigkeit und das permanente Frösteln. Er zog sich vorsichtig zurück in seinen Unterschlupf, wo er den Schlafsack ausrollte und sich darauf langmachte. Augenblicklich fiel er in tiefen Schlaf.
Exakt zwei Stunden später wurde Verloo durch die Alarmuhr geweckt. Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen. Er erhitzte eine seiner mitgeführten selbstkochenden Mahlzeiten, einen undefinierbaren Brei, der alle wichtigen Nährstoffe enthalten sollte und entfernt nach Rind schmeckte. Ohne eine Miene zu verziehen, löffelte er die Schale leer, vergrub sie im Schnee und robbte aus der provisorischen Behausung. Draussen schaufelte er sich eine Handvoll Schnee in den Mund und gurgelte bis der unangenehme Geschmack aus seinem Rachen verschwunden war. Dann begab er sich zu seinem Posten.
Fast vollständige Dunkelheit lag über der Lichtung. Nur vereinzelte Sterne blitzten hin und wieder durch die dichte Wolkendecke, die zwei näheren Monde des Planeten waren nicht auszumachen. Das Nachtvisier enthüllte keinerlei Bewegung innerhalb der gegnerischen Bunkeranlage und Verloo klappe es wieder zurück. Er wunderte sich, daß die Pelze so nachlässig waren und es nicht für nötig befanden, ihre Anlage zu bewachen. Sie mußten sich sehr sicher fühlen, obwohl die Frontlinie höchstens fünf Meilen entfernt verlief. Schläfrig, das Präzisionsgewehr auf den Schenkeln, ließ Verloo sich gegen einen Baumstamm sinken und beobachtete weiter die Lichtung. Lange Erfahrung mit solchen Situationen ließ ihn wach bleiben. Es brauchte schon mehr um ihn zu langweilen.
Er schreckte auf, als keine hundert Meter neben ihm, plötzlich Geräusche aus dem Wald ertönten. Das Knirschen von Schnee, Knacken von Zweigen, unrhythmisch, leise, aber doch fremd und störend in der Stille des nächtlichen Waldes. Mit einer raschen Handbewegung klappte Verloo das Nachtsichtgerät wieder vors Gesicht und spähte nach links, in die Richtung aus der er die Geräusche vernommen hatte. Tatsächlich bewegte sich dort etwas, ein Schatten, etwas dunkler als die Umgebung, trat aus dem Wald hervor. Die Gestalt war auch im grünlichen Schimmer des Restlichtverstärkers nur undeutlich wahrzunehen, aber Verloo wußte, daß es ein Pelz war. In der typischen Art der Pelze, etwas vornübergebeugt, trottete der feindliche Soldat über die Lichtung. Ihm folgte in wenigen Metern Entfernung ein zweiter, kurz darauf verliessen noch drei weitere Gestalten, mit im Schnee knirschenden Fußabdrücken, den Wald.
Eine Patrouille? Waren diese fünf Pelze alleine unterwegs oder wimmelte es im Wald von Wilden? Waren sie vielleicht mißtrauisch geworden und man suchte schon nach Verloo? Die Antwort erfolgte wenige Sekunden später, als sich eine der Sonden mit schrillem Ton in Verloos Ohrstöpsel bemerkbar machte. Mindestens einer der Wilden war in den Perimeter um Verloos Behausung eingedrungen. Die Höhle war für einen aufmerksamen Soldaten einfach zu finden, besonders wenn man über den ausgeprägten Geruchssinn der Pelze verfügte. Bevor Verloo sich einen Plan zurechtlegen konnte, hörte er schon ein aufgeregtes Schnaufen aus der Richtung seiner Behausung. Es gab kein Nachdenken mehr, es war Zeit zu handeln!
