Was ist neu

Vollkommen geBildete Metaphern und andere geschliffene Sprachdiamanten

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"Das bürgerliche Subjekt als anthropozentrische Konstante und Erfüllung des Weltgeschehens"

Das klingt nun wirklich wie der Nachfolgetitel dieses Buches:

Soziale Theorie des Kapitalismus,Theorie der Sozialpolitik

(E. Heimann, suhrkamp)


Also, Lea - mindestens einen neuen Leser hast du dank Dions Zitat gewonnen :D

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Ein gelungenes Beispiel für dramaturgisch geschickt eingesetzte (sonst eher verpönte) Wiederholung eines Satzelements:

„Marianne, die erste und einzige, die ihn geliebt hatte; die erste und einzige, die ihn geküsst hatte; die erste und einzige, die ein Kind von ihm bekommen hatte – nach all diesen ersten und einzigen Malen ist sie nun einfach gegangen, als hätte sie exakt dafür gelebt.“

Mindli, Marie-Laures Geburt, Alltag

 

Noch einmal ein Beispiel für dramaturgisch gut gelungene Wortwiederholungen:

„Leute wenden den Kopf, auch Leon und der Penner. Sie bleiben mitten auf der Straße stehen und starren dich an. Dann wirbeln sie durch die Luft, wie Staub im sprudelnden Wasser, getroffen von der soliden Gegenwart in Gestalt eines LKW-Kühlers.
Da ist Blut.
Da ist ein brauner Mantel, der gnädig verdeckt, was mit dem Gesicht auf dem Asphalt liegt.
Da ist Leon, und er ist es nicht, nicht mehr, nur noch eine Leonhülle. Die kleinen Augen geschlossen, als schliefe er zuhause in seinem Bett, aber mit so verdrehten Beinen, dass es dir durch die Eingeweide zieht. Unbegreiflich.“

Naut, Staub, stromaufwärts, SF

 

„Hier unten in den Katakomben saugt Geisterlicht die Stunden auf, obwohl die Zeit trotzdem vergeht, sich vorwärts quält auf alten Krücken und mit losen, gelben Zähnen – bis das Telefon mal klingelt.“

Dante, Nekrolog, Sonstige

 

Für mich ein hervorragender Einstiegssatz für eine Geschichte:

"Irgendwann hatte er erkannt, dass sein Platz in der Welt der mit billigem Kunstleder überzogene Ohrensessel vor dem Fernseher war."

Rainer, Tele-Shopping, SF

 

Wie es der Zufall so will, habe ich auch wieder mal etwas gefunden, ein schöner Gegensatz zu dem vorherigen Zitat.

Ein schönes Beispiel schneller Erzählung mit ‚starken’ Verben, ‚schnodderisch’ im Erzählton, der Action und der Situation angemessen:

„Es ist Montagmorgen. Shorty würgt gerade seinen geklauten Doughnut mit einem kalten Irischen runter, als die Caruso Zwillinge seine Tür eintreten. Er hat noch nicht mal Zeit sein Hemd anzuziehen, da jagen sie ihn auch schon aus dem Fenster, die Feuerleiter runter und durch die Gänge.
Shorty ist immer auf der Flucht. Jagen ihn nicht die Bullen, jagt ihn eine der drei Familien.
Er ist einfach für alles zu haben und für nichts zu gebrauchen. Sein einziges Glück ist die Treue seiner Freunde. Keine Ahnung wieso. Shorty sieht nicht mal gut aus.

Dillan ist Jakes Lover. Er sitzt hinter dem Tresen und tätowiert sich gerade mit roter Farbe ein Drachen fressendes Herz in den Unterarm. Der Typ ist noch schwuler als Jake und um einiges gefährlicher, weil er seit einem operativen Eingriff kein Schmerzzentrum mehr hat. Man sagt, er wollte sein Hirn tunen, ich glaube eher sein Ex hat eine Gefügigkeits-Lobotomie versaut.
Jedenfalls winkt er zurück und drückt den Knopf für die Tür.“

Lems Erbe, Shorty kratzt die Kurve, SF


Mein herzlicher Dank an alle, die den Thread bereichern!

