Was ist neu

Streunende Ratten

Mitglied
Beitritt
15.02.2003
Beiträge
25
Zuletzt bearbeitet:

Streunende Ratten

Streunende Ratten


Ein Hund, seines Zeichens Streuner, wühlte in den Mülltonnen hinter einem High-Society Restaurant nach Essbarem. Regentropfen fielen in einem solch schrägen Winkel vom Himmel, dass sie, ohne den Gehörgang zu berühren, gegen sein Trommelfell klopften. Dementsprechend ging es dem Köter. Sein struppiges graues Fell klebte ihm am, unterernährt wirkenden, Körper und er nieste nun schon sicher zum fünften Mal an diesem Abend. Stimmungshebend wirkte sich der Geruch von Pizzaresten, der einer nahen Mülltonne entströmte, aus, rettete dem Streuner somit den bislang verhundsten Tag. Die Tonne hatte keine Zeit an Protest oder gar Gegenwehr zu denken, schon rollte sie, ihren Inhalt über den Straßenrand ausspuckend, über den Boden. Für viele Lebewesen mochte die Zusammenstellung dieses Abendessens dürftig, vielleicht sogar widerlich erscheinen, für den Köter stellten die zusammengemantschten Reste diverser Mahlzeiten anderer Leute ein delikates Mahl dar. Speichel sammelte sich in seinem Maul, noch bevor seine Geschmacksnerven mit dem Festmahl in Berührung gekommen waren. Kaum zu glauben wie viel Hunger bewirken konnte. Von glucksenden Knurrgeräuschen aus der Magengegend einmal abgesehen, schaffte Hunger es auch, dass eine rohe, leicht angegammelte Kartoffel nach dem Paradies auf Erden schmeckte. Trotz dieses eindeutig positiven Aspekts, schienen alle Tiere und die meisten Menschen nur ungern zu hungern.

Er machte sich daran die Zusammensetzung seines Abendessens genauer in Augenschein zu nehmen, als er ein gedämpftes Geräusch vernahm. Knurrend rotierte er um die eigene Achse, bereit seinen Futterneidern in die Wade zu beißen, seien es nun vier oder zwei. Nichts war zu sehen, also wandte er sich wieder der Beschäftigung zu, die er zuvor unterbrochen hatte und fuhr fort an einem Stück Pizza zu kauen. Viele von uns würden sich wundern, wie ranzig eine >Margherita< sein kann. Sogar die Tomatensauce wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben und versuchte sich klammheimlich von dem restlichen Pizzabelag zu trennen. Das Geräusch wiederholte sich. Nun konnte der Streuner es klarer definieren. Ein Kratzen aus einer nahen Mülltonne. Aus Vorsicht und vielleicht sogar ein wenig aus Neugier fasste er den Entschluss die Tonne genauer zu inspizieren. Kreischen, vermutlich außerhalb des menschlichen Wahrnehmungsvermögens liegend, und Rumpeln ertönte aus besagter Tonne, beinahe so, als würde sie von lebensgefährlichen Leibeswinden geplagt. Wenn der Streuner in den Genuss der viel gerühmten österreichischen Schulbildung gekommen wäre, hätte er auf der Vorderseite >Restmüll< lesen können. Doch wenn man Fell und Pfoten sein eigen nannte, bekam man nur schwerlich eine offizielle Staatsbürgerschaft und so war ihm diese Möglichkeit verwehrt geblieben.

Um genaueres feststellen zu können stupste der Köter den Deckel, der ohnehin locker auflag, mit der Schnauze an. Der Deckel fiel zu Boden und kam, nachdem er einige Kreise gezogen hatte, lautstark zum Liegen. Einem Reflex folgend, der ihm vielleicht das Leben gerettet hatte, sprang der Hund ein Stück zurück. In der Tonne rollte ein undefinierbarer Ballen aus Fell, Pfoten und Zähnen von einer Seite auf die andere. Zischende Laute die man nur mit viel Phantasie einem atmenden Wesen zuschreiben konnte, erfüllten die Luft.

„Wie kanntht du eth wagen, du hinterhältiger Rattenthon!“

Schnelle hatte er sich von dem ersten Schreck erholt und beobachtete das, sich heftig bewegende, Knäuel mit gelindem Interesse.

„Thelber Ratte!“

Auf diese Worte folgten wiederum gutturale Laute und Kraftausdrücke, die sich in menschliche Sprache nur schwer übersetzen lassen.

„%*§~°$!“
„Kommunitht!“

Der Streuner machte durch ein tiefes Knurren auf sich aufmerksam. Das Knäuel entwirrte sich blitzartig und zwei Ratten kamen zum Vorschein. Ihr Erscheinungsbild ließ sich mit einem Wort beschreiben: Bemitleidenswert.
Fell hing büschelweise von der Haut, ließ blutige Wunden erahnen, Augen waren zugeschwollen, Nasen waren angeknackst. Der Schwanz der etwas größeren Ratte stand in einem schier unmöglichen Winkel vom Körper ab und hatte die Form eines Fragezeichens angenommen. Der anderen Ratte ging es nicht besser. Ein Ohr war zur Hälfte vom Kopf abgetrennt und eine halbrohe Nudel hatte sich um ihren Hals geschlungen, die sich nun dekorativ zu einer Fliege verflochten hatte. Beide sahen irritiert zu dem Störenfried auf.

