Völlerei
„Guck mal Mama, da gibt’s Erdbeeren. Können wir die kaufen?“
„Aber klar, nimm eine Packung mit.“, sagte Dora und rang sich ein Lächeln ab. Statt der alljährlichen roten Grütze würde es dieses Jahr einfach Erdbeeren zum Nachtisch geben.
Auch wenn ihm der Rücken schmerzte und er seine Hände kaum noch spürte, graute es ihm schon davor nach Hause zurückzukehren und in die Augen seiner Kinder blicken zu müssen. Sie warteten immer so sehnsüchtig auf ihn und darauf, dass er ihnen etwas zu essen mitbrachte, doch heute würde er sie wieder einmal enttäuschen müssen. Er dachte an die Zeit zurück, in der er und seine Frau noch in Afrika gewesen waren. Ja, damals hatten sie voll freudiger Erwartung vom reichen Europa geträumt. Natürlich hatte er schon damals von den schlechten Bedingungen für die Arbeiter, die hier herrschen sollten, gehört. Er war sich damals jedoch sicher gewesen, dass es nicht schlimmer kommen konnte. Besser harte Arbeitsbedingungen, als gar keine Arbeit zu haben. Und außerdem, hatte er wirklich an das Gerede geglaubt? Nein, insgeheim hatte er sich ausgemalt, legal in Spanien aufgenommen zu werden und sich vielleicht sogar etwas Eigenes aufbauen zu können. Dieses Ziel lag nun, da er hier war, weitaus ferner, als zu der Zeit, da er dieses Land nur in seinen Träumen besucht hatte.
Früher hatte Dora Weihnachten geliebt. Ja, damals als sie als kleines Kind bei ihrem Großvater auf dem Schoß saß. Wenn sie an die Zeit zurück dachte, in der sie selbst noch ein Kind gewesen war und für nichts hatte sorgen müssen, hatte sie immer dieses Bild von den durch die Kerzen erwärmten Wohnzimmer vor Augen. Sie hatte immer auf dem Schoß ihres Großvaters gesessen und den riesigen Tannenbaum angeschaut, während ihre Mutter ihr die Märchen der Gebrüder Grimm vorgelesen hatte. Diese Zeiten waren nun vorbei.
Der Supermarkt war gerammelt voll von Menschen, die die letzten Besorgungen für ihr Festessen machten. Als sie am Fleisch vorbeikamen, zögerte sie kurz, griff dann jedoch schnell nach einer Packung Schweinefleisch. Sie war nie sonderlich traditionell zu Weihnachten gewesen. Weihnachtsgans hatte es bei ihr schon lange nicht mehr gegeben.
Er hatte Daniels Blick genau gesehen. Daniel verabscheute seinen Vater für das, was er tat, obwohl sich Heino fast sicher war, dass er den Betrieb irgendwann übernehmen würde. Trotz Daniels Ekel konnte Heino kaum seinen Stolz verbergen. Schließlich hatte er diesen Betrieb erst zu dem gemacht, was er heute war; ein erfolgreiches, Geld bringendes Unternehmen.
„Und hier sind die Schweine untergebracht.“, verkündete er.
Diese feuchte, stickige Luft machte Daniel das Atmen schwer. Und dieser Gestank. Er hatte schon viel von solchen Massentierhaltungen gehört, doch so abgrundtief schrecklich hatte er es sich nicht vorgestellt. Nicht nur, dass die Tiere so dicht aneinander gedrängt waren, nein, einige lagen sogar auf den anderen. Und warum hatten so viele dieser Tiere nicht diese Ringelschwänze, die er als Kind so lustig gefunden hatte?
Als er den Grund für die schwanzlosen Schweine sah, konnte er nicht anders. Er übergab sich auf den Steinboden.
Als sie am Heiligabend das Essen auf den Tisch anrichtete, machte sich in ihr ein Gefühl der Zufriedenheit breit. Sie hatte es auch dieses Jahr geschafft, den Kindern ihre Geschenke zu besorgen und noch dazu ein wunderbares Essen auf den Tisch zu bringen. Genüsslich biss sie in das zarte Fleisch, und das alles zu einem so guten Preis. Sie konnte wirklich zufrieden mit sich sein.