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Ungewöhnliche Liebe
Er war nicht wie andere Männer, die ich kannte. Seine ruhige, selbstbewusste Art gefiel mir. Er stellte kaum Fragen und gab mir stets das Gefühl etwas besonders Wertvolles zu sein.
Ich liebte ihn mehr als alles andere auf der Welt. Doch da war noch etwas Anderes in mir; ein Verlangen, das ich nicht ignorieren konnte. Ich dachte, ich hätte es unter Kontrolle, ich könnte widerstehen. Aber jedes Mal, wenn ich hörte, wie sein Herz das unwiderstehlich süss riechende Blut durch seinen warmen Körper pumpte, schwand mein innerer Widerstand ein bisschen mehr.
Es war an einem lauen Frühlingsabend und ich war bereits sehr hungrig, als er mich überraschte. Bis dahin hatte ich mich immer tagsüber mit ihm getroffen, wenn mein Verlangen nach Blut gestillt und meine übernatürlichen Kräfte geschwächt waren. Denn er verströmte einen einzigartigen Duft. Sein Blut roch nicht so metallisch wie das der meisten Menschen. Da floss etwas durch seine Adern, das meine Neugierde weckte. Dieser Geruch war der Grund dafür, dass ich mich in seiner Gegenwart nur mit Mühe unter Kontrolle halten konnte. Er wirkte so anziehend auf mich wie Honig auf einen Bären.
Als er nun völlig unerwartet vor mir stand, stieg mir dieser Duft verführerisch in die Nase. Er hauchte mir einen Kuss auf die Wange und ich musste mich mit aller Kraft zurückhalten, damit ich mich nicht auf ihn stürzte. „Hi Schatz“, sagte er sanft. Unfähig mich zu bewegen, starrte ich ihn mit grossen Augen an. Ich spürte meinen Heisshunger aufkeimen. Würde ich gleich über ihn herfallen? Fieberhaft suchte ich einen Fluchtweg um mich ihm zu entziehen. Aber wieso eigentlich? Wieso sollte ich nicht einfach einen günstigen Moment abwarten um ihn ein bisschen anzubeissen und das zu geniessen, was ich eben auch begehrte?
Er merkte nichts von meiner inneren Auseinandersetzung. Mich anstrahlend nahm er meine kalte Hand und sagte feierlich: „Ich habe eine Überraschung für dich. Komm mit!“ Er zog mich mit sich. Völlig hypnotisiert vom Klang seines Herzschlages und vom Duft seines Blutes, folgte ich ihm.
Ich erwachte aus der Hypnose, als er plötzlich stehen blieb und meine Hand losliess. Schlagartig wurde mir bewusst, in welche Gefahr ich ihn bringen würde, wenn ich weiter in seiner Nähe blieb. „Tristan, ich ...“, setzte ich an, doch er unterbrach mich übermütig: „Ich werde dir nun mal kurz die Augen verbinden“
„Tristan, hör mal, ich habe im Moment überhaupt keine Zeit. Ich muss noch viel erledigen für morgen“, log ich. Traurig hielt er inne und sah mich mit seinen klaren, hellblauen Augen an. „Ach komm schon, ich habe mir solche Mühe gegeben. Es hat mich Stunden gekostet!“ Er nahm mein bleiches Gesicht in seine warmen Hände und schaute mir tief in die Augen. „Bitte!“, sagte er eindringlich. Ein elektrischer Schlag durchzuckte mich und ich spürte, wie die Blutgier langsam von meinem Magen den Hals hinauf zu meiner Kehle stieg. Meine Zähne würden gleich zu wachsen beginnen.
Über mich selbst erschrocken wich ich einen Schritt zurück um Distanz zu gewinnen. Ich wollte mich nicht vor seinen Augen in einen blutrünstigen Vampir verwandeln. „Ich ... Ich hab noch nichts gegessen! Ich sterbe vor Hunger!“, stotterte ich. Das war immerhin keine Lüge. Seine Augen leuchteten auf. „Keine Angst, ich lass dich nicht verhungern. Es ist alles vorbereitet.“ Er wusste weder, dass mich menschliche Nahrung nicht nährte, noch dass ich nicht verhungern würde, solange ein schlagendes Herz in greifbarer Nähe war.
