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Uni-Liebe
"Hey Mama, kannst du mich abholen?"
Sie fror. Um halb sechs hatte sich bereits die Nacht über das Unigelände ausgebreitet. Das Vordach hielt zumindest den Nieselregen ab. Das erste Seminar in allgemeiner Psychologie I hatte sich als wenig interessant erwiesen. Lena ärgerte sich, dass sie nicht etwas Banaleres wie Englisch oder Mathe gewählt hatte. Da wusste man, woran man war und musste nicht zwei Stunden mitanhören, wie der Schall im Ohr wirkt. Ein merkwürdiges Thema für einen solchen Kurs.
Ein Junge stand in der Ecke und zog an seiner Zigarette.
"Na, Auto kaputt?" Lena sah ihn an und wusste nicht, warum er das fragte. Dann erinnerte sich sich daran, dass sie gerade ihre Mutter gebeten hatte, sie abzuholen.
"Nein, erst siebzehn". Er sah sie verdattert an. Sie ging hinunter zur Straße.
Jan sah sich um. Der Hörsaal war voll besetzt. In einer der mittleren Reihen saßen nur vereinzelnd Stundenten und so ließ er sich am Gang dieser Reihe nieder. Der Dozent, dessen Namen er sich nie merken konnte, begann gerade kleine Boxen aufzubauen und zischte in sein Mikro "beschissene Dinger." Jan grinste.
Er sah sich noch ein bisschen um, drehte den Kopf nach hinten, sah nach vorne, dann zur Seite. Eine junge Frau, relativ klein und kurvenreicher als es modern war, saß neben ihm. Das blonde Haar war kurz geschnitten und die Ponyfransen machten sie jünger als sie wohl war. Sie holte einen College-Block und ein Etui heraus. Das Etui war wie ein Huhn gestaltet, mit großen Plüschkopf und einer Schleife um den Hals. Er mochte diese Art von Frauen. Sie waren locker, nicht so verkrampft und liefen noch mit 35 mit Hello-Kitty Frühstücksdosen herum. Die Frau merkte seinen Blick und lächelte entschuldigend.
"Meine Mutter hat es mir zum Abschluß geschenkt. Es hat nostalgischen Wert." Er lächelte zurück, sagte aber nichts. Schön war die Kleine wirklich nicht, nicht einmal hübsch. Die Nase war zu groß, der Mund zu breit. Dafür konnte sie wunderschön lächeln und zeigte eine Reihe zahnspangen geformter Zähne. Und die Augen! Zwar zu klein um proportional richtig im Gesicht zu wirken, aber von einer seltenen grauen Farbe und sehr ausdrucksstark. Erstsemester, keine Frage, dachte sich Jan. Er, der den Kurs als Zusatz für sein Lehrarmtstudium brauchte, war mit 24 über dieses Stadium hinaus.
Nach dem obligatorischen Anruf bei ihrer Mutter nach der nächsten Vorlesung wollte Lena direkt an der Straße warten. Die doppelte Belastung von Schule und Uni machte ihr doch mehr zu schaffen, als sie zuerst dachte. Ihr Gymnasium hatte mit der Oberstufe an einem Leistungscheck teilgenommen, bei dem herauskam, dass Lena theoretisch das Niveau eines Erstsemesters hatte. Das wunderte sich, da sie in der Schule nur durchschnittliche Leistungen erbrachte. Ihre Beratungsleherin war allerdings so begeistert, dass sie Lena für ein Projekt der Uni - Dortmund anmeldete, an dem Schüler, die die Vorraussetztungen erfüllten, bereits in der zwölften Klasse ein Universitätsseminar besuchen durften. Probieren kostet nix, dachte Lena und stimmte zu.
Vielleicht ein Fehler, schoss ihr durch den Kopf. Der Mann, der bei der Vorlesung neben ihr saß, hielt sie bestimmt für bekloppt, dass sie mit einem solchen Etui aufkreuzte. Ihre Mutter hatte es ihr geschenkt, als sie ihren FORQ geschafft hatte. Hübsch war er gewesen, mit den dunklen Haaren und den tollen blauen Augen... Aber gewiss keiner, der sich für eine Schülerin interessierte. Lena lachte auf und schalt sich eine Närrin. Typisches Schulmädchen Gehabe, dachte sie bei sich. Kennt den Kerl nicht, stellt sich aber vor, warum aus ihnen nichts werden kann.
