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Stillstand

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03.03.2014
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Stillstand

Der Mann, der zu ihr in den Fahrstuhl stieg, trug schwarze Lederhandschuhe und eine abgenutzte braune Tasche, die angesichts seiner schmalen Figur umso voluminöser wirkte. Er nickte Maria kurz zu, drückte den bereits leuchtenden E-Knopf, lehnte sich an die gegenüberliegende Wand und klemmte die Tasche zwischen seine Füße. Ein kurzer Blick aufs Handy.
Die Fahrstuhltüren schlossen sich.
Maria wandte sich der Vorderseite zu. Nie hätte sie gedacht, dass ihre Mutter im Alter noch anstrengender werden würde. Sturer.
Das Vibrieren und das unangenehm laute Brummen verrieten, dass der Fahrstuhl sich in Gang setzte. Altes Ding.
Ihre Mutter wohnte im fünften Stock. Die Treppen konnte sie nicht mehr nehmen und im Fahrstuhl kriegte sie Panik. Sagte sie jedenfalls. Ihre Wohnung würde sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr verlassen, und Besuch bekam sie nur von Maria und höchstens Mal von Frau Lieberknecht, der Nachbarin. Ein Heim bot sich einfach an.
Maria fuhr sich durch die Haare. Zum Friseur hatte sie es wieder nicht geschafft. Morgen würde es auch nichts werden; im Lehmann musste sie bis in den späten Nachmittag bleiben und abends hatte sie eine Verabredung mit Nadine. Passte ihr eigentlich nicht, aber gut. Übermorgen also.
Der Fahrstuhl knackte und das Wummern verstummte. Der Mann hängte sich die Tasche wieder um die Schulter. Der Dreitagebart und die zerzausten Haare ließen ihn leicht ungepflegt erscheinen, was ihn für Maria aber umso attraktiver machte.
Sie richtete sich ebenfalls auf und wartete auf das Öffnen der Türen.
Das aber nicht kam.
Vielleicht wollte noch jemand zusteigen. Maria lehnte sich wieder zurück.
Der Mann drehte nervös den Kopf, er schien es eilig zu haben. Tja, mit der Treppe war man hier wirklich schneller.
Der Aufzug machte keine Anstalten, weiter zu fahren oder seine Türen zu öffnen, und gab auch sonst kein wirkliches Lebenszeichen von sich. Nein, bitte nicht. Maria ließ ihren Kopf nach hinten kippen. Autsch.
Nun mach schon, du dummes Ding, fahr weiter, es konnte doch nicht mehr weit sein.
Stromausfall? Nein, das Licht funktionierte, auch wenn es ab und zu flackerte.
Lass jetzt bitte diesen Fahrstuhl wieder los fahren, dachte Maria.
Nichts rührte sich. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein!
„Tja“ sagte sie, „das war’s dann wohl.“ Maria drückte noch einmal den Erdgeschoss-Knopf, doch es passierte natürlich nichts. Der Fahrstuhl war stecken geblieben.
„Oh, Shit“, sagte der Mann, „was soll das denn jetzt, ey?“. Er drehte sich wieder zu ihr um und fing an, nacheinander sämtliche Knöpfe zu drücken. Dann zog er einen Handschuh aus und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht.
„Haben Sie einen wichtigen Termin?“, fragte Maria. Auch sie war genervt von dem plötzlichen Stillstand des Fahrstuhls, aber ebenso überrascht von der Reaktion des Mannes.
Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche. Warum bitte gab es hier keinen Empfang? Die Leute telefonierten doch immer im Fahrstuhl.
„Es wird bestimmt gleich weiter gehen“, versuchte sie auch sich selbst zu beruhigen, doch sie war sich dessen keineswegs sicher. „Das alte Ding spinnt ab und zu.“
„Und warum gerade jetzt?“
„Hier muss es doch irgendwo einen Not-Knopf geben“, sagte Maria und studierte die Tastatur. Ja, wahrscheinlich der rote. Sollte sie den jetzt drücken? Irgendwie traute sie sich das nicht. Was würde dann passieren?
„Sind Sie klaustrophob?“, fragte sie den jungen Mann.
„Dann würd ich sicher nicht den Fahrstuhl nehmen.“
Stimmte auch wieder. „Ja, dann müssen wir uns wohl Hilfe holen. Hier gibt’s nicht mal Handy-Empfang.“
„Ts“, machte der Mann, „ja, dann laufen Sie doch los.“
Wenn sie wenigstens einen gelasseneren Mitfahrer gehabt hätte. Sollte er doch mal etwas vorschlagen. Unschlüssig stand sie vor den Knöpfen und schielte zu ihm hinüber.
„Nun drücken Sie schon“, befahl er ihr plötzlich, „von allein wird sich das Ding bestimmt nicht wieder in Gang setzen.“
Jetzt wurde er unverschämt. Aber Maria sagte nichts weiter, sondern betätigte nach kurzem Zögern die rote Notruf-Taste.
