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Tagebuch von Maike
Tagebuch
10. März 1707
Ich bin am Boden, ich liege regungslos da und alle trampeln achtlos über mich.
Ich kann nicht glauben was ich heute erfahren habe, ich kann meine Gedanken nicht sortieren, ich weiß einfach nicht mehr weiter.
Wie können Menschen die man liebt, denen man vertraut, so etwas einem anderen Menschen antun, so etwas verlangen? Ich verstehe die Welt nicht mehr. War ich wirklich so naiv, so dumm und gutgläubig, das ich glaubte lieben zu dürfen? Warum habe ich dies nie in meinen Zukunftsgedanken berücksichtigt?
Wie soll ich einen Mann ehelichen, den ich nicht kenne?
Herrgott, seit Stunden weine ich und kann einfach nicht aufhören. Mein Hals schmerzt vom ewigen Schluchzen und meine Augen brennen von den Tränen.
Mir will einfach nicht aus dem Kopf, dass ich mich nicht wehren konnte als er mir offenbarte, dass ich in wenigen Wochen verheiratet sei. Stumm stand ich einfach nur da und starrte aus dem Fenster. Alles hörte sich so unwirklich an, alles schien ein Traum zu sein und doch holte mich die Realität schlagartig ein als mein Vater sagte:“ Maike, dies ist ein großer Tag für dich und diese Familie. Eine neue Ära beginnt! Mit dieser Heirat, eröffnen sich neue Perspektiven für uns. Sei stolz ein Teil dieser neuen Entwicklung zu sein!“
Ich höre noch immer den Stolz der in seiner Stimme triumphierte und ich sehe noch immer seine breit angeschwollene Brust, als er vor mich trat und mir die Sicht auf den schönsten Sonnenuntergang nahm, den ich je gesehen hatte, und das an dem schlimmsten Tag meines Lebens.
Ich kann mich noch nicht einmal an den Namen des Mannes erinnern…
20. März 1707
Sein Name ist Ullrich von Braunbach, er ist ein Graf und wohl hoch angesehen am königlichen Hof. Zumindest berichtete mir dies meine Mutter, mit übertriebenem gespieltem Stolz. Doch das was mich wirklich interessierte und was ich erst heute Mittag erfuhr, zufällig, weil ich lauschte, war sein Alter. Er ist schon 49 Jahre alt. Ich bin gerade einmal 16 und soll einen Mann heiraten der älter ist als mein Vater.
Mir wurde übel als mir diese Worte zu flogen und ich musste an die frische Luft.
Er hatte wohl schon sechs seiner Ehefrauen überlebt, keine von ihnen schenkte ihm einen Erben. Das wurde deutlich in dem Gespräch meines Vaters mit dem Vermittler und lies einen schmerzlichen Schauer über meinen Körper huschen, der mich fast das Gleichgewicht kostete.
Sollte nun nicht nur die Last dieser Heirat auf meinen Schultern ruhen, sondern auch die Angst zu versagen? Todesangst nicht in der Lage zu sein einen Stammhalter zu gebären? Würde ich dann auch so enden wie seine vorherigen Ehefrauen?
Woran sind sie nur gestorben, woran?
Stundenlang dachte ich nach was ich tun könnte um dies zu verhindern, doch nichts Hilfreiches viel mir ein, rein gar nichts.
Ich kann nicht davon laufen, das würde ich keine zwei Tage überleben, die Straßen sind zu gefährlich. Ich kann mich nicht verstecken, überall würde mein Vater mich aufspüren. Ich kann mich ihm auch nicht verweigern, das wäre eine Schande und würde meine ganze Familie ins Unglück stürzen.
14. April 1707
Heute kommt er an, er will sich ein Bild seiner Braut machen.
Die Tür meiner Kammer ist fest verschlossen, keinen lasse ich hinein, das habe ich mir geschworen.
Immer wieder bemerke ich, dass ich zittere, ich verliere die Kontrolle über mich.
Seit Tagen liegt mir meine Mutter in den Ohren, das ich doch mehr Essen sollte, ich sei so dürr geworden. Doch habe ich keinen Hunger. Ich will für ihn nicht hübsch sein, ich will so hässlich sein wie es mir möglich ist. Er soll sich abwenden von mir, soll eine andere erwählen und mich vergessen.
Ich bin nicht bereit für ihn, ich will ihn nicht! Ich will nicht diejenige sein die den Namen unserer Familie im Adel vorantreibt! Ich will nicht von ihm berührt werden! Ich will meine Ruhe, meine Freiheit!
Ich will, dass das Geklopfe an meiner Tür endlich endet!
Nachtrag
Er kam an und verschwand schnell mit meinem Vater in unserer kleinen Bibliothek. Wahrscheinlich bedienen sie sich dem teuersten Wein aus unserem Keller und Vater verschachert mich, wie eine Kuh auf dem Markt.
