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Wahnsinn?

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16.11.2014
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Wahnsinn?

Eine Träne lief ihm die Wange herab, fiel, und hinterließ einen dunklen Fleck auf dem Kissen, mit dem er seine jüngste Tochter erstickte. Nachdem die Bewegungen unter dem Kissen erst schwächer geworden waren und dann ganz aufgehört hatten, hob er er es von ihrem Gesicht und ließ es achtlos auf den Boden fallen. Er schaute den nun leblosen Körper seines Kindes noch einige Sekunden lang an, bevor er sich umdrehte und zur Tür lief. Dort ging er den Flur entlang, und als er an dem Zimmer vorbeikam, in dem er vor zwei Stunden noch mit seiner Frau geschlafen hatte, blieb er stehen. Die Tür war angelehnt, weil er sie nicht geschlossen hatte. Er drückte sie ein Stück auf und sah in das dunkle Zimmer. Das Bett war nur als schwarzgrauer Schatten zu erkennen, jedoch konnte er die Umrisse seiner Frau ausmachen, die auf der linken Seite des Bettes lag. Als er sie so daliegen sah, wurde das Gewicht der Pistole, die in seinem Gürtel steckte, unerträglich schwer. Sie schien Tonnen zu wiegen. Seine Beine begannen leicht zu zittern. Würde er auf den Lichtschalter drücken, wäre das Bett nicht mehr schwarzgrau, seine Frau würde auch nicht leise aufstöhnen und sich von dem Licht wegdrehen. Nein, das Bett würde tiefrot sein, und sie würde mit leerem Blick die Wand anstarren, während aus dem Loch in ihrer Stirn noch immer Blut auf das ehemals weiße Kissen tropfte. Er schaltete das Licht nicht an und schloss die Tür, blieb aber noch davor stehen.

Er wollte die Pistole aus seinem Gürtel ziehen, doch zunächst verhakte sich der lange Schalldämpfer in einer Gürtelschlaufe und er musste mehrmals an ihrem Griff ziehen, bevor er sie in den Händen hielt. Auf dem Schalldämpfer schimmerten angetrocknete Blutspritzer im spärlichen Mondlicht, das durch die Vorhänge schien. Er begann ihn abzuschrauben. Er wollte nur noch einen einzigen Schuss aus dieser Waffe abfeuern, und dieser musste nicht leise sein. Den Schalldämpfer legte er auf eine Kommode, an der er vorbeikam, als er den Flur weiter in Richtung Treppe entlanglief. Die Pistole behielt er in der Hand.

Die Treppe knarrte laut, als er nach unten ging. Er musste nicht mehr leise sein, er würde niemanden aufwecken. Unten angekommen lief er einen weiteren dunklen Flur entlang in Richtung Küche. Er betätigte den Schalter zu seiner Linken und wurde einige Sekunden von hellem Licht geblendet. In der Mitte des Raumes wurde die Küche durch eine Theke vom Essbereich abgetrennt. Als er wieder sehen konnte, trat er ein und ging auf die Kaffeemaschine zu, die auf der Theke stand. Er erschrak nicht, als er aus dem Augenwinkel eine Gestalt wahrnahm, die am Kühlschrank lehnte. „Wie fühlt man sich, nachdem man seine Frau und seine Kinder getötet hat?” Es war nicht zu erkennen, ob die Stimme einem Mann oder einer Frau gehörte; sie hallte durch den Raum. Ohne zu reagieren, begann er Kaffeepulver in die Maschine zu kippen. Nun hinter ihm: „Wieso hier aufhören? Deine Eltern wohnen nur zwei Autostunden entfernt. Wir könnten sie noch vor Sonnenaufgang erreichen.” Er wirbelte herum und hob die Pistole. Über sie hinweg sah er nur den Kühlschrank bis auf ihn war niemand in der Küche. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er legte die Pistole neben die Kaffeemaschine und versetze dem Kühlschrank einen Tritt, der ihn wanken ließ. An der Stelle, an der sein Schuh die Aluminiumverkleidung getroffen hatte, war nun eine große Delle. Er schaute sie lange gedankenverloren an, bis er hinter sich einen kurzen Piepton hörte, der verkündete, dass der Kaffee fertig war. Er nahm die Tasse und stellte sie neben die Pistole. Daraufhin fegte er die Kaffeemaschine mit beiden Armen von der Theke. Sie zersprang und langsam bildete sich eine Pfütze aus Kaffee auf den Fliesen. Er unterdrückte einen Schrei und versuchte die Wut unter Kontrolle zu bekommen. Mit zitternden Händen nahm er die Kaffeetasse und trank einen Schluck. So stand er einige Minuten und trank seinen Kaffee. Sein Kopf war leer, er dachte an nichts, fast so als würde er meditieren. Er fühlte sich betäubt, spürte auch nicht den heißen Kaffee, der ihm den Mund verbrannte.

