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Unter einem guten Stern

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10.06.2007
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Unter einem guten Stern

Diese Geschichte ist meine Geschichte und auch die von vielen anderen. Eine allgegenwärtige Geschichte, auch heute noch. In meinem Falle geprägt von Zufällen, Schicksal, Vorherbestimmungen… wie man es auch nennen möchte.

Vorab einige Informationen zu mir:
Ich heiße Maayan Jahnns, Tochter des renommierten Anästhesisten Andreas Jahnns und seiner Frau Shiran Jahnns.
Geboren wurde ich am 7. März 1926.
Mein Bruder Felix ist fünf Jahre älter, meine Schwester Yasmina zehn Jahre jünger.
Meine Mutter ist Jüdin, meine Geschwister und ich demzufolge auch, denn im Judentum heißt es, dass jeder, der eine jüdische Mutter hat automatisch Jude ist.
Man kann sich sicher denken, in welcher Zeit meine Geschichte spielt.

Mein Leben verlief in geordneten Bahnen. Meine Eltern waren unpolitisch, wir waren nicht religiös. Ich wurde in dem Sinn erzogen, zu tun, was ich für richtig halte, was ich mit meinem Gewissen vereinbaren kann und gegen das zu sprechen, was mir zuwider ist.
So habe ich immer gehandelt, so werde ich auch immer handeln.
Das ist mir zum Verhängnis geworden, doch ich bereue nicht, was ich getan habe.
Um zu verstehen, wovon ich rede, beginne ich ganz von vorne.

30. Januar 1933

Wir saßen in unserer hellen, großen, mahagonifarbenen Küche, alle beisammen. Unser Haus war sonst immer belebt mit Kinderstimmen von mir und meinen Freundinnen. Ich hatte immer viele Freundinnen, war ein gern gesehener Gast auf Kindergeburtstagen. Mit Jungen hatte ich nicht viel zu tun, ich war ja auch erst sieben Jahre jung. Zwar habe ich die Freunde meines Bruders immer bewundernd angehimmelt, aber so richtig habe ich mich nie an sie herangetraut.
Doch an diesem Tag hätte man eine Feder zu Boden fallen hören können, so still war es. Nur das Radio rauschte; es war schon vor Weihnachten hingefallen, war aber nur notdürftig repariert worden.
„Bald kaufen wir ein neues Radio, nicht wahr, Andreas?“, pflegte meine Mutter immer dann zu sagen, wenn es besonders laut rauschte.
Aber nicht an jenem Tag. Mein Vater sagt immer, ihm sei schon vorher klar gewesen, dass es etwas schwieriger wird, jedoch dachte er, wir könnten normal weiter leben, immerhin war er einer der besten Anästhesisten von ganz Berlin.
Alle saßen also vor unserem Radio. Meine Mutter, mein Vater und mein Bruder. Mir wurde das verboten, ich sei noch nicht alt genug um das zu verstehen. Sie wussten nicht, dass ich lauschte, bei jeder Ansprache von Hitler. Jedes mal war ich aufs Neue fasziniert, wie er es schaffte, die Menschen so zu begeistern. Der Inhalt seiner Reden war mir recht egal. Hitler sagte immer, ein gutes deutsches Mädel habe blaue Augen und blondes Haar. Von meinen Freundinnen wurde ich immer, mein Leben lang, um eben diese beiden Dinge beneidet.
Da stand ich also, ein kleines, blondes, jüdisches Mädchen von sieben Jahren und hörte mit Freuden die Reden Hitlers.
Damals war mir nicht bewusst, welche Bedeutung dieser Tag hatte. Ich hörte mit an, wie Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, wusste aber nicht, was das heißt. Ich sah nur, wie mein Vater bei dieser Nachricht aussah. So habe ich ihn vorher nie erlebt. Er wurde kreidebleich, sackte in sich zusammen, meine Mutter fing an zu weinen, wurde von meinem Bruder getröstet.
„Warum weinst du, Mama? Es gibt doch keinen Grund, alle leben noch. Die Rede war doch auch schön.“, dachte ich bei mir. Wie gerne wäre ich zu meiner Mutter gelaufen und hätte sie in den Arm genommen, aber ich durfte doch nicht hier sein um Radio zu hören, nicht DAS im Radio hören. Ich verstand die Welt nicht mehr.
Da war nun meine Familie, hielt sich in den Armen und weinte, und ich konnte, ich durfte nicht zu ihnen, denn sonst hätten sie ja etwas gemerkt.
Auch heute ist es noch eine der schlimmsten Situation, an die ich mich erinnere, trotz dem, was noch folgen sollte.


15. September 1935

Verabschiedung der Nürnberger Gesetze.

Von diesem Tag an wurde es immer schlimmer.
Meinem Vater wurde, wie er betonte „nahe gelegt, ich solle mich doch von meiner Frau trennen, um unserem Vaterland keine Schande zu sein.“
Später habe ich erfahren, dass diese Aussage eigentlich Schwachsinn ist, denn es hieß damals, jede Ehe zwischen Juden und Ariern ist ungültig. Warum sollte mein Vater sich also scheiden lassen, wenn die Ehe doch sowieso nicht existiert?

Meine Eltern ließen sich nicht scheiden.
Vater wurde seine Praxis weggenommen.
Wir mussten alle überflüssigen Besitztümer abgeben.
Am Schlimmsten für mich war, dass ich mein schönes, sonnengelbes Fahrrad an die Deutschen geben musste.
Dieses Rad hatte mein Bruder mir gekauft, von seinem Taschengeld.

Diese Aktion war die erste, in der die Deutschen mir persönlich negativ aufgefallen sind.
Die Zweite folgte auf dem Fuß, wie man so schön sagt.

Wir schreiben mittlerweile das Jahr 1941.
Es war ein regnerischer Tag im Oktober.
Yasmina und meine Mama spielten grade Schnick-Schnack-Schnuck; die Kleine war noch ein bisschen zu jung, grade vier Jahre alt.
Ein Geländewagen stoppte vor unserem Vorgarten und zwei Männer in braunen Anzügen stiegen aus. Der eine hieß Westermann, der andere hat seinen Namen nicht genannt. Da standen also diese beiden Männer, triefendnass und fluchten über das „Mistwetter“. Ich lief zu ihnen hin, mit einem Regenschirm in der Hand, damit sie nicht noch nasser wurden, als sie ohnehin schon waren. Als ich ankam, stießen sie mich nur zur Seite, sodass ich in die Matsche fiel. „Von einem Judenbalg nehmen wir nichts!“ Mein schönes, hellblaues Kleid war ganz matschig; die Flecken sind nie mehr rausgegangen.
„Herr Jahnns, wir haben Befehl, Sie, Ihre Frau und Ihre Tochter Yasmina Jahnns aufgrund von Verstößen gegen die Nürnberger Rassengesetze zu verhaften.“ Dahin war meine Hoffnung, mein Mut, meine Zuversicht. Was wird jetzt aus meinen Eltern? Was wird aus mir? Ich verstand nicht, dass ich nicht mit durfte. Deswegen stieg ich zusammen mit Mama und Papa ins Auto. Sie sind freiwillig gegangen. Papa sagte immer: „Wenn sie uns eines Tages doch holen sollten (wovon er nicht ausging), dann gehen wir erhobenen Hauptes. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir haben niemanden etwas getan, sie haben nicht das Recht, so gegen uns vorzugehen. Aber, wir geben ihnen nicht die Genugtuung und betteln und flehen und jammern, denn wir haben nichts getan!“ Und so geschah es dann ja auch. Die Männer stießen mich erneut, diesmal aus dem Auto heraus. „Du hast hier nichts zu suchen, glaub nicht, dass wir dich mitnehmen. Nein, wir lassen euch, dich und deinen Bruder, hier jämmerlich verrecken, ihr Judenbälger!“
Er konnte uns das nur zurufen, denn das Auto mit meinen Eltern und Yasmina fuhr schon davon. Yasmina spielte noch immer Schnick-Schnack-Schnuck, sie weinte nicht, lachte nur aus vollem Herzen.

Felix und ich mussten also sehen, wie wir zurecht kommen.
Felix hatte immer viel Glück. Er fand Lebensmittelkarten auf der Straße und sammelte sie ein. Davon konnten wir uns etwas zu essen holen. Ich lief immer in die Häuser von deportierten Juden und holte, was noch zu holen war. Die Deutschen hatten uns ja alles weggenommen. Durch Zufall habe ich mal in einem der leerstehenden Häuser eine alte Freundin von mir getroffen. Wir haben uns so lange unterhalten wie noch nie. Ihre Eltern und sie standen kurz vor der Deportation, aber sie wollten sich verstecken, wollten in Dänemark untertauchen. Ich weiß nicht, ob sie das geschafft haben, ich habe nichts mehr von Anni gehört, nie mehr.
Aber ich schweife ab, wollte ich doch von unserer Zeit alleine in Berlin berichten.

