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So ein Tag passiert einmal

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16.11.2006
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So ein Tag passiert einmal

Es war der erste Tag, an dem Raureif auf den Dächern lag; und die Stadt verschwand langsam im Nebel wie ein sinkender Öltanker. In der Wohnung unterschied sich der Tag von keinem anderen. Es war genauso warm im Badezimmer, als wäre es Sommer und die Milch löste in mir das immer gleich bleibende Gefühl „Mutter“ aus, noch einmal klein sein, noch einmal Geborgenheit mit der Nahrung zusammen aufnehmen.
Wie immer kam Claire die Treppe hinunter, sie war auf die Minute pünktlich, um rechtzeitig zur Uni zu kommen. Sie unterschied sich wie Tag und Nacht von Etienne, ihrem Bruder, wegen dem ich ja eigentlich hier war. Durch die Balkontür hinter mir trat Ludovic, der seine Nächte lieber hier mit Claire als zu Hause verbrachte. Gleich würde er sie zärtlich umarmen und ihr seinen Morgenkuss geben, und ich würde mich diskret abwenden, um nicht in die Privatsphäre der Beiden einzudringen. Sie würden gleich das Wort an mich richten und Claire würde lachend versuchen, Deutsch zu sprechen...
Vielleicht war dieser Tag ein guter Tag.

Auf dem Weg zum Bus wandte sich Etienne wie immer plötzlich wortlos ab, um zu irgendwelchen Mädchen zu gehen und ließ mich allein stehen. Ich fuhr allein zur Schule und setzte mich neben das hässlichste Mädchen der Klasse, das ich so mochte. Bérangère. Mit ihr konnte ich reden; über Etienne und meine Liebe zu ihm, über mein Leben. Sie sprach dafür über ihr Leben; dass sie keinen liebte und manchmal den Menschen von Freunden in Spanien oder Afrika erzählte, die es gar nicht gab. Wenn dieses Mädchen jemals verstehen würde, wie sehr ich an ihr hing!

Es war Mittwoch. Das hieß: Wir hatten ab Mittag frei. Das wiederum hieß, Etienne würde die ganze Zeit den Computer im Wohnzimmer beschlagnahmen und ich konnte sehen, was ich mit meiner Zeit anfing, allein ohne Buch oder sonstige Beschäftigung bei Winterwetter. Letztendlich setzte ich mich dazu und schaute, wie er ein Monster nach dem anderen abschlachtete und die blutigen Reste liegen ließ, um weiterzulaufen, seine Mission zu erfüllen. Nach vier Fragen verbot er mir das Reden. Das brachte mich erst recht dazu, ihn zu provozieren. Neben mir saß nicht mehr Etienne, sondern nur noch ein gleichgültiger Mensch ohne Reaktion gegenüber der Person, die ihn liebte. Von der er wusste, dass sie ihn liebte.
Oh, ich würde wieder anfangen, meine Spiele mit ihm zu spielen.

Ich: „Kannst du an etwas anderes denken als diesen Mist?“
Er: „Sei still.“
Ich: „Du bist doch so ein kleiner Abhängiger, du denkst an nichts anderes, du bist zu zwischenmenschlichen Kontakten gar nicht mehr fähig!“
Eisiges Schweigen.
Ich abermals: „Ich schenke dir ein paar Scheuklappen, damit du deine Austauschpartnerin gar nicht mehr anschauen musst...“
Er: „Verdammt, kannst du nicht ruhig sein? Alles was du tust, ist, mich zu stören bei dem was ich tue!“
Ich: „Und was tust du bitte?“
Er: „Ich spiele, du Kleinkind.“
Ich: „Wer ist hier das Kleinkind? Wer schreit rum, wenn seine Mutter ihm den verband wechseln muss, wer benimmt sich wie ein Psychopath, wer tut so als sei die ganze Welt gegen ihn??“

Das war zuviel. Ich versuchte auszureden, während er sich auf mich stürzte, um mir mit aller Kraft den Mund zuzuhalten. Meine Lippe scheuerte schmerzhaft an meiner Zahnspange entlang und ich schmeckte Blut. Er schrie etwas, das ich nicht verstand. Krallend setzte ich in mädchenhafter Manier meine spitz gefeilten Fingernägel ein, um seiner Hand derartige Schmerzen zuzufügen, dass er mich loslassen musste. Ich schlug um mich und traf seinen Kopf, spürte einen Moment die lockigen schwarzen Haare, die mittlerweile eine beachtliche Länge hatten. Dann fiel ich von meinem Stuhl, er stürzte sich über mich, um mich festzuhalten, damit ich nicht hochkäme und meinen hysterischen Anfall ausleben könnte. In Ermangelung meiner Arme trat ich ihn mehrmals gegen die Knie, bis er ebenfalls zu Boden stürzte.
Den Rest erinnere ich kaum. Ich verfüge nicht über seine psychische Stärke, ich bin nur ein Mädchen und so begann ich zu weinen, ohne es zu wollen. Als ich sein wutverzerrtes Gesicht sah, wusste ich, wie sehr ich ihn liebte. Vielleicht würde er es eines Tages verstehen. Irgendwann merkte er, dass ich mich nicht mehr wehrte und ließ mich los; stützte den Kopf in die Hand und betrachtete mich verwirrt. Ich hatte ihn da, wo ich ihn wollte und war doch selber viel unglücklicher.