Nachdem die Tasse leer war, brachte er sie zur Spüle und begann sie mit Wasser und Seife auszuwaschen. Danach trocknete er sie ab und räumte sie in das Regal über sich zu den restlichen Tassen. Er ging wieder auf die Theke zu, blieb aber auf halbem Weg stehen und schaute sich um, als wüsste er nicht mehr, wo er war. Sekundenlang starrte er in die Luft.

Seine Augen wurden klarer, als sein Blick auf die Pistole fiel, die auf der Theke lag. Er nahm sie und steckte sie wieder in seinen Gürtel, was ohne Schalldämpfer um einiges einfacher war. Anschließend ging er um die Theke herum, stieg über die Stücke der Kaffeemaschine und lief auf die Tür zu, die das Haus mit der Garage verband. Er öffnete sie und tastete an der Wand nach dem Lichtschalter. Zwei Leuchtstoffröhren blinkten kurz und erhellten dann die Garage mit kaltem, weißem Licht. Sie war fast leer, sein Auto stand schon in der Einfahrt bereit. An der gegenüberliegenden Wand stand ein hohes Regal. Als er seinen Blick darauf richtete, sah er wieder die Gestalt, die neben dem Regal stand und ihre Augen auf ihn gerichtet hatte. Ihr Gesicht war schwer zu erkennen, denn es schien sich unablässig zu verändern, es war ständig in Bewegung. „Hast du dich wieder gesammelt? Bist du jetzt bereit weiterzumachen?” Ihre Stimme klang spöttisch und selbstgefällig. Er ging auf das Regal und die Gestalt zu. „Weißt du, auf dem Weg zu deinen Eltern könnten wir doch auch bei deinem Bruder vorbeischauen, meinst du nicht?” Er stand nun direkt neben ihr und konnte ihre Präsenz spüren. Ein leichtes Summen lief durch seinen ganzen Körper. Er ging in die Hocke und zog einen verbeulten, grünen Kanister aus einem der unteren Fächer. Durch die Erschütterung aufgeschreckt, kroch eine schwarze Spinne das Regal hinauf. Das Wesen fing sie und hob das Tier an einem seiner acht Beine vor ihr Gesicht. Die Spinne zappelte mit ihren restlichen Beinen vergebens in der Luft. Es öffnete seinen Mund, wobei es eine Reihe spitzer Reißzähne entblößte. Es ließ die Spinne auf seine Zunge fallen, wo diese noch verwirrt umherkrabbelte, bis das Wesen seinen Mund wieder schloss. Er schaute gleichgültig in das ständig wandelnde Gesicht und hörte, wie es geräuschvoll auf der Spinne kaute. Es hob entschuldigend die Hände. „Was denn? Ich hab' den ganzen Tag nichts gegessen, du hattest wenigstens einen Kaffee. Jetzt geh wieder ins Haus und mach weiter!” Er hob den schweren Kanister mit beiden Armen hoch, und als er wieder aufblickte, war er allein in der Garage.

