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Von brennenden Kettensägen und einem neuen Hobby

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13.06.2002
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Von brennenden Kettensägen und einem neuen Hobby

Ja, Klaus hatte mal wieder ein neues Hobby.
Nach Knatterfolieknattern, Senftütenausdrücken und Kronkorkenknallen war jetzt also das Jonglieren mit brennenden Kettensägen an der Reihe. An sich auch logisch und inhaltlich konsequent, wenn man den proportional ansteigenden Adrenalinausstoß dieser vier Tätigkeiten bedenkt, für meinen persönlichen Geschmack war es jedoch etwas unheimlich, dem Schauspiel beizuwohnen, bei dem Klaus die drei Dinger in seinem Wohnzimmer durch die Luft wirbelte.
"Und sie müssen brennen?"
"Wäre es sonst superheldig?"
"Superhel... ach komm, das Wort hast du dir grad ausgedacht."
"Ja. Aber gib zu, es sieht einfach super aus, oder?"
"Naja. Gefährlich würde es eher treffen. Oder däml... Pass auf, die Stehlampe!"
"Kein Stress, die hab ich gesehen. Hier, ich mach mal nen Trick."
"Was für ein Trick?"
"Weiß ich noch nicht. Ich werd improvi... ach, Kacke."
"Gehörte das jetzt zur Superheldenshow?"
"Nein. Nein, das war jetzt ein Unfall. Du?"
"Ja?"
"Kannst du eben in die Küche gehen und nen Eimer Wasser holen? Der Fernseher brennt. Und bring Pflaster mit, ja?"

...

Man sagt, Superhelden gibt es überall. Sie leben in Comics, können Stahl biegen, Feuer speien, fliegen und in drei Sekunden um die Welt fliegen. Sie tragen lustige Anzüge aus dehnbarer Baumwolle, damit sie sich auch mal nen Hamburger leisten können, alberne Capes und Masken vor dem Gesicht. Niemand soll sie erkennen, Hauptsächlich, damit niemand Schadenersatz fordern kann, wenn sie mal wieder Dinge kaputt machen.
Aber es gibt auch andere Superhelden. Sie leben nicht in Comics, sondern in der realen Welt. Sie können keinen Stahl biegen, kein Feuer spucken und auch nicht in drei Sekunden um die Welt fliegen. Aber das hindert sie nicht daran, trotzdem Dinge kaputtzumachen.
"Hast du inzwischen eine Superheldenkraft für dich gefunden?"
"Nein... nein, ich überlege noch. Das mit den Kettensägen war ja eher ein Reinfall."
"Hätte mich eh interessiert, wie du damit Schurken fangen wolltest."
"Du hast doch gesehen, was mit dem Fernseher passiert ist."
"Du wolltest mit brennenden Kettensägen nach Superschurken werfen?"
"Warum denn nicht?"
"Ja... aber das ist doch total gefährlich."

Wir waren gerade auf dem Weg zum monatlichen Treffen der HgV. Also, Klaus war auf dem Weg, ich begleitete ihn nur.
Eigentlich war diese Sache mit den Kettensägen gar kein neues Hobby, sondern nur eine weitere Nuance seines alten Hobbys. Klaus wollte Superheld sein, immer schon. In der Schule war er damals der einzige gewesen, der niemals gespickt, sich nie geprügelt und sich in seiner Eigenschaft als Klassensprecher auf Lebenszeit immer für die sozial Schwachen eingesetzt hatte. Er war zum Fasching immer als Batman gekommen, war oberster Tafelwischbeauftragter gewesen und hatte auch in den Pausen auf dem Gang immer für Ruhe und Ordnung gesorgt. Nicht, weil er, wie wir anderen damals dachten, eine unheilige Allianz mit den Lehrern eingegangen wäre, im Gegenteil, er hatte einfach nur Gerechtigkeit gewollt und das am besten gewaltlos.
Später hatte er dann den Wunsch, zur Polizei zu gehen, doch weil er es arg am Rücken hat und keine Verbrecher unter dem Arm ins Gefängnis tragen kann, hatte man ihn dort nicht genommen. Seitdem lebte Klaus in seiner Einzimmerwohnung, las Comics und suchte fieberhaft eine Möglichkeit, das Verbrechen trotzdem irgendwie zu bekämpfen. Vor ein paar Monaten dann wurde er Mitglied der ehrenwerten Organisation Helden gegen Verbrechen, einer Art Club für speziell Begabte, war allerdings nach wie vor noch auf der Suche nach seiner speziellen Begabung.

