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Tewes will bleiben

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04.04.2008
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Tewes will bleiben

Die Kaffeemaschine gurgelt, Tewes lehnt am Küchenschrank und massiert seine schmerzenden Handgelenke. Auf dem Tisch liegt die Kreiszeitung, er liest die Schlagzeile.
'Dorfladen in G. schließt zum Jahresende.'
Es stimmt also, was schon lange gemunkelt wird. Der nächste Schritt auf dem Weg zum Dorfsterben. Jetzt wird es schwer für mich, denkt Tewes. Sein Herz klopft unangenehm laut. Ohne den Laden muss ich in die Kreisstadt fahren, vielleicht reicht einmal pro Woche, aber dann darf ich nichts vergessen. Zucker, Klopapier, Kondensmilch und all den Kleinkram. Das Auto muss jetzt schnell in die Werkstatt.
Harry Tewes ist nie gerne Auto gefahren, doch nun, mit sechsundsiebzig, wird er sich wieder daran gewöhnen müssen. Dreißig Kilometer hin, dreißig Kilometer zurück, den Kofferraum richtig vollgepackt, ja, so wird es klappen. Der Supermarkt dort ist riesig, da kann man sich verlaufen, dafür gibt es aber wirklich alles, sogar Unterwäsche und Pantoffeln.
Tewes schüttelt den Kopf. Das muss man sich mal überlegen: Unterwäsche und Pantoffeln in einem Supermarkt! Irene hatte das toll gefunden, sie war gerne hingefahren, doch Irene ist seit vier Jahren tot, er muss es allein schaffen.
Die Kaffeemaschine röchelt ein letztes Mal, Tewes setzt sich mit seinem dampfenden Becher an den Küchentisch. Schwarze Brühe mit Ölfilm obendrauf. Er liest den Artikel, faltet die Zeitung zusammen, und starrt aus dem Küchenfenster in den Vorgarten.
Noch einhundertvierzig Einwohner im Dorf, die meisten sind Rentner, ein paar junge Familien in der Siedlung auf der grünen Wiese, kaum jemand, der nicht schon lange im Supermarkt in der Stadt einkauft. So steht es geschrieben. Keine Infrastruktur, keine Arbeitsplätze, bis auf die am Computer. Home office, oder so.
Voller Friedhof, leere Häuser. Tewes denkt an die Grundschule, die er dreiunddreißig Jahre geleitet hat. Sie war vor acht Jahren geschlossen worden. Die Turnhalle wird ab und zu für private Feste genutzt, ansonsten Leerstand. Ein Kleinbus fährt die wenigen Kinder ins übernächste Dorf, noch gibt es dort eine Schule. Der Bus in die Stadt fährt um acht und um siebzehn Uhr, sonntags gar nicht.
Dr. Schäfer hat im letzten Jahr die Praxis aufgegeben, mit zweiundsiebzig, einen Nachfolger gibt es nicht, noch ein Leerstand.
Tewes steht auf und macht sich ein Leberwurstbrot. Was passiert bloß mit den leeren Häusern, fragt er sich.
Er hat das Gefühl, dass jemand eine Schlinge um seinen Hals gelegt hat und sie langsam zuzieht.


