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Türen

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09.08.2017
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Türen

Bus
Manchmal ist es nicht das große Glück, das uns dauerhaft Zufriedenheit verleiht. Dies lässt sich von dem Standpunkt aus vertreten, dass man davon ausgeht, es gäbe das große Glück. Das Problem dabei ist, dass wohl niemand von sich behaupten würde, er habe es gefunden. Man kann das Glück ja nicht von einem Moment auf den anderen als anwesend bezeichnen. Und die Definition von „groß“ in Bezug auf Glück fehlt schlichtweg. Jedenfalls ist einem der Zugang zu diesem soeben genannten Glück schon dadurch nicht möglich, dass man ihn sucht. Denn durch die Suche danach, raubst du dem gerade ablaufenden Moment die Chance ein glücklicher zu sein. Glücklich wird man durch Kleinigkeiten. Dinge, die einem vollkommen bedeutungslos erscheinen. Die zufällig passieren und mit denen man nicht gerechnet hat.

Vielleicht hätte Andre sogar das große Glück gefunden. Gerade, weil es das letzte war, wonach er suchte. Doch sah Andre nicht nur die schönen Kleinigkeiten, sondern auch die kleinen Dinge, die ihn immer wieder aufs Neue frustrierten. Wie die 17. Andre hasste die 17. Die Kombination aus der eins und der sieben erschien ihm äußerst unpassend. Oft hatte er das Gefühl, er sei der einzige Mensch, dem diese Überflüssigkeit der 17 in unserem mathematischen System aufgefallen war. Gäbe es sie nicht, würde sie niemandem fehlen. Doch durch ihre Anwesenheit fühlte er sich sein ganzes Leben, wie durch einen Schatten verfolgt. Egal, wo er hinkam, fing er krampfhaft an zu zählen, wie um sich zu beweisen, dass es nicht immer unausweichlich die 17 sein musste. Doch schon währenddessen, wusste er, dass er es genauso gut hätte lassen können. Auch jetzt stellte er mit einem resignierten Blick auf den Bildschirm neben ihm fest, dass es kurz nach fünf war. Zu der Uhrzeit war der Verkehr in der Innenstadt einfach die Hölle. Ein Hölle durch welche die Linie 17 musste. Die Stunden bis zu seinem Feierabend erschienen ihm noch quälender als sonst. Dazu kam die drückende Sommerschwüle. Nach einem hecktischem Blick in die Buskamera stellte er ohne einen besonderen Anflug von Überraschung fest, dass sich 17 Passagiere in seinem vollkommen überheizten Bus befanden. Sicher wünschten sie sich, sie hätten eine andere Linie genommen – eine mit funktionierender Klimaanlage und ohne total gestressten und missgelaunten Fahrer. „Wobei sie da ganz schön viel Glück bräuchten“, dachte er verächtlich, womit er mit seinen Gedanken wieder sehnsüchtig bei seinem alten Arbeitsplatz in Kassel waren, welchen er nach siebzehn Jahren Dienstzeit ohne eine für ihn nachvollziehbare Begründung hatte verlassen müssen. Damals war alles leichter zu ertragen gewesen. Aus objektiver Betrachtung lässt sich wohl kaum ein Unterschied daran erkennen, wo man nun Menschen hin- und herchauffiert. Überall gibt es die gleichen nervigen kleinen Schulmädchen, die gegen genervte Blicke vollkommen abgehärtet zu sein scheinen. Oder, die unschlüssigen alten Herren, die immer erst, wenn Andre wieder losfahren möchte, zu wissen scheinen, ob sie nun weiterfahren, oder aussteigen wollen. Die alten Damen mit Schoßhündchen, die betrunkenen Teenager, oder die Kontrolleure, die ihr Selbstwertgefühl durch Karten-scannen stärken müssen – all diese Bevölkerungsschichten und Verhaltensweisen kann man wohl in jeder Stadt beobachten. Doch war ihm diese pausenlose Berieselung von leeren Wortaustauschen und die Beschwerden gegenüber seiner Fahrkünste damals weniger unerträglich vorgekommen. Vielleicht war er auch einfach alt geworden. Nach 17 Jahren Berufserfahrung hatte er wirklich schon alles Mal gehört und gesehen, und selbst die Drohungen älterer Damen verlangten ihm nur noch ein Schulterzucken ab. Auch der junge Mann mit krausen braunen Locken, welcher gerade gegen die Glastür lief, die Andre erst danach durch Knopfdruck zum Öffnen brachte, ließ ihn nur mit dem Kopf schütteln. „Was ein Trottel“, dachte er, während er ihn verträumt die Straße überqueren sah. Die Ampel war rot. Früher hätte er sich vielleicht mit anderen Passagieren darüber lustig gemacht, oder sich darüber aufgeregt - je nachdem. Doch die Leute hier erschienen ihm dafür nicht geeignet. Die Zeit schien nicht zu passen. Und am wenigsten er selber. Sein Leben kam ihm manchmal wie ein ewiger Stau vor, dessen Ende sich nicht mehr erahnen ließ. Auch die 17 stand nun im Stau.