Es war furchtbar. Etwa zwei Wochen, nachdem unsere Eltern abgeholt worden waren, kamen weitere SS- oder SA-Männer. Ich weiß es nicht mehr so genau, habe auch den Unterschied nie wirklich verstanden.
„So, ihr kleinen Kanaken, der liebe Onkel Gerald hat euer Haus gekauft, also: RAUS HIER!!“ Wir waren von einem Tag auf den anderen obdachlos, hatten kein Dach mehr über dem Kopf. Noch nicht einmal unsere Sachen konnten wir mitnehmen, dabei regnete es so sehr.
Nie zuvor hatte ich soviel Wasser gesehen. Keine Sonne am Himmel, nur Wolken, dunkle, tiefschwarze Wolken, überall.
Sie kamen in der Frühe, deswegen hatte ich nur mein Nachthemd, ein äußerst dünnes Nachthemd, an.
Ich fror wie noch nie in meinem Leben. Felix gab mir sein Schlafanzugoberteil, aber dann fror er. So konnte das ja nicht weitergehen. Wir suchten uns also erneut ein verlassenes Haus. Jeden Tag gingen wir weg von dort, es hätte uns doch jemand sehen können und wer weiß, was dann geschehen wäre!
Es ist sicherlich schwer vorstellbar, wie wir lebten, darum schildere ich zum besseren Verständnis einmal unseren Tagesablauf.
Wenn die ersten Sonnenstrahlen uns in der Nase kitzelten, wachten wir auf. Felix hatte in dem Haus, in der wir unsere Nächte verbrachten, einen Herd gefunden, der auch noch funktionstüchtig war. Wir sammelten Regenwasser in einem Kochtopf, damit wir etwas zu trinken hatten. Felix kochte es, damit nicht so viele Bakterien enthalten waren. Von der Hygiene will ich gar nicht sprechen! Wir konnten uns nicht waschen, wo auch? Wir schliefen in einer Ruine, zerbombt bei einem Angriff der Alliierten.
Über irgendwelche Krankheiten machten wir uns auch keine Gedanken, aber im Nachhinein… wenn ich überlege, was wir alles hätten bekommen können…
Nach unserem „Frühstück“ gingen wir nach draußen auf die Straße. Wir hatten immer Angst, jemand könnte uns entdecken und verraten! Also liefen wir meist mit gesenktem Kopf durch die Gegend. Der Hunger war unerträglich, die gefundenen Lebensmittelkarten halfen uns auch nicht viel. Jeder Tag glich dem vorherigen: aufstehen, Essen suchen, schlafen, immer hungrig. Es war, als hätte ich ein Loch im Bauch, das mit jedem Tag größer und größer wurde und nicht gefüllt werden konnte.
Eines Nachts, es muss Mitte Januar 1942 gewesen sein, hörten wir wieder den bekannten Fliegeralarm. Ich weiß nicht warum, aber an dem Tag kam mir alles so sinnlos vor! Ich rannte hinaus und schrie, immer und immer wieder das Gleiche: „Tötet mich! Bitte tötet mich! Es gibt keinen Grund auf dieser Welt zu bleiben!!“ Dann bin ich zusammen gebrochen und habe nur noch geweint, bis ich keine Tränen mehr hatte. Keine Menschenseele hat sich um mich gekümmert, alle waren mit sich selbst beschäftigt. Ich hörte Schreie, ganz verschiedene, von Müttern, die ihre toten Kinder beweinten über Schmerzensschreie bis hin zum letzten aller Schreie, dem Todeschrei.
Ich stand auf und ging wieder in unser „Haus“, zurück zu Felix. Aber er war nicht da, das Haus war nicht da!!
Alles vor meinen Augen wurde schwarz, ich konnte nichts mehr sehen, keinen klaren Gedanken mehr fassen. Wo war Felix?
Ich hatte Angst, regelrecht Panik! Ich rannte durch die Straßen, schrie seinen Namen, immer wieder.
Keine Antwort.
Ich wusste nicht weiter, so hilflos fühlte ich mich noch nie. Überall um mich herum lagen Tote, Verletzte. Ich sah sie nicht an, die Angst, Felix unter ihnen zu entdecken, war zu groß.
Deshalb setzte ich mich an den Straßenrand, mit gesenktem Kopf. Ich machte mir keine Gedanken, ob mich jemand entdecken könnte. Felix war weg, ich hatte unendliche Angst, überall Tod, Leid, Trauer. Der Hunger zerfraß mich, ich konnte nicht mehr denken.
Ich dachte, da ist Felix, ich höre ihn doch, ich höre, wie er meinen Namen ruft. Aber etwas in mir sträubte sich dagegen. Felix war tot, begraben unter den Trümmern einer Ruine.
„Maayan! Maayan, hörst du mich? Geht es dir gut?“
Felix!
„Du lebst!“
„Natürlich lebe ich oder glaubst du etwa ich sterbe vor dir?“ Ich musste herzhaft lachen, sodass ich wieder anfing zu weinen.
Aber dann sah ich Blut. Ich schaute Felix an. Überall Blut!
Alles war rot, sein Gesicht, sein Hemd.
Ich schrie vor Schreck!
„Sieht schlimmer aus, als es ist, nur ein kleiner Kratzer.“
„Wir müssen in ein Krankenhaus!“
„Bist du verrückt? Da erwischen sie uns garantiert! Nein, bevor ich mich denen freiwillig ausliefere, sterbe ich lieber hier!“
„Du…also…NEIN!“
„Maayan, wer von uns ist älter? Und ich weiß doch wie schlimm meine Verletzung ist. Nur ein Kratzer. Wir suchen uns jetzt einen Toten und nehmen seine Sachen. Die können wir in Streifen reißen und die Wunde damit verbinden, in Ordnung?“
Er sagte das so selbstverständlich… Ich hatte das Gefühl, ihm war nicht bewusst, was er da erzählte. Er war sich nicht im Klaren darüber, dass er vorschlug, einem Toten die Sachen zu klauen!!
Vielleicht musste man so abstumpfen um zu überleben, aber ich wollte es nicht so weit kommen lassen, nie!!
„Wir klauen keinem Toten seine Klamotten! Das ist das Letzte was ich je tun würde! Es ist erniedrigend und widerwärtig!“
Wir suchten uns eine „neue Ruine“. Ich habe auf der Straße verschiedene Stofffetzen zusammen getragen um Felix daraus einen Verband zu knoten. Es war fürs Erste ausreichend.
Ich lief erneut auf die Straße, in der Hoffnung, etwas Brauchbares zu finden, wie etwa eine Mütze oder feste Schuhe. Da sah ich ihn, denselben Mann, der vor einem Jahr meine Familie geholt hatte!
Ich versteckte mich, wollte ihn beobachten.
Westermann lief den Weg entlang mit einem Grinsen im Gesicht. Warum? Alles war zerstört, Zivilisten waren tot, es waren keine „Feinde des Vaterlandes“, nur Zivilisten, Frauen und Kinder, ganz wenige Männer, sie waren schließlich an der Front um für Hitlers wahnwitzigen Traum reihenweise und qualvoll niedergemetzelt zu werden!
Doch jetzt sah ich den Grund seiner Freude: ein kleiner Junge saß weinend am Straßenrand, einen Judenstern auf seinem Hemd. Wie alt mag er wohl gewesen sein? Vielleicht sechs, vielleicht auch schon zwölf. Aus den abgemagerten Gesichtern der Menschen konnte man nichts mehr erkennen, kein Alter, keine Gefühle, nichts.
„Na na, kleiner Mann, warum weinst du denn?“
„Meine Mami ist tot…“
Seine Stimme zitterte, er wusste nicht, was ihm noch bevorstand.
„Wie heißt du denn, mein Großer?“
Der Junge hielt ihm einen Ausweis hin.
„Soso, ein Jud! Adolf Israel Rosenbaum.“
Westermann holte aus und schlug den Jungen.
„Du wagst es den Namen unseres geliebten Führers zu tragen?“
Er schlug ihn noch mal und noch mal…
Ich konnte das nicht mit ansehen!
„Aufhören! Wer gibt Ihnen das Recht, einen kleinen Jungen zu schlagen, nur seines Namens wegen?!?“
„Und wer bist du?“
„Gestatten, Maayan Jahnns. Vor gut einem Jahr haben Sie meine Eltern deportiert.“
„Ich kann mich leider nicht mehr an jede einzelne Deportation erinnern, mein Kind.“
Ich merkte, ich hatte einen großen Fehler begangen, aber ich konnte nicht anders handeln. Was dem Jungen widerfuhr war falsch, doch ich brachte mich selbst- und Felix- mit meinem Handeln in Gefahr. War ich selbst schon so abgestumpft, dass mich das Leben des Jungen nicht interessieren sollte? Das mir mein Lebe wichtiger war? In Gedanken wog ich ab: das Leben des Jungen gegen meins und das von Felix. Was hatte der Junge noch vom Leben? Mutter tot, Vater nicht in Sicht, andererseits, was hatte ich vom Leben? Ich wusste nicht, wie es meinen Eltern und Yasmina ging, ob sie überhaupt noch lebten… aber ich hatte Felix! Ich wollte nicht sterben, wollte weiterhin leben, aber war mein Leben noch ein Leben? Tag für Tag der Gefahr ausgesetzt zu sein, dass man uns findet und in ein KZ bringt. Wir wussten nicht genau, was das Wort bedeutet: Konzentrationslager.
Aber alle unsere Bekannten sind in einem und wir haben seitdem nichts mehr von ihnen gehört. Waren sie tot?
Oder hatten sie Briefe geschrieben? Sie konnten uns ja nicht erreichen, wir wohnten ja nicht mehr in unserem alten Haus. Ich wusste nichts mehr. Was sollte ich jetzt machen?
Egoistisch handeln oder so reagieren, wie es mir seit Jahr und Tag beigebracht wurde?
Ist es überhaupt egoistisch sein eigenes Leben über das von anderen zu stellen?
Ich hatte keine Zeit mehr, ich musste handeln!
Auch wenn ich Felix dadurch verlieren würde!
„Es ist nicht rechtens, Kinder zu schlagen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Haarfarbe, welcher Religionszugehörigkeit! So etwas habe ich von einem „Vaterlandskämpfer“ nicht erwartet.“ Ich freute mich sein verdutztes Gesicht zu sehen und fuhr gleich fort: „Sind Sie überhaupt ein „Retter des Vaterlandes“? Ich dachte, alle mutigen und ehrenvollen Deutschen ziehen in den Krieg, an die Front um den Sieg der Arier herbei zu führen. Was machen Sie also hier? Sind Sie etwa kein Arier? Ein Gegner des Regimes? Sie?“
Ich lachte still in mich hinein, bewegte mich nach außen nicht ein bisschen.
Auf einmal tauchte Felix an der Ecke gegenüber auf. Wie sollte ich ihm zu verstehen geben, dass er sich keine Sorgen machen musste. Und vor allem, dass er nicht herkommen darf!?!
Ich fasste Westermann also am Arm und drehte ihn von Felix weg.
Diesmal kam mir der Zufall zur Hilfe.
Oder vielmehr ein alter Schulfreund von Felix.
„Vater!“
„Lars, du störst mich gerade bei der Arbeit. Geh bitte.“
Er hatte sich nicht viel verändert, natürlich, er war viel größer und reifer als vor drei Jahren, die roten Haare waren auch nicht mehr ganz rot, vielmehr waren sie jetzt platinblond!
„Schau nicht so erschrocken, Maayan.“
„Lars, rede nicht mit ihr, sie ist ein Judenbalg!“
„Stimmt, du kennst Maayan gar nicht. Sie ist die kleine Schwester von Felix, weißt du, wen ich meine? Wo ist er eigentlich?“
Ich wusste, Lars konnte Felix sehen, aber ich antwortete nur: „Ich weiß nicht. Wir wurden getrennt, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen.“
Ich sah zu Felix herüber. Zum Glück hatte er gehört, was wir gesagt haben und bog gerade um die Ecke.
Ich schaute zu Lars. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Ich kenne ihn seit Kindertagen, er war immer Felix’ bester Freund gewesen, war immer um mich herum und doch war es jetzt anders.
Ich verstand nicht, was los war, aber ich versuchte auch nicht zu verstehen, schon lange nicht mehr.
Westermann kümmerte sich wieder um den kleinen Jungen, sodass Lars mir etwas zu flüstern konnte: „Du kommst jetzt in ein KZ, das weißt du, oder? Ich versuche dich dahin bringen zu lassen, wo ich bin, nach Auschwitz.“
Ich erschrak. Auschwitz?
Da wollte ich nicht hin, nie im Leben. Es wurden Gerüchte erzählt von Massentötungen, ich konnte nur erahnen, was das hieß.
Warum tat Lars so etwas? Ich habe ihn immer so sehr bewundert, wie konnte er nur die Deutschen unterstützen in ihrer Rassenideologie von Gut und Böse? Mir war klar, dass ich doch auch Deutsche war. Genau wie Felix, genau wie Lars, wie sein Vater, wie Hitler. Mit dem Unterschied, dass ich Jüdin bin. Obwohl ich noch nie in einer Synagoge war, obwohl ich nicht koscher lebte, obwohl ich nie die Thora gelesen hatte, war ich Jüdin.
Es hatte keinen Zweck, ich musste mit Westermann, der mich an meinem Arm hinter sich herschleifte, mitgehen, freiwillig, wie Papa und Mama, ihm nicht die Genugtuung geben, dass er mich meiner Freiheit, meiner Rechte als Mensch, beraubte.
Ich schaute Lars an. Er nickte nur kurz und folgte uns dann.
Auf einmal ging alles ganz schnell.
Ich wusste nicht, wo sie mich hinführten, wusste nicht wo ich war. Die Sonne ging grade auf, warf ihre warmen Strahlen auf das zerbombte Berliner Stadtviertel. Der Himmel schimmerte blutig rot, hier und da konnte man ein paar Vögel zwitschern hören. Ein neuer Tag im Leben des Hitler-Deutschlandes brach an. Ein Tag, an dem mein Schicksal sich ändern sollte.
Ich wurde von Westermann in einen dunklen Raum geführt, der lediglich einen Tisch und zwei gegenüberliegende Stühle beinhaltete.
Westermann setzte sich auf den einen und gebot mir, auf dem anderen Platz zu nehmen.
Lars stellte sich in eine Ecke, das Licht reichte nicht soweit, als dass ich ihn sehen könnte.
Ich nahm alles nur wie in Trance wahr. Westermann fragte mich nach meinen persönlichen Daten:
„Vor- und Zuname?“
„Maayan Jahnns.“
„Wann geboren?“
„7. März 1926.“
„Wo geboren?“
„Berlin.“
„Name und Beruf des Vaters und der Mutter?“
„Vater, Andreas Jahnns, Anästhesist, Mutter, Shiran Jahnns, gelernte Stenografin, jetzt Hausfrau.“
„Mädchenname der Mutter?“
„Kishon.“
„Namen und Geburtsdaten von Geschwistern?“
„Bruder, Felix Jahnns, geboren 25. September 1921 in Berlin, Schwester Yasmina Jahnns, geboren 16. Mai 1936, ebenfalls in Berlin.“
Er stellte mir noch weitere dieser Fragen, deren Sinn ich nicht ganz verstand. Aber ich war zu müde um lange darüber nach zu denken. Meine Gedanken blieben immer wieder an Felix hängen. Was wird denn jetzt aus ihm, was aus mir? Haben sie ihn auch geschnappt oder war er in Sicherheit? Wobei Sicherheit in unsrer Situation ein relativer Begriff ist. Wo war ein Jude damals schon sicher? Und was, wenn Deutschland diesen erbitterten Krieg gewinnen würde? Ich wusste nicht, wie es um die deutschen Soldaten bestellt war, ich kannte den Frontverlauf nicht, ich wusste nicht, wer gewann und wer verlor. Würde Hitler gewinnen, war es aus mit den Juden.
Einige Wochen vor dem Bombenangriff hatte ich eine Gruppe Zigeuner gesehen, die von Soldaten getrieben wurde. Was geschah mit ihnen? Das gleiche wie mit den Juden? Und was geschah überhaupt mit den Juden? Ich hörte nur Gerüchte, Gerüchte über Massenerschießungen, Vergasungen. Lauter solcher Dinge. Aber wie sollte ein Land imstande sein, seine eigenen Landsleute zu töten? Denn die deutschen Juden waren nun einmal deutsch, sie hatte in Deutschland gelebt, jahrelang, mit den Christen zusammen, bis Hitler kam. Danach war der beste Freund zum ärgsten Feind geworden, nur weil er ein Jude war.
Konnte ich denn den Gerüchten trauen? Wenn sie wahr sind, wer verbreitet sie dann, wenn doch alle getötet werden. Oder wollte man uns warnen, wollte uns ein Zeichen geben, aus Deutschland zu flüchten? Aber wohin flüchten? Nicht in die Niederlande, da waren die Deutschen schon längst, nicht nach Polen, Slowenien, Russland, da waren sie auch. Konnte man überhaupt fliehen? Musste man an der Grenze nicht seinen Pass zeigen? Dann erfuhren sie doch, wer Jude war, wer nicht.
Ich antwortete wie mechanisch auf Westermanns Fragen; ja, ich ging gerne zur Schule, nein, ich weiß nichts von Untergrundorganisationen, ja, nein, ja.
Irgendwann hörten die Fragen auf, ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war. Hier gab es keine Fenster. Die einem verrieten, wie das Wetter war, welche Tageszeit wir hatten. Westermann ging, Lars folgte ihm. Ich blieb alleine zurück.
Nach einer Weile kam Lars und stellte mir etwas zu Essen hin.
„Wie geht es dir?“
Ich konnte nicht fassen, dass er so freundlich war! Ich saß in diesem Raum, wusste nicht wo ich war, wie lange ich schon hier drin war, wie lange ich noch bleiben musste, was danach mit mir passieren würden und er fragte mich, wie es mir geht!
„Du musst nicht mehr lange hier bleiben, bald kommst du in ein Durchgangslager und später dann nach Auschwitz. Ich habe alles so gedreht, dass ich immer auf dich aufpassen kann, ich habe es Felix so versprochen.“
Ich horchte auf.
„Du hast mit Felix gesprochen?“
„Kurz bevor ich zu dir und Vater kam. Ich sagte ihm, er solle sich verstecken, aber er wollte bei dir bleiben. Also versprach ich ihm, mich um dich zu kümmern und darauf zu achten, dass dir nichts passiert. Sei dir nur bewusst, dass ich dich nicht vor allem bewahren kann.“
Er machte eine kurze Pause und schaute mir in die Augen. Ich hatte nie bemerkt, dass sie braun waren.
„Und jetzt iss etwas, es könnte eventuell deine letzte Mahlzeit für lange Zeit sein.“
Lars verschwand wieder. Er hatte mich etwas beruhigt, die Angst vor Auschwitz war zwar noch immer groß, aber wenn ich an Lars dachte, wurde sie etwas kleiner.
Welch ein Zufall ,dass er Felix getroffen hatte. Wie lange war das eigentlich schon her? Ein paar Stunden oder gar ein paar Tage?
Ich aß die Suppe und das Brot. Endlich essen! Als ich geendet hatte, schob ich beide Stühle zusammen und legte mich hin. Ich fiel in einen unruhigen Schlaf.
Ich sah Felix, wie er rannte, hörte einen Schuss, sah wie er umfiel. Mama und Papa kamen angelaufen, nahmen mir die Pistole weg. Hatte ich geschossen? Warum? Sie redeten auf mich ein, doch ich verstand sie nicht. Mir wurde schwindelig von den unbekannten Worten, den seltsam abgehackten Bewegungen. Alles wurde schwarz, es fühlte sich an, als täte der Boden sich auf, um mich direkt in die Hölle zu saugen.
Als ich die Augen aufschlug, bemerkte ich, dass ich von den Stühlen gefallen war und nun auf dem Boden lag.
Alles nur ein Traum.
Die Tür ging auf.
„Herkommen!“, befahl Westermann mir.
Ich gehorchte, ob aus Angst oder Verzweiflung, ich vermag es nicht zu sagen.
Er führte mich vorbei an weiteren Türen, hinaus auf einen Hinterhof. Es roch nach Schießpulver. Lars und Felix hatten früher damit herumexperimentiert, daher kenne ich den Geruch.
Ich wurde in ein Auto gesetzt, Lars saß bereits auf einem der hinteren Sitze.
Er hat versprochen, dass mir nichts passiert, er hat es versprochen, aber kann man so etwas überhaupt versprechen? Liegt es in seinem Machtbereich über mein Leben zu entscheiden? Ich konnte es mir nicht vorstellen, er war doch genauso alt wie Felix. Wie konnte er also eine Machtposition innehaben? Mit 21 Jahren kann man doch im Nazi-Regime nicht soweit aufgestiegen sein, um über Leben oder Tod zu entscheiden.
Ich setzte mich neben Lars auf die Rückbank.
Wir fuhren etwa ein oder zwei Stunden durch die Stadt, bis wir vor einem alten Fachwerkhaus halt machten.
Lars und ich stiegen aus. Er führte mich in das Haus hinein, gab einem Pförtner oder zumindest jemandem, der diese Position erfüllte, eine Mappe mit meinem Namen. Wahrscheinlich standen dort die Antworten auf all die Fragen, die Westermann mir gestellt hatte.
Es interessierte mich aber weiter auch nicht.
Ich kam in einen Raum. Was ich dort sah, erschütterte mich zutiefst: Kinder, halb verhungert, Frauen, Männer, Babys schrieen die ganze Zeit. Ich sah, wie eine junge Frau ihr weinendes Baby nahm und es schüttelte, bis das Kind nicht mehr schrie. Danach begann sie bitterlich zu weinen. Ich schaute mich um, Lars war weg. Was hätte er auch sonst tun sollen?
„Maayan!“
Ich sah in die Richtung, aus der die Stimme kam.
„Ariel!“
Ich konnte es kaum fassen. Meine beste Freundin war auch hier!
Sie war doch keine Jüdin, warum traf ich sie dann hier?
„Mensch Maayan, ich dachte, ich sehe dich gar nicht mehr. Nachdem wir von der Deportation deiner Eltern gehört hatten, fuhr ich öfter mal bei euch vorbei, aber ich sah immer nur so einen dicken Glatzkopf mit seiner Frau und ihren Rotzblagen. Schreckliche Kinder! Total verzogen! Warfen Steine auf alles und jeden, den sie nicht kannten. Was machst du eigentlich hier?“
„Die Frage ist doch eher, was du hier machst. Ihr seid doch gar nicht jüdisch, oder?“
„Nein, das nicht.“
„Warum bist du dann hier? Sind deine Eltern auch da?“
„Nein, ich weiß nicht wo sie sind. Ich habe Zeitschriften ausgeteilt, Untergrundzeitschriften natürlich. In denen steht, was Hitler wirklich mit den Juden vorhat. Er schickt sie nicht in Arbeitslager, er schickt sie in Vernichtungslager. Und wir sind grade auf dem Weg in so ein Lager.“
„Auschwitz?“, fragte ich voller Angst, „was ist mit Auschwitz? Ist es auch ein Vernichtungslager?“
„Das größte überhaupt.“
Ich begann zu weinen.
„Lars hat gelogen, er hat mich einfach angelogen. Er hat gesagt, er beschützt mich und jetzt? Komm mit nach Auschwitz, hat er gesagt. Ich beschütze dich, hat er gesagt. So ein Lügner!
Wie lange bist du schon hier, Ariel?“
„Seit vorgestern, glaube ich. Es fällt einem so schwer hier die Zeit zu messen.“
„Glaubst du, wir zwei können in Auschwitz zusammen bleiben? Glaubst du, das ginge? Oder wird man sofort getötet?“
„Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Darüber stand in den Zeitungen nichts.“
Wir saßen eine Weile schweigend da und ich hatte Gelegenheit, mir alle Leute genauer anzusehen. Sie sahen schrecklich aus. Wussten sie, wohin sie bald kommen? War unser Ziel überhaupt das Gleiche?
„Ich habe gekämpft wie eine Löwin“, begann Ariel zu erzählen, „um jede Zeitung, die ich austragen wollte. Ich sollte das nicht tun, Vater meinte immer, es sei zu gefährlich. Aber wer verdächtigt schon ein junges Mädchen? Wer denkt daran, dass jemand wie ich so etwas tun könnte? Also kämpfte ich, um ein Mal in der Woche die Zeitungen austragen zu können. Ich wurde erwischt, versuchte zu flüchten, aber es gelang mir nicht. Ein Wunder, dass ich nicht längst schon tot bin. Lars sagtest du? DER Lars, du weißt schon, der Freund deines Bruders?“
„Genau der Lars, warum?“
„Hat er jetzt blonde Haare?“
„Ja.“
Ich verstand nichts mehr.
Ariel fuhr fort:
„Er hat sich dafür eingesetzt, dass ich nach Auschwitz komme. Er meinte zu mir, dort wäre die Überlebenschance größer, sonst würden sie mich gleich morgen erschießen. Schon ein komischer Zufall, nicht wahr? Erst treffe ich Lars, werde von ihm gerettet, dann treffe ich dich und werde auch von dir gerettet.“
„Wieso rette ich dich denn? Ich kann dir nicht helfen.“
„Aber du bist da, das ist alles, was zählt. Außerdem“, sie kicherte, „außerdem ist es so süß, wie du aussiehst, wenn du von Lars redest. Du blühst regelrecht auf, wie eine Oase in der Wüste.“
Ich wurde rot.
Wir schauten uns an und begannen zu lachen. Ein unbefangenes Kinderlachen, wie früher. Ich vergaß alles um mich herum, alles, was passiert war, was noch passieren würde.
Wir lachten einfach, kümmerten uns nicht um die Blicke der Umstehenden. Wir hörten sie sagen:
„Die sind verrückt.“
„Die wissen gar nichts.“
„Die armen Dinger.“
Wir waren nicht verrückt und wir wussten mehr als manch anderer hier.
Ich weiß nicht, wie lange wir lachten. Mein Bauch tat schon weh, meine Augen tränten, aber das war egal.
Ein ältere Mann herrschte uns an:
„Seit gefälligst ruhig!“
„Aber warum denn?“, Ariels berechtigte Frage.
„Die Kinder schreien lauter als wir lachen und in anbetracht der bevorstehenden Zeit, warum sollten wir nicht ein letztes Mal aus voller Seele lachen können?“, fügte ich hinzu.
Der Mann musterte uns von oben bis unten. Dann begann er ebenfalls zu lachen.
Als wir keine Luft mehr hatten, meinte er, so gut habe er sich schon lange nicht mehr gefühlt.
Ariel und ich suchten uns einen Schlafplatz, irgendwo zwischen vergilbten, durchgelegenen Matratzen und schreienden Kindern. Wir hielten uns fest und schliefen ein. Ein traumloser Schlaf, aber ein ruhiger.