Den Kanister trug er in die Küche, wo er ihn auf der Theke abstellte, auf der vorher noch die Kaffeemaschine stand. Er hielt kurz inne und schien nachzudenken. Dann schraubte er den Kanister auf und ging mit ihm in das Wohnzimmer nebenan. Dort begann er den Inhalt des Kanisters über das Sofa zu kippen. Sofort roch es nach Benzin und seine Augen tränten wieder, diesmal wegen der Dämpfe. Er verteilte das Benzin im kompletten Erdgeschoss, und als der Kanister leer war, stand er vor dem Haus in der kalten Dezemberluft. In der linken Hand hielt er den jetzt leeren Kanister, in der Rechten ein Feuerzeug. Plötzlich spürte er wieder das Summen, dieses Mal stärker. Ohne sich umdrehen zu müssen, wusste er, dass es hinter ihm stand. „Yippie Kay Yay, motherfucker!”, die Stimme kam von allen Seiten. Er entzündete das Feuerzeug und hielt es an die Benzinspur, die er vom Haus aus gelegt hatte. Eine blaue Flamme breitete sich langsam aus und begann in Richtung der offenen Haustür zu wandern. Als sie die Türschwelle passierte, entzündete sie eine Stichflamme, die alle Fenster im Haus zerbersten ließ. Er spürte eine leichte Druckwelle und mit ihr angenehme Wärme. Das Haus brannte innerhalb von Sekunden und meterhohe Flammen züngelten aus den Fenstern. Er ging zu seinem Auto und stieg ein. Auch dieses Mal brauchte er seinen Kopf nicht zu drehen, um zu wissen, dass es neben ihm auf dem Beifahrersitz saß. „Hast du meine Anspielung auf Stirb Langsam verstanden? Ich liebe Bruce Wil...” Er schlug mit seiner rechten Faust nach dem Wesen, spürte jedoch nur, wie sie auf Polster aufschlug. Als er seinen Kopf drehte, sah er seinen Arm, der ab dem Ellbogen in dem Oberkörper des Monsters verschwand. Es grinste ihn an und entblößte dabei wieder seine scharfen Zähne. „Das ist jetzt das vierhundertundsechzehnte Mal, dass du das versuchst. Langsam müsstest du es doch kapiert haben.” Ein kurzes Lachen. Er zog seinen Arm zurück und drehte den Schlüssel um. Das Auto sprang nicht sofort an, er brauchte 3 Anläufe, bis die angenehmen Vibrationen des Motors mit dem weniger angenehmen Summen, das mit der Gegenwart des Wesens einherging, verschmolzen. Das Auto rollte aus der Einfahrt und bog in die Richtung, die aus der kleinen Stadt hinausführte, in der er in den letzten drei Monaten die Hölle auf Erden durchlebt hatte. Er beschleunigte und richtete seine Augen auf die Straße, die ab hier durch einen dichten Wald führte. So fuhr er etwa zehn Minuten in absoluter Stille. „Willst du nicht das Radio einschalten, oder wenigstens mal ein Wort sagen?” Er schwieg. „Nein? Na dann.” Er spürte zwar, dass es nicht mehr da war, dennoch schaute er kurz nach rechts. Der Beifahrersitz war leer.

Auf beiden Seiten der Straße zogen dichte Tannen vorbei. Die Scheinwerfer rissen ein Loch in die Dunkelheit vor ihm und er sah, dass es zu schneien begann. Große Schneeflocken tanzten in seinem Blickfeld und schmolzen auf der Windschutzscheibe. Durch den Schnee und die Dunkelheit sah er einige Sekunden lang ein Schild am Straßenrand. Es kündigte eine Ortschaft in 75 Kilometern an: Die Stadt, in der seine Eltern wohnten. Er nahm den Fuß vom Gas. Das Auto wurde sofort langsamer und begann auszurollen. Als es zum Stillstand gekommen war, drehte er den Schlüssel in seine Richtung. Der Motor verstummte und die Dunkelheit nahm wieder den Platz ein, den ihr das Licht der Scheinwerfer geraubt hatte. Er sank in den Fahrersitz und begann zu schluchzen. Sämtliche Wut und Trauer, die er in den letzten Stunden, Tagen und Wochen angesammelt hatte, schienen in diesem Augenblick durchzubrechen. Warum passierte das ausgerechnet ihm? Auf die Frage wusste er keine Antwort. Er versuchte sich zu beherrschen und trommelte mit den Fäusten auf das Lenkrad. Eine Serie von Huplauten hallte durch den Wald. Er griff zur Tür und öffnete sie. Kalte Luft strömte in das Innere des Autos und er sah seinen Atem in kleinen Wolken vor sich aufsteigen. Die Kälte beruhigte ihn etwas, er atmete nun langsamer. So blieb er noch eine Minute lang sitzen und stieg dann aus dem Auto, das inmitten der Straße stand. Ohne sich umzublicken, marschierte er auf den Waldrand zu. Als er das Ende der Straße erreicht hatte, hörte er hinter sich eine Stimme. „Muss das jetzt sein? Du hättest im Haus aufs Klo gehen können, bevor du es abgefackelt hast!” Er setzte einen Fuß vom Asphalt auf die Erde, die mit Tannennadeln übersät war, und lief zwischen zwei hohen Baumstämmen hindurch. Mit hängenden Schultern ging er immer tiefer in den Wald, den Blick stets auf den Boden gerichtet. Sehen konnte er ohnehin nicht viel, denn das wenige Mondlicht, das die dichten Tannen durchließen, reichte kaum aus, die Umrisse ihrer Stämme zu erkennen. Die leichte Weste die er trug, hielt ihn nicht warm, dennoch spürte er die Kälte nur als angenehmes Kribbeln auf seiner Haut. Er lief Schritt um Schritt weiter, bis er wieder die Stimme hörte. „Lauf nicht so tief in den Wald, hier ist es gruselig. Willst du, dass ich Angst bekomme?” Ein Lachen hallte von den Bäumen wider. Es schien von überall zu kommen. Seine Knie gaben nach, und er fiel längs auf den Boden.