Er legte das Gewehr ab, richtete sich auf und griff nach seiner Pistole. Mit einer schnellen Handbewegung schaltete er die Nadlerwaffe auf die Zielerfassung seines Nachtsichtvisiers um. Augenblicklich erschien ein kleines Fadenkreuz vor Verloos Augen. Langsam und geduckt, sich immer dicht an die Baumstämme haltend, schritt er auf seine Höhle zu. Nach wenigen Metern konnte er den Eindringling sehen. Der Wilde hockte vor dem Eingang, sah aber in eine andere Richtung. Verloo folgte dem Blick und erkannte einen zweiten Soldaten, der ein leises Knurren ausstieß, offenbar die Art der Pelze, zu flüstern. Ein Schuß reichte und der Soldat fiel lautlos zu Boden, durchsiebt von hunderten winzigkleiner Nadeln. Nur einen Sekundenbruchteil später ereilte den hockenden Wilden das gleiche Schicksal. Das Nachtsichtgerät zeigte sich schnell ausbreitende dunkle Flecken im Schnee unter den niedergestreckten Gestalten. Beide Pelze starben lautlos, trotzdem konnte Verloo nicht sicher sein, ob sie nicht bereits ihre verstreuten Kameraden gewarnt hatten.
Verloo wollte sich, rückwärts in seine eigenen Fußstapfen tretend, zum Waldrand zurückziehen, doch in diesem Augenblick traten bereits weitere Feinde zwischen den Bäumen hervor. Sie hatten ihn gesehen und hielten drohend ihre fremdartigen Gewehre auf ihn gerichtet. Verloo erkannte die Sinnlosigkeit weiteren Widerstandes. Er warf seinen Nadler in den schmutzigen Schnee und hob die Hände über den Kopf. Er konnte nur hoffen, daß die Pelze diese Geste verstehen würden. Der Kreis um Verloo schloß sich dichter um ihn und er spürte etwas Hartes in seinem Rücken. Ein Gewehrlauf. Einer der Pelze vor ihm löste sich aus der Gruppe und trat auf ihn zu.
"Du ... komm mit!", knurrte die Gestalt und Verloo erkannte, daß es sich um eine weibliche Offizierin handelte. Sogar unter ihrer unförmigen Uniform zeigten sich deutlich die Konturen von sechs Zitzen. Er sah die Abzeichen auf ihrer Brust und wußte wen er vor sich hatte. Die Gesichtszüge der Fremden waren schwer zu deuten, aber er konnte wetten, daß die Pelz-Offizierin lächelte.
"Woher kannst du meine Sprache?", fragte er erstaunt, wohl wissend wie dumm sich das anhörte.
"Wirr lerrn gutt", stieß die Wilde mit einiger Anstrengung aber verständlich hervor. "Komm mit!" Sie stieß Verloo mit ihrer Waffe vor die Brust und trieb ihn vor sich her. "Wirr wissen vill von deine Rrasse." Verloo drehte sich gehorsam um und atmete tief die kalte Luft ein. Der starke Körpergeruch dieser Wesen war fremdartig, aber nicht unangenehm, wie er feststellte. Langsam trottete die Gruppe mit ihrem Gefangenen hinaus auf die Lichtung. Um die beiden Gefallenen schienen sie sich nicht weiter zu kümmern.
Wenige Minuten später erreichten sie den Kommandobunker und Verloo wurde unsanft hineingestoßen. Im Inneren herrschte trübes Dämmerlicht, genau wie das Rotlicht in ähnlichen Anlagen der Menschenarmee, nur daß es die Farbe von Bernstein hatte und fremdartige, primitiv wirkende Geräte beleuchtete, vor denen einige Pelze in gebückter Haltung auf dem Boden saßen. Stühle, Tische oder Betten gab es in dem Bunker offenbar nicht. Verloo wurde in eine mit Pelzen und stinkenden Kissen ausgestattete Ecke getrieben, wo ihm angedeutet wurde, er solle sich auf den Boden setzen, was er auch tat. Im Bunker war es sehr warm und der Geruch nahm ihm den Atem. Sofort liefen ihm die ersten Schweißtropfen von der Stirn. Während Verloo seinen Anzug öffnete, kam die Offizierin zu ihm hinüber und hockte sich vor ihm hin, auf alle Viere gestützt.
"Du gekomm ... mirch töten", stellte sie unbeeindruckt fest. "Dein Rrasse gekomm uns alle töten." Sie blickte Verloo mit hartem, festem Blick an, ihre Augen leuchteten in einem unangenehmen Gelb. Die Wilde sagte nichts weiter, sie verharrte einfach in ihrer hockenden Haltung und starrte Verloo unverwandt an. Das zog sich über einige Minuten hin, wobei sie nicht ein einziges Mal blinzelte. Verloo schwitzte immer stärker. Er wußte nicht, was er sagen sollte und entschied sich schließlich für die Wahrheit. "Ja", gab er zu. "Was passiert jetzt mit mir?"