Aufzug
Chef sein ist ein Beruf. Egal, ob du nun eine Firma leitest, Schuldirektor oder Vorstandsmitglied im Fußballverein bist. Man könnte die Leiter jeglicher Einrichtungen sogar vertauschen, es würde für das Personal kaum einen Unterschied machen. Einen Chef gibt es, um eine gewisse Struktur, Organisation und Kompetenz in den eigenen Reihen und nach außen auszustrahlen. Ob dieser nun wirklich nötig ist, und inwiefern dieser von speziellen Fähigkeiten gesegnet sein muss, ist mal dahingestellt. Zu dieser Anschauung kann man stehen, wie man will. Nur macht es die Sache problematischer, wenn man selber zum Chef ernannt wird.

So ging es auch Mia, einer polnischen jungen Frau, als sie von ihrer Beförderung hörte. Meist werden Menschen zum Vorgesetzten ernannt, deren Persönlichkeit sich damit zufrieden gibt, eine Genugtuung dabei zu verspüren, seinen Mitmenschen täglich klar zu machen, welchen Rang sie haben. Nämlich einen unter einem selber. Man könnte also behaupten, gewisse Typen von Menschen sind dazu prädestiniert ein Unternehmen zu führen. Es gibt also in unserer Gesellschaft so etwas wie einen Stereotyp des Chefs. Mias neue Position erschien also nicht nur ihr selber, sondern auch ihren Untergebenden eher unpassend. Dabei war ihr durchaus das Chef-Dasein nichts vollkommen Fremdes, da ihr Vater die Verkehrs-Gesellschaft ihrer Stadt leitete und gerne über seine Stellung sprach. Sie betrachtete ihn mit einer Mischung aus Bewunderung und innerer Ablehnung. Die Umstellung, nicht selber Lösungsansätze zu finden, sondern andere mit wissendem und euphorischem Gesichtsausdruck anzutreiben, fiel ihr nicht leicht. Doch neben den leeren Floskeln, und ätzend langweiligen Stunden am Schreibtisch, beängstigte sie auch das Gefühl von Verantwortung. Nicht, dass ihr Handeln größeren Einfluss auf das Unternehmen gehabt hätte. Doch sie war das Aushängeschild der Kasseler Aktiengesellschaft. Machte einer einen Fehler, wurde sie zur Rechenschaft gezogen. „Das“, überlegte sie, „ist wohl auch der Grund, warum man denkt, dass Unternehmensleiter so schwer beschäftigt sind. Allein die ständige Sorge, um den eigenen Arbeitsplatz, welcher von der Arbeit anderer Leute abhängig ist.“ Sie empfand es als anstrengender, als selber arbeiten zu müssen. Dazu kommt dann noch das ständige Bedürfnis, die eigene Position zu rechtfertigen und sich Respekt bei den Mitarbeitern zu verdienen. Mia musste sich eingestehen, dass sie wohl kaum mehr als eine Quotenfrau war. Vielleicht hatte ihr auch ihr Migrationshintergrund ein wenig geholfen. Sie hatte zwar durchaus das Gefühl von Wertschätzung, aber die erhoffte Ehrfurcht bleib aus. Natürlich konnte sie nicht erwarten, dass alle auf einmal anfingen zu arbeiten, wenn sie den Raum betrat. Oder, dass ihr an jeder Ecke Kaffee angeboten wurde. Sie war ja nicht von einem auf den anderen Tag ein neuer Mensch geworden. Der wollte sie auch nicht sein. Eigentlich gefiel ihr das kaum geschminkte Gesicht mit den dunklen Augen ganz gut, was sie müde durch den Spiegel anlächelte, als sie in den Fahrstuhl stieg. Doch die Welt wollte sie anders. Die Welt brauchte eine selbstbewusste junge Frau. „Wie meinen Vater“, dachte sie resigniert. „Jemanden, der verklemmt auf dem Gang gegrüßt wird. Oder der Leute grundlos entlässt, nur um seine Macht zu demonstrieren.“ Eine Frau mittleren Alters, die Mia schon ein paar Mal in der Cafeteria gesehen hatte, stieg ein. Man hatte ihr erzählt, sie hätte eine grandiose Karriere hingelegt, bis sie vor einigen Jahren plötzlich wie ausgewechselt war. Doch gesagt, warum hatte man ihr nicht. Der Blick der Frau war verschlossen und in sich gekehrt. Die blauen Augen harmonierten mit ihrem krausen braunen Haar, und waren von zahlreichen Lachfältchen umringt. Doch lächeln tat sie heute nicht. Fast hätte Mia sich geärgert, dass sie nicht gegrüßt wurde, oder wenigstens ein Zeichen von Erkennung in den Augen der Frau zu sehen war. Doch es würde ja doch nichts ändern. Im 17. Stock hielt der Fahrstuhl mit einem sanften Ruck an. Die Fahrstuhltür öffnete sich. Die Frau stieg aus.