Am Abend sitzt Tewes mit Bielmann und Hofer am Stammtisch im 'Ochsen'. Außer einem jüngeren Paar sind sie die einzigen Gäste. Paul Brücker bringt das Bier und bleibt bei ihnen stehen.
»So, jetzt ist es amtlich: Fritz macht den Laden dicht und es gibt keinen Nachfolger.« Als ob wir das nicht selber wissen, denkt Tewes, nickt stumm, trinkt einen großen Schluck und wischt sich mit dem Handrücken über den Mund. Jürgen Bielmann, rotgesichtig und schnaufend, lehnt sich auf der Eckbank zurück, damit sein monströser Bauch mehr Platz hat.
»Und was machen die Omas dann? Wo sollen sie denn einkaufen, unsere Alten?« Brücker sieht ihn grinsend an.
»Unsere Alten? Was bist du denn, Bielmann? Ein junger Hüpfer, oder was?«
Bielmann versucht sein Glas zu erreichen.
»Nee, aber wir fahren alle drei noch Auto. Aber Renate und Hans zum Beispiel, die haben ihr Auto längst abgegeben, die sind über achtzig.« Nach einer Pause fügt er hinzu:
»Die werden wohl nicht hierbleiben können.« Was ist denn mit dem los, denkt Tewes irritiert. Seit wann sorgt sich Bielmann um Nachbarn, die er nie mochte?
Karl Hofer schaltet sich ein.
»Ich fahre auch nicht mehr gerne, genau wie Harry, oder?«
Er schaut Tewes an. Der nickt.
»Ja, ja, auch wegen der Augen nicht. Ich bin zwar am grauen Star operiert, aber das Sicherheitsgefühl, das ist einfach futsch.«
Paul bringt die leeren Gläser zum Tresen, ruft ihnen zu:
»Aber ihr könnt alle Einkäufe einfach liefern lassen, wisst ihr das? Eine Onlinebestellung, und zack, bringen die alles nach Hause! Kostet natürlich was, ist klar.«
Schweigen am Stammtisch. Paul plaudert mit dem jungen Paar, die drei hören sein Lachen. Tewes fragt:
»Wieso ist Paul überhaupt noch so lustig? Dem muss das Wasser doch auch bis zum Hals stehen.«
Schulterzucken. Dann wird Bielmann unruhig. Er hüstelt, reibt sich über die Stirn und schiebt sich näher an den Tisch.
»Ich sag euch jetzt was.«
Tewes hat ein mulmiges Gefühl. Irgendwas stimmt nicht. Bielmann schaut auf die Tischplatte.
»Also, wir werden im nächsten Jahr wahrscheinlich in die Stadt ziehen, in eine Wohnung von der Post, barrierefrei, ganz nah bei den Kindern.«
Bielmann ist der letzte Briefträger im Dorf gewesen, bis zur Pensionierung vor fünf Jahren ist er mit seinem gelben Rad und der dicken Seitentasche schnaufend durch die Straßen geradelt; jetzt kommt ein gelbes Elektroauto, täglich, außer montags.
Tewes fällt aus allen Wolken.
»Was soll das denn bedeuten? Ihr wollt das Dorf verlassen? Das ist doch unsere Heimat hier, unser Zuhause!«
Tewes schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff, oder was?«
Bielmann schaut hilfesuchend zu Hofer hinüber, der wiegt bedächtig den Kopf hin und her, sagt aber nichts. Bielmann jammert.
»Das ist unfair Harry! Jeder muss doch sehen, wo er bleibt. Ilse ist nicht mehr gut auf den Beinen, wir sind Anfang siebzig, da ist es doch vernünftig, sich zu kümmern!«
Hofer nimmt seine Brille ab und reibt sich die Augen.
»Hast schon recht, Bielmann.«
Tewes giftet weiter.
»Und Du? Deine Polizeistation ist ja auch schon seit Jahren Geschichte, da kannst du doch ebenfalls gleich in den Sack hauen!«
Hofer schaut ihn an, putzt umständlich seine Brille.
»Noch habe ich keine konkreten Pläne, aber ich überlege, ob ich in eine Seniorenwohnung ziehen soll, da kann ich bei Bedarf Betreuung zubuchen.«
»Also verschwindest du auch in die Stadt, früher oder später!«
Tewes leert sein Bierglas in einem Zug.
»Na prima! Haut ruhig ab, dann blutet unser Dorf noch schneller aus!«
Hofer bestellt eine Portion Kartoffelsalat mit Würstchen, mittlerweile das einzige Gericht auf der Speisekarte. Bielmann schließt sich eifrig an.
»Für mich auch Paul, für mich auch!«
Er blickt kurz zu Tewes rüber, schlechte Stimmung kann er nicht ertragen.
»Komm Harry, iss auch mal was, ich geb eine Runde Gourmetessen aus!«
Er lacht als einziger, Hofer hält Tewes' Zorn stand.
»Sei mal ehrlich Harry, wie lange schaffst du es denn noch allein in deinem Haus? Du denkst doch sicher auch an deine Zukunft, deine Gesundheit.«
Tewes macht eine abweisende Handbewegung, als müsste er eine Fliege verscheuchen. Was ist bloß los mit den beiden?
»Mein Haus ist ein Bungalow, keine Treppen, kein Keller. Grazyna kommt jeden Freitag und putzt und wäscht. Kochen kann ich noch ganz gut; also haut ruhig ab und tut nicht so, als würdet ihr euch um mich sorgen! Ich werde bleiben, hier bin ich zuhause.« Er legt einen Geldschein auf den Tisch, steht auf und geht grußlos hinaus.

