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Vergessen
An allem hatte sie etwas auszusetzen. Nie konnte er es ihr Recht machen. Sie hatte keinen Respekt vor ihm. Selten hörte er ein freundliches Wort. Und dennoch liebte er sie. Seit vielen, vielen Jahren.
Er überhörte ihr Keifen, ihre bösen Worte, verzieh ihr die Gemeinheiten, mit denen sie ihm das Leben schwer machte. Zu Recht schwer machte, denn - hatte er es nicht verdient?
Früher, ja früher einmal war sie anders gewesen. Liebevoll und zärtlich. Eine empfindsame, einfühlsame Frau, freigiebig und die Beste aller Frauen. Und dann hatte er sie so enttäuscht. Betrogen. Warum nur? Er verstand es selbst nicht mehr.
Er hatte alles an ihr gehabt, was sich ein Mann nur wünschen konnte, aber er betrog sie mit einer anderen Frau. Noch dazu mit einer, die das Risiko nicht einmal wert war. Das hatte sie ihm nie vergessen. Das war Jahre her. Nie würde sie ihm den Seitensprung verzeihen. Nie.
Kaum steckte er den Schlüssel ins Schloss, hörte er ihre Schritte und ihr Keifen. Er hörte nicht mehr die Worte, seine knappen Antworten kamen automatisch. Ihr Keifen gehörte zu seinem Alltag wie das Geräusch der Lastwagen auf der Straße vor dem Haus.
Sie riss ihm die Tür aus der Hand, stemmte die Fäuste in die Hüften und keifte.
Keifte. Keifte. Keifte.
Ja, Schatz, antwortete er und Nein, Schatz. Morgen, Schatz, und Tut mir Leid, Schatz. Immer an der richtigen Stelle, aber das Keifen verstummte nie. Es würde ihn auch an diesem Tag begleiten, bis sie schlief.
Sex. Nein, seit dem Tag, als sie von seinem Betrug erfahren hatte, hatten sie nicht mehr miteinander geschlafen. Sie tauschten überhaupt keine Zärtlichkeiten mehr. An diesem Tag verlor sie den Respekt vor ihm. Seit diesem Tag keifte sie. Er ertrug es nicht mehr.
„Halt den Mund!“, schrie er voller Verzweiflung. „Halte doch endlich den Mund!“
Sie verstummte und starrte ihn an, drehte sich um und ging in die Küche, schloss leise die Tür.
Er stand im Flur, noch in Jacke und Schuhen, und zitterte am ganzen Körper. Er wusste, er musste für seinen Fehler büßen, aber es war genug. Es war endlich genug. Einmal musste genug sein.
Er atmete tief durch, zog sich Jacke und Schuhe aus, duschte und ging in die Küche zum Essen. Wie jeden Tag. Und wie jeden Tag stand das Essen pünktlich auf dem Tisch. Doch heute schwieg sie. Während des ganzen Essens. Die Stille war ungewohnt, er genoss sie. Eine Weile. Doch hatte sie etwas Fremdes, Bedrohliches an sich, das ihm Angst machte. Angst, die Frau, die er liebte, ganz zu verlieren.
Der Abend verlief wie alle anderen auch. Nach dem Essen räumten sie gemeinsam die Küche auf, sahen fern und gingen ins Bett. Nur dass sie nicht mit ihm schimpfte, nicht ein Wort sprach, ihm keinen Blick schenkte. Als wäre er gar nicht da. Als hätte sie ihn vergessen. Plötzlich ertrug er auch die Stille nicht mehr.
Sie lagen im Bett, konnten nicht schlafen und starrten an die Decke. Er drehte zögernd den Kopf. Nur so weit, dass er ihr Gesicht sehen konnte. Das hübsche Gesicht, in das er sich damals verliebt hatte. Das heute so verhärmt aussah. Auch das war seine Schuld.
Er drehte sich auf die Seite. Sie sah ihn nicht an, starrte blicklos an die Decke. Sanft strich er über ihre hagere Wange. So rosig war sie früher, so pausbackig, wenn sie lachte. Und sie hatte oft gelacht. Er hatte seit damals nicht einmal mehr ein Lächeln auf ihren inzwischen verkniffenen Lippen gesehen.
Ihre Lippen, die er so gerne geküsst hatte. Die ihm so manche süße Freude beschert hatten. Die kühn über seinen Körper gewandert und ihn mit Hingabe verwöhnt hatten. Zum ersten Mal seit damals spürte er wieder Lust in sich.
Überrascht lauschte er auf das Gefühl, genauso überraschte ihn ihre Untätigkeit. Sie wehrte ihn nicht ab, forderte ihn nicht auf, sagte nichts. Sie lag nur da und starrte blicklos an die Decke. Fühlte sie es auch? War endlich der Zeitpunkt gekommen, auf den er so lange gewartet hatte? Konnte sie ihm endlich verzeihen? Konnte sie endlich vergessen, was er ihr angetan hatte?
