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Unscheinbar
Unscheinbar
Auf dem Polizeirevier. In einem dunklen Raum sitzt auf einem Stuhl eine junge Frau. Ganz ruhig und ohne den leisesten Mucks von sich zu geben. Ein paar Minuten später tritt ein Polizist herein und setzt sich ihr gegenüber. Er schaut ihr tief in die Augen und sagt: "Also, Miss, warum sind Sie hier?" Keine Reaktion. Sie sitzt immer noch da. Bewegungslos. Dann nimmt sie einen Schluck Wasser aus einem Becher vor ihr auf dem Tisch und antwortet: "ich glaube, ich habe eine furchtbare Tat begangen." "Und welche?", hackt der Polizist nach. "Ich bin nicht sicher.", war ihre Antwort darauf. "Wie, Sie sind sich nicht sicher?! Sie müssen doch wissen, was Sie getan haben?", meinte er dann mit einem bestimmenden Ton in der Stimme. „Ich weiß es doch nicht. Deswegen sage ich ja auch, ich bin mir nicht sicher.“, gab sie ihm unter Tränen zu verstehen. Danach verließ der Polizist den Raum. Sie hingegen starrte auf die Glaswand, erblickte ihr eigenes Spiegelbild und dachte bei sich: „Ich müsste zufrieden sein. Mein Leben verläuft genauso wie ich es mir erträumt hatte. Ich war auf meiner Lieblingsuniversität. An der Universität von Chicago. Mein Beruf fordert mich nicht nur geistig, sondern füllt mich rundum aus. Ich bin Lektorin.“ Trotzdem hatte es den Anschein, dass ihr irgendetwas im Leben noch fehlte.
Jedenfalls schien Luise glücklich zu sein. Was man in ihrem besonderen Fall als glücklich bezeichnen kann. Denn sie war in keinen festen Händen und eine Beziehung war für sie wie ein Brief mit tausend Siegeln. Schließlich ist sie eher der schüchterne Typ. Um ehrlich zu sein, war sie von der Erscheinung her eine regelrechte graue Maus. Mit ihrem Kopf hing sie stets über den Büchern. Daher war es nicht verwunderlich, dass sie allein geblieben ist. Zuhause wartete niemand auf sie. Außer… Ihren zwei Katzen. Die eine hieß Mimi, die andere Kimi. Freunde hatte sie kaum welche. Die einzigen Menschen, mit denen sie sich in ihrer Freizeit umgab, waren ihre Verwandten. Diese versuchten sie stets unter Leute zu bringen. Aber dies gelang selten. Ohne Zweifel kann man behaupten, dass sie eine waschechte Einsiedlerin ist.
Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Sie fand in ihrer Post einen Brief. Das überraschte sie. Denn sie bekam selten Post. Um ehrlich zu sein, bekam sie eigentlich nie Post. Somit setzte sie sich auf ihr Sofa und öffnete den Umschlag. Auf einem Blatt Papier las sie nur folgende Zeilen: „Einladung Zur Hochzeit. Von Michaela.“ Das verschlug ihr sprichwörtlich die Sprache. Trotzdem dachte sie sich nichts bei und kaufte sich ein Kleid. In der Kirche, wo die Trauung stattfand, setzte sie sich in ihrem neuen lilanen Kleid. In die vorletzte Reihe, um nicht aufzufallen. Die Zeremonie dauerte. Es kam ihr vor wie eine halbe Ewigkeit. Doch im Großen und Ganzen war sie schön. Auf der anschließenden Party gratulierte sie Michaela und stellte fest, dass es eine alte Klassenkameradin war. Dann verschwand sie für ein paar Minuten auf der Toilette. Nachdem sie zurückgekehrt war, hörte sie lautes Gelächter aus einer Ecke des Saales. Als sie näher kam, konnte sie folgendes von den dort anwesenden Personen hören: „Wisst ihr, wer das eben war?“ – „Was meinst du?“ – „Die Person, die Michaela Glückwünsche überreicht hat.“ – „Achso. Nein, wissen wir nicht.“ – „Und wer ist das gewesen?“ – „Tja, es war die kleine Streberin.“ – „Welche Streberin?“ – „Die aus der Highschool.“ – „Du meinst, Miss Mauerblümchen.“ – „Ja, die meine ich.“ „Wer hat die bloss eingeladen?“ – „Das weiß nur Gott allein.“ In diesem Moment rannte Luise weinend hinaus und sagte zu sich selbst, nachdem sie sich in ihr Auto gesessen hat: „Ich wusste es. Ich hätte niemals zu dieser blöden Hochzeit gehen sollen. Diese Leute konnten mich schon in der Schulzeit nicht leiden. Aber ich bin darüber hinweg.“ War sie das wirklich? Aus heiterem Himmel ging das Licht aus im Saal. Plötzlich war ein dumpfes Geräusch zu hören. Irgendetwas fiel zu Boden. Dann wurde es wieder hell. Alle blieben wie erstarrt stehen. Auf dem Boden erblickten sie zwei Personen. Blut war zu sehen. Und wo war Luise? Sie war draußen und hielt einen Baseballschläger in der Hand. Auf ihrem Kleid befanden sich kleine Blutsspritzer. Sie fuhr nach Hause. Dort angekommen, zog sie sich um und ging ins Bett. Am nächsten Morgen überkam sie ein mulmiges Gefühl.
Und nun sitzt sie hier. Ganz still und starrt immer noch auf die Glaswand. Plötzlich erinnert sie sich wieder. Sie sieht es vor ihrem geistigen Auge und sagt laut: „Ich bin eine Mörderin!“. Nach einem kurzen Augenblick kam der Polizist erneut in den Raum und fragt: „Ist es Ihnen wieder eingefallen?“ „Ja, ich habe jemanden getötet.“, antwortet sie ihm. „Sie sind sich da ganz sicher?“, bohrt er noch einmal nach. „Ja, bin ich mir.“, entgegnet sie ihm. Nachdem sie ihm alles geschildert hat, fragt sie ihn nun: „Und was geschieht jetzt mit mir?“ „Nun, sie werden angeklagt und gehen ins Gefängnis.“, antwortet er. Dann führt sie ein anderer Polizist hinaus und die Tür schließt sich.