Die Kaffeemaschine gurgelt, Tewes steht vor der Spüle und hält seine schmerzenden Handgelenke unter den kalten Wasserstrahl. Die Zeitung liegt auf dem Küchentisch. Nach dem ersten Schlück öliger Brühe klappt er die Titelseite auf.
'Privates Gesundheitsunternehmen interessiert sich für Leerstände und das Traditionslokal in G.'
Harry bekommt einen Hustenanfall und spuckt eine Kaffeefontäne auf Zeitung und Tisch. Fluchend reibt er mit dem Spültuch alles weg so gut es geht, und liest den Artikel.
Ein junges Paar aus der Stadt möchte in den Räumen des 'Ochsen' eine Rehaeinrichtung etablieren. Massagen und gezielte Sportangebote, kombiniert mit Bewegung in der Umgebung, (...herrliche Natur und alter Waldbestand...), Walkinggruppen, Planung eines Bewegungsbades in der alten Schule und gesunde Ernährung in Kochkursen. Das junge Paar, beide Physiotherapeuten, er mit chiropraktischer, sie mit Yoga Ausbildung, steht in Verhandlung mit den Krankenkassen und der Kreisverwaltung. Außerdem sollen Patienten die Möglichkeit haben, verschiedene Wellnessangebote wahrzunehmen, deshalb werden Kurzurlaube angeboten. Dazu sucht das junge Paar Immobilien am Marktplatz und stellt mehrere Arbeitsplätze in Aussicht. Die Rehamaßnahmen seien ambulant, die Patienten würden aus den umliegenden Dörfern und der Stadt mit einem Shuttleservice gebracht und abgeholt, soweit sie nicht mobil sind. Die Stimmung bei allen Beteiligten wird als zukunftsorientiert und positiv beschrieben, da der Bedarf groß sei, und ein Arzt aus der Stadt das Projekt betreuen würde.
Tewes geht ein Licht auf: Das junge Paar gestern im 'Ochsen', das seltsame Verhalten von Bielmann und Hofer, und Paul, der ausgesprochen gut gelaunt war. Tewes fühlt sich schwach, er schmiert sein Frühstücksbrot, doch der Hals ist wie zugeschnürt. Er friert, seine Füße sind kalt, draußen rieseln die ersten Herbstblätter von den Bäumen. Der Kaffee ist nicht mehr heiß, er spuckt ihn in die Spüle.
Bielmanns Haus steht direkt am Markt, Hofer wohnt in der Seitenstraße, gleich im zweiten Haus. Sie haben es schon gestern gewusst, ganz sicher. Und sie sind bereits in Verhandlungen. Was für eine Schmierenkomödie haben sie aufgeführt! Tewes gießt sich neuen Kaffee ein und legt seine zitternden Hände um die Tasse. Inner circle sozusagen, dazu gehört er nicht. Sein Bungalow steht in einer kleinen, ansteigende Sackgasse am Dorfende. Er wollte immer gern seine Ruhe haben nach den Schultagen.