Sie hielt ihren Atem an. Eigentlich erwartete sie, dass sich durch eine Fernsprechanlage eine Stimme meldete. Aber auch jetzt geschah nichts weiter, als dass der rote Knopf zu blinken anfing. Allmählich wurde ihr mulmiger zumute. Wie lange sollten sie denn jetzt hier festsitzen?
„Wir müssen wohl warten“, sagte sie unsicher.
Ihr Mitfahrer schnaubte durch die Nase. „Es muss doch irgendwas passieren. Wozu gibt’s denn hier sonst diesen verdammten Notruf?“ Und dann drückte er selbst noch einmal den roten Knopf, und noch einmal, und noch einmal, und schließlich ein letztes Mal.
Maria musste aufpassen, dass sie von seiner Verzweiflung nicht angesteckt wurde. Nur die Ruhe bewahren, dachte sie, man wird uns bestimmt gleich helfen.
Das redete sie sich auch noch die nächsten zwei, drei Minuten ein, während ihr Mitfahrer wie ein Löwe im Käfig, auf und ab ging.
Wurde sich überhaupt schon um sie gekümmert? Es musste doch ein Signal in der Zentrale angekommen sein – oder funktionierte das Notruf-System womöglich gar nicht mehr? Es war schließlich ein schäbiges Haus, das mittlerweile überwiegend von osteuropäischen Einwanderern bewohnt wurde. Das Treppenhaus stank nach Urin und billigem Reinigungsmittel, der Putz blätterte ab und durch die Wände konnte man die streitenden Nachbarn hören. Und jetzt wo Maria darüber nachdachte, war es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis der Fahrstuhl einmal stecken bleiben würde.
Aber wie gesagt: Ihre Mutter wollte unverständlicherweise nicht weg von hier.
Pff, das Auf und Ab des Handschuh-Mannes machte sie ganz nervös. Vielleicht sollte sie anfangen mit ihm zu flirten? Er sah wirklich nicht übel aus, sportlich, ein wenig verwegen; sie fand ihn höchstens etwas zu dünn. Aber was sollte sie sonst machen? Die Zeit ging schneller rum, wenn man sich unterhielt, und vielleicht gelang es ihr, ihn ein wenig ruhig zu stellen.
„Wir könnten rufen?“, schlug sie vor, „vielleicht hört uns jemand.“
„Bringt doch eh nichts“, sagte der Mann.
„Sie geben aber schnell auf“, stellte sie fest, „man kann es doch wenigstens probieren.“
Daraufhin schwieg er wieder. Er war wirklich nicht sonderlich gesprächig und mit seinen Gedanken woanders. Er hatte es eilig, darauf wettete sie. Aber wer hatte das heutzutage nicht? Vielleicht war der Stillstand des Fahrstuhls ja ein Symbol für das mangelnde Innehalten der Gesellschaft, das Durchatmen. Für die fehlende Ruhe.
Seltsam, auf was für Gedanken sie hier kam.
Der Mann lehnte sich an die gegenüberliegende Wand und rutschte an ihr mit dem Rücken zu Boden. Seine Arme legte er auf die angewinkelten Knie. Er sah fertig aus, erschöpft. Mit einmal Mal tat er ihr irgendwie leid, wie er da auf dem Boden saß, den Kopf gesenkt, das Haar durcheinander, die Tasche neben sich abgeworfen.
Maria ging zur Fahrstuhltür und klopfte vorsichtig mit den Fingern dagegen. „Hallo“, sagte sie dabei, erst leise, weil sie sich dazu überwinden musste, aber dann immer lauter werdend. „Hallo“, rief sie, „ist dort jemand? Hallo, wir stecken hier fest.“ Sie horchte. Nichts.
Der junge Mann sagte plötzlich etwas.
„Bitte?“, fragte sie.
„Hören Sie auf“, sagte er.
„Aber da draußen muss doch irgendwann jemand lang kommen. – Hallo, wir brauchen Hilfe“, rief sie wieder etwas lauter.
„Jetzt hören Sie schon auf, verdammt.“
Maria hämmerte nun mit der Faust gegen die Fahrstuhltüren und versuchte dann, diese mit den Fingern einen Spalt breit aufzuschieben. „Hallo“, rief sie durch die Lücke, „ist da jemand?“
„Hören Sie damit auf, Mann“, brüllte der Mann plötzlich hinter ihr, „was verstehen Sie denn daran nicht?“
Maria fuhr erschrocken herum. Er war aufgestanden, stand ihr breitbeinig gegenüber, Zorn im Gesicht. Sekundenlang starrten sie einander in die Augen. Dann schien sich seine Mimik wieder zu entspannen; er warf ihr einen letzten wütenden Blick zu und kauerte sich wieder auf den Boden.
Maria spürte ihr Herz heftig schlagen. Was war bloß in ihn gefahren? Sie kümmerte sich die ganze Zeit darum, dass sie möglichst schnell wieder aus diesem engen, stickigen Gefängnis herauskamen und er schrie sie aus heiterem Himmel an.
Nur die Ruhe bewahren. Er war betrunken, mit Sicherheit. In diesem verdammten Haus lebten doch sowieso nur Säufer. Wenn Sie jetzt nicht weiter auffallen würde, dann ließ er sie auch sicher in Ruhe. Sie würde sich einfach in die Ecke stellen und auf die Rettung warten. Schweigend.
„Warum kann nicht einmal etwas glatt laufen? Warum muss immer irgendwas schief gehen?“, murmelte der Mann. Maria schwieg.