Meine Mutter versuchte über Stunden mich aus meinem Zimmer zu bewegen, doch auf sie reagierte ich nicht. Bis mein Vater kam, und mit einem seltsamen Unterton in der Stimme drohte die Tür aus den Angeln heben zu lassen. Ich wusste, dass mein Vater nie leere Worte gebrauchte, also öffnete ich mit lautem Herzklopfen die Tür. Ich wurde meinem Schwur untreu.
Er stand vor mir, aufgeblasen wie immer wenn er unbeschreiblich wütend war und schrie mich an:“ Willst du diese Familie ruinieren?“
Ich schüttelte natürlich den Kopf, das wollte ich auf keinen Fall. Doch wollte ich, mich auch nicht ruinieren, in dem ich einen alten, mir unbekannten Mann heirate, dessen Anzahl an Ehefrauen, die eines normalen Bürgers um einiges überschreitet.
„Hör auf dich aufzuführen wie ein kleines Kind, ich habe deine Eskapaden satt.“
Aber ich bin doch noch fast ein Kind, ungeübt mit solchen Situationen umzugehen, alleine gelassen von der Familie. Wie gerne hätte ich ihm dies gesagt, es schwirrte in meinen Gedanken umher, doch stand es mir nicht zu das Wort an ihn zu richten.
„Du wirst mich nun nach unten begleiten und dich benehmen wie eine junge Frau deines Standes. Du wirst von heute an glücklich sein und voller Ehre in Zukunft an seiner Seite schreiten zu dürfen.“
Glücklich soll ich sein, ehr erfüllt? Wie kann ich von Glück sprechen, wenn gerade meine Welt zusammen bricht? Wenn alles was ich kannte zugrunde geht, sich als ein schlechtes Schauspiel entpuppt. Ich kann keine Ehre daran finden, so sehr ich auch danach suche.
„Sei nicht so voller Vorurteile. Er wird dir ein guter Mann sein, doch nur wenn du ihm eine gute Frau bist. Er kann für dich sorgen, er wird dir ein Leben bieten, das du hier, als Tochter eines Händlers, niemals erfahren würdest.“
Das, was ich auf diese Worte hin tat, hätte ich nie von mir gedacht. Ich widersprach meinem Vater und sagte mit fester Stimme, ihm zum ersten Mal in meinem Leben in die Augen blickend:“ Nein Vater, er wird dir ein Leben bieten von dem du schon immer träumtest, ich werde dir nur die Tür aufhalten.“
Die Ohrfeige spürte ich erst im Nachhinein, nicht als sie mich traf. Eher vernahm ich den entsetzten Schrei meiner Mutter, als er ausholte und mich schlug.
Er tat dies oft, immer dann, wenn er sich mit Worte nicht mehr wehren konnte, so war es zumindest immer bei meiner Mutter.
Ich weiß noch, dass sie ihm früher viel mehr widersprach, uns Kindern beistand, doch jetzt schwieg sie und trat zurück wenn er auf sie zuging. Sie hielt sich immer im Schatten, allein und gedemütigt.
Soll dies etwa mein Leben werden? Könnte ich das ertragen?
Er stand in seinen teuren Kleidern am Fenster und sah auf als ich von Vater in das Zimmer geschoben wurde. Er war groß, dürr, Pockennarben zierten sein faltiges Gesicht und seine wenigen Haare waren Grau. Er trat auf mich zu, eine Hand auf dem Rücken verschränkt und als er lächelte wurde mir unvermittelt Übel. Schwarze Stummeln zierten dieses Lächeln und als er zu mir sprach, konnte ich es kaum noch bei mir behalten. Es war ein Gestank von Moder und Eiter. Doch ich erquälte mir ein freundliches Lächeln, denn ich spürte den kühlen drohenden Blick meines Vaters in meinem Genick. Meine Wange schmerzte als ich mein Gesicht zu einem Lächeln verzog und ich spürte das Tränen in meine Augen brannten.
„Überaus angenehm.“
Sagte er in einem seltsamen Ton und begutachtete mich von Kopf bis Fuß. Ich fühlte mich nackt und wäre am liebsten davon gelaufen, doch Vater legte seine Hand auf meinen Arm. Ich zuckte zusammen und mir wurde klar, dass dies ein langer seltsamer und unangenehmer Abend für mich werden würde.
Diese Stunden kosteten mich all meine Kraft. Diese Stunden gaben mir die Bestätigung:
Ich kann dies nicht ein Leben lang ertragen. Ich bin jetzt schon am Ende, ich kann nicht mehr.
Warum bin ich nur so schwach???
25. April 1707
Mutter kam heute Mittag zu mir und begann ein Gespräch, dessen Sinn mich nun schier um den Verstand bringt.