Er machte einen Schritt auf mich zu und nahm meine Hand in die seine. Ich merkte, wie mir die Ausreden ausgingen. Eigentlich wollte ich auch gar keine mehr suchen. Aber ich durfte doch nicht nachgeben, es stand zu viel auf dem Spiel. „Ich kann nicht“, sagte ich verzweifelt und schubste ihn sanft von mir weg. Hätte er meine Ausreden doch bloss akzeptiert! Aber Nein, er gab nicht auf. „Sei doch nicht immer so abweisend. Komm mit! Bitte!“ Er setzte seinen Hundeblick auf, der es mir unmöglich machte, ihm etwas abzuschlagen. Ich seufzte. Meine vampirische Seite jubelte auf, als ich nachgab, denn insgeheim wartete sie immer noch darauf, die spitzen Zähne ganz auszufahren und in sein Fleisch vergraben zu dürfen. „Na gut“, lenkte ich ein, und setzte mir die Augenbinde selber auf. „Aber versprich mir, dass es nicht zu lange dauert.“
„Versprochen!“, versicherte er mir. Ich bemerkte, dass er seine Finger hinter dem Rücken kreuzte.
Ich wusste sofort, dass wir im alten Schlosspark waren, als wir anhielten. Da war der unverkennbare Duft der Fichten in der Luft. Ausserdem hörte ich das Plätschern des Engel-Parkbrunnens. Aber etwas beunruhigte mich sehr: Ich hörte nur ein Herz schlagen: Ich war also mit Tristan allein. „Jetzt ist vielleicht die letzte Gelegenheit zu verschwinden“, sagte mir mein menschlicher Verstand. Aber der Blutsauger in mir hielt mich davon ab. Das Verlangen nach Tristan, seinem Duft und seiner Wärme war einfach übermächtig. Ich wollte nicht weg.
Er stellte sich hinter mich. Seine warmen Hände umfassten meinen Körper. Sein Herz schlug schnell, als er mir die Augenbinde abnahm. Es war dunkel und wir waren tatsächlich allein. Niemand würde es merken, wenn ich sein Blut kostete... Der Vampir in mir zitterte vor freudiger Erwartung, während mein menschlicher Verstand mich warnte. „Was ist? Gefällt es dir nicht?“
Tristans Stimme klang beunruhigt und riss mich aus meinen Gedanken. Erst da fielen mir die vielen roten Kerzen auf. Er hatte sie in Form eines Herzens um mich gelegt. Welch wunderschöner Anblick! Sogar der Brunnen war mit einbezogen. Weisse Kerzen schwammen auf dem Wasser und die Flammen spiegelten sich weich auf der Oberfläche. Unfähig etwas zu sagen, starrte ich ihn mit offenem Mund an.
Tristan lächelte. „Es gefällt dir also doch! - Aber, das ist noch nicht alles.“
Mit diesen Worten zog er eifrig eine rubinrote Schmuckschachtel aus seiner Jackentasche, kniete sich vor mich hin und öffnete sie. „Selena, willst du mich heiraten?“ Er sah mich offen und erwartungsvoll an. Seine hellblauen Augen strahlten. Ich rang nach Atem. Ich weiss nicht, was ich erwartet hatte, aber auf einen Heiratsantrag war ich wirklich nicht gefasst gewesen. Wir kannten uns erst seit einem Jahr. Ich liebte und begehrte ihn jeden Tag mehr, aber trotzdem hatte ich ihn immer auf Abstand gehalten; aus Angst, ihm etwas anzutun. Es war das erste Mal, dass ich solch starke Gefühle für einen Menschen hegte, da wollte ich ihn doch nicht verlieren. Und jetzt kniete er vor mir und hielt mir einen wunderschönen Ring entgegen.
„Es kommt vielleicht überraschend für dich, aber ich bin mir in der Liebe zu dir so sicher, dass ich nicht mehr länger warten möchte. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals eine andere Frau zu lieben. Du warst für mich von Anfang an etwas ganz Besonderes. Ich liebe dich so sehr! Wenn du dasselbe für mich empfindest, dann antworte bitte mit einem Ja.“
Ja, ich liebte ihn wirklich. Jedenfalls meine menschliche Seite. Aber das, was Tristan für mich empfand, hatte ich vielleicht nur meiner Natur zu verdanken, denn Vampire sind Verführungskünstler. Wäre ich kein Vampir, hätte ich ihm den Kopf kaum so sehr verdrehen können, dass er mir gleich einen Heiratsantrag macht. Nein, es wäre nicht richtig ihn zu heiraten. Unsere Beziehung war absurd. Ein Wolf, der sich in ein Schaf verliebt. Das geht doch nicht! Und trotzdem: Meine Gefühle für ihn waren real. In diesem Moment, wollte ich einfach nur ein Mensch sein, der seinen menschlichen Gefühlen folgt.