Die nächsten Tage verliefen ähnlich. Ariel und ich erzählten den Kindern Geschichten, damit sie aufhörten zu weinen. Zweimal am Tag erhielt jeder eine Scheibe Brot, meist trockenes Vollkornbrot, und eine warme Suppe.
Ab und zu schaute Lars herein, sagte aber nichts zu uns. Er blickte mir immer nur in die Augen und begann zu lächeln.
Ich war bestimmt schon ein oder zwei Wochen hier, da kam das Kommando:
„Alle in Zweierrehen stellen, sämtliches Hab und Gut bei sich führen und mitkommen!“
Wir wurden auf einen Hof geführt, auf dem mehrere Laster standen.
„Ich lese nun Namen vor, wer seinen hört, tritt vor.“ Der Pförtner war jetzt ein Soldat.
Wir warteten geduldig bis wir aufgerufen wurden.
Die Prozedur dauerte lange, sehr lange. Immer wieder ein Name, dann ein „dahin gehen“ vom Soldaten. Er schickte uns zu den Lastwagen. Zum Glück waren Ariel und ich in ein und demselben. Ohne sie wäre ich verloren gewesen. Wir waren nicht allzu überrascht, als wir sahen, dass Lars unseren Wagen begleitete. Er wollte uns tatsächlich helfen!