Tewes klingelt bei Bielmann, die Zeitung hält er aufgeschlagen vor der Brust. Ilse öffnet die Tür.
»Ach, Harry, du bist es. Komm rein.«
Ist sie so arglos, oder tut sie nur so? Tewes bleibt stehen und hält ihr die Zeitung vor die Nase.
»Wie lange wisst ihr das schon?«
Sein Zorn, seine Enttäuschung, festgefroren in dieser Anklage. Ilse Bielmann schweigt einen Moment, die kleine, krumme Frau lächelt noch immer.
»Komm doch rein Harry. Jürgen kommt sicher gleich.«
»Aha, wo ist er denn? Unterschreibt er schon den Kaufvertrag?«
Er spuckt die Worte aus. Ilse Bielmann richtet sich auf und funkelt ihn an.
»Was bildest du dir eigentlich ein, Harry? Hast du irgendein Recht, uns vorzuschreiben, wie und wo wir leben sollen? Nein, hast du nicht! Und lass dir gesagt sein: Wir hoffen, dass das Projekt genehmigt wird, weil wir uns auf die Wohnung in der Stadt freuen, sehr sogar!«
Tewes kann sich nicht zügeln.
»Aha, ihr freut euch also! Aber mich habt ihr belogen und hintergangen!«
Er schnappt nach Luft, rote Punkte flimmern vor seinen Augen.
»Unser Leben haben wir hier verbracht, unsere Kinder sind zusammen aufgewachsen, Freud und Leid haben wir geteilt, und jetzt erfahre ich aus der Zeitung, was ihr plant? Pfui Teufel!«
Ilse Bielmann nickt, ihre Stimme ist eisig.
»Ja, so ist es. Wir sind nicht stolz darauf, doch wir wollen nicht mit dir diskutieren, deine Vorwürfe nicht hören, deine Schulmeisterei geht uns auf die Nerven; du bist nicht unser Lehrer, wir sind nicht deine Schüler!«
Sie will die Tür schließen, doch Tewes tritt einen Schritt auf sie zu.
»Und unser Dorf? Unsere Heimat? Was ist damit?«
Seine Worte klingen wie eine Beschwörung. Ilse schüttelt den Kopf.
»Das Dorf hat jetzt endlich eine Chance zu überleben, sieh es doch mal so.«
Sie kommt heraus und legt Tewes eine Hand auf die Schulter.
»Wir hatten hier unsere Zeit, so viele gute Jahre. Wir hatten ein gemeinsames Leben, doch das ist jetzt vorbei, so oder so, versteh' das doch, Harry.«
Sie überlegt einen Augenblick, dann lächelt sie wieder.
»Weißt du Harry, je älter ich werde, desto wichtiger sind mir die Menschen, die ich liebe. Unsere Familie ist in der Stadt, wir sind dann in ihrer Nähe, und das ist für mich Heimat.«
Tewes schweigt, rollt die Zeitung zusammen, steckt sie in die Manteltasche und geht.
Er ist unglücklich, denkt Ilse, unglücklich und wütend. Ich kann ihm nicht helfen.

Die Kaffeemaschine seufzt ein letztes Mal, Tewes hat kaum geschlafen, seine Handgelenke pochen. Er trinkt sein Morgengebräu in langsamen Schlucken und traut sich nicht, die Zeitung aufzuschlagen. Schließlich wagt er einen Blick auf die Schlagzeile.
G. darf auf eine neue Zukunft hoffen.
Rasch klappt er die Zeitung wieder zusammen.
In der Nacht war er von einer verzweifelten Sehnsucht nach Irene überfallen worden. Das leere Bett neben ihm war plötzlich unerträglich, Tewes hatte sich ins Wohnzimmer gesetzt. Ein Strom von Bildern, von Geräuschen, von Lachen, von Rufen und Gerüchen war durch seinen Kopf gezogen, sein Leben mit Irene und Thomas, die Dorffeste mit allen Nachbarn und Freunden, die Generationen von Schülern, die er hat aufwachsen sehen, all das war ihm wie beschwingte Musik erschienen. Irene, wo bist du? Was soll ich tun? Gegen Morgen war er im Sessel eingeschlafen, da hatte Irene ihn in die Arme genommen.
'Melde dich bei Thomas', hatte sie gesagt und seine Wange gestreichelt, 'sprich mit ihm über deine Angst.'
Tewes schiebt die Tasse weg und wischt über seine feuchten Augen. Hat er denn Angst? Musste Irene kommen, um ihm das zu sagen?
Thomas lebt in Bremen, er hat einen riesigen Gartenbaubetrieb, ein riesiges Haus und einen riesigen Terminkalender. Die beiden Enkel sind zum Studium in Hamburg, Tewes sieht sie nicht oft. Meist ruft Sabine an, seine Schwiegertochter, die ihn frotzelnd 'Herr Dorflehrer' nennt. Tewes holt das Fotoalbum vom letzten Besuch. Da waren sie: Thomas und Sabine, Malte und Anna. Sein sechsundsiebzigster Geburtstag, vor einem halben Jahr. Drei Tage lang hatten sie den Bungalow bevölkert, sein Leben verwirbelt. Tewes war erschöpft, als sie wieder fuhren, der bunte Blumenstrauß vor Irenes Bild hatte ihn gefreut.
Was soll ich ihm sagen Irene, wenn ich anrufe? Wir sind so weit voneinander entfernt, unsere Leben haben kaum Schnittpunkte.
Er wird sagen, dass ich zu ihnen kommen soll, das hat er schon gesagt.
Platz haben sie genug, doch was soll ich in Bremen?
Da will ich nicht hin, ich will hierbleiben, zuhause.
Was hat Ilse gesagt? Die Menschen, die ich liebe...
Sicher, bestimmt liebe ich die Kinder, doch ich kenne sie kaum noch, habe auch keine Lust, sie zu besuchen. Ist mir alles zu hektisch dort. Überhaupt, ich bin am liebsten zuhause. Irene, das weißt du doch, oder?
'Ruf Thomas an und sprich mit ihm über deine Angst, Harry.' Ihre Stimme versteckt sich hinter Tewes' Augen.
Er nickt.
»Ich rufe ihn an, versprochen. Kann ja nichts schaden, wenn ICH mich mal melde.«
Tewes steht auf. Heute wird er sich um das Auto kümmern.

