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Superheld

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21.10.2001
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Superheld

Wie alle Autoren war auch er sich sicher, daß auf sein Buch die Welt schon immer gewartet hatte. Er mußte es nur endlich fertig bekommen. "In 100 Schritten zum Superhelden!" war seine Antwort auf die zunehmend absurdere Welt der Superlative. Mußten bislang unbekannte Zeitgenossen sich gegenseitig in Sinnlos-Disziplinen wie Pfahlhocken oder Kuhfladenweitwurf oder in Destruktivität beim Amoklaufen und Geisterfahren überbieten, um wenigstens zu einer kurzen Randnotiz des öffentlichen Bewußtseins zu werden, hatte er sich auf längst verloren scheinende Werte besonnen. Auf dem Weg zum garantierten Endruhm mußte man allerdings alle Schritte mindestens einmal absolviert haben. Daß die ersten 10 nur mit Omas und Schwangeren zu tun hatten, machte natürlich noch niemanden zum Helden. Eigentlich hatte er sich nur für eine Erwähnung entschieden, weil es bestimmt eine Menge Leute gab, die davon zum erstenmal hörten oder es zum erstenmal für erstrebenswert hielten, mit Dingen wie anderen Türen aufhalten, Sitzplätze anbieten oder Einkaufstaschen tragen, nach und nach die Welt auf sich aufmerksam zu machen. Und lächelnd dachte er schon an erste bedeutungsvolle Kinderstimmen, die flüsterten: "Mama, wenn ich mal groß bin, will ich auch so ein Türaufhalter werden, wie der Mann im Supermarkt. Alle haben ihn lieb und kennen ihn."
Ja, Kinder können wirklich naiv sein. Daher hatte er zu ihrem Schutz auch noch ein paar Schritte miteingeflochten. Von nun an dürften sie sich länger an Nicht-von-Zigaretten-zerplatzenden-Luftballons freuen und auf nicht mehr zugeschissenen Spielplätzen eine unbeschwertere Kindheit verbringen. So mußte die Welt einfach besser werden oder wenigstens nicht schlimmer.
Ab 50 begannen dann die wirklichen Herausforderungen: Nimm an möglichst vielen Fernsehshows teil und mache in möglichst dümmlicher Art auf dich aufmerksam. Halte immer Ausschau nach verschwundenen Haustieren, Kindern und Terroristen. Eine Wiederergreifung wird in besonderem Maße honoriert werden. Patroulliere nachts durch die Straßen und melde alles Auffällige der Polizei oder Feuerwehr und vergiß nicht, dabei deinen Namen zu nennen. Kommst du an ein brennendes Haus, nutze deine Kontakte zur Presse und gebe Augenzeugen-Interviews. Ähnliches gilt für Banküberfälle. Sei zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Nun mußte er nur noch die entscheidende Frage beantworten. Was ist eigentlich in der heutigen Zeit die Krönung des Heldentums, der Oberheld? Und das möglichst in einem positiven Entwurf. Alle mit dem Lebensverlust einhergehenden Ereignisse fallen dabei natürlich raus. Also kein In-die-Schußlinie-Werfer, Geiseldrama-Erstaufopferer oder verdienter Soldat. Wer will den schon ein Buch kaufen, in dem man am Ende stirbt und nichts davon hat, endlich berühmt zu sein? Unrealistisches fällt ebenso raus. Heirate mindestens eine Prinzessin. Verschenke eine Million Mark. Zerstöre den auf Kollisonskurs anfliegenden Meteoriten mit bloßen Händen. Stopfe das Ozonloch. Bezahle die Staatsverschuldung.
Nein, die wirklichen Helden von heute waren wahrscheinlich unermüdliche Kämpfer für die Freiheit von Unterdrückten. Also formulierte er als Schritt 100: Suche dir eine genügend große Population von unterdrückten Wesen und schenke ihnen in möglichst pathetisch inszenierter Weise die Freiheit.
Hm ... wenn das mal nicht eine wirkliche Herausforderung war, dachte er zwischen Begeisterung und Zweifel hin- und hergerissen. Das Problem hierbei war gar nicht mal so sehr die Umsetzung. Wenn er sich die Welt genau besah, wogte sie geradezu von vermeintlichen oder berechtigten Freiheitsbewegungen von jedem gegen jeden. Mit recht unterschiedlichen, oft fragwürdigen, manchmal auch unrechtmäßigen Mitteln der Gewalt, des Terrors, der Gegenunterdrückung und Rache. In diesen Übungen, einschließlich deren Rechtfertigung, hatten es die Menschen schon lange zu zweifelhaftem Ruhm gebracht. Hier waren bestimmt keine Lektionen mehr zu lernen. Das wirkliche Problem schien ihm, eine halbwegs unschuldige, unbelastete und noch unentdeckte Population aufzuspüren. Weil dies so schwer bis aussichtslos schien, entschloß er sich, Schritt 100 von den restlichen loszulösen. Man konnte also ohne den Umweg über Omas, Kinder und Banküberfälle von 0 auf 100 Superheld werden, wenn man nur, ja, wenn man es schaffte, genau jenes zu erreichen.
Er blickte etwas unschlüssig auf sein Manuskript. Eine Menge zerknitterter Seiten voll von wehrlosen Buchstaben, dazu verdammt, auf Papier gepreßt eine lebenslängliche Sippenhaft antreten zu müssen. Schlagartig wurde ihm klar, was er zu tun hatte.
Das Kaminfeuer fiel flackernd auf sein entspanntes Gesicht und tausende Buchstaben reinkarnierten noch im selben Moment auf Kassenzetteln, Wahlplakaten, Liebesbriefen und Sterbeanzeigen.

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[Beitrag editiert von: Abyssal am 26.11.2001 um 13:38]

 

Ich bin verdammt nochmal tief beeindruckt, es war eine Freude dieses Werk zu lesen, unterhaltsam, tiefgründig und eine wirklich sehr gute Schreibe 5/5 Sterne :)

 

Wunderbar!
...und er selbst ward zum Superheld und happy end.
Ein schöner Gedanke dahinter. Das all die Buchstaben lebendige Wesen sind. Das hat mich daran am meisten fasziniert.
Ein gelungener überraschender Schluß.

Grüße
Frank

 

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