Verlorener Mut
Verlorener Mut
Jake stand einfach nur da. Er hatte die Augen geschlossen, stemmte sich gegen den Wind, der ihm seine braunen Haare verwehte, versuchend, seine Gedanken zu fokussieren. Er dachte über alles nach, was passiert war. Wie er sie zum ersten Mal getroffen hatte, die ersten Dates, als sie zusammenzogen waren und die Heirat. Er dachte an seine Tochter, die kleine Stephanie, die nun eigentlich zu Hause im Bett liegen würde. Die Stadt war laut, auch noch bei Nacht, es waren Sirenen aus der Distanz zu hören, das stetige Geräusch fahrender Autos schallte durch Jakes Ohren. Er vernahm die Gespräche hunderter Menschen, direkt unter seinen Füßen, ein einziger Schwall an unidentifizierbaren Konversationen. Wie unbedeutend all diese Menschen waren. Jake kannte wahrscheinlich keine einzige Person dort unten, sie alle gingen ihren eigenen Leben nach, taten, was man ihnen beigebracht hatte, folgten ihren selbstsüchtigen Wünschen, nur auf der Suche nach dem, was sie „Glück“ nannten. Wieso musste alles so kommen? Es hätte nicht viel gebraucht, dann stünde Jake nun ganz woanders, hielte seine kleine Tochter im Arm und lächelte seine Frau an. Ihm lief eine einzige Träne durch das vernarbte Gesicht und fiel herab. Wie er es doch verachtete, dass all diese Menschen dort unten in Autos fuhren. Ihm war diese Entscheidung genommen worden. Der Traum seines Lebens, wie er ihn sich vorgestellt hatte, wurde ohne seine Zustimmung, ohne ihn überhaupt gefragt zu haben, von ihm genommen. Es ist inzwischen knapp einen Monat her, dass dieser Lastwagenfahrer eingeschlafen ist und mit Jakes Auto zusammenstieß. Seine Frau und kleine Tochter überlebten den Unfall nicht. Jakes Frau starb direkt von dem Aufprall, doch Jake hatte mit ansehen müssen, wie seine Tochter im Krankenhaus im Bett neben ihm um das Leben kämpfte, bis sie schließlich einen letzten Blick in Daddys Gesicht warf und schließlich verstarb. Jake selbst wurde 2 Wochen später entlassen, körperlich wieder vollkommen geheilt, doch andererseits nur noch ein Schatten seiner selbst. Er hatte die Tage zuhause verbracht, in den Spiegel oder auf Fotos starrend, er vergrub sein Gesicht oft in den fließenden Tränen während dieser Zeit. Bis er schließlich eines Nachts, als er wieder nicht schlafen konnte, aus seinem Apartment herausging, die Treppen auf das Dach hochsteigend. Und dort steht er nun, sieht auf die Großstadt hinunter und fühlt nichts als Verachtung für all diese glücklichen Menschen. Ihm wurde das Glück verwehrt, von irgend so einem übermüdeten Lasterfahrer aus Ohio. Jake dachte ein letztes Mal an alles, was ihm wichtig war, bevor er diesen Schritt machte. Diesen einen, alles beendenden Schritt. Die Erlösung all seiner Schmerzen stand kurz bevor. Alles konnte nur besser werden, weil es nicht mehr schlimmer kommen konnte. Jake hatte die Augen geschlossen, er presste sie zu. Die Luft brauste an seinen Ohren vorbei. Von unten waren verschreckte Stimmen zu hören. Doch ihm war das egal. Ihm war alles egal. Er hatte schon lange aufgehört, sich um sie zu kümmern. Jake hatte mit allem abgeschlossen. Und dann, mit Jakes letztem tiefen Atemzug, war alles vorbei.