 

Voller Friedhof, leere Häuser.

Harry Tewes ist nie gerne Auto gefahren, doch nun, mit sechsundsiebzig, wird er sich wieder daran gewöhnen müssen.

Schön auf den Punkt gebracht, das "aus"sterben der kleinen Gemeinden durch die Landflucht (dem die Über- und Zersiedlung freier Flächen durch den Wunsch des kleinen Mieters nach dem Eigenheim mit allen üblen Folgen für Flora und Fauna, vor allem aber des Grundwassers).

Keine Bange, Harry kannte ich bis gerade nicht und kann deshalb kein Vorbild für mich sein, denn ich habe und mach auch keinen Führerschein aus Abneigung a) gegen die Dreckschleuder Auto und b) sollte Mitteleuropa genug Führer gehabt haben, dass zumindest ich nicht auch noch einen Schein dazu machen müsste. Aber hoppela,

liebe Jutta,

als Junge glaubte ich, den Niederrhein

(die Wiege der Ruhrindustrie ist da ein gedoppelter Grenzposten, Norden - Sterkrade, das Sankt [St.] Erkrat meiner Selberlebensbeschreibung - Niederrhein)
der Osten (sinnigerweise „Ost“erfeld) „West“falen und der
Süden, „Prairie“, sprich Heide nebst Sumpf, die ursprünglichste Bahnstation der drei Flecken, benannt nach dem gräflichen Schloss im Emscherbruch,

wie meine Westentasche zu kennen, bis wir zum Vetter aus „Dingsda“, perdonen Ustedes, „Dingden“ fuhren, dem realen „Dingeskirchen“, wenn einem ein Ortsname nicht einfällt,

liebe Jutta -

und nicht „unweit“ davon Dinxpperlo, in den ersten dutzend Lebensjahren Ort des Kaffeeschmuggels - und da glaube ich, bin ich gerade in der Gegend gelandet.

Kleine Flusenlese

'Dorfladen in G. schließt zum Jahresende'PUNKT
...

Es stimmt alsoKoMMA was schon lange gemunkelt wird.

Sie war vor acht Jahren geschlossen worden.
Nicht falsch, aber klingt da passiv nicht glaubwürdiger und vor allem eleganter „… wurde … geschlossen“?

(ähnlich weiter unter für den Briefträger: statt

Jeder muss doch sehenKoMMA wo er bleibt.
(eine beliebte Ausrede meines Frl. Mutter

»Für mich auchKoMMA Paul, für mich auch!«
...
Tewes macht eine abweisende Handbewegung, als müsse er eine Fliege verscheuchen.
Typische als-ob-Situation, besser Konj. II, „als müsste“

»Mein Haus ist ein Bungalow, keine Treppe[...], keinen Keller.
Ja, ich weiß, so spricht man - aber: „Kein Treppen“ lässt ja doch „eine Treppe“ zu. Ist das bürokratische Problem in der Frage „Kinder“?, die eine Ein-Kind-Familie getrost verneinen kann ...