Küchentisch
Man denkt immer, man selber könnte nie so blöd sein. Bis man es doch tut. Man denkt, es könnte jeden anderen erwischen nur nicht einem selber. Bis es passiert. Man kann es nicht rückgängig machen. Man kann es noch nicht mal bereuen. Sich nächstes Mal anders entscheiden. Es gibt kein nächstes Mal. Einmal ist einmal, und nicht keinmal. Und das eine Mal ist leider entscheidend. Du hast nur eine Chance. Ein Leben. Und einen Tod.

Katja hatte das Gefühl, dass ihr Leben einen Sinn hatte. Dem Leben einen Sinn zu geben, indem man ein anderes in die Welt setzt, ist wohl eines der wunderbarsten Gefühle, die es gibt. Die Kostbarkeit dieses Gefühls versteht man nur, wenn man sich selber eine Mutter nennen kann. Doch so sehr man das Kind auch liebt, es gehört einem nicht. Das Kind gehört sich selber. Und das vergessen Mütter manchmal. Katja hatte das vergessen. Niedergeschlagen saß sie am Küchentisch. Das Geschirr stapelte sich vor ihr. Draußen war es schon längst dunkel geworden. Doch sie saß immer noch am Küchentisch. Sie saß mit leerem Blick am Küchentisch und starrte ihre Küchentür an. Eine weiße Tür mit silbernem Griff. Sie fragte sich noch nicht einmal, warum sie am Küchentisch saß und die weiße Küchentür mit silbernem Griff anstarrte. Sie fragte sich auch nicht, wie lange sie hier wohl schon saß. Sie fragte sich gar nichts mehr. Aber wie schwer ist es auch, jemanden loszulassen, dem du all deine Liebe geschenkt hast. Wie unheimlich schwer muss es sein, etwas nicht zu besitzen, und trotzdem immer für es da zu sein. Man kann der Mutter keinen Vorwurf machen. Für ihre Liebe und Fürsorge. Man kann auch dem Jungen nicht vorwerfen, dass er diese Liebe nicht mehr ertragen konnte. Man kann ihm nicht vorwerfen, seiner Mutter das Herz gebrochen zu haben, bevor er selber unter der vielen Liebe, die er nicht verstand und nicht immerzu erwidern wollte, zerbrochen wäre. Es nützt nichts in Situationen die Schuldigen zu suchen. Man wird sie nicht finden - die Situation ist Schuld. Katja hätte ihm mehr Freiraum lassen müssen. Sich nicht aus ihrem Leben zurückziehen dürfen. Sie hatte ihr Leben geliebt. Ihre Arbeit geliebt. Voller Lebenslust war sie gewesen. Doch was war sie sich über die Jahre plötzlich unwichtig im Vergleich zu ihrem Sohn vorgekommen. Was war ihr seine Persönlichkeit so viel stärker, und sein Leben so viel interessanter vorgekommen. Was sollte sie noch andere Dinge lieben, wo sie doch ihren durch und durch perfekten Jungen hatte? Doch ihr kleiner verstrubbelter Junge, dessen strahlend blaue Augen sie immer so sehr an sich selber erinnert hatten war nicht mehr da. Und er war auch nicht mehr klein. Ihr Kind war ihr davongelaufen. In irgendeine fremde Stadt, deren Name er zwar einmal erwähnt hatte, sie sich aber einfach nicht merken konnte. Er brauchte seine Mutter nicht mehr. Doch sie brauchte ihn. Sie hatte doch nichts mehr. Nur noch ihr eigenes Leben lag vor ihr. „Und mein Tod“, dachte Katja verbittert, als sie einen Entschluss fasste.