Er schob sich ein wenig näher an sie heran. Vorsichtig, behutsam erkundete er das ihm so fremd gewordene Gesicht. Sie ließ es zu, ohne jede Reaktion. Wie leblos. So wie er sich all die Jahre in ihrer Gegenwart gefühlt hatte. Leblos. Das musste ein Ende haben, endlich ein Ende haben!
Er schob seinen Kopf auf ihr Kissen, atmete ihren Duft ein. Den leichten Lavendelduft, den er immer so an ihr geliebt hatte. Etwas von früher war geblieben. Das machte ihm Hoffnung.
Sie bewegte sich nicht, atmete ruhig, nicht übermäßig tief. Noch näher schob er sein Gesicht an ihres, berührte ihr Ohr, schnappte mit den Lippen sanft nach ihrem Ohrläppchen. Wie früher. Blies seinen Atem hinein.
Erregte es sie, wie es sie früher immer erregt hatte? Ihn erregte es. So wie früher. Doch sie atmete ruhig und gleichmäßig weiter. Das verletzte ihn mehr als jedes Wort. Er kroch auf seine Hälfte des Bettes zurück und drehte ihr den Rücken zu.
Sie schwieg auch am nächsten Tag. Er wollte etwas sagen, er ertrug ihr Schweigen nicht länger. Doch er schwieg ebenfalls. Was sollte er sagen? Dass es ihm Leid tat? Das hatte er tausendmal gesagt. Dass es nie wieder vorkommen würde? Es war nie wieder vorgekommen. Dass sie ihm endlich verzeihen sollte? Und was, wenn sie das nicht konnte?
Er drehte den Kopf, suchte ihren Blick. Doch sie starrte an die Decke. Er legte seinen Kopf auf ihr Kissen, knabberte an ihrem Ohrläppchen, den Hals hinunter, die Kehle hinauf bis zu ihren Lippen, küsste sie. Sie öffnete nicht die Lippen, schloss nicht die Augen, ja, bewegte sich nicht einmal.
Er versuchte es noch einmal, sanft, zärtlich, erregend, wie früher, dann fordernd und leidenschaftlich, wie früher. Nichts. Sie rührte sich nicht, starrte durch ihn hindurch, als er ihr den Blick an die Decke versperrte. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er schämte sich und legte sich wieder auf seine Seite.
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Am nächsten Abend versuchte er es wieder. Es musste doch einen Weg zu ihr geben! Er knabberte an ihrem Ohrläppchen, den Hals hinunter, die Kehle hinauf, küsste sie mit der ganzen Leidenschaft, mit der Erregung, die er von Tag zu Tag stärker verspürte. Nichts.
„Bitte“, flüsterte er eindringlich und bettelte um ihren Blick. „Bitte!“
Nichts.
Er ließ den Kopf auf ihre Schulter fallen und weinte. Er hatte noch nie vor ihr geweint, doch auch seine Tränen erzeugten keine Reaktion. Er verkroch sich unter seiner Decke und weinte dort.
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Wut mischte sich unter die Erregung am nächsten Abend. Hilflose Wut. Er beugte sich über sie, suchte ihren Blick, bekam ihn nicht, küsste sie, zwang seine Zunge zwischen ihre Lippen und drängte sie auseinander. Ihre Zunge bewegte sich sowenig wie ihr Körper.
Er schlug ihre Decke zurück, umfasste ihre Brust, drückte sein Gesicht durch den Stoff des Nachthemdes auf ihren Busen und nahm die Spitze zwischen seine Lippen. Sie blieb weich, sie regte sich nicht.
Er schob sich tiefer, das Nachthemd hoch, den Slip herunter, drückte sein Gesicht auf ihre Scham. Früher hatten sie sich nur seinen Schlafanzug geteilt. Früher hätte ihr leises Stöhnen ihn um den Verstand gebracht. Heute bewegte sie sich nicht einmal.
Er drückte ihre Beine auseinander, knabberte, saugte und leckte, spürte schmerzhaft die Erregung in seinen Leisten. Keine Erregung, kein Leben in ihr. Nichts! Wütend stand er auf und lief aus dem Zimmer. Er ertrug sich nicht mehr.
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Als er zurückkam, lag sie auf der Seite und hatte die Augen geschlossen. Er legte sich leise wieder hin, deckte sich zu, betrachtete in aller Ruhe ihr Gesicht, das selbst im Schlaf ihren Kummer preisgab.
„Ich liebe dich“, flüsterte er kaum hörbar, nur zu sich selbst, weil er es endlich einmal wieder aussprechen wollte. „Ich liebe dich so sehr.“
Sie schlug die Augen auf und blickte ihn endlich an. Ohne Verachtung. Tränen stiegen in ihm hoch und mit ihnen das Gefühl der Hoffnung.
„Ich liebe dich“, flüsterte er noch einmal etwas lauter, beugte sich zu ihr und küsste sie. Und sie erwiderte endlich den Kuss, weil er endlich die richtigen Worte gefunden hatte. Worte, die sie seit Jahren hören wollte. Einfache Worte, die er fast vergessen hatte.