Als er die Augen öffnete, wusste er nicht, ob er ohnmächtig gewesen war, oder nicht. Es war noch so dunkel wie zuvor. Er richtete sich auf und kniete auf dem kalten Boden. Die Kälte drang nun in jedes seiner Körperteile und er begann zu zittern. Er konnte seinen Kummer nicht mehr zurückhalten und weinte lautlos. Mit der rechten Hand tastete er nach der Pistole, die noch in seinem Gürtel steckte. Er zog sie heraus und wog sie in beiden Händen. Seine Finger waren taub und er hatte Mühe seinen Zeigefinger um den Abzug zu krümmen. Als er es endlich geschafft hatte, nahm er den Lauf zwischen die Zähne und schloss seine Lippen um das kalte Metall. Seit er die Augen geöffnet hatte, spürte er die Gegenwart des Wesens, aber es war zu dunkel um etwas zu erkennen. Er erwartete, wieder die Stimme zu hören, die versuchen würde ihn davon abzuhalten, doch es herrschte Stille. Das machte ihn nervös; würde es ihn einfach den Abzug ziehen lassen?

Ein Lichtblitz erhellte die Dunkelheit für den Bruchteil einer Sekunde, dicht gefolgt von einem Knall, dessen Echo durch den Wald rollte und in der Ferne verklang. Sein Körper sackte auf dem Waldboden zusammen und ein leises Plätschern löste das Echo des Schusses ab. Die Gestalt, nun nur ein weiterer Schatten zwischen vielen, stand neben ihm und stieß einen Laut aus, der wie ein Seufzen klang. „Zu schade. Ich hatte gehofft, der hier hält länger.” Sie schaute auf seinen Körper herab, der noch ein letztes mal kraftlos zuckte, und schnaubte belustigt. Im nächsten Augenblick war das Wesen verschwunden.

 

Hallo chenault!

„Wahnsinn?“, lautet die Frage, die den Leser beschäftigen soll. Als ob der Erzähler es erahnt, dass die Antwort nicht aus der Geschichte abgeleitet werden kann, gibt er die Auflösung am Ende selbst.

Ich meine, die Geschichte funktioniert nicht. Der Anspruch, den der Titel erhebt, geht unter in einer Reihe von Missetaten, die nicht annähernd berühren. Dazu fehlt halt der Gegenpol, die Vorgeschichte, so wie Stephen King es macht. Erst das Alltägliche, dann der Horror.
Du hast zwar dem Ambiente viel Raum gegeben, jedoch den falschen Dingen. Statt Neonröhren und Kühlschrank wären Familienbild und andere Sachen von persönlichem Wert besser geeignet, etwas Leben in die Figur und die Geschichte zu bringen.

Gruß

Asterix

 

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