Sie war an der Kreuzung angekommen, bei der sie sich mit ihrer Mutter verabredet hatte, weil sie dort in der Nähe gut parken konnte. Kaum stand sie, wurde die Ampel rot und ein kleiner roter Ford Fiesta stand direkt vor ihr. Zwei junge Männer saßen darin und winkten ihr zu. Etwas irritiert winkte Lena zurück. Der Beifahrer kurbelte das Fenster runter und sagte mit schweren Akzent "Na Prinzessin, auf wen wartetest du denn?" Lena überlegte nicht lange.
"Auf meinen Vater". Hörte sich respektseinflössender an als "Mutti".
"Sollen wir dich mitnehmen? Ich könnte auch dein Daddy sein." Ernüchternd stellte Lena fest, dass er "Daddy" anders auslegte als sie. Sie zeigte ihm als Antwort nur den Mittelfinger.
"Ach Süße, wir mögen kleine Studentinnen wie dich."
Erschrocken registrierte Lena, dass ihr ein Arm um die Schulter gelegt wurde.
"Liebling, stimmt was nicht?" Sie sah zur Seite. Ihr Sitznachbar stand da und spielte sehr authentisch ihren Lebensretter.
Die beiden Jungen fingen an zu lachen und fuhren weiter.
Die Frau tat Jan einfach Leid. Er wusste nicht warum er das getan hatte, eigentlich war das nicht seine Art. Er weigerte sich meistens, sich Einzelgänger zu nennen, weil das meist Leute waren die entweder zu freakig waren um normal sein zu können oder diese pseudo Traurigen, die noch nicht der Pubertät entwachsen waren und sich deswegen für cool hielten. Er hatte Freunde. Er musste nur nicht immer mit ihnen zusammen sein. Das, war andere Leute taten, interessierte ihn weniger. Vielleicht wäre er auch jetzt einfach weiter gegangen, wenn es nicht so putzig ausgesehen hätte, wie sie den beiden Kerlen den Stinkefinger gezeigt hatte. Winzige Hände, dachte er. Waren ihre Füße wohl auch klein?
Das Auto war weg. Er nahm den Arm von ihrer Schulter, obwohl es ihm irgendwie Leid tat.
"Vielen Dank." Jetzt lächelte sie wieder. Ach, dieses Lachen, dachte Jan bei sich. Schön und ehrlich.
"Kein Problem. Keine Angst, sowas passiert hier nicht oft. Solche Helden gibt es aber überall." Sie runzelte leicht die Stirn. Er hatte viel zu schnell gesprochen. Jan merkte, wie sein Gesicht heiß wurde. Bitte, dachte er bei sich, lass es dunkel genug sein, dass sie mein rotes Gesicht nicht sieht.
Egal, wie alt er wohl wäre, rot würde er bis an sein Lebensende.
Der junge Mann wusste nicht Recht was er tun sollte. Gehen? Oder die Chance ergreifen? Sie gefiel ihm, obwohl sie eigentlich nicht sein Typ war, er bevorzugte große, schlanke Frauen. Obwohl, dick war sie nicht. Er stellte sich vor, wie sie sich wohl anfühlen würde. Ob sie gut roch? Er hatte einen Tick dafür, für Düfte. Jan meinte keine Parfüms, sondern den Körpergeruch. Den Duft der Hände, des Nackens, des Haars. Er wettete, sie duftete wunderbar.
Jetzt sah sie ihn an. Nicht unfreundlich, nur etwas irritiert. Er stand jetzt seit fast einer Minute neben ihr, die Ampel wurde zum zweiten Mal grün, und er schwieg immer noch.
"Ich.. Ich war bei der letzten Vorlesung nicht da. Kann ich vielleicht deine E-Mail Adresse haben, damit du mir ein paar Unterlagen schicken kannst?". E-Mail war immer unverfänglicher als Handynummer. Außerdem hatten die meisten Studenten einen Laptop, auf dem sie ihre Unterlagen speicherten.
Die Frau schien unsicher. Kein Wunder, dachte Jan, du benimmst dich wie ein ausgemachter Idiot. Er trat vom einem Bein auf´s andere. Wahrscheinlich hält sie dich für einen Psychopathen, genauso beschränkt wie die Jungen vorhin im Auto.
Sie wirkte noch immer ein wenig ernst, als sie ihren Rucksack auf den Boden stellte, ein kleines Notizbuch herausnahm und eine Seite heraus riss.
"Ich schreib dir auch meine ICQ Nummer auf." Sie gab ihm den Zettel. Er nahm ihn und lächelte. Erleichtert.
"Meine Mutter ist da. Meld dich mal." Ein Auto hielt und sie stieg ein. Als der Wagen anfuhr, drehte sie sich noch einmal um und lächelte.