„Verstehen Sie das?“, fragte er. Sie tat so, als hörte sie ihn gar nicht. „Immer muss irgendwas dazwischen kommen. Und wenn man den letzten Stein auf den Turm setzt, dann kommt ein Windstoß und haut ihn um.“
In welchem Poesiealbum hatte er das denn gelesen?
Maria wollte raus hier, raus in die Freiheit, aber langsam bezweifelte sie, dass sich irgendjemand darum kümmerte. Rufen traute sie sich jetzt nicht mehr.
„Wissen Sie“, er klang verbittert, „ich hab grad meine Freundin umgebracht.“
Maria drehte abrupt den Kopf zu ihm. Was erzählte er da? Sie verstand ihn nicht, sie ließ ihn einfach erzählen. Versuchte sich abzulenken, dachte an ihren letzten Urlaub mit Nadine. In der Toskana waren sie gewesen.
„Hören Sie mich?“, fragte der Mann lauter und starrte sie an. Maria wandte ihren Kopf ab, schaute die Fahrstuhltüren an und stellte sich vor, wie sie sich jeden Moment zur Seite schoben und ihr den Weg in die Freiheit öffneten.
„Ob sie mich verstanden haben?“ Der Mann schrie wieder. Maria bekam Angst. Betrunkene konnten so unberechenbar sein. Warum hatte sie eigentlich nicht die Treppe genommen, verdammt?
„Ich hab grad meine Freundin umgebracht, verstehen Sie? Erstickt hab ich sie – ich bin ein Mörder. Tja, die Ehre hat man auch nicht alle Tage, mit einem … skrupellosen Mörder in einem Fahrstuhl eingesperrt zu sein.“
Wovon sprach er? Mörder? Maria hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, sie atmete durch den Mund. Einatmen, ausatmen. Weiß Gott, mit was der sich zugedröhnt hatte.
„Ich dachte eigentlich, ich hätte sie geliebt. Aber so groß kann die Liebe ja doch nicht gewesen sein, was?“ Der Mann lachte höhnisch; er hatte seinen Verstand verloren, eindeutig. Er war verrückt.
„Ich hab sie erwürgt, hab ihr die Luft zum Atmen genommen. Ich … ich hab das nicht geplant, es hat sich viel mehr, sagen wir, entwickelt.“
Er hatte seine Freundin erwürgt? Aber das meinte er doch nicht ernst, oder? Maria spürte, wie ihre Knie weich wurden, in ihrem Kopf brummte es. Was redete er da bloß?
„Naja, und dann, dann wollte ich natürlich so schnell wie möglich weg, ist ja klar. Weg vom Tatort. Bin in den Fahrstuhl gesprungen und jetzt das. Verdammter Mist.“
Er vergrub seinen Kopf in den Armen und stieß einen undefinierbaren Laut aus. Als bräche er im nächsten Moment in Tränen aus, hatte das Schluchzen aber gerade noch Runterschlucken können.
„Eigentlich war sie lästig“, sprach der Wahnsinnige weiter. „Ständig hat sie angerufen, wegen jeder Kleinigkeit. Wollte überall mit mir zusammen hingehen. Aber ich war ihr verfallen, das geb ich ja zu. Ja, ich hab sie geliebt. Wirklich.“
Er streckte die Beine aus und lehnte seinen Kopf gegen die Wand. „Tja, ich weiß, dass sie das jetzt nicht verstehen können.“ Er starrte an die Decke.
Maria beobachtete ihn mit in einer Mischung aus Ekel und Angst, konnte ein Zittern nicht mehr unterdrücken, obwohl es hier drin heiß und stickig war. Was war das für ein Mensch, der dort kauerte und etwas von Ersticken und Morden stammelte? Sie wollte raus hier, auf der Stelle.
Aber die Gegenwart des unheimlichen Mannes schien sie zu lähmen, sie wagte nicht mehr, sich zu rühren, geschweige denn, um Hilfe zu rufen.
Der Mann lallte gar nicht, im Gegenteil – er sprach laut und deutlich. Er stammelte nicht vor sich hin, nein. Maria spürte, dass jedes seiner Worte an sie gerichtet war; natürlich, es war ja sonst keiner im Fahrstuhl. Er schien das Bedürfnis zu haben, ihr diese Horrorgeschichte zu erzählen, wollte ihr – warum auch immer – Angst einflößen, und nun erwartete er von ihr, dass sie darauf reagierte. Dass sie etwas sagte. Er starrte sie an.
Aber Marias Mund war ausgetrocknet, ihre Zunge fühlte sich wie ein Fremdkörper an. Die Worte des Mannes hatten ihr die Stimme entzogen. Mit einem Mal war ihr so heiß, dass sie dachte, die Hitze könnte ihren Körper zersprengen.
„Wir haben uns im Lehmann kennengelernt“, sagte er dann. Maria öffnete überrascht den Mund. „Vor sechs Jahren. Damals hab ich noch gearbeitet, bei Petersen, dem Schlüsseldienst, der ist gleich nebenan.“ Ja, sie wusste nur zu gut, wo der Schlüsseldienst war. Auf dem Weg zur Arbeit kam sie jedes Mal an dem Laden vorbei.
„In der Mittagspause bin ich oft ins Lehmann gegangen. Und eines Tages hab ich dort Mel getroffen. Ich hab doch nicht geahnt, dass das Ganze so ausgehen würde.“
