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Syntexa
Der Lichtkegel der Taschenlampe huschte über den Boden und suchte ihn nach möglichen Stolperfallen ab. Der Untergrund der Höhle war glatt, doch Treasure wollte kein Risiko eingehen und setzte nur langsam einen Fuß vor den anderen. Hatte er gedacht, das er hier eine staubige und mit Spinnenweben verhangene Gruft vorfinden würde, musste er nun mit Unbehagen feststellen, das sie vollkommen sauber war, als wäre sie erst vor wenigen Tagen geputzt worden. Von dem niedrigen Gang gezwungen gebückt zu gehen marschierte er vorwärts. Nach einigen hundert Metern hatte der junge Mann sein Ziel erreicht. Die Halle von Syntexa. In der Mitte des großen Saales lag auf einem Altar aus menschlichen Knochen ein Buch. Das Buch. Treasure fühlte sich beobachtet. Beobachtet von den ruhelosen Verstorbenen des Syntexa-Stammes, die dazu verdammt waren, den heiligsten Schatz ihres Volkes zu bewachen.
Zögernd schritt der Mann immer näher an den Altar heran. Immer wieder blickte er sich um. Dann hatte er ihn erreicht. Vorsichtig packte er das Buch und hob es an. Seine Augen leuchteten dunkelrot. Sein ängstlicher Gesichtausdruck änderte sich in eine widerliche Fratze. Er hielt das Buch über seinen Kopf und schrie:"Nun ist es mein! Nun habe ich alle Macht der Welt", ein grauenvolles Lachen erklang aus seinem weitaufgerissenem Mund, "nun werden alle nach meiner Nase tanzen! Ich bin der mächtigste Mann des Universums!!!!"
Über seinem Haupt bildeten sich Wolken. Treasure’s Haare wurden von dem Wind, der sich in der Halle auftat, nach hinten geweht. Ein gleißend heller Blitz aus der Wolke traf das Buch. Der Raum begann sich zu drehen. Binnen Sekunden hörte alles auf, Treasure fiel unsanft zu Boden und wurde bewusstlos.
Die Kieselsteine schabten unter den Reifen, als der dunkelblaue Jeep die Auffahrt des kleinen Ferienhauses befuhr. Eine dunkelblonde, mittelgroße, etwa 25 Jährige Frau stieg aus der Fahrerseite aus, umrundete den Wagen und öffnete dann die hintere Tür, um ihren kleinen Sohn Josh aus dem Auto zu holen. In diesem Moment kam ihr Mann Pete aus dem Haus.
"Hallo Sandy, da seid ihr ja", sagte er und gab seiner Frau und seinem Sohn einen Kuss. Sandy begrüßte ihn ebenfalls herzlich, bevor die drei dann das bescheidene, aber dennoch gemütliche Haus betraten.
Nachdem sie sich etwas eingerichtet hatten, gingen sie schlafen.
Klopf. Klopf. Klopf.
Irgendetwas klopfte pausenlos an die Tür des Gebäudes.
"Wer könnte das denn sein?", fragte Sandy.
"Ich weiß nicht. Wie spät ist es?"
"Es ist 3 Uhr nachts. Sieh nach, wer da ist, Pete. Ich habe Angst."
"Es ist wahrscheinlich nur ein Ast oder so. Aber wenn es dich beruhigt, gehe ich mal runter."
Er warf die Decke bei Seite, zog sich ein Shirt über und verließ das Schlafzimmer. Er ging den Flur entlang, bis er die Treppe erreicht hatte, die nach unten führte. Hier zögerte er. Nun bekam auch er etwas Angst. Schweißperlen kullerten von seiner Stirn über die Nase.
Klopf. Klopf. Klopf.