Wir fuhren nicht allzu lange, vielleicht ein paar Stunden.
Der Wagen hielt an einem Bahnhof. Mittlerweile war es dunkel geworden, ich konnte kaum etwas sehen. Um dennoch nicht den Anschluss zu verlieren, nahm ich Ariel an der Hand. Wir folgten dem doch sehr auffälligen blonden Kopf von Lars.
An einem Gleis machten wir halt. Es lag im Dunkeln, man konnte nur wenig sehen. Das Mondlicht erzeugte eine unheimliche Atmosphäre.
Ich erkannte schemenhaft die Umrisse eines langen Zuges von Viehwagons.
Sie erinnerten mich an früher. Papa musste oft außerhalb arbeiten, wir brachten ihn dann immer zum Bahnhof und blieben solange stehen, bis wir den Rauch des Zuges nicht mehr sahen.

Wieder in Zweierreihen aufstellen, wieder warten, bis unser Name genannt wurde, wieder hoffen, dass ich mit Ariel in einen Wagon kam.
Wenigstens dieser Wunsch wurde erfüllt.
Die Wagons waren voll gestopft, man konnte sich nicht bewegen. Es gab kaum Luft zum Atmen.
Am oberen Rand der Holzwände gab es Schlitze durch die etwas Luft kam. Der jenige, der direkt vor den Fenstern stand, erzählte etwas von der Umgebung. Nach einigen Tagen meinte er nur trocken:
„Auschwitz, wir kommen.“
Es ging also tatsächlich dorthin. Ein Stimmenwirrwarr erhob sich, es wurde immer lauter:
„Auschwitz, bitte nicht!“
„Wir sind schon jetzt zum Tode verurteilt!“
„Mama ist da! Ich sehe Mama wieder!“
Lauter Verzweiflung, aber auch etwas Hoffnung. Ich hoffte nur, dass Lars doch nicht gelogen hatte.

Es war früh am Tage, als der Zug hielt. Wir wurden hinausgetrieben auf einen riesigen Bahnhof. Überall standen Bewaffnete, die Gewehre im Anschlag.
Wir wurden durch ein Tor gelotst.
„Arbeit macht frei“ stand in großen Lettern über dem Eingang. Welch Ironie!
Wieder Zweierreihen.
Ein Mann schritt um uns herum, flüsterte den Bewaffneten etwas zu, flüsterte Lars etwas zu.
Er zeigte auf einzelne Leute, schickte sie mal hier, mal dort hin, zeigte auf mich, schickte mich nach rechts, zeigte auf Ariel, schickte sie nach links.
Das konnte nicht sein, bitte nicht!
Ich suchte Lars’ Blick, versuchte ihm zu verstehen zu geben, wie sehr ich Ariel brauchte. Und er verstand. Lars ging zu dem hageren Mann, sagte etwas und schon deutete sein Finger auf Ariel.
„Rüber mit dir, aber mach schnell, bevor ich es mir noch anders überlege!“
Ariel fiel mir in die Arme.
Die Prozedur dauerte unendlich lange…
Die Gruppen trennten sich, wir gingen in das eine Gebäude, die anderen in ein anderes.
Wir mussten noch einmal sortiert werden, Frauen durch die eine Tür, Männer durch die andere.
Ich erkannte, dass keine kleinen Kinder, keine Kranken, keine Alten unter ihnen waren und wusste, die anderen hatten verloren. Oder ihn ist nur eine endlose Qual erspart geblieben. Wie auch immer, wir mussten arbeiten. Doch zuerst hieß es ausziehen, ALLES ausziehen, sodass hinterher bestimmt 30 nackte, ausgemergelte Menschen in einer Reihe standen.
Ein weiterer Mann kam, es war Mengele, wie ich später erfuhr. Er schlich um uns rum, begutachtete jede genau, von Kopf bis Fuß.
Dann bekamen wir eine der berühmten Nummern auf den Arm tätowiert. Es tat so weh! Tage später noch.
Wir durften alle weiter gehen. Ich versuchte immer, möglichst nahe bei Ariel zu bleiben um nicht so alleine zu sein.
Wir kamen in eine Baracke, teilten uns eine Pritsche, teilten unser Essen, einfach alles.

Kurz nach unsrer Ankunft, bei der Arbeit- wir mussten Steinen vom einen Ende des Lagers zum anderen schleppen- zog Lars mich beiseite.
„Deine Eltern und Yasmina sind auch hier, es geht ihnen gut. Hier ist etwas Papier und ein Stift, versteck es gut, du kannst ihnen schreiben.“
Meine Eltern lebten!!
Abends, nach dem Appell, begann ich sofort zu schreiben:
„Ma, Pa (ich musste mich kurz fassen, da das Stück Papier nicht sonderlich groß war), Maayan hier, geht mir gut. Felix weiß nicht. Freue mich von euch zu hören.“
Für mehr war kein Platz.

So ging es Tag für Tag, Woche für Woche. Lars half Ariel und mir so gut es eben ging. Er besorgte uns Extra-Rationen Essen, Papier und Stifte, er sorgte dafür, dass wir abends heimlich unsere Gedichte fortragen konnten.
Wir hatten nämlich eine Art Club gegründet, um mit der Willkür der Aufseher, der Knappheit des Essens und den sonstigen katastrophalen Bedingungen besser fertig zu werden. Ariel und ich schrieben die Gedichte und lasen sie unseren Genossinnen vor.