Sein Gesicht zog sich in Falten, er verbarg es hinter seinen Händen und das Schluchzen konnte er diesmal nicht mehr unterdrücken. Es klang echt und schmerzvoll, und Maria wusste nicht mehr, was sie fühlen sollte. Sie konnte sehen, wie es den Mann innerlich zerriss, wie es ihn schüttelte, wie er nach seiner Tasche trat. Papiere kamen hervor gerutscht.
Irgendwann hatte er sich wieder einigermaßen gefangen; er sah nun wirklich aus wie ein Verrückter. Der Wahn flimmerte in den Augen, seine Haare standen wirr von seinem Kopf ab. Eine erneute Panikwelle keimte in Maria auf, als sie ihn betrachtete - sie versuchte sie hinunterzuschlucken und nach Luft zu schnappen. Ihr war übel.
„Ja, und dann das Baby“, sagte er plötzlich.
„Das Baby?“, flüsterte Maria. Ihre Stimmbänder funktionierten noch. Halbwegs.
„Ja, sie war schwanger. Aber sie wollte das Kind nicht. Ich hab ihr gesagt, gemeinsam kriegen wir das schon hin … was man halt so sagt. Aber sie wollte es nicht. Dafür reichte ihr Vertrauen zu mir wohl nicht aus. Wissen Sie, was ich glaube?“ Er sprach ruhig. „Wissen, was ich glaube?“ Maria blickte ihn an, mit Furcht vor dem, was jetzt kommen würde. „Antworten Sie, wenn ich mit Ihnen spreche.“ Plötzlich schrie er sie wieder an. Haarsträhnen fielen ihm vor die Augen, er schob sie zur Seite. Maria zuckte zusammen, schüttelte wie hypnotisiert mit dem Kopf. Der Mann beruhigte sich wieder. Schwer atmend sprach er weiter.
„Ich wette, das Kind ist nicht von mir. Ich hab’s ihr angesehen. Sie hat sich nicht eine Sekunde lang über das Baby gefreut. Haben Sie Kinder?“
Maria wollte nicht mehr seiner Lebensgeschichte lauschen, wollte diesem Verrückten nicht mehr gegenüberstehen. Sie schüttelte den Kopf. Nicht einmal einen Freund hatte sie.
„Ich hätte gern Kinder. Aber nur von Mel. Nur von ihr.“ Es klang aufrichtig traurig, wie er es sagte. Sehnsüchtig.
„Tja, das ist meine Geschichte. Und was ist Ihre? Haben Sie auch jemanden umgebracht?“ Er kicherte kindlich.
„Ich bin Polizistin.“ Maria schaute ihm geradewegs in seine grünen Augen. Hatte sie das jetzt wirklich gesagt? Sie hatte keine Kontrolle mehr über ihren Körper, über ihre Sprache.
Für einen kurzen Augenblick schien ihr Gegenüber das tatsächlich zu glauben, dann erklang wieder sein dreckiges Lachen. „Netter Versuch“, stieß er hervor, „wirklich, netter Versuch.“
„Ich meine, ich … ich werde alles der Polizei erzählen“, stieß sie hervor. Musste man so etwas nicht sagen?
„Nein“, der Mann lachte wie über einen Witz, kriegte sich kaum wieder ein, „auch das nicht, Süße.“ Dann erhob er sich und kam auf sie zu. Seine Augen fixierten ihr Gesicht als wollte er sie mit seinem Wahn anstecken. Noch ein Schritt. Maria fühlte sich, als wäre sie einbetoniert, ihre Glieder waren unbeweglich. Und noch ein Schritt. Er stand nun direkt vor ihr. Sein Kopf kippte nach vorn, reflexartig schloss Maria ihre Augen. Als sie sie wieder öffnete, schaute sie geradewegs in die Pupillen des Wahnsinnigen. Er hatte sich mit den Händen an der Wand hinter ihr abgestützt, seine Arme führten an ihrem Kopf vorbei. Sie war gefangen.
„Du glaubst mir nicht mal, ich seh’s dir doch an.“ Sie konnte seinen Atem spüren. „Du wirst aus diesem Ding raus spazieren und dich fragen, ob das wirklich alles geschehen ist. Du wirst an dir zweifeln, an dir, deinem Verstand und deiner Erinnerung. Erzählen wirst du erstmal niemandem davon.“ Dann prustete er vor Lachen, Spucke stob ihr ins Gesicht. Maria wandte ihr Gesicht ab.
Der Mann stellte sich wieder aufrecht hin. Maria schnappte nach Luft.
„Ach, Spaß beiseite. Dir ist schon klar, dass du hier nicht lebend rauskommst, oder? Ich mein, jetzt wo ich dir alles erzählt habe …?“
Er entfernte sich wieder von ihr, Gott sei Dank. Er lehnte sich an die gegenüberliegende Seite. Maria bezweifelte, dass sie aus diesem Ding überhaupt jemals wieder hinauskam – lebendig oder nicht. Ihre Angst wuchs immer noch, aber langsam mischte sich noch so etwas wie Resignation hinzu. Und vielleicht verlieh ihr genau das wieder neuen Mut.
„Und außerdem“ – der Mann sprach nun wie beiläufig, in eine obere Fahrstuhlecke blickend – „werde ich heute Abend schon im Flieger nach Lissabon sitzen. Ich meine, so war das eigentlich geplant.“
Maria machte ihren Rücken gerade. Sie war vollkommen verschwitzt, ihr Unterhemd klebte am Körper. „Sie sind ein armseliger Mensch“, sagte sie. Einfach so. Nüchtern. Der Verrückte blickte sie wieder an. „Sie wollen abhauen?“, fragte sie ihn.