Lena traute sich zu Hause nicht, ihren Laptop anzumachen. Du bescheuerte Kuh, dachte sie bei sich, du dummes Ding. Wie alt der Typ wohl sein musste? Mitte zwanzig? Irgendwie hatte sie das Gefühl, ihn zu verarschen. Aber er hat nicht gefragt, rechtfertigte sie sich
Sie setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl.
Sie kam sich außerdem etwas leichtfertigt vor. Sie hatte diesen Mann erst einmal kurz gesehen. Klar, er war sehr nett gewesen und hatte ihr geholfen. Außerdem fand sie es süß, wie verlegen er geworden war. Und rot. Männer die rot wurden, konnten keine Psychophaten sein.
Sie schaltete ihren Laptop ein. Das Hochfahren dauerte. Als endlich alles geladen war, aktivierte sie ihr ICQ. Niemand hatte sie geaddet. Halb so schlimm, dachte Lena, wirklich. Sie war sich im Klaren, dass er sicherlich nicht sofort nach Hause gefahren war, weil er sie unbedingt adden wollte.
Ihre Mutter rief zum Essen.
Gerade als sich Lena in der Küche hinsetzten wollte, hörte sie das Geräusch von zerbrechendem Glas.
Jan war nach Hause gefahren, etwas, was er sonst nicht sofort tat. Henning saß im Wohnraum und las.
"Hey." Henning sah auf. "Na, wie war dein Tag?"
Jan grinste "Hab jemanden kennen gelernt. Nette Frau, saß im Kurs neben mir." Er hing seine Jacke auf und sah sich um. Sein Mitbewohner hatte wieder eine Putzorgie veranstaltet. Die beiden Männer erfüllten zwar nicht ganz das Klischeé der unordentlichen Studenten, aber ein wirklicher Wohnungsputz wurde nur alle drei Monate vollzogen. Außer, wenn die eigenen Muttis zu Besuch kamen.
"Klasse, hast aufgeräumt. Ich hätt dir aber auch helfen können." Henning verdrehte nur die Augen.
Jan ging in sein angrenzendes Zimmer und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder. Der PC war noch an. ICQ war offen. Er suchte den Zettel mit der Nummer aus seiner Jeans und tippte sie ein.
Sei da, bat er, und nimm an.
Das typische Geräuscht ertönte fast prompt. Hektisch schrieb er "Na, schon zu Hause?" Er schickte ab und hätte sich ohrfeigen können. Na, schon zu Hause? Wie hätte sie sonst seine Anfrage annehmen sollen. Idiot, beschimpfte er sich selbst.
"Ja, bin ich. Wie heißt du eigentlich?"
"Jan, und du?"
"Mein Name ist Lena."
Lena, Lena, Lena....
Einige Zeit war seit diesem Abend vergangen. Jan hatte Lena zweimal versucht einzuladen, einmal in eine stadtbekannte Disko, zum Glück eine nur für über Achtzehnjährige, und einmal zu einem Abend mit Freunden, bei sich zu Hause. Sie hatte beide Male abgelehnt. Die Absagen hatte ihn ziemlich geknickt. Sie chatteten zwar jeden Tag und sahen sich jeden Dienstag in der Uni, aber er war ihr kein Stück näher gekommen.
Jetzt saßen sie hier wieder im kalten, muffigen Hörsaal. Sie blickte angestrengt zur Leinwand, während er sie ansah. Nächste Woche konnte er sie nicht sehen, er hatte ein zweitägiges Praktikum in einem Gymnasium.
Jan sah sie an und es begann wieder zu kribbeln. Er verstand sich selbst nicht. Er war doch keine sechzehn mehr und für solches Verknalltsein, dafür war er doch wirklich zu alt. Er dachte oft an sie und es frustrierte ihn tierisch, dass sie keinen Schritt näher kam. Klar, er wusste dass sie gerne Linkin Park hörte und House Parties mochte, dass sie die Herr der Ringe Teile gelesen hatte und später Therapeutin werden wollte. Er wusste, dass sie einen kleinen Bruder hatte und wo sie wohnte. Sie würde die SPD wählen und hielt Gesamtschulen für eine sinnvolle Sache. Sie hatten diskutiert und gestritten, hatten sich per ICQ Witze erzählt und sich über die Webcam in die Augen gesehen. Sie musste ihn doch auch mögen, wenn sie so oft und so lange mit ihm chattete. Warum sagte sie ab? Hatte sie wirklich keine Zeit?
Jan war krank vor Liebeskummer.
Beide verließen gemeinsam den Hörsaal, aber diesmal wollte sich Lena bei der Mensa verabschieden.
