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Vogelfrei

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27.08.2001
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Vogelfrei

Ich schaue in den Himmel.
Bin ich trostlos?
Trost – los.
Was für ein blödes Wort. Ärger steigt in mir hoch. „Los“. Etwas „los sein“. Als wäre man froh, seinen Trost los zu sein.
Ist im Grunde auch egal. Nein. Nicht das richtige Wort.

Ich schaue in den grauen Himmel.
Betrübt?
Bin ich betrübt?
Gefällt mir eigentlich. Meine Seele strahlt nicht. Meine Gedanken hetzen nicht einer hinter dem anderen her, sie versprühen keine Energie. Meine Seele, mein ich, mein Fühlen, ist so trübe wie der Himmel. So gleichförmig grau, vernebelt. Und diese Vorsilbe „be“, ja, die tut so als habe man mir das zugefügt. So wie „bemalt“. Eine Wand wird bemalt oder ein Bild. Und meine Seele wurde betrübt.
Aber es ist mir zu vorwurfsvoll. Ich könnte sagen, Du hast mich betrübt. Ja.
Nein. Das ist so...so...polarisiert. Ich brauche Abstand. Neutralität. Bösdenken ist zu einfach. Klar. Ich mache Dir 1000 Vorwürfe, die spätestens in einer Stunde hereinmünden in ein „dumme Kuh“. Die mir letztendlich den Blick versagen werden hinter mich zu schauen. Dann übermale ich dieses betrübende Grau in meinem Kopf mit hassendem Rot. Das kann nicht gut sein.

Ein Dreieck am Himmel aus lauter kleinen Punkten. Geschrei. Bis hier herunter ein einziges Geschnatter und Gezeter. Zugvögel. Es wird zu kalt. Sie flüchten aus dieser Welt. Und einer dieser Vögel bist Du.

Da oben fliegt das Bild das ich suche. Und das Wort habe ich auch dazu. Hast du nicht ganz am Anfang mit uns gesagt, Du seist „frei“?! Oh ja. Wie ein Vogel so frei bist Du. Kamst im Frühjahr, ginst im Herbst.
Vogelfrei.
Was für ein wunderbares Wort.
Vogelfrei.
Mein Herz ist jetzt vogelfrei. Keiner mehr drinnen. Flog der Vogel aus seinem viel zu engem Käfigherz heraus.
Meine Liebe ist vogelfrei. Du fliegst fort.
Vogelfrei auch – weil es jetzt pochend in dieser Welt herumgetragen wird und irgendwer Neues wird es fangen, mein Herz. Irgendwo lauert schon jemand und wird es vereinnahmen.

Da fliegen Sie. Ich stehe hilflos hier unten und sehe sie kleiner werden. Immer kleiner bis Sie fort sind. Da ist wieder Ruhe.

Und vogelfrei, weil unsere Welt bunt, laut und schnell war. Meine Welt ist still. Sie ist langsam. Sie ist bedächtig.

Ich gehe jetzt heim, lege mich ins Bett und ziehe die Decke über den Kopf. Vielleicht schlafe ich bis ins Frühjahr, halte Winterschlaf, und wenn ich dann heraus komme und in den blauen Himmel schaue und die Vögel kommen wieder ist auch Einer für mich dabei.

Dann fällt mir bestimmt ein anderes Wort ein.

Noch sehr trostlos, betrübt und vogelfrei schließe ich die Haustür auf.
Da wundere ich mich. Wundere mich über ein neues Wort.
Wie kann ich nur daran denken? Und doch erscheint es mir wie ein Hauch leben. Wie ein Rest Humor, bei aller Trivialität. Wie ein Stück Abstand zu den Geschehnissen, der mich glücklich macht. Der mir anzeigt, das da ein Rest fröhlichen Lebens in mir ist – und ich grinse. Grinse über diesen inneren Dialog. Nein. Ich werde nicht zerbrechen an unserer Geschichte. Wenn ich sowas denke, mich soweit von einer Betroffenheit entfernen kann, diese Distanz schon heute haben kann, auch wenn es nur ein Funken ist, dann ist irgendwo in meinem Kopf schon heute mehr als Hoffnung. Das macht mich heiter – ja – ich ziehe mich richtig daran hoch.

Ich dachte: Im Frühjahr, wenn die Vögel wiederkommen, laut kreischend, zeternd, schnatternd, zänkisch, werde ich vielleicht „wilde Vögelei“ denken.

Genau – dann kommt so ein Vogel und holt sich mein Herz. Stürmisch und wild und schnell und .... und.......und da flenne ich schon wieder.
Was für ein Elend. Ich bin nicht gesellschaftsfähig und gehe jetzt ins Bett.

 

Nun gebe ich hier eine wahrhaft sinnlose Kritik ab: gefällt mir! Warum, weiss ich nicht. Nein, natürlich Unsinn! Weiss ich schon. Ich mochte Deine Gedankengänge, es war einfach, sie nachzuvollziehen. Nichts klang gekünstelt, alles war so schön plausibel, erzählt wie gedacht...

Dazu macht die Geschichte trotz des inneren Tumults Mut.

UND - der Protagonist hat nicht am Ende Selbstmord verübt! :thumbsup:

[Beitrag editiert von: Roswitha am 27.11.2001 um 02:28]

 

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