Ein Lächeln umspielte seine Lippen, aber seine Augen zuckten unsicher. „Naja, was heißt wollen. Eigentlich würde Mel heute Abend fliegen, aber die … die kann ja jetzt nicht mehr.“
„Ihre Mel wollte heute Abend nach Lissabon fliegen, ohne sie?“ Maria fand ihre Sprache wieder, ihr Körper taute auf. Irgendwann würden sie hier drin sowieso verhungern.
„Ja – und noch was: Ich hab ihr das Geld dafür gegeben. Mein allerletztes Geld. Die Reise nach Portugal war ihr Traum, und den wollte ich ihr erfüllen.“
Wenn das stimmte, war er von seiner Mel tatsächlich ausgenutzt worden. Verspürte sie jetzt so etwas wie Empathie mit diesem verrückten Geschichtenerzähler? Nein, ganz sicher nicht.
„Sie wurde auf der Straße angesprochen, ob sie sich vorstellen könnte, zu modeln. Ja, so hübsch war sie. Verdammt hübsch. Sie hätte viele Männer haben können, aber, nein, sie hat sich für mich entschieden. … Jedenfalls – sie hat seit zwei Monaten für eine Modelagentur Shootings gemacht und jetzt eben ´n Auftrag aus Portugal bekommen. Sie hat was von ‚großer Karriere‘ gestammelt und dass sie mir das Geld auf jeden Fall zurückzahlen würde.“
„Wenn man schwanger ist, kann man nicht modeln“, stellte Maria fest.
„Ja, gerade jetzt kommt wieder alles zusammen, oder wie? Nein.“ Er presste die Lippen zusammen. Seine Augen glänzten wieder von den angestauten Tränen. Nicht vom Wahn. Vielleicht ein Mix aus beidem. „Ich hatte Angst … Angst, dass sie nicht zurückkommen würde aus Portugal.“
„Ah, und deshalb bringen Sie sie um“, sagte Maria mit sarkastischem Verständnis. Ihr dämmerte, dass sich der Mann aufspielte, Gefallen an seiner Macht gefunden hatte. Aber jetzt war sie an der Reihe.
„Jetzt sage ich Ihnen mal was.“ Sie schluckte und suchte nach passenden Worten. „Erstens: Sie werden mich ganz sicher nicht umbringen, das wär ja offensichtlich. Zweitens: Sie wollen mit den Papieren Ihrer Freundin nach Lissabon fliegen, wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Womöglich wollen Sie auch noch ihren Model-Job übernehmen und hoffen, dass keinem etwas auffällt. Und drittens: Sie hätten mal im Ansatz versuchen können, Ihre Freundin zu verstehen. Und sie nicht gleich …“ Gott, was tat sie hier eigentlich? Es war doch absurd. Das konnte doch nicht real sein. „Ich wäre auch lieber in Portugal als in diesem versifften Loch.“
„Sie wohnen hier?“
„Ich? Äh … nein, meine Mutter.“ Warum erzählte sie ihm das?
„Ihre Mutter lebt hier? Kann Sie sich nichts anderes leisten?“
„Sie … sie will hier bleiben. Sie fühlt sich hier scheinbar zu Hause.“ Sie musste irgendwie das Thema wechseln, aber über seine Probleme wollte sie auch nichts mehr hören.
„Ja, ja, ältere Damen können schon ganz schön starrköpfig sein“, sagte er, als wüsste er genau, wovon sie sprach.
„Und Ihre Eltern …?“, fragte Maria.
„Tot“, sagte ihr Gegenüber.
„Ermordet?“
Der Mann lachte. „Ich bin zwar jetzt wohl ein Mörder, was aber nicht heißt, dass ich meine ganze Familie ermurkse.“
„Haben Sie ein Bild Ihrer Freundin dabei?“, fragte sie ihn.
„Sie wollen Sie sehen?“ Maria nickte.
Der Mann hob seine Tasche vom Boden. Die Papiere rutschten Maria vor die Füße, doch er beachtete sie nicht weiter. Vielmehr schien er damit beschäftigt zu sein, in seiner Tasche herumzukramen. Maria warf einen unauffälligen Blick auf den Boden. Zerknittertes Papier und … war das sein Reisepass, der dort lag?
„Hier“, sagte der Mann, zog sein Portmonee hervor und hielt es ihr unter die Nase. Die Tasche schmiss er wieder achtlos in die Ecke.
In einem durchsichtigen Seitenfach der Geldbörse steckte ein Foto einer jungen Frau: blonde Haare, dunkle Wimpern, schmale Nase – sie war wirklich hübsch, andererseits aber die typische Modelfigur. Ihren Arm hatte sie wohl über die Schulter einer Person neben ihr gelegt, doch dort war das Foto unsanft abgerissen worden. Auf seinem Handy hatte er kein Bild von ihr?
„Und die liegt jetzt also … erdrosselt … in ihrer Wohnung?“ Maria konnte es noch immer nicht fassen – ebenso wenig aber, dass sich der Mann sich solche Geschichten ausdachte. Und warum erzählte er gerade ihr von einem Mord?
Der Blick des Mannes schien sie zu durchdringen. Da war er wieder, der Wahn.
Nein, bitte nicht. Wieso hatte sie nicht einfach ihren Mund gehalten, wie sie es sich vorgenommen hatte. Maria war dieses Spiel leid.
Sie machte einen Schritt nach vorn und stellte sich mit dem linken Fuß unbemerkt auf den Reisepass. Den rechten Fuß zog sie schnell hinterher und hoffte inständig, dass der Pass nun vollständig unter ihren Schuhen verschwunden war.