Bus
Meistens halten wir uns in den Momenten für genial, wenn wir am weitesten davon entfernt sind. Klar, man denkt, man hätte etwa Geistreiches gesagt, etwas Besonderes getan oder die Welt ein Stück vorangebracht, wenn man diese Rückmeldung erhält. Wir denken, wir wären witzig, wenn Leute über unsere Witze lachen. Glauben, unsere Ideen wären gut, wenn sie von anderen als sinnvoll betrachtet werden. Doch ist man nicht gerade dann genial, wenn man einen Gedanken hat, der von anderen nicht verstanden wird? Wenn man auf etwas gestoßen ist, was noch keiner zuvor gedacht hat, und was deswegen auch erst mal für niemanden schlüssig ist? Doch meist bleiben diese Gedanken ungenutzt. Sie werden ignoriert, und verstrichen gelassen. Weil der Einfall einem unpassend erscheint. Er nicht zu dem passt, was irgendwo bewiesen in Schulbüchern steht und von der Gesellschaft als absolute Wahrheit verkauft wird. Oder man vergisst ihn durch all die anderen Gedanken. Von anderen Leuten über andere Dinge. Umso faszinierender ist es jedoch, wenn dir plötzlich doch etwas klar wird. Was du nur für dich selber erkannt hast. Und nicht für die Köpfe anderer. Diese Erkenntnis gehört nur dir. Der Moment ist deiner.

Die Fahrer sind schlecht drauf. Der Verkehr ist zu zäh. Der Wagen zu voll. Das Immunsystem muss zu seiner höchsten Leistungskapazität auflaufen. Bus fahren ist die Hölle. Körperlich und psychisch vollkommen am Ende stand Max mitten im Bus – gerade so, dass er an keine Haltestange herankam, ohne sich unangenehm zu verrenken. Nur die beweglichen Gummigriffe, die von oben herabhingen deren Name ihm - wenn es ihn überhaupt gab - entfallen war, boten sich noch an. Er hatte noch nie verstanden, wie gerade Dinge, die sich mehr bewegten als er selber, ihm zu Stabilität verhelfen sollten. Und wie der Busfahrer wieder fuhr. Wie konnte er denn trotz diesem ruppigen Fahrstil auch noch Verspätung haben? Auch er selber hatte mal daran gedacht, Busfahrer zu werden. Doch die Verkehrsgesellschaft in seiner Heimatstadt war ihm eher wie ein schmieriger Betrieb vorgekommen, und der Chef aufs höchste Maß unsymphatisch. Man erzählte sich, er würde regelmäßig Leute entlassen, nur um seine Autorität unter Beweis zu stellen. Und hier hatte es sich einfach nicht mehr ergeben. Die fehlende Kühle durch eine funktionierende Klimaanlage brachte ihn ins Schwitzen, und er wünschte sich eine andere Linie genommen zu haben. Er hatte seine Kopfhörer vergessen, und schaute einer unbeholfenen Mutter missmutig dabei zu, wie sie vergeblich versuchte, ihr Kind davon abzuhalten, sich die Finger abzulecken. „Ich will niemals Kinder haben“, dachte er mit einem schlechten Gewissen an seine eigene Mutter. Und so zwischen all diesen düsteren Gedanken hatte er plötzlich diesen Moment. Eine Erkenntnis, die er nur für sich hatte. Die Erkenntnisse suchen sich ihre Empfänger aus. Sie besitzen uns. Und nicht andersrum. Und diese Erkenntnis wählte eben Max. Hals über Kopf wurde er von der Wucht dieser getroffen wurde. Und danach von der Bustür.

Alles hing zusammen.

 

Hallo und Herzlich Willkommen antiups!

Deine Geschichte ist kommentarlos aus der Kategorie "Heutige Beiträge" gerutscht, deshalb will ich mal schnell was dazu sagen, bevor sie ganz untergeht. Ich habe eine Theorie, warum der Text nicht sofort eine Diskussion angeregt hat. Die wird dir wahrscheinlich nicht so gefallen, aber dafür ist Kritik ja da. :)

Ich denke, es liegt an diesen Passagen:

Manchmal ist es nicht das große Glück, das uns dauerhaft Zufriedenheit verleiht. Dies lässt sich von dem Standpunkt aus vertreten, dass man davon ausgeht, es gäbe das große Glück. Das Problem dabei ist, dass wohl niemand von sich behaupten würde, er habe es gefunden. ...

Chef sein ist ein Beruf. Egal, ob du nun eine Firma leitest, Schuldirektor oder Vorstandsmitglied im Fußballverein bist. ...

Man denkt immer, man selber könnte nie so blöd sein. Bis man es doch tut. ...