„Wath tholl dath denn, wenn ich fragen darf?“
„Ja, wer thtört?“

Übermäßig große Vorderzähne verhinderten offensichtlich eine saubere Aussprache.
Ein >s< verkam so, schnell zu einem genuschelten Zischlaut. Das schien die Nager jedoch nicht davon abzuhalten, in jedes Wort eine Betonung zu legen, die eigentlich für einen ganzen Satz gereicht hätte. Der dramatische Effekt wurde durch eine überaus langsame Sprechweise noch unterstrichen. Egal was der Inhalt dessen war, was über die Lippen der Ratten kam, immer lächelten sie gewinnend. Dieses Hochglanzlächeln war dank jahrelangen Trainings in der Gesichtsmuskulatur verankert, wirkte eher aufklebt als natürlichen Ursprungs. Um es lebendig wirken zu lassen, wäre weiterhin regelmäßige Übung empfehlenswert. Vielleicht sollte man auch dem Umstand mehr Beachtung schenken, den Gesichtsausdruck an das Gesagte bzw. Gehörte anzupassen. Der Streuner blinzelte ein paar Mal ungläubig und konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Angesichts dieser offensichtlichen Geringschätzung ihrer Wenigkeit zogen beide Nager eine Schnute.

Die Ratten sahen herausfordernd zu dem Hund auf, schienen sich nicht im Geringsten Bewusst zu sein, dass ihr Gegenüber in der Übermacht war. Vielleicht übersahen sie es auch absichtlich. Wenn dieser wollte, konnte er sie mit einem Schnippen seiner Zeigekralle ins Nirwana befördern. Dieser Unbesiegbarkeitstick zeichnete alle Ratten aus. Glaubten sie doch tatsächlich, die Radieschen niemals von unten anknabbern zu müssen, egal was sie taten und wie sie es taten. Doch der Hund ließ Gnade vor Recht ergehen, legte stattdessen nur den Kopf schief. Eine Weile blieb es mucksrattenstill, bis der Fliege tragende Nager verstand wie diese Geste gemeint war.

„Ich bin Thüthl.“, verkündete sie stolz, „ich bin hier der Both!“
„Und ich bin Hay-da, und ich bin der Both hier!“,
fiel die andere ein und zeigte dabei mit einer weit ausholenden, reichlich dick
aufgetragenen Geste auf sich. Gleich darauf rollten sie wieder in der Tonne auf und ab. Während sie sich mit bitterbösen Worten wie „Hippie!“ und „Thelber!“ bewarfen und über Bananenschalen, sowie Halbverdautes schlitterten, konnte der Streuner einen Blick auf den eigentlichen Grund dieses verbissenen Kampfes erhaschen. Sie rangelten sich augenscheinlich um einen Schimmelkäse. Wenn er sich nicht sehr irrte, handelte es sich um ein Stück streng riechenden >Österkrons<. Er rümpfte seine empfindliche Nase. Was Schimmel anbelangte kannte er sich aus und dieser Käse hatte seine beste Zeit eindeutig hinter sich. Obendrein war es seltsam geformt, so als hätte es lange Zeit in der Sonne gelegen. Die Umrisse glichen einem ausgeklopften, ledrigen Schnitzel, dessen hinterer Teil obskur geformt war. Ein solches Schnitzel würde ein Haubenkoch, der etwas auf sich hielt, verschmähen und in den Müll werfen.

Schließlich wurde es dem Hund Leid bei diesem Zweck- sowie Hirnlosen Gerangel zuzusehen. Noch ein paar Gesprächsfetzen aufschnappend, beschloss er, dem ein Ende zu setzen und klopfte vorsichtig gegen den Rand der Tonne.
„Jettht nicht!“, kam die einstimmige Antwort.
Der Streuner beschloss sein Anliegen so freundlich wie möglich zu formulieren. Er bellte einmal kurz und für Hundeverhältnisse sehr leise. Die modisch im Trend liegende Ratte wandte den Kopf und bedachte ihn mit einem abfälligen Blick.

„Thtrathenköter haben hier gar nikth thu melden. Dath itht Rattenthache! Autherdem gehört dath mir!“

Gesagt, getan und schon klemmte sich Thüthl den Käse wie eine Aktentasche unter den Arm und versuchte sich aus dem Staub zu machen. Weit kam er nicht. Hay-da tauchte aus dem Nichts auf und stellte ihm ein Pfötchen. Thüthl fiel vornüber, Hay-da stürzte sich auf ihn und schon existierte für beide nichts anderes mehr, als ihr Kontrahent. Die Nager gaben Dinge von sich, die sie in der Öffentlichkeit mit Sicherheit nicht einmal geflüstert hätten. Eher würden sie sich eigenpfotig den Schwanz abbeißen...