Noch immer hämmerte jemand mit rhythmischen Abständen gegen die Tür. Pete’s Herz klopfte wie wild. Schwer atmend ging er langsam die Treppe hinunter. Er nahm einen Besen zur Hand und hielt ihn zur Verteidigung wie einen Baseballschläger. Vorsichtig griff er nach dem Türknauf. Das Klopfen hörte noch immer nicht auf. Dann überwand sich der junge Mann und riss die Tür auf. Er holte aus und wollte zuschlagen. Doch worauf? Dort draußen war nichts, was das Klopfen hätte verursachen können. Verwundert lugte er aus der Tür. Nichts. Er stellte den Besen zurück, schloss die Tür, als von oben ein markerschütternder Schrei zu hören war. Wie vom Blitz getroffen rannte er die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Sandy stand aufrecht im Bett. Nein, sie schwebte! Sie schwebte tatsächlich einige Zenitmeter über der Matratze. Neben ihr stand ein Mann, den Pete noch die zuvor gesehen hatte. Seine Augen leuchteten rot und seine Zähne waren spitz wie die eines Löwen. Sein Gesicht hatte er zu einer widerlichen Fratze verzogen. Nun hob er seinen rechten Arm und Pete erkannte das scharfe Messer in der Hand. Sandy’s Mann war vor Schock wie gelähmt. Langsam strich der Einbrecher mit der Klinge über das Nachthemd der noch immer schwebenden Frau. Dann holte er aus, ihr den tödlichen Stoß zu versetzen. Das alarmierte Pete dazu, aus seiner Starre zu erwachen und auf den seltsamen Mann loszugehen. Er sprang gegen ihn und riss ihn zu Boden, wobei ein grünlich leuchtendes Buch aus dem Leinenbeutel flog, welchen der Mann bei sich trug, der Sandy gerade versucht hatte umzubringen. Kaum lag das Buch einen halben Meter von dem Einbrecher entfernt, nahmen dessen Augen wieder Normal-Farbe an und er blickte überrascht in die Augen des auf ihm liegenden Pete. Dieser ballte seine Hand zu einer Faust und wollte dem Mann ins Gesicht schlagen, doch Sandy hielt ihn zurück:"Nein, Pete! Komm her! Wir müssen verschwinden."
Pete stand auf und stellte sich zu Sandy.
"Wer sind Sie und was wollen Sie von uns!", schrie die junge Frau den Einbrecher an. Der antwortete nicht, sondern stand auf und blickte suchend um sich. Dann fand er das Buch und packte es wieder in den Beutel zurück. Mit sofortiger Wirkung fingen seine Augen wieder an zu leuchten und er verwandelte sich wieder in eine mordlüsterne Bestie.
"Oh mein Gott", rief Sandy hysterisch, als der Mann wieder das Messer in den Händen hielt und auf das Ehepaar zulief. Pete packte seine Frau an der Hand und zog sie aus dem Raum. Er rannte mit ihr in das Kinderzimmer ihres Sohnes Josh, nahm ihn auf den Arm und verließ sofort das Haus.
"Was ist denn los?", sprach der kleine Junge.
"Nichts. Schlaf weiter!", sagte seine Mutter mit Tränen in den Augen.
Sie rannten in den Wald hinein. Gefolgt von dem irren Menschen. Die leuchtenden Augen verrieten immer, wo er war. Er kam immer näher. Er schien zu schweben. Sandy, Pete und Josh hatten keine Chance vor ihm wegzulaufen, doch sie gaben nicht auf.
"Stop!"
Pete blieb abrupt vor dem Rand einer tiefen Schlucht stehen.
"Und jetzt?"
Sein Brustkorb hob und senkte sich rasant. Auch Sandy ging es nicht anders. Dann stand das Wesen vor ihnen.
"Was wollen Sie von uns!", schrie Sandy nochmals.
Ein abscheuliches Lachen ertönte aus dem Mund des Mannes:"Was ich von euch will? Ich will euer Leben! Ich will euer Leben, wie ihr das Leben meines Stammes genommen habt!"
"Aber....das waren wir nicht. Sie müssen sich täuschen!"
"Frevlerin!"
Der seltsame Mann schlug Sandy zu Boden. Pete wollte eingreifen, doch Sandy hielt ihn zurück.
"Der große Syntexa irrt sich nie! Sag’ so etwas nie wieder!"
"Mama?", Josh fing an zu weinen, "was ist los?"
Er schluchzte.
"Wen haben wir denn da?"
Die roten Augen fielen auf den kleinen Jungen in Pete’s Armen.
"Gib’ ihn mir!"