"So langsam muss mir aber echt was einfallen. Ich meine, die Anderen lachen schon über mich."
"Wer lacht über dich? Der Kerl, der denkt, Wunderkerzen anzünden wär ne Superkraft?"
"Magic Wondercandle? Ja, der zum Beispiel. Oder Grayscaling Visioner."
"Es mag arrogant klingen, aber ich denke, jemand mit einer Phobie gegen Farbfernseher sollte für dich kein Maßstab sein."
"Ja, vielleicht nicht. Aber darum geht es nicht. Ich will das Verbrechen bekämpfen, aber ohne Superkraft werde ich nie vollwertiges Mitglied der Organisation."
"Doch, genau darum geht es. Deine Kollegen da sollten erstmal in ihrer eigenen Nase bohren, bevor sie dir deine Popel unter die selbige reiben."
"Zwar ein Kackspruch, aber vielleicht hast du bei manchen Kollegen gar nicht so Unrecht. Ich hab mich schon immer gefragt, welcher Schurke vor einem Holzlineal Angst haben sollte. Ich meine, Es ist toll, gerade Striche zeichnen zu können, wirklich, aber Straight Warrior ist immer ausgewichen, wenn ich ihn danach gefragt habe."
"Sag ich doch."
"Aber Melting Mario muss man zugestehen, daß er gefährliche Sachen kann."
"Er kann Stein schmelzen?"
"Nein, Eis."
"Mit seinem Feuerblick?"
"Mit einem Ofen."
"Oh."
"Heißes Wasser sollte man nicht unterschätzen."

Das Clubhaus war ein mehrstöckiges Gebäude mitten in der Stadt. Es war einst erbaut worden als eine Art Sammelstätte für Clubaktivitäten in der Umgebung. Der Bürgermeister hatte aus irgendeinem Grund Angst vor Vereinigungen und sah in jeder ein potentiell subversives Objekt, welches ein Machtungleichgewicht zu seinen Ungunsten anstrebte. Darum wollte er Organisationen jeglicher Art an einer Stelle gesammelt wissen. Und das ist jetzt keine Vermutung meinerseits, sondern war damals ein klarer und deutlicher Bestandteil seiner Wahlkampagne gewesen.

Die Anonymen Aggrophobiker trafen sich dreimal die Woche, Dienstag, Donnerstag und Sonntag, im kleinen Sitzungssaal des Erdgeschosses. Sie teilten sich den Raum mit den Offensiven Bummskloppern, die jeden Montag, Donnerstag und Samstag hier tagten. Direkt daneben befand sich der Raum für die Nudistische Skatbande, der Bereich für den Verein freiberuflicher Sanitäter, der Donnerstags immer Hochbetrieb hatte, und der große Festsaal, in dem die Obligatorische Zusammenkunft Unzuverlässiger Verabreder in unregelmäßigen Abständen ihre Mitgliedsliste aktualisierte. Die nächsten beiden Stockwerke gehörten dem kleinen, aber exklusiven Club der Notorisch Besserverdienenden. Sie trafen sich nur einmal alle paar Monate, hatten die Stockwerke aber dennoch komplett gemietet und mit fluffiger Goldornamentik ausgestattet.