„Was tust du da?“, war seine erste Frage. Ich sagte: „Ich weiß es nicht.“ Dann weinte ich weiter. Ich stand auf und ging; und er folgte mir bis in sein Zimmer.
Langsam und fast mit zynischer Freude leerte ich seine Stifteboxen auf den Fußboden, zerrte den Nippes, den er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte, aus den Regalen und lebte mich aus, bis ich nicht mehr wusste, was ich noch kaputtmachen könnte.
Er lehnte dabei am Türrahmen und betrachtete mich in aller Ruhe, bis ich weinend auf den Boden zwischen das Chaos sank.
Mit der typischen Stimme, die man hat, wenn man geweint hat, versuchte ich zu reden. „Bitte, versteh doch.. Wir sind nicht die guten Menschen. Wir sind nicht gemacht, um Freunde zu sein. Es wird immer damit enden, dass ich hier sitze und dich um Verzeihung bitten muss...“ -„Ja," sagte er, „so ist das mit uns. Wir erkennen uns nicht. Wir drehen uns immer nur umeinander im Kreis, ohne uns jemals zu erreichen und um uns herum ist nur Dunkelheit. Wie kann ich dich vollkommen verstehen, wenn meine Welt nicht die deine ist?“
„Es ist auch meine Welt“, flüsterte ich. „Ich bin hier für drei Monate mehr zu Hause, als ich es je in Deutschland war und auch sein werde. Das hier ist das Leben, was ich sofort allen anderen vorziehen würde...“
„Es ist nicht dein Leben. Du bist ein Gast, du bist erwünscht, aber du gehörst nicht zur Einrichtung.“
Mit diesen Worten ging er still hinaus. Ich hörte, die er sich auf die oberste Treppenstufe setzte. Ohne das Licht wieder anzumachen öffnete ich die Balkontür von Etiennes Zimmer, trat auf die unebenen Fliesen des Balkons, kletterte auf die Lehne der weißen Gartenbank und von da aus mit einem Schwung auf das Dach, in das der Balkon rundum eingelassen war.
Ich stand wackelig auf den Dachziegeln, tränenüberströmt. Der Wind wehte mir ins Gesicht und mein Pullover flatterte. Mit fünf Schritten war ich an der Dachkante. Acht Stockwerke unter mir befand sich das Oberdeck der Tiefgarage, auf dem ich einmal mit Etienne Inliner gefahren war. Das war vor mehr als eineinhalb Monaten gewesen...
Langsam kamen in mir die Errinerungen hoch: Der elfte mai, Acht Uhr abends Flughafen Hamburg. Wohl der aufregendste Tag in meinem kurzen Leben. Alles was ich hatte, war ein körniges Schwarzweißfoto und die riesige Erwartung, die mich fast zu überwältigen drohte.
Als es soweit war, passierte zunächst gar nichts, viele Menschen verließen die Ankunftshalle. Als vorletztes sah ich endlich einen Jungen, der genau so groß war wie ich, mit schwarzem Haar, einem schrill bunten Hemd und großen dunklen Augen. Verdammt, dachte ich nur, warum ich?
Alle meine Freunde haben normale Partner abbekommen, und ich? Vor mir stand das Fleisch gewordene Klischee eines Südfranzosen. Ich lächelte und winkte, und mit der typischen Naivität meiner dreizehneinhalb jahre verliebte ich mich sofort in ihn.

Fortsetzung folgt...
Ich habe einen Mangel an Zeit.

 

Hallo Kleo und herzlich willkommen hier. :)

So ganz kann ich mich dem Illusionisten nicht anschließen. Für Dein Alter ist das mE eine nicht ganz so typische Fast-Selbstmordgeschichte - Du hast das Setting (Austausch) hinzugefügt. Dadruch wird die Geschichte schon mal etwas individueller und das ist gut!! Ich bin allerdings Illus Meinung - Du solltest den Konflikt, die ganze Beziehung der beiden ausbauen. Du zeigtst uns hier nur eine konkrete Situation, wie die beiden miteinander umgehen, eine einzige! Und aus dieser einen sollen wir das Seelenleben der Protagonistin versetehen? Das kann nicht gut funktionieren. Zugute halten muss man Dir, dass die Geschichte recht sauber geschrieben ist - kaum Fehler, recht flüssig. :)
Zwei Stellen im einzelnen:

Ich verfüge nicht über seine psychische Stärke, ich bin nur ein Mädchen und so begann ich zu weinen, ohne es zu wollen.
was soll das? ich bin NUR ein Mädchen? Nur?? Durch den Satz disqualifizierst Du alle Mädchen als psychisch schwache Heulsusen.
Die Leichtigkeit der Wahl war da.
auch ich kritisieren disesn Satz aufs schärfste. Romantisch verklärrter, alle-Probleme-lösender-Selbstmord, die Wahl dazu ist so leicht - das liest man hier so oft, dass mir alles hochkommt. Wer sich einmal darüber Gedanken gemacht hat, wer sich in die Familie des Betroffenen hineinversetzt hat, wer sich einmal die Konsequenzen bewusst gemacht hat, der schreibt sowas nicht! Und sorry, aber bei diesem Thema tut mir Gedankenlosigkeit körperlich weh.

Ich hoffe, bald wieder etwas von Dir lesen zu können - mE hast Du nämlich schon das Handwerkszeug dazu, eine ansprechende Geschichte zu schreiben.

schöne Grüße
Anne

 

Vielen, vielen Dank an euch beide, und dass ich endlich auch mal wirkliche Kritik abbekommen habe. Ehrlich gesagt habe ich mich nur deswegen hier angemeldet, und dafür auch meine erste "echte" Kurzgeschichte verfasst, nach vielen schlechten gedichten und..nunja, sagen wir mal möchtegern-poetischen Texten.
Da ihr beide das klassische Selbstmord-Schema bemängelt habt, habe ich beschlossen, den gesamten letzten Teil noch einmal umzuschreiben. Der erste Teil wird aber fast bleiben, wie er war, bzw. danach weiter erklärt werden.
Und dann hoffe ich und schaue mal was es letztendlich wird^^

LG, Kleo

 

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