"Nein!"
Der seltsame Mann stieß einen nervenzerfetzenden Schrei aus, holte aus und schnitt mit seinem Messer eine tiefe Wunde in den Arm des jungen Vaters, worauf dieser den kleinen Josh fallen ließ. Das Wesen packte zu und hob ihn auf.
"Blutopfer", murmelte er.
Pete stand auf und wollte das Wesen angreifen, doch der seltsame Mann streckte seine Hand aus und hatte somit eine magische Barriere aufgebaut, durch die weder Pete noch Sandy hindurch kamen. Nun begann das seltsame Wesen die Zeremonie vorzubereiten. Er machte eine flüchtige Handbewegung über dem Gesicht des kleinen Jungen, worauf dieser in einen festen Schlaf zu fallen schein. Er formte aus herabgefallenen Herbstblättern ein Pentagramm und legte den schlafenden Josh in die Mitte. Die Eltern versuchten vergebens durch die magische Mauer zu kommen.
Langsam schienen die Vorbereitungen zu Ende zu gehen.
"Pete", schluchzte Sandy. "Pete, wir haben doch gar nicht sein Stamm getötet!"
"Ich weiß...aber was soll ich tun?" Verzweifelt sahen die beiden zu, wie der seltsame Mann einen ungewöhnlichen Tanz um das Pentagramm und ihren Sohn vollführte. Dann holte er zwei Bücher heraus. Einmal das Buch, was ihn wohl zu diesem Monster machte und ein Fotoalbum. Das Buch legte er neben Josh, das Album öffnete er, holte ein Bild heraus und verzog beim Anblick dessen das Gesicht und gab einen verachtenden Laut von sich. Er legte das Foto auf den Bauch des Jungen, als eine Brise die Aufnahme davon wehte. Von dieser Seite konnte man wohl die Barriere durchbrechen, sodass der Schnappschuss direkt in die Hände des jungen Ehepaares flog.
"Aber...Aber...ist das nicht dein Großvater, Pete?"
"Ja...oh mein Gott..."
Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie das Foto an. Abgebildet war ein junger Mann in Kriegsuniform lächelnd vor aufgehangenen Eingeborenen.
[/]"Ich will euer Leben! Ich will euer Leben, wie ihr das Leben meines Stammes genommen habt!"[/i], erinnerten sich die beiden an das, was der seltsame Mann ihnen vor wenigen Minuten gesagt hatte, womit sie jedoch nichts anzufangen wussten.
"Gebt es mir!", schrie er und versuchte so weit wie möglich an das Foto heranzukommen, ohne die Reichweite des Buches von Syntexa zu verlassen.
"Nein! Hol’ es dir doch!", warf Pete ein.
Uhaaaaa!
Der Mann stapfte zurück zum Buch, nahm es gezwungener Maßen von seinem Platz neben Josh und näherte sich den beiden Erwachsenen. Ohne Schwierigkeiten durchquerte er die magische Wand von der ’richtigen’ Seite. Darauf hatte Pete gewartet. Er schlug dem Mann das Buch aus der Hand und warf es die hinter ihm liegende Schlucht hinunter.
"Neeeeeeein", stieß der wieder normal gewordene Mann aus und verschwand zurück in den Wald. Josh blinzelte und öffnete dann gänzlich die Augen.
"Mein Junge!", sagte Sandy und rannte zu ihm. Die Barriere schien sich aufgelöst zu haben. Die Familie war wieder vereint.
*
"Ging ein Mann von Baum zu Baum....dudam dudam...", sang das kleine Mädchen in dem niedlichen roten Kleidchen, das gerade in der Schlucht spielte.
"Lachte nicht und weinte kaum...dumdamdumda – was ist den das?"
Die Kleine hatte gerade einen in Leder gebundenes Buch gefunden.
"Seltsam. Wie kommt das denn hier her? Hat sicher jemand verloren."
Sie schaute nach oben.
Dann kniete sie sich nieder und hob das Buch auf, worauf ihre schönen blauen Augen anfingen zu leuchten und sich ihr liebliches weiches Gesicht in eine widerliche Fratze verwandelte...
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©2001 by Ernest P. Teclar