Der HgV tagte im vierten Stock, und man konnte sie, wie immer, schon von Weitem hören. Ein wildes Geschrei bestimmte die Atmosphäre und diverse Verwünschungen wurden in unterschiedlichen Stimmlagen ausgesprochen. Anscheinend hatte der Seidene Rudi der Halbseidenen Angelika eine gewisse Halbherzigkeit in ihrer Art der Verbrechensbekämpfung vorgeworfen, worauf sie angeführt hatte, es wäre einfach unschick, als Mann Strumpfhosen zu tragen und würde auch irgendwie schwul aussehen. Dann hatte ein Wort das andere ergeben, Andere hatten Partei ergriffen und irgendwann nannte dann irgendwer irgendjemand anderen Saftsack. Und danach hatte es dann kein Halten mehr gegeben und das Beißen und Haareziehen begann.
"Das ist also der Club, mit dem du Gerechtigkeit auf die Straßen bringen willst?"
"Ja. Ja, ich denke schon. Ich meine, was habe ich sonst für Optionen..."
"Naja, du könntest es lassen."
"Das ist zwar prinzipiell richtig, in der Sache aber komplett am Thema vorbei."
"Eigentlich ist es sogar genau das, was du machen solltest."
"Nein, ich sollte... warte..." Klaus schien den Faden verloren zu haben. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich folgte seinem Blick und sah die wohl proportionierten Beine der Halbseidenen Angelika, deren bestrumpfter Oberschenkel von einer Laufmasche allerfeinster Ausprägung geziert wurde. "Ich weiß jetzt, welche Superkraft ich mir antrainiere. Wir sehen uns morgen, ich muss weg. Sonst vergesse ich die Idee wieder." Und mit diesen Worten ließ er mich allein zurück mit der Rauferei vor meinen Augen.
"Entschuldigung?" Jemand tippte mir von hinten auf die Schulter. "Ich suche..."
"Lassen Sie mich raten, die Skatbande?"
"Ist das Offensichtlich?"
"Ein klitzekleines Bisschen, ja."
"Nun... es ist ziemlich kalt."
"Klar. Ich weiß, es ist immer kalt, wenn man... ja, schon gut. Erdgeschoss."

...

"Pullover aufribbeln?"
"Ja, Pullover aufribbeln."
"Und du meinst, das wird funktionieren?"
"Klar. Jeder Superschurke trägt Pullover."
"Und du willst also..."
"Aufribbeln. Ja. Überleg doch mal, wie soll ein böser Übeltäter noch weiter seine Schurkereien ausüben, wenn er einmal nackt vor einem Superhelden gestanden hat?"
"Was, wenn er etwas drunter trägt?"
"Was sollte er drunter tragen?"
"Keine Ahnung. Feinripp oder so."
"Hast du schon mal einen Superschurken gesehen, der Feinripp trägt?"
"Nein, du hast Recht. Ich hab wirklich noch nie einen Superschurken gesehen, der... ich hab noch nie einen Superschurken gesehen."
"Eben. Soll ich dir mal mein Kostüm zeigen?"
Klaus zeigte mir sein Kostüm und es sah ziemlich toll aus, alles was Recht ist. Abgesehen von ein paar Kleinigkeiten. Die beiden Stricknadeln, die sich auf seiner Brust kreuzten, hätte er sich vielleicht sparen können und das Wollknäuel auf dem Helm sah wirklich extrem albern aus, aber ansonsten müsste er nur noch die Farbwahl ändern und ein wenig was am Schnitt verbessern. Und dann... ja, dann wär es toll.
Aber das sagte ich ihm nicht. Nur den ersten Teil.

...