 

Zwei von etlichen besonders schönen Stellen:

„Vor dem Fenster schälten sich die ersten Silhouetten der Bäume aus der Dunkelheit.“


„Ein milder Wind empfing uns, als wir auf die Straße traten.
Ich schaute zum Himmel. Die Regenwolken glichen den Bäuchen riesiger Meeresungetüme, die in Scharen gleichgültig über die Welt hinweg zogen. Die verbliebenen Sonnenstrahlen waren kalt und präzise. Das Laub schabte kreisförmig am Boden entlang.“

Der Illusionist, Elfenbein, Alltag

 

Unsere Körper liegen wirr dazwischen, atmende Zeiger einer Sonnenuhr, die ausschließlich unsere Zeit verkündet.

Sonne und Schatten von Ane, Romantik/Erotik

 

„Und dann schickt man sie hinaus, den Kopf noch voll mit Stracciatella-Eis und letzten Sonnenstrahlen auf einer Parkbank und dem Aroma von Cappuccino und warmem Asphalt vor einem Subway nachts um eins. Sie stolpern aus dem Bahnhof in ein Gewürfel aus farblosen Vielecken, die ein Taxi sind oder eine Bahnunterführung oder ein Buchladen, fadenscheinig und verregnet, über allem eine dünne Patina aus memento mori, als sei die Welt eigentlich schon auf dem Dachboden der Zeit verstaut und würde, sobald der Blick darauf fällt, noch einmal hastig hervorgekramt. Lebloses, angestaubtes Jetzt - Gegenwart im Rückspiegel betrachtet.“

„Zeit nieselt aus einem resopalfarbenen Himmel, das wirre Geflecht aus Gleisen und Ecken und Kanten tröpfelt unter meinem Blick dahin, man kann sich darin verlieren wie in einem Mandala, von einem irren Riesen dahingekritzelt.“

„Beim Reinkommen konnte ich nicht anders, als stumm an ihr vorbeizugehen. Nicht böse. Nur stumm. Traurig. Erschöpft. Tausend Gründe, warum ich nicht anders kann. Gründe, die leider nicht mehr in ein "Du weißt schon..." passen. Ich bin noch lange nicht damit fertig, mich von dort wieder aufzuheben, wo sie mich so unvermittelt fallen gelassen hat, und das große Fragezeichen, dass sie plötzlich für mich ist, schlingt sich um meine Kehle und schnürt mir den Verstand ab.“

Horni, Tenshin, Alltag

 

Definitionen und Urteile sind an die Stelle von Geheimnissen und Rätseln getreten, und die Helden unserer Kindheit haben sich auf einen stillen Friedhof zurückgezogen. Müde und vergessen liegen sie im Schatten der trutzigen Mauern, die unser Wissen eingrenzen. Dort ruhen sie in Frieden: der Weihnachtsmann und seine Elfen, die Feen, Trolle und Kobolde aus den Märchen und Gutenachtgeschichten, die Monster aus Wandschränken und dunklen Kellern, all die kostümierten Superhelden … und manchmal auch der Allmächtige … Gott.
Tatsachen und Gewissheit haben den Zauber geraubt und den Glauben entthront – wir sind erwachsen geworden.

Fischstaebchen, Eine Frage des Glaubens

 

Hallo

Hey Wolto. Dass dein tread hier, den ich für den wichtigsten aller halte, mal in die zweite Liega rutscht, hätte ich nicht gedacht.

Hier mal wieder was feines:

Die Kälte griff sich mein Gesicht und ließ es augenblicklich erstarren.

von Alfred Zissinger
aus der Geschichte Deine Entscheidung

 
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Hallo Aris,

kann mich leider zur Zeit nicht so sehr um den Thread kümmern. Danke für deine nette Unterstützung!
Ich lese die Zitate immer wieder gerne, ist einfach geballte Kreativität.


Ein Beispiel für einen gelungenen Kunstgriff (gewissermaßen ‚verborgene Vorschau’) - erst durch den weiteren Verlauf der Geschichte wird die Bedeutung dieser Stelle richtig klar …

An der nächsten Haltestelle mußte sie aussteigen, um den Herausdrängenden Platz zu machen. Gleich darauf wurde sie vom nächsten Pulk wieder hineingeschoben. Durch die Umschichtung hatte sie den Platz an der Abteilwand aufgeben müssen. Jemand blies ihr feuchtwarmen Atem in den Nacken. Angeekelt versuchte sie auszuweichen, ein aussichtsloses Unterfangen. Also streckte sie sich, aktivierte den Filter in ihrem Hirn, holte sehr langsam Luft, und spürte bald erleichtert, wie sich ihre Haut mit jener undurchdringlichen Schicht überzog, die sie unberührbar machte. Noch ehe die Schicht löchrig wurde, war sie angekommen.