Die Sonne scheint.
Einer fällt.
Schmetterlinge schwirren umher.
Der Boden färbt sich rot.
Blumen blühen.
Ein anderer geht weg.
Es riecht nach Frühling.
Das Loch im Kopf ist nicht groß.
Die Sonne scheint.

Eines der Gedichte, die ich während meiner Zeit in Auschwitz schrieb.

Bis auf die allwöchentlichen Gedichtabende verlief der Alltag immer gleich und doch verschieden.
Wir waren den Laune der Aufseher ausgeliefert.
Es konnte passieren, dass man einen Fehler beging und vom Aufseher nur 15 Peitschenhiebe bekam, es konnte aber auch passieren, dass ein Fehler entdeckt wurde und man zur Strafe die Nacht über nackt draußen verbringen musste, egal welches Wetter. Die pure Willkür herrschte in diesem Lager. Die ständige Angst kam hinzu. Angst vor den Aufsehern, Angst vor der Arbeit, Angst vor dem, was mit der Familie geschieht, Angst vor der Nacht, Angst vor dem Tag.
Ich konnte meine Eltern ein paar Male sehen, nicht mit ihnen sprechen, aber ich sah sie wenigstens, dank Lars.

Mittlerweile war es Anfang Januar 1945.
Ein bitterkalter Winter. Die dünnen Anziehsachen reichten nicht aus um uns zu wärmen. Die Essensrationen wurden auch immer kläglicher. Haufenweise starben die Menschen, an Typhus, an Unterkühlung, an den Folgen der Misshandlungen.
Unsere Baracke wurde immer leerer, auch Ariel und mir ging es sehr schlecht. Lars sorgte dafür, dass wir mehr Nahrung bekamen, auch einige Medikamente, denn ein Aufenthalt in der Krankenbaracke wäre der sichere Tod gewesen. Lag man einmal dort, kam man nicht mehr wieder.

Als es Frühling wurde, war auf einmal alles anders. Die Aufseher waren nervös, täglich rauchte und rußte der Schornstein des Krematoriums.
„Bald ist es aus mit uns“, mein täglicher Gedanke.
Während eines Morgenappells kam ein Offizier zu unserer Aufseherin, flüsterte etwas.
Wir mussten gehen, so wie wir standen, in Blöcken von fünf mal fünf Frauen. Alle im Gleichschritt. Es war noch immer kalt, der Schnee war nicht geschmolzen.
Viele fielen hin, blieben liegen, wurden erschossen. Wir hörten Flieger; die Alliierten?
Mitten in einem abgelegenen Wald, wir waren bereits mehrere Tage ohne Nahrung und ohne Pause gelaufen, mussten wir uns aufstellen. Die Aufseherin holte eine Pistole her. Alle rannten los, wild durcheinander. Überall Schreie, Blut im Schnee, wo war Ariel?
Jemand fiel auf mich drauf, es wurde warm an meinem Arm. Blut! Die Frau blutete! Sie atmete nicht mehr, war tot. Ich blieb unter ihr liegen, wartete bis in die tiefe Nacht hinein, bis ich keine Schreie mehr hörte.
Ich stand auf und sah mich um. Es war zu dunkel für Einzelheiten. Ich sah Leichen, alle waren tot, sie hatte sie alle erschossen!
Ich rief Ariel, hoffte auf antwort, glaubte nicht daran. Sie war tot. Es konnte nicht sein, dass ihr das Gleiche widerfahren war wie mir, soviel Glück kann man nicht haben. Es konnte nicht sein, dass eine Frau auf sie gefallen war und sie so überleben konnte.
„Maayan, hier bin ich.“
Ich folgte der Stimme im Dunkeln. Ariel lebte tatsächlich!
Zusammen liefen wir in das nächste Dorf. Überall Russen. Sie gaben uns Essen, Süßigkeiten, was wir nur wollten.

Nach dem Krieg machte ich mich auf die Suche nach meiner Familie. Felix wurde 1944 nach Theresienstadt deportiert, konnte aber mit Hilfe eines Freundes fliehen.
Meine Eltern und Yasmina waren wie wir an den so genannten Todesmärschen beteiligt, lebten jedoch noch.
Und Lars?
Er wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen freigesprochen. Lars hatte viele Juden, Sinti und Roma versteckt, als private Arbeiter eingestellt oder ihnen anders das Leben gerettet, so wie mir, Ariel und meiner Familie. Ariels Eltern sind in den Gaskammern umgekommen.

Man kann sagen, meine Geschichte hört sich unreal an, aber sie ist wahr, jedes einzelne Wort ist wahr. Ich hatte viel Glück im Leben, der Zufall kam mir oft zur Hilfe. Und doch, alles ist so passiert, wie ich es geschildert habe. Dies ist meine Geschichte, meine persönlichen Erfahrungen, mein Leiden. Vieles wurde mit der Zeit vergessen, die Gedanken schwächten ab, doch verschwanden nie.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo likeisms!

Herzlich willkommen auf kg.de! :)

Na, da hast Du ja ganz schön viel geschrieben für Deinen Einstieg auf kg.de. Das ist zwar lobenswert, was Deine Ausdauer betrifft, als Einstieg aber nicht so zu empfehlen. Wenn Du erst einmal mit kürzeren Texten überzeugst, werden die längeren dann eher gelesen. ;)

Stilistisch läßt sich die Geschichte ja ganz gut lesen, ich kam flott voran. Auch, daß Du Dich mit dem Thema an sich beschäftigst, sehe ich positiv.
Was mir aber nicht gefällt, ist erstens die Form, in der Du das tust, zweitens sind das die vielen Unglaubwürdigkeiten, die Du eingebaut hast.

Zur Form: Du willst den Eindruck eines Zeitzeugenberichtes erwecken – das würde ich bei dem Thema niemals tun, nicht einmal mit sehr viel Recherche. Ich finde, Zeitzeugenberichte sollten den realen Zeitzeugen vorbehalten sein. Auch als Leser finde ich es nicht sehr lustig, erst durch Unglaubwürdigkeiten sicher zu sein, daß es sich um keinen realen Bericht handelt.
Der Anfang, also die Sache mit dem Radio, hat mir aber trotzdem sehr gut gefallen. Leider liest sich der Rest dann so, als hättest Du das Geschichtsbuch Punkt für Punkt abgearbeitet.

Unglaubwürdiges:

Ich […] war ein gern gesehener Gast auf Kindergeburtstagen.
Ein Grund, warum Hitler so leichtes Spiel hatte, war u. a., weil die Menschen so arm waren. Es herrschte ziemlich große Not und es ist sehr unwahrscheinlich, daß es viele Kindergeburtstage, wie man sie heutzutage feiert, gab. Noch zu meiner Zeit war es eine Besonderheit, wenn ein Kind so ein Geburtstagsfest hatte.

Dieses Rad hatte mein Bruder mir gekauft, von seinem Taschengeld.
Du schreibst zwar, der Vater war Arzt, aber daß der Bruder so viel Taschengeld bekommt, daß er der Schwester einfach mal so ein Fahrrad kauft, erscheint mir nicht sehr glaubwürdig.

Wir schreiben mittlerweile das Jahr 1941.
So wenig hat sich von 35 bis 41 getan? 14 Zeilen (auf meinem Ausdruck)?

„Herr Jahnns, wir haben Befehl, Sie, Ihre Frau und Ihre Tochter Yasmina Jahnns aufgrund von Verstößen gegen die Nürnberger Rassengesetze zu verhaften.“
So höflich haben die bestimmt nicht mit ihnen gesprochen.

Felix hatte immer viel Glück. Er fand Lebensmittelkarten auf der Straße und sammelte sie ein. Davon konnten wir uns etwas zu essen holen.
Mit Glück hat er vielleicht einmal eine gefunden, aber sicher nicht so viele, daß er sie »einsammelt«. Wie gesagt, die Menschen waren arm, und auf so etwas wie Lebensmittelkarten paßt man auf, die verliert man nicht so einfach.

Durch Zufall habe ich mal in einem der leerstehenden Häuser eine alte Freundin von mir getroffen. Wir haben uns so lange unterhalten wie noch nie. Ihre Eltern und sie standen kurz vor der Deportation, aber sie wollten sich verstecken, wollten in Dänemark untertauchen.
Es gab einige so Stellen, bei denen ich das Gefühl hatte, Du wolltest einfach alles der Reihe nach unterbringen, was im Schulbuch steht. Wenn Du manches davon weglassen würdest, würde die Geschichte an Glaubwürdigkeit gewinnen. Auch z. B., daß die Protagonistin aus Häusern von deportierten Juden etwas geholt hat – das klingt mir ein bisschen zu mutig.

Felix hatte in dem Haus, in der wir unsere Nächte verbrachten, einen Herd gefunden, der auch noch funktionstüchtig war. Wir sammelten Regenwasser in einem Kochtopf, damit wir etwas zu trinken hatten. Felix kochte es, damit nicht so viele Bakterien enthalten waren.
Womit hat er denn den Herd beheizt?

Keine Menschenseele hat sich um mich gekümmert, alle waren mit sich selbst beschäftigt. Ich hörte Schreie, ganz verschiedene, von Müttern, die ihre toten Kinder beweinten über Schmerzensschreie bis hin zum letzten aller Schreie, dem Todeschrei.
Es gab scheinbar keine Luftschutzkeller, in die die Menschen rannten?

Ich habe auf der Straße verschiedene Stofffetzen zusammen getragen um Felix daraus einen Verband zu knoten.
Die Stofffetzen liegen so auf der Straße herum?

„Aufhören! Wer gibt Ihnen das Recht, einen kleinen Jungen zu schlagen,
Damals hat kein Mensch von Rechten der Kinder gesprochen, Eltern, Lehrer – Autoritätspersonen – hatten jegliches Züchtigungsrecht. Wie sollte die Protagonistin auf so etwas überhaupt kommen?
Bei uns in Österreich wurde das Züchtigungsrecht 1979 abgeschafft, in Deutschland war es glaub ich irgendwann in den Neunzigern. Aber es ist natürlich schön, zu hören, daß Kinderrechte langsam doch so selbstverständlich werden, daß sie gar nicht mehr wegzudenken sind. ;-) Aber:
„Es ist nicht rechtens, Kinder zu schlagen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Haarfarbe, welcher Religionszugehörigkeit!
So vorausschauend kann Deine Protagonistin auf keinen Fall gewesen sein. Lies mal nach, seit wann es sowas wie Menschenrechte gibt.

„Ich kann mich leider nicht mehr an jede einzelne Deportation erinnern, mein Kind.“
So offen wurde darüber nicht gesprochen.