„Finden Sie es nicht eigentlich merkwürdig, dass uns keiner zu Hilfe kommt?“, sprach der Mann. Die Ruhe in seiner Stimme machte sie nur noch bedrohlicher. „Ich mein, wie lange stecken wir hier schon fest? Zehn Minuten, zwanzig? Seltsam, nicht wahr, sehr seltsam.“
In der Tat, er hatte sie durchschaut. Maria fand es nicht nur seltsam – für sie war diese Ungewissheit, die Ahnungslosigkeit das Schlimmste. Sie hatte das Gefühl, draußen könnte die Welt untergehen, ohne dass sie davon etwas hier drinnen, in diesem verschlossenen, engen Quader mitbekommen würden. Sie hatte keine Ahnung, ob sich überhaupt irgendein verdammter Fahrstuhl-Notdienst-was-auch-immer um ihre Befreiung kümmerte. Der rote Knopf blinkte unaufhörlich.
„Du wirst hier gewiss nicht lebend rauskommen, ich hab alles arrangiert. Ich kenne den Hausmeister sehr gut, er lässt die Schlüssel bei Petersen fertigen. Natürlich zu einem sehr guten Preis. Zu einem zu guten Preis, wie ich immer fand. Aber heute ist der Tag, an dem er mir zeigen kann, wie dankbar er uns wirklich ist. Und wie man sieht – sehr dankbar.“
Marias Puls begann wieder anzusteigen; sie spürte förmlich, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. Worauf wollte der Mann hinaus?
„Ich hab dich hier schon öfters gesehen. Ich kenne deine Mutter, und ich mag sie. Sie erinnert mich irgendwie an meine. Sie möchte hier ihren Lebensabend verbringen, aber du, du möchtest sie aus dieser Umgebung herauszerren. Das ist nicht nett.“
Er hielt ihr ernsthaft einen Vortrag darüber, wie man mit seiner Familie umgehen sollte? Das war doch krank. Außerdem hatte ihre Mutter nie auch nur ein Wort über die Nachbarschaft verloren.
Trotzdem fühlte sich Maria, als habe man ihr einen Strick um den Hals gelegt, der langsam immer enger zugezogen wurde. Sie drückte ihre Hände gegen die Wand, als der Mann wieder näher kam.
„Sie hat mich damit beauftragt, dir mal, sagen wir, ein wenig Druck zu machen. Und wie du dir jetzt vielleicht denken kannst – ich zögere nicht lange.“ Sein Gesicht war wieder ganz dicht vor ihrem. Eine Berührung – er streichelte ihre Hand. Maria zog sie hinter ihren Rücken.
„Sie lügen“, stieß sie hervor, „das ist alles nicht wahr. Sie … sie sind ein widerliches … Arschloch.“
Der Mann schien die Beleidigung zu überhören. Er kam nun so nah, dass sich ihre Nasenspitzen schon fast berührten. Maria stand regungslos da, versuchte dem Blick des Mannes standzuhalten. Er hatte ihr einiges über sich erzählt, nur seinen Namen kannte sie noch immer nicht.
Spucke sammelte sich in ihrem Mund.
Der Mann hob seine rechte Hand und streichelte ihr damit über die Wange. Seine Lippen näherte sich den ihren an. Sie waren blass, als lohnte es nicht mehr, sie mit Blut zu versorgen. Der Mann wisperte etwas, Begierde lag in seinem Blick.
„Sie sind zwar bei weitem nicht so hübsch wie meine Freundin, aber doch ein guter Ersatz.“
Maria spuckte ihm ins Gesicht. Zwei Mal. Die Tropfen landeten auf seinem Nasenflügel und in seinen Augen. Der Mann blinzelte, wischte sich mit der Hand über Gesicht, aber er blieb vor ihr stehen.
„Hallo, können Sie mich hören?“ Eine dumpfe Stimme von draußen.
Ein ganz neues Gefühl der Erleichterung durchströmte Marias Körper. Sie konnte ihre Glückstränen gerade noch verbergen. Nein, vor diesem Verrückten wollte sie keine Schwäche zeigen.
„Ja“, rief Maria, „wir sind hier drinnen.“ Stehen bleiben, bloß nicht bewegen.
Endlich rückte der Mann von ihr ab.
„Nicht erschrecken, der Fahrstuhl wird sich gleich wieder in Bewegung setzen“, sagte die Stimme.
Das Rauschen des alten Lifts kam ihr nach dieser Stille vor wie Donnergrollen, aber es war auf einmal so unendlich vertraut und klang angenehm. Der Fahrstuhl ruckte auf und setzte tatsächlich seine Fahrt fort. Es war nur noch ein sehr kurzes Stück, dann hielt er an und die Türen schoben sich zur Seite. Maria blickte in das Gesicht eines bärtigen Mannes.
„Ist alles in Ordnung? Sie sehen sehr blass aus“, fragte dieser.
„Alles ok, vielen Dank“, sagte Maria. Sie musste sich erholen von diesem Horrortrip, musste unbedingt an die frische Luft. Ihr Mitfahrer griff nach seiner Tasche, hob die zerknitterten Papiere auf und flüsterte ihr im Vorbeigehen ins Ohr: „Sie waren gut, verdammt gut.“
Dann schritt er eilig davon.
Erst jetzt schloss Maria für einen kurzen Moment die Augen, bückte sich und zog den Reisepass unter ihren Füßen hervor.