„Ja“, hauchte ich endlich. Ich hörte wie sein Herz einen Sprung machte. Ich fühlte, wie glücklich er war, als er sich erhob und mir den silbernen Ring an den Finger steckte. Er küsste meine Hand und umarmte mich. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Lachen, weil ich überaus glücklich war, mich wie ein Mensch zu fühlen, zu lieben, zu heiraten! Weinen, weil ich eigentlich genau wusste, dass diese Beziehung nie wie eine menschliche Ehe sein würde. Der Vampir sass trotz allem noch in mir und wartete nur darauf ausbrechen zu können. Doch ich verdrängte den Gedanken und lächelte.
Als er seine warme Umarmung wieder lockerte, betrachtete ich den Ring genauer. In seiner Mitte sass ein strahlender Topas. Oben, unten, rechts und links vom Topas waren kleinere durchsichtige Steine angebracht, welche jeweils durch einem silbernen Bogen miteinander verbunden waren, so dass diese wie Blütenblätter wirkten. Die Farbe des Topas war aussergewöhnlich: Das strahlend helle Blau von Tristans Augen widerspiegelte sich in diesem Edelstein!
Mir war klar, dass er für den Ring monatelang gespart haben musste.
„Er ist unglaublich schön“, flüsterte ich Tristan zu. Er küsste mich auf die Stirn und meinte: „Genau wie du!“ Ich schenkte ihm ein Lächeln und wollte ihm zum Dank einen kurzen Kuss auf den Mund drücken. Doch als meine kalten Lippen die seinen berührten, umschlang er mich ganz fest und küsste mich innig. Eigentlich wollte ich abblocken und ihn von mir wegstossen. Aber hatte er sich nicht einen innigen Kuss verdient?
Ich erwiderte seinen Kuss. Das veranlasste Tristan dazu, mich noch fester an sich zu pressen. Langsam erwachte der Blutsauger in mir. Tristans Hände wanderten unter meinem T-Shirt meinen Rücken hinauf. Sollte ich ihn jetzt stoppen? Seine sanften warmen Hände fühlten sich so gut an. Aber ging das nicht zu weit? Nun vergruben sich seine Finger in meinem Haar, während seine weichen Lippen meinen Hals zu küssen begannen. So warm, so zärtlich; es fühlte sich einfach richtig an. Aber nein, das durfte nicht sein. Ich musste ihn aufhalten. Jetzt!
Tristan spürte, dass mich etwas beschäftigte. Doch statt von mir abzulassen und mich danach zu fragen, nahm er meinen Kopf in seine Hände. Er strich mir sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und flüsterte mir immer wieder ins Ohr, wie sehr er mich liebte.
Als ich seinen warmen Atem an meinem Ohr spürte und hörte, wie sein Herz immer schneller sein verlockendes Blut durch den Körper pumpte, begehrten ihn plötzlich beide Seiten in mir so sehr, dass ich all meine Bedenken vergass. Ich packte Tristan und drückte ihn voll Verlangen an mich. Meine Hände krallten sich in seine Haare und ich küsste ihn wild. Ich wollte ihn. Und er wollte mich.
Seine Lippen fanden erneut den Weg zu meinem Hals. Ich hörte, sah und roch nichts mehr ausser ihn. Ungeduldig riss ich ihm buchstäblich das T-Shirt vom Leib. Er war so vertieft, dass er nicht mal merkte, dass ich es in Fetzen gerissen hatte.
Als ich seinen kräftigen Herzschlag ganz nah unter meiner Hand spürte, verdrängte der Vampir in mir den Menschen. All die warnenden Gedanken verstummten. Ich roch das Blut, hörte den schnellen Herzschlag und fühlte seinen warmen Körper an meinem. Das Verlangen nach Blut stieg von meinem Bauch in meine Kehle. Es stieg unglaublich schnell. Auch wenn ich es gewollt hätte – jetzt hätte ich keine Chance mehr gehabt, meine Blutgier noch zu unterdrücken.
Ein elektrischer Schlag durchzuckte meinen Körper. Ich spürte, wie sich meine Eckzähne spitzten. Welch ein befreiendes Gefühl, als der Blutsauger in mir seinen Käfig sprengte und alles Menschliche in die hinterste Ecke meines Bewusstseins zurückdrängte. Nun war ich durch und durch Vampir.
Meine Lippen hatten seinen Hals erreicht. Ich hörte und spürte das Blut in seiner Halsschlagader rauschen. Ich wollte es schmecken. Ich wollte spüren wie meine messerscharfen Zähne sich in seinen Hals bohrten, direkt in die Schlagader. Dann könnte ich sein unwiderstehlich warmes, süss duftendes Blut kosten. Jeden einzelnen Schluck würde ich geniessen...