Sehr gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo Rob,
danke dir fürs Lesen und Kommentieren! Freue mich, dass die Geschichte dir gefallen hat und bin wirklich überrascht, dass du sie teilweise zu 'tellig' findest.
Meine Befürchtung war eher, dass sie zu dialoglastig ist. So gesehen, bin ich froh über deinen Einwand. Mir geht es in diesen Teilen darum, etwas von der Gedankenwelt, der Verunsicherung, also vom Inneren des Harry Tewes mitzuteilen, der erst einmal so polterig auftrumpft.
Viele Grüße,
Jutta

Hallo Friedel,
es ist schon ein Kreuz mit dir und deinen Flusen!! Wieder einmal habe ich die verhassten Kommata genau da wieder entfernt, wo du sie jetzt, (natürlich, was auch sonst!), wieder haben willst! Okay, mach ich und verlass mich auf dich, ehe ich selber in den Regeln wühle.
Also vielen Dank, auch für deine launigen Ausführungen. Nach Dinxperlo ist mein Opa nach dem Krieg mit einem uralten Moped zum Schwarzmarkt gefahren. Ein Säckchen Kohlen gegen zwei Schuhcremedosen mit Bratfett. Oma hatte ein paar Kartoffeln und dann haben sie Bratkartoffeln gemacht, was für ein Fest!
Beim Schreiben hatte ich einige kleine Flecken im Siegerland vor Augen, dort habe ich sechs Jahre, bis zu meiner Rückkehr in den Pott, gelebt. Etliche Gemeinden sind buchstäblich einfach verloschen, abgeschnitten von den Öffis und vom schnellen Internet sowieso. Viele alte Menschen wohnen inzwischen allein in ihren alten Häusern und sind auf Hilfe angewiesen, da spielen sich häufig stille Dramen ab.
Hoffentlich trifft Harry eine kluge Entscheidung!
Viele Grüße,
Jutta (auch ohne Führerinnenschein):lol:

 

Hallo Jutta,

mehr fand ich nicht -

Nach dem ersten Schlück öliger Brühe klappt er die Titelseite auf.

Schön geschrieben, gern gelesen und doch wirkt es auf mich ein bisschen zu sehr "konstruiert". Klar sind uns alle diese Themen bekannt, aber allein die Größe des Dorfes und seiner Einwohnerzahl im Verhältnis zu den vorhandenen oder aufgegebenen Berufen ist nicht glaubwürdig. Eine Polizeidienststelle für einundvierzig - na gut, lass es das doppelte sein - das gibt es seit den 80ern nicht mehr ... einen Ochsen? In dem Dorf, in dem ich lebe, wohnen 1500 Leute und da gibt es kaum Infrastruktur ... aber egal, Du wolltest ja auch die Situation des Tewes beschreiben und nicht, was noch ist ... die Situation mit dem Festhalten an den liebgewonnenen Zeiten und ihren Mitspielern - ist mir auch sehr vertraut nebst den "Alten", die dann in die Stadt ziehen wegen ihrer "Liebsten" - beide Möglichkeiten sind - nach meiner Erfahrung - problematisch und konfliktbehaftet. Da hättest Du noch ein bisschen Potential ausschöpfen können; aber wo beginnen und wo aufhören. Hat ja ein jeder seine Betrachtungsweise und Du hast nun mal deine versucht zu vermitteln und darum sage ich - gerne gelesen und gut verständlich geschrieben.
Liebe Grüße
Detlev

 

Hallo Detlev,
und vielen Dank für deinen Kommentar. Ja, es stimmt, da könnte ich auch eine Dorfchronik verfassen, es ist schwer, sich nicht zu verzetteln! Deshalb habe ich diese exemplarische Situation geschaffen, mit Tewes als Protagonisten. Die Polizeistation ist schon längst geschlossen, aber klar, vielleicht wäre auch nie eine dort gewesen, das weiß ich nicht. Es sind ja immerhin noch 140 Einwohner im Ort.
Du wirst ja ähnliche Problemeatiken kennen, nehme ich an. Gibt es etwas bestimmtes, das ich hätte ausschöpfen können? Immer heraus damit!
Viele Grüße,
Jutta

 

Moin @Jutta Ouwens,

danke für Deine Geschichte.