Ich kenne ihn seit Kindertagen, er war immer Felix’ bester Freund gewesen, war immer um mich herum und doch war es jetzt anders.
Ich verstand nicht, was los war, aber ich versuchte auch nicht zu verstehen, schon lange nicht mehr.
Westermann kümmerte sich wieder um den kleinen Jungen, sodass Lars mir etwas zu flüstern konnte: „Du kommst jetzt in ein KZ, das weißt du, oder? Ich versuche dich dahin bringen zu lassen, wo ich bin, nach Auschwitz.“
Allein schon dieser Zufall, daß Lars immer Felix’ bester Freund war, und warum ist er da, wenn er doch in Auschwitz ist? Aber dann auch noch diese Aussage …
„Du musst nicht mehr lange hier bleiben, bald kommst du in ein Durchgangslager und später dann nach Auschwitz. Ich habe alles so gedreht, dass ich immer auf dich aufpassen kann,
Ich mein, sowas kannst Du doch nicht wirklich glauben?
Seit ich Deine Geschichte vorgestern gelesen habe, frage ich mich, welchen Sinn man darin sehen kann, eine Geschichte zu diesem Thema zu einem Märchen umzugestalten. Kannst Du mir die Frage bitte beantworten?

Ich konnte es kaum fassen. Meine beste Freundin war auch hier!
Sie war doch keine Jüdin, warum traf ich sie dann hier?
[…]
„Ich habe Zeitschriften ausgeteilt, Untergrundzeitschriften natürlich.
Wieder so ein Zufall, natürlich war es die beste Freundin, die Untergrundzeitschriften verteilte. Das ist auch so ein Punkt, wie ich oben schon mal erwähnte: Es wirkt, als hättest Du es in die Geschichte geschrieben, damit auch wirklich alles drin vorkommt, was Du über das Thema gehört hast.

Zweimal am Tag erhielt jeder eine Scheibe Brot, meist trockenes Vollkornbrot, und eine warme Suppe.
Vollkornbrot? :susp: Für die Gefangenen nur das Beste! Der Begriff Vollkornbrot ist aber auch noch gar nicht so alt.

Zum Glück waren Ariel und ich in ein und demselben. Ohne sie wäre ich verloren gewesen. Wir waren nicht allzu überrascht, als wir sahen, dass Lars unseren Wagen begleitete.
Ein Mann schritt um uns herum, flüsterte den Bewaffneten etwas zu, flüsterte Lars etwas zu.
Offenbar hat er den Zug auch begleitet? Obwohl die Menschen da nicht begleitet wurden, sondern einfach die Türen der Waggons von außen verriegelt wurden.

Ich suchte Lars’ Blick, versuchte ihm zu verstehen zu geben, wie sehr ich Ariel brauchte. Und er verstand. Lars ging zu dem hageren Mann, sagte etwas und schon deutete sein Finger auf Ariel.
Was könnte er ihm wohl gesagt haben? »Das sind zwei Freundinnen von mir, die wollen gern zusammen bleiben«? Niemals hätte er zugeben dürfen, mit ihnen befreundet zu sein oder ähnliches. Was könnte es sonst gewesen sein, und warum sollte der andere überhaupt auf ihn hören und eine bereits getroffene Entscheidung rückgängig machen?

Ein weiterer Mann kam, es war Mengele, wie ich später erfuhr.
Natürlich war es Mengele. Wer könnte es sonst sein?

Kurz nach unsrer Ankunft, bei der Arbeit- wir mussten Steinen vom einen Ende des Lagers zum anderen schleppen-
Stichwort Zwangsarbeit?
Zwangsarbeit hieß nicht unbedingt, irgendwelche sinnlosen Tätigkeiten machen zu müssen, obwohl es das sicher auch gab, so als Schikane schlecht gelaunter KZ-Aufseher. Vor allem aber wurden Zwangsarbeiter in Fabriken oder zum Bau von Straßen und Wegen eingesetzt, wo sie oft den ganzen Tag ohne Essen und Wasser in der prallen Sonne schuften mußten. Dabei sind viele zusammengebrochen und nicht mehr aufgestanden.

„Deine Eltern und Yasmina sind auch hier, es geht ihnen gut. Hier ist etwas Papier und ein Stift, versteck es gut, du kannst ihnen schreiben.“
Er besorgte uns Extra-Rationen Essen, Papier und Stifte, er sorgte dafür, dass wir abends heimlich unsere Gedichte fortragen konnten.
Ist Dir bewußt, daß er mit solchen Sachen sein eigenes Leben riskiert hätte?

Die Sonne scheint.
Einer fällt.
Schmetterlinge schwirren umher.
Der Boden färbt sich rot.
Blumen blühen.
Ein anderer geht weg.
Es riecht nach Frühling.
Das Loch im Kopf ist nicht groß.
Die Sonne scheint.

Eines der Gedichte, die ich während meiner Zeit in Auschwitz schrieb.

Ich wette, niemand in Auschwitz hat so ein Gedicht geschrieben. Gerochen hat es nach Tod, niemals nach Frühling, und deshalb waren da auch keine Schmetterlinge, die hätten sich da gar nicht wohl gefühlt. Und Du meinst, sie hätten da Blumen angepflanzt? Ich glaube nicht, daß es in KZs Blumen gab …
Einer fällt, ein anderer geht weg? :shy:
Dafür gab es aber viel Leid zu sehen, über das die Leute, die tatsächlich damals heimlich geschrieben haben oder das hinterher taten, berichten. In Deiner Geschichte kommt leider das Leid der Menschen überhaupt nicht rüber. Du schreibst zwar kurz mal, daß sie schrien und so, aber richtig, sodaß man es spürt, kommt da nichts an.
Angst vor den Aufsehern, Angst vor der Arbeit, Angst vor dem, was mit der Familie geschieht, Angst vor der Nacht, Angst vor dem Tag.
Vor allem aber doch wohl die Angst, als einer der nächsten in die Gaskammern zu marschieren.

Unsere Baracke wurde immer leerer,
Zu einem Zeitpunkt, wo die Nazis vernichteten, was nur ging, wurde bestimmt keine Baracke immer leerer. Sie kamen mit dem Vernichten kaum hinterher, die Lager waren überfüllt. Deshalb bekamen auch einige Lager noch Außenstellen als zusätzliche Verstärkung, um die vielen »Minderwertigen« zu beseitigen.

Er wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen freigesprochen. Lars hatte viele Juden, Sinti und Roma versteckt, als private Arbeiter eingestellt oder ihnen anders das Leben gerettet, so wie mir, Ariel und meiner Familie.
Na, der war ja ein richtiger Multi-Menschenfreund!

mein Leiden.
Im Angesicht von Geschichte und Realität müßte doch da eigentlich stehen »mein Glück im Unglück«, oder? Jedenfalls würde ich, beim Wissen, welches Leid viele in der Realität mitgemacht haben, das nicht als Leiden bezeichnen.
Natürlich ist Eingesperrt-Sein an sich schon schlimm, und wenn man nicht ausreichend zu essen bekommt. Aber hätte die Erzählerin wirklich ein KZ von innen gesehen, wüßte sie selbst bei ihrem Glück jede Menge von den anderen zu erzählen. Ob man Geschichten liest, die ehemalige KZ-Insassen geschrieben haben, oder ob man echten Zeitzeugen zuhört, immer erzählen sie auch über andere, über die, die nichts mehr erzählen können. Sowas zu überleben ist ein Auftrag, es nachfolgenden Generationen zu erzählen. Märchen darüber halte ich nicht für sehr sinnvoll.


Aber die Kritik geht eigentlich viel weniger an Dich, als vielmehr an Deine Lehrer, die es offenbar nicht geschafft haben, den Schülern das Thema im Unterricht wirklich nahe zu bringen. Du scheinst ja nicht etwa desinteressiert gewesen zu sein, sonst hättest Du nicht so eine lange Geschichte darüber geschrieben, also muß ich hier von einem Versagen der Lehrer ausgehen.

Tut mir leid, daß ich Dir jetzt deshalb so eine schlechte Kritik schreiben mußte, aber unwidersprochen wollte ich das auch nicht lassen.
Wie gesagt, liest sie sich ganz gut, bis auf ein paar Kleinigkeiten, deshalb will ich Dir raten, Dich erst einmal mit etwas einfacheren Themen auseinanderzusetzen, bei denen Du sicher bist, dann gibt es auch bestimmt gute Kritiken! :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Wow, das ist echt viel Kritik ^^
Aber durchaus berechtigt.
Dass die Geschichte so lang ist hat damit zu tun, dass ich persönlich es als mehr oder minder unbefriedigend empfinde kurze Geschichten zu schreiben.

Zu der Sache mit dem Lehrer: in der Schule habe ich nichts neues gelernt, ich habe mir mein "Wissen" selber angeeignet.

Nun zu dem,was du als unglaubwürdig titulierst (was es wohl auch ist.) :

Kindergeburtstag: Ichdachte nicht an einen Kindergeburtstag, wie ich ihn verlebt habe, sondern an ein zusammensitzten unter Freunden an einem Geburtstag.

Zeitspanne '35 - '41: für sie war es nicht so wichtig, es hat sie nicht tangiert, sie war ein Kind.

Lebensmittelkarten: "finden", so wurde auch das Beklauen von Toten bezeichnet.

Luftschutzkeller: Juden, Sinti, Roma, Farbige, Behinderte durften nicht in Luftschutzkeller. Viele wollten auch nicht. Oder sie kamen zu spät, die Keller waren bereits geschlossen.

Stoffetzten: Kleidung der Toten

Menschenrecht: Ich weiß sehr wohl, das es damals nicht existierte und auch leider noch nicht allzu lange existiert, aber wie sollte ich sie anders ins KZ bringen?

Deportation: Es wurde offen darüber geredet. Deportation hieß lediglich, dass die Juden umgesiedelt wurden. Und es kamen ja auch Postkarten aus KZ's

Märchen: Ein Märchen? Die Geschichte stand unter dem Thema "Zufall" (war für einen Wettbewerb ^^) deswegen könnte es den Anschein eines Märchens haben.

Mengele: Woher soll sie wissen, wer er ist? Wann soll sie von ihm gehört haben?

Zwangsarbeit: Ja, ich weiß das Zwangsarbeit nicht nur sinnlose Tätigkeiten waren. Aber ich wollte die sinnlosen Qualen der gefangenen verdeutlichen.

Leben riskieren: Ja, mir ist durachaus bewusst, das er sein Leben riskiert, aber damals gab es solche Menschen, nicht viele, aber es gab sie.