Ich konnte nicht anders, ich biss zu.
Ein starkes Gefühl der Wärme und Geborgenheit breitete sich aus in mir. Die Liebe erfüllte mein ganzes kaltes Herz und wärmte mich innerlich. Es war das Schönste, was ich je gefühlt habe.
Ich kniete auf dem Boden, als ich aus meinem Blutrausch erwachte. Benommen starrte ich den Mann an, der vor mir auf dem Boden lag. Mit zitternden Fingern fasste ich ihn an. Er war kalt, als ob ihm jemand seine Wärme gestohlen hätte. Da fing mein Gedächtnis wieder zu arbeiten an und ich erinnerte mich. Ich liebte diesen Mann; er war der einzige Mensch, der mir wirklich etwas bedeutete. „Tristan?“, flüsterte ich. Er regte sich nicht. „Tristan!“ Ich schüttelte ihn an der Schulter; nichts. Erst da fiel mir auf, wie bleich er war. Als ob kein Tropfen Blut mehr in seinen Adern wäre. Entsetzt sprang ich auf. Ich hab doch nicht etwa...? Mein Blick wanderte zu seinem Hals. Da waren zwei kleine runde Stichwunden zu erkennen. Ich wischte mir über den Mund. Wie betäubt starrte ich meine Hand an. Blut klebte an meinen Fingern. Sein Blut. Jetzt fiel mir auch auf, dass ich keinen Herzschlag mehr hörte. Er war tot.
Der Schmerz fuhr in meinen Körper und zwang mich in die Knie. Ich hab ihn umgebracht! Ausgesaugt! Ich krümmte mich vor Schmerz. Nicht einmal das, was ich liebte, hatte ich vor mir beschützen können. Ich wollte es nicht glauben.
Zitternd kroch ich zu ihm und legte meine Hand auf seine Wange. „Wach auf ... Bitte!“, flüsterte ich. Er bewegte sich nicht. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich sah und fühlte nichts mehr ausser dem Schmerz, der meinen Körper in Blei zu verwandeln schien.
Sanft strich ich ihm über sein selbst im Tod noch schönes Gesicht. Er hatte ein Lächeln auf den Lippen. Noch nie hatte eines meiner Opfer im Tod so glücklich ausgesehen. Ich schluchzte. Wieso hatte ich mich nicht beherrschen können?Ich bin ein Monster!
Wäre ich doch bloss nicht so naiv gewesen, im hungrigen Zustand mit ihm mitzugehen! Hätte ich mich doch zusammengenommen und wäre geflohen! Wir hätten noch so viel gemeinsam unternehmen können! Er wollte mich heiraten und ich hatte durch ihn zum ersten Mal echte Liebe verspürt. Wieso musste ausgerechnet er so verführerisch duften? Warum hatte ich nicht widerstehen können?
Tränen rollten mir über die Wangen und tropften in sein Haar. Wut stieg in mir auf. Wut über das Monster in mir. Wie konnte ein Teil von mir Tristan lieben und der andere ihn umbringen?
Ich weiss nicht wie lang ich weinend dort gesessen habe und mir Vorwürfe machte.
Als am Horizont ein heller Streifen den nahenden Morgen andeutere, nahm ich seine kalte Hand in meine und schaute ihn traurig an. „Es tut mir Leid“, flüsterte ich. Ich hoffte, er würde es hören. Dann beugte ich mich über ihn und hauchte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen. „Ich liebe dich.“
Als ich seine Hand sanft auf seine Brust zurücklegte, fiel mein Blick auf den Ring an meinem Finger. Das strahlende Hellblau des Edelsteins brannte in meinen Augen. Nach all dem, was ich Tristan angetan hatte, verdiente ich den Ring nicht.
Entschlossen zog ich ihn von meinem Finger und ging zum Brunnen mit der Engelsstatue. Die Flammen der weissen Kerzen tanzten schon lange nicht mehr auf der Wasseroberfläche. Aber neben dem Brunnen blühten wunderschöne gelbe Krokusse. Gelb war Tristans Lieblingsfarbe gewesen. Ich kniete mich hin und bettete den Ring mitten in die Blumen. Dies schien mir der richtige Platz für ihn zu sein.
Langsam erhob ich mich und warf einen letzten Blick auf Tristan. Nie wieder würde ich eine so starke emotionelle Bindung zu einem Menschen eingehen. Tristan war meine erste und letzte Liebe gewesen.
Ich holte tief Luft, drehte ich mich um und rannte davon, in der Hoffnung, dem Schmerz in meiner Seele entfliehen zu können.