Ankunft im November

Anna, Alltag

 

Delhi, Stadt der Millionen. Hier ist alles millionenfach. Die Bevölkerung, die Touristen, die Distanz zwischen beiden. Millionenfache Gewürze an den Leinen und Seidenstoffen, millionenfacher Gestank aus nie gewaschenen Achseln und aus den trübe stockenden Straßen. Das Ungeziefer ist Legion, und die Menschen gehören dazu – sie sind Ungeziefer an sich selbst. Sie sterben wie die Fliegen, um aus kotbefleckten Löchern unbewohnbarer Behausungen millionenfach neu zu schlüpfen.


Deli


Blackwood, Horror


Das Geräusch eines brechenden Schädels aus dem Umgebungslärm herauszuhören, ist eine Spezialität des Todes.
Er kennt es bis zum Abwinken, eine Symphonie könnte er daraus komponieren, in Kombinationen mit Stein, Holz, und Metall. Er weiß sofort, dass der Schlag ausreichend war.


Herausgerissen

Ane, Sonstige

 

"Goldene Sonnenfinger tasten sich durch den dichten Wolkenvorhang und wecken mich mit ihrer Wärme aus dem Schlaf. Die Sonne hinterlässt zarte Lichtspuren auf meiner Haut; Leben kehrt langsam in mich zurück. Kälte ist in meine starren Glieder gekrochen, als hätte ich ewig geschlafen. Vorsichtig strecke ich mich, um nicht mit einer unachtsamen Bewegung zu zerspringen. Die Nacht war traumlos. Vielleicht gibt es für mich keine Träume mehr, vielleicht habe ich bereits alle Träume, die mir zugeteilt sind, geträumt."

Eine uralte Melodie im Wind


Jynx, Romantik/Erotik

 
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Ein schönes Beispiel dafür, dass lange (‚drängende’) Sätze dramaturgisch sinnvoll sein können:

"Wenn mich meine Kinder mal nach ihm fragen werden, obwohl ich nicht weiß, ob ich je Kinder haben werde, weil mich ihre Mutter wahrscheinlich nach meinem Vater fragen wird, wenn mich meine Kinder mal nach meinem Vater fragen werden, weil sie von ihm gehört haben, weil sie immer von ihm hören werden, weil so etwas einen verfolgt, weil es wie ein Schatten über einem kreist, weil man daran denkt, wenn man sich die Zähne putzt, wenn man den Wagen anlässt und wenn man auf einen alten Baum starrt, im Winter, wenn er kein Laub mehr trägt. Wenn mich meine Kinder nach ihm fragen werden, werde ich sagen: Er hat nichts mit euch zu tun. Gar nichts. Und ich werde sie anlächeln."

Mein Vater

Quinn, Sonstige

 

Dieser Thread hier ist eine schöne Sache und hat verdient, weiter gefüllt zu werden. Habe ein paar Sprachdiamanten rausgesucht, die hier nun weiter glänzen können:

Tenshin von Horni

November ist keine Zeit. November ist ein Ort, an den man deportiert wird, wenn einem die Sommergefühle ausgehen.

Passender kann man es nicht formlieren.

Charlotte Somtimes von Somebody

Dann legten wir uns hin, sie auf die Seite, ich hinter ihr. Zwei ausgemergelte Körper, der in Hochglanzmagazinen angepriesenen Norm hohlwangig spottend. Beide waren wir innerlich zerfressen. Ich von der Einsamkeit, sie vom Krebs.

Dieser eine Satz hat schon soviel Tiefe und nimmt einen mit. In der Geschichte gelesen, geht er einfach nur unter die Haut. Ich kann die Geschichte nur empfehlen. Ich habe sie bestimmt schon zwanzig mal gelesen.

Immer wieder von Rick

Ihr Leben liegt wie eine fein säuberlich zusammengelegte Bluse irgendwo auf einem Stuhl. Meins wartet draußen vor der Tür, raucht eine Zigarette und lacht den jungen Mädchen hinterher.

Mit nur einem Satz, eigentlich eine komplette Charakterstudie zweier Menschen hingelegt. Großes Kino, wie ich finde.

Es gibt noch so viele tolle Formulierungen über die ich gestolpert bin. Werde am Ball bleiben, und weiter nach ihnen fahnden.

Leider weiß ich nicht, wie ich die erwähnten Geschichten verlinken kann. Kann mir das jemand verraten?