"Meine Mutter kann mich nicht abholen, ich fahr mit der S-Bahn nach Hause." Das war zwar ein langer Weg für sie, aber sie würde erst in einem halben Jahr achtzehn, außerdem hatte sie noch gar keine Prüfungen in der Fahrschule gemacht. Jan begann zu grinsen.
"Ich kann dich nach Hause fahren. Huckarde ist nicht weit von Mengede entfernt." Lena´s Herz begann zu pochen. Alleine mit ihm im Auto? Sie war noch nie wirklich alleine mit ihm gewesen. Sie dachte wehmütig an die Verabredungen, die sie hatte ausschlagen müssen. Die Disko, in die sie nicht reingekommen wäre oder der Abend mit seinen Freunden. Ich muss um eins zu Haus sein, Mutti holt mich ab. Das wäre zu peinlich gewesen. Gesagt, dass sie noch zur Schule ging, hatte sie ihm immer noch nicht. Lena hatte einfach nur Angst, dass er sie dann für ein Kind halten würde. Kein Interesse mehr hätte. Nicht mehr mit ihr Schreiben würde. Keinen Kontakt mehr wollte.
Sie war noch nie so verliebt gewesen. Und so ängstlich.
"Wenn es dir wirklich nichts ausmacht.... Gerne." Nun schlug ihr Herz bis zum Kinn. Sie gingen wie gewohnt zum Nordausgang, über die Kreuzung zum Parkplatz. Da stand er, sein dunkelblauer Ford 4, etwas schmutzig, aber passend für einen Studenten. Jan stieg ein und öffnete Lenas Tür von innen. Entschuldigend lächelte er.
"Keine Zentralverriegelung." Sie lächelte zurück, sagte aber nichts. Ihr Herz wäre ihr sonst wahrscheinlich heraus gehoppst.
Es waren keine zehn Minuten von der Uni bis zu ihr nach Hause. Sie schwiegen, bis auf die Anweisungen, die Lena ihm gab. Er wusste nicht genau, wo sie wohnte.
Aus dem Radio tönte irgendeine laute, nicht besonders schöne Musik, als sie anhielten. Lenas Elternhaus war hell erleuchtet. Es war Dezember und schon dunkel.
Sie wusste nicht warum, aber sie blieb einfach sitzen. Jan schaltete den Motor aus, im stillen Einverständniss.
Sie erwartete, dass es passieren würde. Die laute Musik war alles, was zu Hören war. Das Warten war unerträglich.
Gerade als sie sich zu ihm umdrehen wollte, spürte sie seinen Arm auf ihrer Schulter. Langsam wendete sie sich um.
Er war ganz nah.
Kam näher.
Und dann...
Mmh...
"Lena? Lena?" Kathrin schubste ihre Freundin an. Verwirrt schreckte sie hoch
"Was ist los?"
"Es hat geläutet." Lena registrierte, wie genervt sie klang.
Die beiden Freundinnen standen auf und gingen den Flur hinunter. Lena war einfach nicht bei der Sache. Der Kuss am letzten Dienstag war so wunderbar gewesen. Weich und warm wie... ach, ihr fiel nichts ein, was dieses Gefühl hätte beschreiben können. Lena hatte schon einen Freund gehabt, aber das war anders gewesen. Nicht so aufregend, nicht so wundervoll. Aber jetzt belastete es sie noch mehr, dass sie ihm nie ihr wahres Alter gesagt hatte. Siebzehn und Vierundzwanzig. Bald Achtzehn, korrigierte sie. Gelogen hatte sie nie. Er hatte nie genau gefragt, wie alt sie war.
Sie waren am Geschichtsraum angekommen. Er studierte Geschichte. Jan, mit dem sie letzte Woche herumgeknutscht hatte! Ihr Herz hüpfte. Sie dachte nur noch daran. Kathrin und sie ließen sich an der Wand hinunter rutschen. Lena hatte es ihr erzählt, aber sie wollte ihn der Schule nicht darüber reden. Kathrin meinte zwar, so ein Altersunterschied wäre gar nicht so schlimm, aber Lena fühlte sich schuldig. Aber gelogenen hatte sie nie, sagte sie sich selbst. Nur nicht alles erzählt...
Die Tür wurde aufgeschlossen und die Klasse strömte hinein. Lena ließ sich auf ihrem gewohnten Sitzplatz sinken, mit dem Rücken zur Tür. Herr Biedermann, der seinen Namen zu Recht trug, begann mit der "sozialen Frage des langen neunzehnten Jahrhunderts." Ich hab auch so viele Fragen, dachte Lena.