ENDE

 

Hallo AusDemFF,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Wie du die beiden Personen beschreibst, Die Gefühle Marias zwischen Neugierde und Unsicherheit und die des vermeintlichen Mörders, zwischen Wahn und Verzweiflung, ist dir glaubhaft gelungen. Während du die Charakteriesierung Marias vorwiegend über das Verhältnis zu Ihrer Mutter definierst, lebt der Wesenszug des Mannes in dem, was er erzählt. Blufft er nur, oder ist er wegen seiner Tat wirklich hin- und hergerissen? Ich konnte ihn mir sehr gut vorstellen.
Solche Geschichten, wo der Aufzug stecken bleibt, kennt man ja. Dass die gefangenen Personen wieder heraus kommen, ist ja klar. Ist nur die Frage, wie und was bleibt zurück?
Anstatt einer spektakulären Befreiungsaktion, wo es um Leben und Tod geht, hast du eine subtilere Variante verwendest, und hallt nach dem Lesen noch ein wenig nach. Auch dein flüssiger Schreibstil gefällt mir gut.

Viele Grüsse und Willkommen im Forum.

Plan B

 

Hallo AusDemFF

Mich hat die Geschichte nicht sehr überzeugt, da meiner Meinung nach sich Spannungsmomente kaum erfüllen. An sich, ist es durchaus ein Thema, das in eine Kurzgeschichte passt. Die Atmosphäre, die Dialoge, die Gedanken und Handlungen geben mir als Leser jedoch nicht recht das Gefühl, dass die Frau hier in einer wirklich bedrohlichen Situation steckte.

Der Mann, der zu ihr in den Fahrstuhl stieg, trug schwarze Lederhandschuhe und eine abgenutzte braune Tasche, die angesichts seiner schmalen Figur umso voluminöser wirkte.

Im Einstiegssatz legst Du den Schwerpunkt auf Handschuhe und Tasche. Kein Wort über einen Mantel. Nirgends kommt später ein Querverweis, der das tragen von Handschuhen legitimiert. Hätte er seine Freundin im Affekt getötet, wäre dies ein unnötiges Indiz. Seine Fingerabdrücke und Spuren wären am Tatort ohnehin auffindbar.

Ihre Wohnung würde sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr verlassen, und Besuch bekam sie nur von Maria und höchstens Mal von Frau Lieberknecht, der Nachbarin.

Jemand der die Wohnung nicht mehr verlässt, die Treppen nicht mehr steigen kann und vor dem Lift Angst hat, kann unmöglich ohne Hilfe allein leben. In solchen Dingen sollte man sich an der Realität orientieren, da der Leser sehr schnell aufmerkt, wenn das Zusammenspiel nicht stimmt.

Der Mann hängte sich die Tasche wieder um die Schulter.

Das wieder bedingte, dass er sie vorgehend in dieser Position hatte. Also ist es eine Umhängetasche die er vorher in der Hand hatte.

Der Dreitagebart und die zerzausten Haare ließen ihn leicht ungepflegt erscheinen, was ihn für Maria aber umso attraktiver machte.

Eine Frau die auf ungepflegte Männer steht dünkt mich eher eine seltene Variante. Vielleicht wenn ein Mann etwas Verwegen wirkt, der früheren Marlboro-Werbung vom Cowboy entstiegen aussieht, aber ungepflegt, das nehme ich dem Autor nicht ab.