Liebe Grüße
GR

 
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Hallo Gesamtrechnung,

nachdem ich mich in den letzten Wochen durch 600 Seiten 'ökonomischer Denker' gewühlt habe, stoße ich ausgerechnet hier auf die 'Gesamtrechnung', zum Glück keine Abrechnung ...
Danke, für die ansprechenden Zitate, so geht das Verlinken, vielleicht interessiert es noch andere Mitglieder:


Man tippt: Eckige Klammer auf, dann URL= http-Adresse der Geschichte, dann wieder eine eckige Klammer zu, dann den Titel der Geschichte, dann eckige Klammer auf /URL eckige Klammer zu

vereinfacht:

(URL= X) T (/URL)

X ist die http-Adresse, T der Titel der Geschichte. Anstelle der runden Klammern muss man aber eckige nehmen (wenn ich das im Beispiel mache, gibt es einen Link und man sieht den Code nicht).


Die http-Adresse steht auch auf der Druckversion-Seite einer Geschichte ('Themen Optionen" anklicken).

Gruß,

Woltochinon

Hier noch ein Textfundstück:

‚Zarte’ Beobachtungen von Kleinigkeiten, die viel bedeuten findet man in der Geschichte

Tausend Möglichkeiten

von Jutta Owens (Alltag).

Beispiele:


„Ab morgen hast du jede Menge Zeit für dich, Mama, sagt sie und zupft dabei an ihrem Zeigefinger.

In einer Stunde werden beide weg sein.

Das sagt dir niemand, wenn du Zwillinge bekommst. Doppelgeburt und Doppelabschied. Dazwischen liegen knappe zwanzig Jahre, zu wenig, um sich darauf vorzubereiten.

Am Rand der Tasse schimmert ein winziger Abdruck von Meikes rosa Lippenstift. Von der Unterlippe, glaube ich.
Sie hätten beide in unserer Stadt studieren können. Jetzt steht das Klavier hier rum. Angeblich ist die Musikhochschule da unten besser. Sie bieten den Studenten mehr, sagt Meike. Außerdem soll ich froh sein, dass mir ihr Geklimper in Zukunft erspart bleibt. Richtig angucken kann sie mich dabei nicht."

.

 

Alternativ geht auch diese Variante - ausführlich, da ich nicht weiß, was ich alles voraussetzen kann:

Man ruft die Geschichte auf und kopiert die Adresse in der Browserzeile mit Unterlegen, Mausklick rechts und kopieren (Zeiger muss auf der Adresse sein).
Dann geht man in das Beitragsfenster, in das man den Link setzen will.

Oberhalb des Eingabefensters gibt es als zweites von rechts eine Art Globus zu sehen. Den anklicken, Cursor reinsetzen, Rechtsklick der Maustaste und Einfügen auswählen.
Dann wählt man OK und dieser ganze Link erscheint im Eingabefenster, ohne dass man selber mit Klammern etc. herumhantieren muss.

Achtung: Nach dem OK gibt es einen Teil in dem Link, der markiert ist. In diesem Bereich kann man dem Link einen eigenen Namen geben, ansonsten sieht man nur die Adresse, weiß aber nicht, um was es geht.
Man kann sofort losschreiben, dann verschwindet automatisch die Linkadresse.

So z.B.So ändere ich den Link-Text

Dann mal viel Spaß beim Verlinken. Probier es ruhig hier einmal in dem Thread, ich lösche die Versuche dann morgen oder übermorgen wieder.

 

„Die Inseln werden in wenigen Wochen Kappen aus Eis tragen und dann den Menschen hier gleichen, die ihr eigenes Eis, nadelfein, auf Kapuzen, auf Wangen, tief in sich tragen.
Die Nächte sind finster, tintenschwarz. Nachts erbricht das Meer regelmäßig seine Innereien an den Strand, Muscheln, Treibholz. Meinen schlaflosen Nächten folgen Tagesanbrüche, in denen ich das Strandgut aufsammle, Überreste der Zivilisation neben Muscheln, Bernsteinstücke oder mich selbst. An diesem Morgen finde ich nichts von alledem, nur Plankton klebt zwischen den Steinen.“


Der Winter kommt in seinen eigenen Gezeiten, Jynx, Sonstige

 

Die Welt um mich herum ist zu schnell geworden, meine Realität zu langsam – je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet.
Wenn ich etwas sehe, ist der Moment schon fast vorüber, was ich höre, häufig schon verhallt und was ich spüre, schon beinah Vergangenheit.
Mein Leben liegt einige Sekunden hinter dem der Anderen.
Das ist Müdigkeit.

Don Jorgo - Ein kurzer Lagebericht

 

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