Meistens halten wir uns in den Momenten für genial, wenn wir am weitesten davon entfernt sind. Klar, man denkt, man hätte etwa Geistreiches gesagt, etwas Besonderes getan oder die Welt ein Stück vorangebracht, wenn man diese Rückmeldung erhält. ...

mit denen du die Teile der Geschichte einleitest, in denen tatsächlich etwas passiert. Vielleicht magst du mal ausprobieren, was passiert, wenn du die alle radikal streichst. Verliert deine Geschichte dadurch etwas?

Ich meine, hast du schon mal ein kleines Kind sagen hören: "Mama/Papa, philosophier mir doch mal was vor!"?

Ich nicht.

Man hört öfter den Satz: "Mama/Papa, erzähl mir eine Geschichte!" - stimmt's? :)

Und du kannst natürlich sagen, ich schreibe ja auch für erwachsene Leser, von denen kann ich doch erwarten, dass die auch mit abstrakten Gedankengängen was anfangen können.

Das mag sein. Aber das heißt nicht unbedingt, dass man das gerne liest, wenn eine Geschichte mit hundert Wörtern oder so darüber beginnt, was eigentlich Glück ist. Das hat nämlich keine Dynamik, da passiert keine Handlung, da lerne ich keine Figuren kennen. Da kriege ich als Leser nichts anderes geboten als die Gedankengänge des Autors. Rohkost sozusagen. Ist nicht jedermanns Sache.

Idealerweise kannst du solche Gedanken in eine Geschichte verpacken, ohne dass die explizit dastehen. Vielleicht kann eine Figur solche oder ähnliche Gedanken denken oder äußern. Oder vielleicht bleiben sie sogar ganz zwischen den Zeilen.

Sie einfach hinzuschreiben, bevor die eigentliche Geschichte beginnt bzw. weitergeht, ist diejenige Lösung, die die Gedanken am direktesten an den Leser bringt. Damit gehst du sicher, dass es alle kapieren. Es ist aus meiner Sicht aber auch diejenige Lösung, die am wenigsten unterhaltsam und darüber hinaus am wenigsten kunstvoll wirkt.

Die Idee der Geschichte finde ich eigentlich ziemlich charmant. Ich glaube, ich hätte am Ende sogar gelacht. Aber leider hat die letzte, auch noch besonders lange "Einleitungspassage" den Schluss für mich ein bisschen ruiniert.

Ich meine:

Doch ist man nicht gerade dann genial, wenn man einen Gedanken hat, der von anderen nicht verstanden wird? Wenn man auf etwas gestoßen ist, was noch keiner zuvor gedacht hat, und was deswegen auch erst mal für niemanden schlüssig ist?
Du hypest das da als bahnbrechende Erkenntnis (vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber eine gewisse Erwartungshaltung hat es bei mir auf jeden Fall erzeugt).

Und dann kommt

Alles hing zusammen.

Und das ist, tut mir leid, halt keine geniale Erkenntnis, sondern ziemlich banal. Das heißt nicht, dass es nicht eine sehr schöne Schlusspointe für die Geschichte abgibt, die genau diese Tatsache ja wunderbar illustriert. Aber trotzdem bin ich überzeugt, das würde viel besser wirken, wenn der Text nicht soviel "Foreshadowing" dafür betrieben hätte.

Solche "Erklärbär"-Teile in einer Geschichte, die deuten für mich immer auf eines von zwei Dingen hin: Entweder der Autor ist noch unerfahren und hat das Gefühl "wenn ich nicht alles überdeutlich erkläre, dann versteht keiner, was ich sagen möchte". Oder der Autor bevormundet gerne seine Leser und möchte ihnen keinerlei Interpretationsspielraum zugestehen. Beides zeugt nicht von allzuviel Souveränität. :)

Und ich finde, der Text hat das gar nicht nötig, weil die Dinge, die in diesen einleitenden Absätzen gesagt werden, in den Teilen mit richtiger Handlung ja durchaus zwischen den Zeilen stehen. Ich bin überzeugt, diese Aussagen würden rüberkommen, auch ohne dass du sie dem Leser vorkaust.

Dein Stil gefällt mir recht gut, der Text liest sich angenehm. Manche Formulierungen wirken ein bisschen angestrengt - hier z.B., da hat die ungewöhnliche grammatische Konstruktion auch einen kleinen Fehler produziert:

Sie werden ignoriert, und verstrichen gelassen.
verstreichen

aber im Großen und Ganzen finde ich es gut geschrieben und ich mag den leisen Humor, der sich durch den Text zieht.

Ich wäre halt sehr dafür, den Erklärbären zu verbannen und nur die Teile stehen zu lassen, die wirklich zur Geschichte gehören. :)

Grüße von Perdita

 

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