Das war ein feiner, wenn auch kleiner Ausflug in die Geschehnisse des Dorfes "G", wobei ich mich frage, warum Du dem Ort keinen konkreten Namen gibst? Das fand ich von Beginn an ein wenig schade, denn es schafft eine gewisse Distanz, das "G" taucht mehrmals im Text auf und ich frage mich, ob ein (fiktiver) Name der Kulisse nicht noch ein wenig mehr Farbe verpasst hätte? Nur so ein Gedanke.

Deine Figuren hatte ich ganz gut vor Augen, obwohl mir der Prota, dafür, dass er 33 Jahre (Grund-)Schulleiter war, ein wenig zu passiv auftritt. Er lässt die Geschehnisse über sich ergehen, haut in der Kneipe einmal auf den Tisch und will den Nachbarn/Freund konfrontieren, doch geht dann letzten Endes wortlos weg.
Ich muss dazu sagen, dass ich nicht vom Dorf komme und somit nicht sagen kann, ob die Leute dort so ticken. Doch es hat sich auf die gesamte Länge der Geschichte so angefühlt, als hättest Du gerade in der Charakterzeichnung noch mehr Lokalkolorit herauskitzeln können.

Kleinigkeiten:

»Aber ihr könnt alle Einkäufe einfach liefern lassen, wisst ihr das? Eine Onlinebestellung, und zack, bringen die alles nach Hause! Kostet natürlich was, ist klar.«
Den Satz mit der Onlinebestellung lassen die Mittsiebziger am Kneipentisch so über sich ergehen. Haben diese Dorfrentner schon einmal etwas online geordert?, habe ich mich gefragt. Hier bietet sich evtl. noch Potenzial für Vertiefung der Charaktere.

»Das ist unfair Harry! Jeder muss doch sehen, wo er bleibt. Ilse ist nicht mehr gut auf den Beinen, wir sind Anfang siebzig, da ist es doch vernünftig, sich zu kümmern!«
Würden die das Alter untereinander erwähnen? Oder erklärt hier die Autorin dem Leser die Gegebenheiten? ;)

»Komm Harry, iss auch mal was, ich geb einen Runde Gourmetessen aus!«
eine Runde

»Mein Haus ist ein Bungalow, keine Treppen, kein Keller.
Das sollten die langjährigen Nachbarn und Freunde aber wissen, das muss der Tewes denen nicht erklären.

Harry bekommt einen Hustenanfall und spuckt eine Kaffeefontäne auf Zeitung und Tisch.
Bei ›Fontäne‹ habe ich das Bild einer senkrechten, liquiden Säule vor Augen. Ein Schwall würde mMn hier besser passen.

Inner circle sozusagen, dazu gehört er nicht.
Auf der einen Seite reißt mich das Englisch bei Tewes ein bisschen raus, auf der anderen Seite passt es wieder ganz gut zu den 33 Jahren Grundschulleitung. Vielleicht kannst Du das vorher noch stärker betonen, dass er (gutes) Englisch spricht und versteht?


Wie gesagt, ich als Stadtkind kann zum Dorfsetting nicht viel an Erfahrung beisteuern, spüre hier aber noch Luft nach oben, was die Ausgestaltung der Charaktere und deren Authentizität angeht.

Ansonsten gerne gelesen,
beste Grüße
Seth

 

Hallo Seth,
vielen Dank für deinen Kommentar und deine Gedanken.
Ich wollte das Dorf nicht benennen, weil ich denke, vielleicht gibt es doch irgendwo einen kleinen Flecken, der so heißt und jemand könnte brüskiert sein. Außerdem ist es ein Hinweis darauf, dass es einfach beispielhaft sein soll. Dennoch: es spricht nichts dagegen, einen Namen zu erfinden.
Harry Tewes ist für mich ein Sturkopf, und ein Verdränger, so lang es eben geht. Er möchte keine Veränderung, deshalb reagiert er erst, als es nicht mehr anders geht. Seine Freunde wissen ja schon bescheid, wo der Hase lang läuft.
Die Charaktere rund um Harry hätte ich sicher ausführlicher beschreiben können, doch für mich steht im Mittelpunkt, was die Veränderung mit tewes macht, außerdem habe ich immer ein bisschen Angst, dass die KG zu lang und evtl. zu geschwätzig wird. Doch da Detlev sich ähnlich geäußert hat, werde ich diesen Aspekt gern beachten.
Viele Grüße,
Jutta

 

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