Drei Wochen war es jetzt her, daß ich Klaus das letzte Mal gesehen hatte. Eigentlich treffen wir uns alle paar Tage auf ein Bier oder so, aber seit er sich in den Ribbler verwandelt hatte, war er ständig auf Achse. Verbrechen bekämpfen und so. Einmal stand er sogar in der Zeitung. Zwar nur in den Lokalnachrichten auf Seite siebzehn zwischen einer Anzeige für phoshatfreies Waschmittel und der Nachricht, daß die Tulpen wieder blühen, aber immerhin.
"Klaus? Klaus, bist du es?"
"Sieht so aus."
"Ich hätte dich kaum erkannt. Seit wann hast du Fragezeichen auf dem Mantel?"
"Ich fand, es wirkt besser, als die Stricknadeln. Mysteriöser."
"Aber es hat nichts mit deiner Kraft zu tun."
"Nein, das nicht. Aber es ist mysteriös. Wirft Fragen auf."
"Was denn für Fragen?"
"Siehst du? Aber Spaß beiseite. Wie geht’s dir denn so?"
"Och, naja, man lebt so dahin. Hab jetzt ein neues Hobby."
"Das ist gut."
"Und bei dir? Was macht das Superheldengeschäft?"
"Ach, naja... geht so. Letzte Woche hatte ich einen ziemlich beschissenen Fall, um ehrlich zu sein."
"Erzähl."
"Naja, bisher hab ich ja immer die Schurken entkleidet und sie so lächerlich gemacht. Hat sogar besser geklappt, als ich gedacht hatte. Aber letzte Woche hatte ich einen, der hat einen Juwelier ausgeraubt und... naja, er hatte nicht nur eine Maske auf, sondern auch einen Anzug aus Polyester. Kunstfaser! Nichts zum Aufribbeln."
"Wie gemein."
"Ja... ich war... ich war so hilflos, weißt du? Er hat in Seelenruhe alles ausgeräubert und ich konnte einfach nur zusehen. Er musste gewusst haben, was ich kann."
"Das tut mir Leid für dich. Wirklich. Wir sollten da mal in Ruhe drüber reden. Aber jetzt muss ich weiter, sorry."
"Hey, schicke Uhr."
"Ja. Ja, find ich auch. Die ist neu."

Ja, ich habe mal wieder ein neues Hobby. Aber meines ist wirklich neu.

 

Hallo gnoebel,

tolle Geschichte, wirklich, im Verhältnis zu dem was ich hier die letzte Zeit gelesen habe einfach klasse. Wie immer. Aber, ich muss auch sagen, dass ich schon bessere Geschichten von dir gelesen habe. Für meinen Geschmack reitest du ein wenig zu heftig - vor allem in der ersten Hälfte - auf dem Gag mit den albernen Gruppierungen und Superhelden herum. Klar, das ist eben die Geschichte, aber ein wenig weniger wäre für mich mehr gewesen.

Schreibtechnisch fast nichts auszusetzen (dazu später mehr) und die Pointen sind auch, wie immer, sehr treffsicher.

Und nun das Schreibtechnische:

Ich meine, Es ist toll,
Punkt oder Komma, entscheide dich

Eigentlich treffen wir uns alle paar Tage auf ein Bier oder so
Verbrechen bekämpfen und so
daß die Tulpen wieder blühen, aber immerhin.
Ich finde da hast du mit den nachgeschobenen "und so", "oder so", "aber immerhin" (na okay, das kann man noch durchgehen lassen oder so) ein wenig übertrieben.

Das war es auch schon was mir an Textkram auffiel.

Gruß
Lemmi

 

Moin rueganerin und Lemmi,

Danke fürs Lesen und freut mich, daß es eucht zugesagt hat ;)

rueganerin schrieb:
Aber dein Schlussatz hat mich aus dem Konzept gebracht. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich keine Ahnung habe, von welchem neuen Hobby du wohl redest.
Schau dir den letzten Absatz nochmal an - da habe ich den ein oder anderen Hinweis gestreut, wie er über sein neues Hobby an die Uhr gekommen ist. Aber wenns nicht deutlich genug wird, muss ich wohl noch ein wenig nachstreuen.
Lemmi schrieb:
reitest du ein wenig zu heftig - vor allem in der ersten Hälfte - auf dem Gag mit den albernen Gruppierungen und Superhelden herum
Ja, das ist so ne Masche von mir. Ich liebe es, Dingen und Leuten alberne Name zu geben und kann mich dann manchmal nicht im Zaum halten.
Ich finde da hast du mit den nachgeschobenen "und so", "oder so", "aber immerhin" (na okay, das kann man noch durchgehen lassen oder so) ein wenig übertrieben.
Ja, das werde ich mal ausdünnen oder so.


Irgendwie fällt generell auf, daß die Humorrubrik schon mal stärker besucht war - was ist passiert, hat der Kaiser Humorverbot befohlen? ;)

 

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