Sie erklärte mir stockend, was in der Nacht nach der Eheschließung auf mich zukommen wird. Ich hörte schon vom Vollzug der Ehe, doch dies übertraf meine Vorstellungskraft. Mit einem Tränenschleier bedeckt hörte ich ihr zu, doch schien es mir, als sei sie weit von mir entfernt.
Sie hielt meine Hand, doch nicht aus liebe, wie eine Mutter dies tun sollte, sondern aus Mitleid. Doch warum half sie mir dann nicht, warum überlies sie mich dann diesem Schicksal? Warum lies sie zu, dass sich ihr Leben in meinem wiederholte?
„Bitte Mutter, Bitte, hilf mir dem zu entkommen.“
Ich umschloss ihre Hände und sah sie flehend an, ich weinte schon wieder als ich zu ihr sprach. Doch sie sah mich nur mit ihren großen lehre grauen Augen an und entzog mir ihre Hände. Als hätte sie Angst vor mir, rutschte sie fort und erklärte monoton, als hätte sie es einstudiert:“ Ich kann dir nicht helfen und warum sollte ich auch, in einer Woche ist der glücklichste Tag deines Lebens.“
„Nein Mutter, es wird mein Ende sein.“
Prophezeite ich ihr, immer noch flehend, doch sie reagierte wie gehabt, kühl und distanziert:
„Red nicht solch einen Unsinn, es kommt immer nur darauf an was du daraus machst.“
„Das was du getan hast? Sich aufgeben, kriechen, dahin vegetieren? Immer hoffen nicht beachtet zu werden?“
Entsetzt starrte sie mich an, ich sah wie ihre Augen zu schwimmen begannen. Schweigend stand sie auf und ging zur Tür, ich hatte sie verletzt, das wollte ich nicht, nein, wirklich nicht. Es tut mir so leid.
Sie ging zur Tür legte ihre Hand auf die Klinke und meinte am ganzen Körper bebend:“ Ich habe nicht aufgegeben, ich habe mich nur angepasst! Ich krieche nicht, ich halte mich nur zurück! Und schon gar nicht vegetiere ich dahin, ich habe mich mit meinem Schicksal arrangiert! Ich gebe dir einen guten Rat Maike, tue dies schneller als ich es getan habe, denn dies erleichtert dein Leben ungemein. Lege deinen Stolz ab und sei das, wofür wir geboren wurden, eine gute Frau und Mutter. Mehr braucht man nicht um zu überleben.“
Monoton nickte ich, sah sie einen Augenblick lang stumm an, bevor ich meinte:“ Ich weiß.“
Sie wollte gehen, doch meine Worte hielten sie noch einmal für einen kurzen Augenblick zurück, viel zu kurz, denn ich traf in diesen Sekunden einen Entschluss. Meine Stimme zitterte, als ich zu ihr sagte:“ Dein Leben soll nicht das meine werde. Dieses Schicksal ist zu groß für mich. Bitte vergiss nie das ich dich liebe, Mutter.“
Verwundert zog sie ihre Stirn kraus, sagte nichts und verschloss die Tür hinter sich.
26. April 1707
Es ist früh, die Sonne ist noch nicht einmal aufgegangen.
Ich werde ihn mir noch einmal ansehen. Ich werde aus meinem Fenster blicken und den Sonnenaufgang in mich aufsaugen. Ich will die Wärme dieser frühen Strahlen in mein Gedächtnis brennen. Ich will diese Erinnerung in meiner Seele mitnehmen, weit fort von hier.
Gibt es wirklich eine Hölle? Werde ich dort hingeraten und im Fegefeuer brennen?
Ich habe keine Angst mehr. Das einzige was mir das Herz bricht ist, das ich allein sein werde. Das ich Menschen zurücklasse, die ich liebte und von denen ich hoffentlich auch geliebt wurde.
Ich wollte doch Alt werden, ich wollte Kinder haben, Enkelkinder. Ich wollte mein eigenes Heim. Ich wollte lieben und einfach nur Glücklich sein. Kein Geld der Welt, kein Titel kann mir dies geben. Das ist gegen nichts aufzuwiegen.
Oh lieber Gott, ich habe Angst, ich belüge mich selbst um Himmels willen, ich bin dem Wahnsinn nahe. Wie kann ein Mensch nur so zugrunde gehen und das in so wenigen Wochen? Dabei dachte ich immer, ich sei so stark und nichts kann mich verwunden.
Der Schmerz war kaum spürbar, von der Angst übertüncht.... Mein Laken färbt sich Rot.... Meine Hände zittern, meine Schrift ist kaum noch lesbar... Das Papier ist feucht von meinen Tränen. Ich bin müde, so unsagbar müde….
Bitte.. vergebt mir…