Gedicht: In einigen KZ's gab es Gärten um die sich die gefangenen kümmern mussten.

Angst: In den Berichten, die ich gelesen habe, stand oftmals, dass viele sich den Gastod wünschten, zwar nicht immer oder oft, aber es erschien machen humaner schnell zu sterben, als gequält zu werden.

Leerung der Baracken: Schon klar, das weiß ich selbst. Die Lager waren überfüllt, dennoch, durch Tod wurden die Baracken leerer. Und es gab viele Tote, wie etwa Leute, die in den Draht gingen.

Menschenfreund: Meine Geschichte ist an dieser Stelle historisch falsch. Es war nicht der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess, denn da wurden nur Nazi-Größen verurteilt, Was ich meinte war der Dresdener Auschwitzprozess.

Du siehst also, die Kritik geht sehr wohl gegen mich. Nun, und ein par Kleinigkeiten sind es ja wohl auch nicht. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich erst 16 bin und mit Kritik, besonders solch meinem Anschein nach destruktiver Kritik nicht viel anfangen kann, erscheint es mir sinniger vorläufig keine Geschichten mehr zu veröffentlichen, geschweige denn zu irgendwelchen Wettbewerben zu schicken.
Vielen Dank, dass du mir die Augen geöffnet hast. Das Schreiben ist wohl nicht meine Stärke.

LG Pia

 

Hallo nochmal, likeisms!

Wow, das ist echt viel Kritik ^^
Aber durchaus berechtigt.
Aber in Anbetracht der Tatsache, dass ich erst 16 bin und mit Kritik, besonders solch meinem Anschein nach destruktiver Kritik nicht viel anfangen kann
Daß die Kritik berechtigt ist, bestätigst Du ja selbst, die Bezeichnung »destruktiv« lehne ich jedoch ab, da ich die einzelnen Kritikpunkte begründet, manches erklärt habe und Dir auch zu einzelnen Punkten einen Verbesserungsansatz mitgeliefert habe, wie etwa, nicht zu jedem »Stichwort« etwas einzufügen oder das Leben und Sterben im KZ deutlicher zu machen. Die Vorschläge mußt Du nicht annehmen, aber Du kannst auch meine Kritik nicht als destruktiv bezeichnen.

Vielen Dank, dass du mir die Augen geöffnet hast. Das Schreiben ist wohl nicht meine Stärke.
Ich versteh schon, daß Du ein bisschen sauer bist nach meiner langen Liste, aber das habe ich weder gesagt noch gemeint, vielmehr habe ich versucht, Dir deutlich zu machen, daß ich gerne eine Geschichte von Dir zu einem anderen Thema lesen würde, bei dem Du inhaltlich sicherer bist. – Dann mache ich auch gerne Textarbeit, aber bei Geschichten, wo ich der Meinung bin, die gehörten inhaltlich noch ziemlich überarbeitet, mache ich keine Textarbeit, schließlich weiß ich nicht, was davon nach der Überarbeitung überhaupt noch drin ist – manches findet dann der Autor selbst, anderes wird rausgestrichen, neue Fehler kommen dazu … Wenn Du also vielleicht das mit »destruktiv« gemeint hast, begründet sich das im Inhalt; falls Du Dich aber doch entschließen kannst, die Geschichte zu überarbeiten, komme ich dann gerne wieder. :)
Es sollte auch kein Vorwurf sein, daß Du mit 16 noch nicht alles weißt, deshalb hab ich Dir auch manches erklärt, z. B. die Armut, die überall geherrscht hat; aber wenn Du Geschichten schreibst, solltest Du über das Thema der jeweiligen Geschichte Bescheid wissen. Das ist bei anderen Genres nicht so schlimm, aber gerade bei Historikthemen sollte man eben wirklich jede Kleinigkeit nachrecherchieren und sich hineindenken. – Deshalb gibt es wahrscheinlich auch so wenige Geschichten in dieser Rubrik. Ich selbst hab auch noch keine, weil ich mir die Zeit noch nicht genommen hab, die der Geschichte gerecht werdende Recherche zu betreiben.

Du hast Dir also für Deinen Einstieg wirlich die schwierigste Rubrik (dahinter kommt dann Science Fiction, falls Du es noch mit der zweitschwierigsten Rubrik aufnehmen willst ;)) ausgesucht, und deshalb solltest Du Dich keinesfalls entmutigen lassen, sondern es lieber mal in einer anderen Rubrik versuchen. Ich könnte mir gut vorstellen, daß es Dir Spaß macht, einen Krimi zu schreiben, oder vielleicht in Jugend ein Thema, das Dich berührt, Konflikte mit den Erwachsenen, Liebe, Suche nach sich selbst – es gibt so viel, worüber Du bestimmt glaubwürdig schreiben kannst, um das Handwerk zu erlernen bzw. zu verbessern, und dann bringst Du auch schwierigere Themen glaubwürdig rüber. :)

Noch zu ein paar Deiner Antworten:

Zeitspanne '35 - '41: für sie war es nicht so wichtig, es hat sie nicht tangiert, sie war ein Kind.
Geboren 1926, da war sie also 9 – 15 Jahre alt, das ist doch ein Alter, in dem man schon einiges aus der Umwelt mitbekommt. Damit meine ich noch nicht einmal Ereignisse wie den Anschluß Österreichs an Deutschland oder den Einmarsch in Polen, sondern schlicht die Veränderungen im Alltag, den Haß auf die Juden und alles »Minderwertige«, der geschürt wurde. Die Protagonistin durfte wohl nicht mehr zur Schule, wurde vielleicht sogar von Mitschülern verspottet. Es war eine Juden gegenüber sehr feindselig eingestellte Zeit, dabei war nicht entscheidend, ob sie ihren Glauben ausübten oder nicht. Bruno Kreisky, ehem. österr. Bundeskanzler und selbst ehemals KZ-Häftling, faßt die Situation so zusammen:
Diese Feindseligkeit hat die Juden zu einer Einheit zusammengeschweißt. Hitler zum Beispiel hat dadurch, daß er aus der Judenfrage ein Politikum machte, die Juden zu einer neuen Solidarität geradezu gezwungen. Plötzlich gab es da eine bisher noch nie gekannte und oft gar nicht gewollte Solidarität zwischen dem kleinen Ostjuden aus einem Städtel in Polen, Litauen oder Westrußland und einem Juden aus der Familie Rothschild, Monteßori oder wie sie heißen mögen. Diese künstliche Gemeinsamkeit ist immer wieder Kennzeichen für eine Epoche besonderer Gewalttätigkeit gegen die Juden.
Das Merkwürdige an dieser Gemeinsamkeit war, daß sie sich ausschließlich auf den Umstand einer angeblich gemeinsamen Herkunft, nämlich aus dem Judentum, berief. In Wirklichkeit kam sie aus einer ganz anders zu definierenden Gemeinschaft, nämlich daraus, daß äußerer Druck einen stärkeren Zusammenhalt erzeugte.
Dieser, für die Epoche kennzeichnende Zusammenhalt kann wohl auch nicht unbemerkt an Deiner Protagonistin vorbeigegangen sein, ebensowenig wie der Druck.
Allerdings schreibst Du ein paar Mal von »Gerüchten«, die sie gehört hat, jedoch nie, woher sie diese Gerüchte hatte. Da wäre zum Beispiel eine gute Möglichkeit, das deutlicher auszuführen.

Luftschutzkeller: Juden, Sinti, Roma, Farbige, Behinderte durften nicht in Luftschutzkeller. Viele wollten auch nicht. Oder sie kamen zu spät, die Keller waren bereits geschlossen.
Ich meinte die anderen Leute auf der Straße. Zumindest manche Filmregisseure stellen sich das heutzutage so vor, daß die Straßen sich ziemlich geleert haben, wenn Fliegeralarm war.

Stoffetzten: Kleidung der Toten
Das hast Du kurz zuvor ausgeschlossen, zumindest habe ich das so aufgefaßt:
Geschichte schrieb:
„Wir klauen keinem Toten seine Klamotten! Das ist das Letzte was ich je tun würde! Es ist erniedrigend und widerwärtig!“
Wir suchten uns eine „neue Ruine“. Ich habe auf der Straße verschiedene Stofffetzen zusammen getragen um Felix daraus einen Verband zu knoten. Es war fürs Erste ausreichend.

Menschenrecht: Ich weiß sehr wohl, das es damals nicht existierte und auch leider noch nicht allzu lange existiert, aber wie sollte ich sie anders ins KZ bringen?
Die Protagonistin mußte die Menschenrechte erfinden, damit Du einen Grund gefunden hast, sie ins KZ zu bringen? :shy: :susp:

Zwangsarbeit: Ja, ich weiß das Zwangsarbeit nicht nur sinnlose Tätigkeiten waren. Aber ich wollte die sinnlosen Qualen der gefangenen verdeutlichen.
Wo meinst Du, hier Qualen zu verdeutlichen?
Geschichte schrieb:
Kurz nach unsrer Ankunft, bei der Arbeit- wir mussten Steinen vom einen Ende des Lagers zum anderen schleppen- zog Lars mich beiseite.
Das ist zum Beispiel so ein Punkt, der Dir sicher gelingt, wenn Du erst einmal mit einfacheren Geschichten anfängst, denn hier ist von einer Qual wirklich nichts zu sehen.

Leerung der Baracken: Schon klar, das weiß ich selbst. Die Lager waren überfüllt, dennoch, durch Tod wurden die Baracken leerer. Und es gab viele Tote, wie etwa Leute, die in den Draht gingen.
Es kamen aber immer noch genug Züge an, um freie Plätze aufzufüllen …

Du siehst also, die Kritik geht sehr wohl gegen mich.
Nein, ich sehe es immer noch als Zeugnis für das Versagen der Lehrkräfte, da sie den Auftrag haben, den Schülern diese Zeit nahe zu bringen. – Jedenfalls nehme ich das an, ich kenne den deutschen Lehrplan nicht, aber ich kann mir eigentlich nicht anders vorstellen.


Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi, likeisms und Häferl,

Gedichte wurden genug geschrieben in KZs, es sind ja auch recht viele überliefert. Ebenso Zeichnungen, kleine Gemälde. Und Gärten gab es auch in vielen. In Neuengamme z.B. richtig große Gärten, die von Inhaftierten gehegt und gepflegt wurden. Dort wurde Gemüse und Salat angebaut für die Wachmannschaften.

Auf die Einzelheiten geht der deutsche Lehrplan sehr ungenügend ein. Auch ist eine Abstufung von Gymnasium zu Real- zu Hauptschule eine Tatsache. Und von Bundesland zu Bundesland gibt es ebenfalls Unterschiede.