"Irch dich nehm zu lernen", antwortete die Offizierin, offenbar nach den richtigen Worten suchend. "Irch dich ... studierrn. Wirr müssen vill wissen von dir und dein ... Arrmee". Sie drehte sich um und fauchte etwas zu einem der anderen Soldaten, der sich daraufhin schnell entfernte. "Wa ... warum du uns töten wollen?"
In Verloos Gehirn überschlugen sich die Gedanken. Ja, warum eigentlich wollten sie die Pelze töten? Verloo wußte nicht, wer in diesem Krieg den ersten Schuß abgegeben hatte, er wußte nicht, was die Politiker, was die oberste Armeeführung gegen die Pelze aufgebracht hatte. Er hatte sich niemals um solche politischen, geradezu philosophischen Fragen Gedanken gemacht. Er war ein Sniper, ein Scharfschütze, ein Soldat. Es war in seinem Weltbild nicht vorgesehen, Fragen zu stellen. Er befolgte Befehle und tat seinen Job. Er liebte es nicht, aber er war gut darin und bekam für einen einfachen Feldwebel überdurchschnittlich guten Sold dafür.
"Ich befolge nur meine Befehle." Das war keine Antwort, das war eine schwache Ausrede, nichts weiter.
"Du folg Befehl. Werr geben Befehl? Kornel Muunahierr? Warum geben Befehl uns töten?" Die Pelz-Offizierin legte den haarigen Wolfskopf schräg, in ihrem Blick schien jetzt Neugierde zu liegen. Sie blickte Verloo weiterhin regungslos an, doch selbst ihre Geduld schien nach einiger Zeit am Ende zu sein. Schwerfällig und langsam erhob sie sich. "Jetzt schlafen. Wirr reden weiter wenn neuer Tag." Mit dieser Feststellung drehte sie sich um und trat zu einem der anderen Soldaten. Sie beobachteten eines der merkwürdigen Geräte, wobei sie leise, fast zärtliche Brummlaute von sich gaben.
Nachdem Verloo sicher war, daß er nicht mehr beobachtet wurde, ließ er langsam eine Hand durch den offenen Verschluß seines Anzuges schlüpfen und spürte nach kurzer Suche einen Auslöser zwischen seinen schweißnassen Fingern. Die Bombe! Der letzte Ausweg. Verloo kannte die Anweisungen, die jeder Scharfschütze erhielt, für den Fall in Gefangenschaft oder eine andere ausweglose Situation zu geraten. Die Sprengwirkung würde groß genug sein, um nicht nur ihn zu töten, sondern das ganze Bunkerinnere in Schutt und Asche zu legen. Niemand in diesem Bunker würde die Explosion überleben.
Verloo wollte nicht sterben. Er war kein Held. Er hatte nichts gegen die Pelze, hegte keinen persönlichen Groll gegen sein Zielobjekt. Im Gegenteil war er sehr beeindruckt davon, wieviele Einzelheiten diese Wesen wussten. Und er fühlte Hochachtung für die Geschwindigkeit, mit der die Fremde seine Sprache gelernt hatte. Und er war überrascht, daß seine Feinde ihn überaus zivilisiert gefangen genommen hatten, anstatt ihn direkt im Wald mit ihren schrecklichen Zähnen zu zerreissen.
Verloo entsicherte die Sperre des Auslösers.
Er war alles andere als überzeugt davon, daß er für eine gute und gerechte Sache kämpfte. Er kannte die Machtgier und Hinterlist der menschlichen Politiker, er kannte die Offiziere, die in ihrer Paranoia zu allem Möglichen fähig waren. Er war sich nicht sicher, ob er Teil dieses Systems sein wollte. Aber er hatte seine Befehle. Er war ein Killer mit einem Auftrag.
Verloo hasste sie, die Politiker, die Offiziere, seine ganze verdammte Rasse. Er hasste sogar sich selbst als sich seine Finger fest um den Auslöser legten und er mit dem Daumen auf den Knopf drückte.