Der Aufzug machte keine Anstalten, weiter zu fahren oder seine Türen zu öffnen, und gab auch sonst kein wirkliches Lebenszeichen von sich. Nein, bitte nicht.

Die ganze Szene, wie der Lift stecken bleibt, wie sich die beiden da verhalten, wirkt mir etwas geziert. Sie durften von der Annahme ausgehen, er sei stecken geblieben, da sich die Türe nicht ohne Verzögerung öffneten. Ein, oh Nein, genügt da, ein sofortiges Betätigen der Knöpfe die normalste Reaktion.

„Oh, Shit“, sagte der Mann, „was soll das denn jetzt, ey?“

Was soll das ey, es macht ihn nicht männlicher, klingt mir eher nach Comic.

„Haben Sie einen wichtigen Termin?“, fragte Maria. Auch sie war genervt von dem plötzlichen Stillstand des Fahrstuhls, aber ebenso überrascht von der Reaktion des Mannes.

Die Frage dünkt mich unpassend, ihre Schlussfolgerung nicht plausibel. Es ist doch eben normal, dass man erst die Knöpfe drückt.

„Hier muss es doch irgendwo einen Not-Knopf geben“, sagte Maria und studierte die Tastatur. Ja, wahrscheinlich der rote.

der Rote. Es ist nicht nötig jeden ihrer Gedanken zu umschreiben, dass ein roter Knopf für den Alarm steht, ist an sich klar.

Es geht in dieser ausschweifenden Darstellung so durch das ganze Stück. Ich hatte kaum den Eindruck, Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei Menschen zu sein, die einen solchen Vorfall wirklich erleben.

„Wissen Sie“, er klang verbittert, „ich hab grad meine Freundin umgebracht.“

Welchen Grund sollte er haben, ihr das zu erzählen? Die Situation war bisher nicht dazu angetan, dass er zu ihr Vertrauen fasste oder er unter der Last seiner Schuld zusammenbrach. Sein unnötiges Schreien vorgehend deutete eher auf ein cholerisches Temperament hin.

Maria beobachtete ihn mit in einer Mischung aus Ekel und Angst, konnte ein Zittern nicht mehr unterdrücken, obwohl es hier drin heiß und stickig war.

Das Fettgesetzte ist in diesem Satz nicht stimmig. Es würde voraussetzen, dass man nur bei Kälte zittert. Lässt Du es weg, ist es für den Leser klar, dass sie aus Angst und Nervenanspannung zittert.

Mit einem Mal war ihr so heiß, dass sie dachte, die Hitze könnte ihren Körper zersprengen.

Unwirkliche Beschreibung. Eher vielleicht, vor Hitze könnte sie einen Kreislaufkollaps erleiden.

Der Mann wisperte etwas, Begierde lag in seinem Blick.

Im Kontext zum Vorgehenden ein völlig unrealistisches Bild. Wäre er ein Typ, der seine Hemmungen in einer solchen Situation ablegt, hätte die Handlung bereits früher einen andern Verlauf genommen.

„Alles ok, vielen Dank“, sagte Maria. Sie musste sich erholen von diesem Horrortrip, musste unbedingt an die frische Luft. Ihr Mitfahrer griff nach seiner Tasche, hob die zerknitterten Papiere auf und flüsterte ihr im Vorbeigehen ins Ohr: „Sie waren gut, verdammt gut.“

Auch diese Szene nehme ich Dir nicht ab. Sie würde in diesem Moment schweigen oder sich um Hilfe flehend artikulieren.

Erst jetzt schloss Maria für einen kurzen Moment die Augen, bückte sich und zog den Reisepass unter ihren Füßen hervor.

Hm, war wohl als Pointe gemeint, doch es greift nun nicht mehr, da es einfach auseinanderläuft.

Übrigens das ENDE muss nicht speziell erwähnt werden.

Um literarisch eine solche Handlung plausibel umzusetzen, braucht es ein sorgfältig durchdachtes Szenarium, in dem psychologisch jeder Satz sich fügt. Die Dialoge und Gefühle müssen dem Leser als spürbare Angst auftreten, er muss mitzittern, wenn es gelingen soll. Gewiss kein leichtes Unterfangen, aber Du hast Dir das Thema selbst gewählt.

Wenn Du mehr daraus machen möchtest, fange mal an zu streichen was zu Realitätsfern ist. Versuche Dich in die Frau und den Mann hineinzuversetzen, wenn beide unter Anspannung dies erleben. Wie sie handeln würden. Desto realitätsnäher Dir dies gelingt, desto mehr könnte es an Spannung gewinnen. Hast Du es umgeschrieben, dann achte nochmals darauf was Floskeln sind, wirf sie ebenso raus. Ich kann es mir als gerafftes Stück durchaus gelingend vorstellen, nur das Ende müsste mehr hergeben. Eine Überraschung bergen, auf die der Leser nicht gefasst ist.

Also lass Dich nicht entmutigen, wenn ich Deine Geschichte zerzauste, aber ich sehe in dem Stoff viel mehr Potential als Du den Lesern vorgelegt hast. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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