Seit 5 Jahren ziehe ich durch Schulen und halte Vorträge über dieses Thema und musste oft genug erschreckende Wissenslücken oder Fehlinformationen feststellen - sogar bei den Lehrern.

Zeitlich gesehen sollte man einiges genauer beschreiben. Erst nach der Wannsee-Konferenz im Januar 42 wurden gemeinsame Organisationsstrukturen gebildet, die ALLE europäischen Juden den Vernichtungslagern im Osten zuführen sollten. Die Ermordung war vorher schon beschlossene Sache, jedoch die logistische Umsetzung wurde in Wannsee geplant, vor allem von Organisationstalenten wie Eichmann.

Um zu einer guten Organisation zu gelangen, wurden alle KZ im Jahre 1942 dem Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS, einer Abteilung im Reichssicherheitshauptamt unter Oswald Pohl, angegliedert. Viele der KZ-Kommandanten wurden zu diesem Zeitpunkt ausgetauscht. Es wurde Wert gelegt auf Kommandanten, die eine betriebswirtschaftliche oder kaufmännische Ausbildung oder Vorbildung hatten, um die Effektivität in den jeweiligen Lagern zu optimieren. Sowohl in Zwangsarbeitshinsicht, als auch in der Tötungsabsicht. Angegliedert an die KZs waren die jeweiligen SS-eigenen Wirtschafts- und Landwirtschaftsbetriebe.

Das Vernichtungslager Auschwitz II, also Birkenau, begann erst 1942 mit den Massentötungen, als die logistischen Voraussetzungen geschaffen waren. Bis dahin gab es in vielen Lagern das Motto: "Vernichtung durch Arbeit".

Was man ebenfalls anführen sollte, bei Deiner Beschreibung der Transporte in Viehwaggons, ist, dass es in jedem Waggon viele Tote schon vorab gab. Keine Toiletten, kein Wasser, kein Essen. Schreckliche hygienische Umstände führten zu Erkrankungen wie Tbc, Durchfallerkrankungen etc. pp.

Als Zugänge mussten die Häftlinge im Block 26 des Stammlagers ihre Privatsachen abliefern. Die Häftlinge wurden geduscht, geschoren, fotografiert und registriert; ab 1942 wurde ihnen meist auf dem linken Unterarm die Lagernummer eintätowiert. Sie erhielten Holzpantinen und gestreifte Häftlingsanzüge, auf denen sie durch Winkel als politischer Schutzhäftling, jüdischer Schutzhäftling, Krimineller, Asozialer, Emigrant, Zigeuner, Zeuge Jehovas (Bibelforscher) oder Homosexueller gekennzeichnet wurden.

Das ist ein sehr diffiziles Thema. Und je genauer man dabei arbeitet, desto intensiver werden auch die Geschichten. Das bei diesem Thema höchste Sorgfalt geboten ist, ergibt sich schon aus dem Gedenken an all die Toten und Geschundenen.

Heiko

 

Hallo Heiko!

Tolles Posting! Und ich finde das super, daß Du das mit der Aufklärung in den Schulen machst!

Gedichte wurden genug geschrieben in KZs, es sind ja auch recht viele überliefert. Ebenso Zeichnungen, kleine Gemälde. Und Gärten gab es auch in vielen. In Neuengamme z.B. richtig große Gärten, die von Inhaftierten gehegt und gepflegt wurden. Dort wurde Gemüse und Salat angebaut für die Wachmannschaften.
Ich hab auch nicht bestritten, daß Gedichte geschrieben wurden - mir fehlt nur die Tiefe, die ich aus KZ-Literatur gewohnt bin, deshalb hab ich bezweifelt, daß so ein Gedicht dort geschrieben wurde.
Gemüsegärten sind auch okay, aber Blumen waren da wohl eher keine. ;)

Viele der KZ-Kommandanten wurden zu diesem Zeitpunkt ausgetauscht. Es wurde Wert gelegt auf Kommandanten, die eine betriebswirtschaftliche oder kaufmännische Ausbildung oder Vorbildung hatten, um die Effektivität in den jeweiligen Lagern zu optimieren.
Das hab ich noch nicht gewußt.

Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hmm... nein, ich denke, eine Geschichte zum Thema Liebe oder Ähnliches zu schreiben ist nicht mein Fall, denn ich lese auch Bücher solches Genres nicht gerne. Sie sind mir zu stereotypisch und vorausschaubar. Krimis kann ich auch nicht schreiben, es gelingt mir nicht die nötige Spannung aufzubauen, geschweige denn, sie zu halten. Science-Fiktion als 2. schwerste Kategorie? Ich für meinen Teil finde Satiren viel schwerer, obgleich ich sie gerne lese. Etwas Philosophisches wäre vllt. eher etwas, jedoch denke ich nicht, dass ich es schaffen könnte.

Und um es nocheinmal zu sagen: Was uns in der Schule beigebracht wurde, wusste ich bereits, für mich war nichts neu, ich habe mir alles selbst beigebracht, jedoch anscheinend nicht genug.

 

Hi likeisms

Im Großen udn ganzen kann ich mich Häferl anschließen. Die Geschichte wirkt sehr unrealistisch, obwohl du, wie du sagst, sehr viel recherchiert hast.
Du hättest dich besser auf eine Szene konzentrieren sollen, als auf ein halbes Leben.
Dieses thema finde ich eh schwierig, dem konntest du mit deiner Geschichte auch nicht gerecht werden.
Mir kam die Geschichte verdammt lang vor, sie ist ja auch lang, aber ich lese auch gerne lange Geschichten. Doch diese hier war lang, anstrengend zu lesen und wirklich sehr langweilig. NIchts interessantes konnte ich finden.

Ein paar Beispiele, damit du meine Kritik etwas nachvollziehen kannst.

Der Inhalt seiner Reden war mir recht egal.

Nicht nur das, denn ich glaube kaum, dass deine Prota was vom Inhalt versteht. Nicht in ihrem Alter.

Ich hörte mit an, wie Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, wusste aber nicht, was das heißt.

Besser fände ich: was das zu bedeuten hatte.

Ich sah nur, wie mein Vater bei dieser Nachricht aussah. So habe ich ihn vorher nie erlebt. Er wurde kreidebleich, sackte in sich zusammen,

MMn machst du zu viele abgehackte Sätze, die du wunderbar miteinander verknüpfen könntest.
Besser: Ich sah nur, wie mein Vater bei dieser Nachricht kreidebleich wurde und in sich zusammen sackte. (So hatte ich ihn noch nie zuvor gesehen)

meine Mutter fing an zu weinen, wurde von meinem Bruder getröstet.
„Warum weinst du, Mama? Es gibt doch keinen Grund, alle leben noch. Die Rede war doch auch schön.“, dachte ich bei mir.

Ich würde die Anführungszeichen, ’’bei’’ und ’’auch’’ wegmachen.
Also: Warum weinst du, Mama? Es gibt doch keinen Grund, alle leben noch. Die Rede war doch schön, dachte ich mir.
Später habe ich erfahren, dass diese Aussage eigentlich Schwachsinn ist,
war oder nicht? Für Geschichten in dieser Rubrik sollte man sich keine Temusfehler erlauben. Das kann verdammt verwirrend sein.
Warum sollte mein Vater sich also scheiden lassen, wenn die Ehe doch sowieso nicht existiert?
Dein Stil liest sich nicht gerade flüssig, das ist in meinen Augen völlig plump daher erzählt.
Und wenn du schon im vorigen Satz erwähnst, dass eine Ehe zwischen Ariern und Juden nicht anerkannte wurde, warum musst du dann noch eine rhetorische Frage stellen, um sicher zu stellen, dass der Leser das auch verstanden hat? Unnötig, sage ich dazu. Das ist aber nur so ein Beispiel, du hast noch einige solcher Sätze drin.
Vater wurde seine Praxis weggenommen.
Das hört sich echt nicht gut an, also nachdem du recherchiert hast, solltest du auf jeden Fall an deinem Stil arbeiten.
Wie wäre es mit einem einfach Satz wie: Man nahm meinem Vater seine Praxis weg.

Am Schlimmsten für mich war, dass ich mein schönes, sonnengelbes Fahrrad an die Deutschen geben musste.
Jude sein ist keine Nationalität. Ich könnte da manchmal echt ausrasten. Es gibt jüdische Deutsche. So. Und da die Familie deiner Prot. in Deutschland lebte und du keine andere Informationen zu ihrer Herkunft geschrieben hast, gehe ich davon aus, dass sie auch Deutsche waren.

Er konnte uns das nur zurufen, denn das Auto mit meinen Eltern und Yasmina fuhr schon davon. Yasmina spielte noch immer Schnick-Schnack-Schnuck, sie weinte nicht, lachte nur aus vollem Herzen.
Na ja, nicht gerade glaubwürdig. Die kleine wird mit ihren Eltern davon geführt, sieht wahrscheinlich die verängstigen Gesichter ihrer Eltern und lacht nur aus vollem Herzen. Kinder sind nicht blöd, sie merken ziemlich schnell, wenn sie unrecht sehen.

So könnte man eigentlich den ganzen Text durchgehen. Aber das wird mir dann doch zuviel.

Nach dem Krieg machte ich mich auf die Suche nach meiner Familie. Felix wurde 1944 nach Theresienstadt deportiert, konnte aber mit Hilfe eines Freundes fliehen.
Meine Eltern und Yasmina waren wie wir an den so genannten Todesmärschen beteiligt, lebten jedoch noch.
Und Lars?
Er wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen freigesprochen. Lars hatte viele Juden, Sinti und Roma versteckt, als private Arbeiter eingestellt oder ihnen anders das Leben gerettet, so wie mir, Ariel und meiner Familie. Ariels Eltern sind in den Gaskammern umgekommen.

Man kann sagen, meine Geschichte hört sich unreal an, aber sie ist wahr, jedes einzelne Wort ist wahr. Ich hatte viel Glück im Leben, der Zufall kam mir oft zur Hilfe. Und doch, alles ist so passiert, wie ich es geschildert habe. Dies ist meine Geschichte, meine persönlichen Erfahrungen, mein Leiden. Vieles wurde mit der Zeit vergessen, die Gedanken schwächten ab, doch verschwanden nie.

Oh Gott, das hört sich alles so amerikanisch an. Die Familie hat so etwas schwieriges durchgemacht und trotzdem haben sie alle überlebt. Du erzählst einfach viel zu naiv. Und anstatt dich wirklich nur auf ein Ereignis bzw. eine Szene zu konzentrieren, schreibst du über so gut wie alle Sachen, die damals vorgefallen sind.
Und das ist einer der Gründe, warum mir deine Geschichte nicht gefallen hat.

Cu JoBlack

 

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