Kurze Zeit später klopfte es an der Tür. Lena hatte keine Lust sich umzudrehen. Wahrscheinlich ein Mitschüler, der es nicht mal schafft zur dritten Stunde pünktlich aufzustehen, dachte sie sich.
Herr Biedermann begrüßte den Neuankömmling mit einem Nicken.
"So Leute, dass ist ein Referendar, der sich für zwei Tage unsere Schule ansieht. Möchten sie sich selbst vorstellen?" Ich hörte Schritte hinter mir. Als ich seine Stimme hörte, stockte mir das Herz.
"Hey, ich bin Jan Binder."
Alles drehte sich um ihn. Sie war Schülerin. Siebzehn, achtzehn Jahre alt. Und er Idiot hatte sie nie gefragt. Er hatte sie geküsst. Er war verliebt. In ein Kind.
Er brachte die Stunde hinter sich und meldete sich krank. Zu Hause verkroch er sich in seinem Zimmer. Den Computer hatte er nicht angemacht. Er war zu verwirrt. Zu gekränkt. Hilflos.
Als Henning von der Uni kam, fand er ein Häuflein Elend vor.
"Ey Alter, was ist denn los mit dir?"
In kurzen Worten erklärte er es ihm.
Wortlos setzte er sich zu Jan.
Dann begann Henning zu reden.
Lena konnte nicht denken. Nicht fühlen. Als der Unterricht nach einer schieren Ewigkeit beendet war, rannte Lena fast nach Hause und schaltete den Laptop an. Er war nicht online.
Kein Wunder, er hatte den Klassenraum fluchtartig verlassen. Jan hatte sie nicht mal angesehen.
Lena begann zu weinen.
Ungefär 7 Kilometer weiter schaltete Jan seinen PC ein. ICQ öffnete er nicht, sondern gab bei google.de eine Suchanfrage ein...
Lena saß auf der Fensterbank und wartete. Worauf, dass wusste sie nicht.
Es war fast eine Art Panik, von der sie ergriffen war. Zur Uni war sie heute erst gar nicht gegangen, zu sehr plagten sie die Gedanken um Jan. Jetzt würde sie nie wieder etwas von ihm hören. Ihn nie wieder berühren, obwohl es doch gerade erst angefangen hatte. Sie glaubte, dass Herz würde ihr zerspringen. Sie hatte nicht gewusst, dass Gefühle wirklich körperlich wehtun können.
Die Nachbarn schalteten die Weihnachtsbeleuchtung an.
Ein alter Mann mit einem fetten Dackel gingen über die feuchte, dunkle Straße.
Die Welt hatte sich nicht aufgehört zu drehen.
Es klingelte bei ihnen zu Hause. Lena´s Mutter würde die Tür schon öffnen.
Sie legte sich auf ihr Bett. Ausgestreckt, lag einfach nur da.
Die Tür wurde geöffnet. Besuch konnte sie nicht gebrauchen. Sie wollte gerade sagen, dass der Neuankömmling verschwinden sollte, als sie Jan sah. Er stand da, verlegen, in abgetragenen Jeans, einer dicken Daunenjacke und feuchten Haaren. Und er war so schön.
Lena richtete sich kerzengerade auf und starrte ihn an.
Jan kam näher und setzte sich auf ihr Bett.
"Es tut mir so Leid." Mehr konnte sie nicht sagen, weil sie einen Knoten im Hals bekam.
"Ich hab nie gefragt." Er lächelte nicht.
"Ich versteh, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst." Er sagte nichts.
"Ich wollte dich nicht belügen. Aber am Anfang kam nie die Rede auf mein Alter und später... da wollte ich dich einfach nicht verlieren." Jan schaute auf den Boden.
Lena wusste nicht was sie sagen sollte. Ihre Nase begann zu brennen. Gleich wein ich, dachte sie.
Beide schwiegen.
Es begann zu regnen.
"Ich war heute im Internet." Lena sah auf. Was meinte er damit?
"Ich hab was gegoogelt." Sie sah ihn an.
"Wenn du willst... also, wenn du dir vorstellen kannst, mit mir zusammen zu sein... was ich sagen will.... wir können." Sie war irritiert.
"Was können wir?"
"Zusammen sein. Ein Paar. Das ist nicht strafbar. Du bist über sechzehn. Wir können alles machen, was wir wollen." Er wurde rot. Er dachte daran, wie sie sich wohl anfühlen würde. Wie sie roch.
"Aber du kannst nicht mit mir in die Disko gehen." Sie begann zu lachen und zeigte ihre zahnspangen geformten Zähne.
"Für dich warte ich auch noch ein Jahr."
"Kein halbes mehr."
Und dann...
Mmhhh...