Hunde waren als genügsame, geduldige Tiere bekannt, doch alles ließen sie wiederum sich wiederum nicht gefallen. Mit anderen Worten: Dem Streuner platzte der imaginäre Kragen.
Mit Vernunft war dem wohl nicht beizukommen, es blieben also nicht viele Optionen übrig.

Ehe die Nager vollends registriert hatten was vor sich ging, waren ihre Schwänze auch schon am Boden festgenagelt. Der Streuner bändigte jeweils eine Ratte mit einer Pfote, hinderte sie so an der Flucht. Ein verängstigtes Quieken brach ruckartig ab, als Thüthl in des Hundes Schlund verschwand. Der strampelnde Hay-da folgte unmittelbar darauf. Ein paar Mal kauen und die Sache war gegessen. Schmeckte zwar widerlich, aber die Ruhe, die nun das Ohr umschmeichelte, war es allemal Wert.

Es regnete zwar immer noch und der Hund spürte eine Lungenentzündung herannahen, doch wenigstens war sein Magen gefüllt. Als er der Tonne schon den Rücken zugewandt hatte, sah er aus den Augenwinkeln, wie sich eine zerzauste, leicht in die Jahre gekommene, Ratte klammheimlich über das Stück Österkron hermachte. Ihr auf der Ferse folgten eine Handvoll jüngere Nager, die tapsig in der Mülltonne herumkrabbelten und versuchten möglichst wenig Lärm zu verursachen. Die hinzugekommenen Ratten konnte von Glück reden, dass der Streuner schon eine ausgiebige Mahlzeit hinter sich, besser gesagt in sich hatte.
So blieb ihnen das Schicksal, das vor wenigen Augenblicken zwei andere Nager ereilt hatte, erspart. Zögerlich hielt die Rattenältetste das Käsestück in den Vorderpfoten, besah es sich genauer, schnupperte daran und nickte befriedigt. Sie hielt den Österkron hoch über den Kopf, wie man einen Pokal in die Höhe hält wenn man ein Wettrennen gewonnen hat, und die sie umkreisende Meute klatschte Beifall. Es kamen immer mehr und mehr Nachzügler und platzierten sich um den Käse, jeder wollte ihn einmal in Pfoten halten. Nachdem dieses Ritual vollzogen war, gab es ein nicht zu verachtendes Festmahl. Jede Ratte, ob groß, klein, jung oder alt, bekam ein Stück. Der Österkron war nach wenigen Sekunden regen Herumgereiches nicht mehr vorhanden.

Der Streuner überlegte angestrengt. Wie hieß es doch gleich?
Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte... oder der Rest der Welt?
Was sich für Menschenohren nach einem hechelnden Hustenanfall anhören musste, war in Wirklichkeit ein herzhaftes Hundelachen. Das Leben war ein Krampf, das wusste er, hatte sich diese Weisheit doch schon oft genug für ihn bestätigt.
Nun war er um eine Erfahrung reicher:
Das Leben hatte auch den ein oder anderen Witz, oder wenigstens schmerzlindernde Salbe, parat. Man musste nur wissen, wo man nachzusehen hatte. Meistens lässt es sich in Mülltonnen finden, aber das war keine Neuigkeit für ihn. Leise rülpsend und sich des Daseins freuend, machte er sich auf den Heimweg.

 

sprachlich gesehen 1a und auch die "moral" bzw. die kritik ist gut verpackt. nur ein schnitzer hat mir arg missfallen:

„Thtudienbeitragtherhöhung!“
„Nein, Thteuererhöhung!“
„Abfangjäger!“
„Nein, Atombomben!“
„Abthaffung der Demokratie!“
„Welche Demokratie?“
„Krieg gegen alle Länder, deren Anfangthbuchthtabe >Ö< itht!“
„Nein, Krieg gegen alle Länder, deren Anfangthbuchthtabe nicht >Ö< itht!“
„Hä?“
„Nein, Weltherrthaft!!!“

das ist zu offensichtlich und passt auch garnicht zu den ratten. vielleicht wolltest du den leser deine kritik genau auf die nase setzen, aber so sprichst du ihm irgendwie schläue ab. mir wäre die verpackugn, die du auch im rest der geschichte verwendest doch um einiges lieber, zumal du das auch wirklich gut erzählst ;)...

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus und danke für den kurzen, sehr aufschlussreichen Kommentar!

Ich hab die Geschichte schon ein paar Leuten zum lesen gegeben und sie haben alle nur gelächelt, genickt und "Hmhm" von sich gegeben. Danke also, dass du das nicht so gemacht hast. Die Stelle war mir von anfang an suspekt, ich hab sie aber dann doch drin gelassen, frag mich nicht warum. Wird auf jeden Fall gleich geändert bzw. vorerst nur rausgelöscht, da muss ich mir noch was überlegen. Hmmm... bei näherer Betrachtung hat die Stelle auch etwas von "Pinky&Brain"... :o

Liebe Grüße,
Liusaidh

Edit.: Das hab ich ja glatt vergessen: Danke für das liebe Lob was meinen Erzählstil betrifft, das freut mich echt! :D

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom