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Warteschleife
Ich schlage meine Beine über und sehe zu, wie das Zuckerstück in meinem Kaffee versinkt.
Es hinterlässt kleine Blasen, als ich darauf warte, das es sich auflöst.
Ich rühre das heiße Getränk um und nehme einen Schluck.
Zu heiß. Ich muss etwas warten.
Ich bin gerade erst in dem Cafe angekommen und nachdem ich erst auf die Bedienung und dann auf den Kaffe gewartet habe, warte ich nun auf meine Freundin.
Ich sehe auf die Uhr. Halb vier.
Die Bedienung kommt wieder vorbei und fragt, ob ich etwas zu essen bestellen möchte.
"Danke, ich warte noch", antworte ich höflich.
Ich beobachte uninteressiert die Menschen, die vor dem Cafe scheinbar mehr oder weniger planlos vorbei ziehen.
Eigentlich sehe ich eher durch sie hindurch und überlege mir, was ich essen möchte. Ich warte auf die zündende Idee.
Pizza oder doch lieber Filet?
Nach fünf Minuten ist meine Freundin immer noch nicht da. Sie wollte nur noch schnell etwas beim Supermarkt besorgen.
Von der Theke schaut mich die Bedienung aus den Augenwinkeln an, während sie ein paar Gläser auf ihrem Tablett bugsiert. Sie wartet auf meine Bestellung.
Ich zünde mir eine Zigarette an, zum Zeitvertreib. Ich warte darauf, dass sich
ein befriedigendes Gefühl einstellt.
In meiner Hose vibriert mein Handy kurz.
Eine Sms von meiner Freundin.
"Hier ist eine riesige Warteschlange an der Kasse, fang ruhig schon mit dem Essen an".
Ich winke der Bedienung und bestelle zwei Mal Gemüseauflauf. Kein Filet, keine Pizza. Bis das Essen da ist, wird es wohl auch meine Freundin schaffen. Und sie schafft es, während ich auf das Essen warte.
Das Gemüse ist gut und ich warte auf das sättigende Gefühl und danach auf die Rechnung.
Meine Freundin erzählt von ihrem Tag aber ich höre nur halbherzig zu.
Sie arbeitet bei der Stadt und täglich sitzen Menschen vor ihrer Tür, die sie für die langen Wartezeiten verantwortlich machen. Dabei wartet sie doch auch nur. Auf den Nächsten, auf die Mittagspause, auf die Daten auf dem Bildschirm.
Im Film kommen die Weisheiten immer von einem alten, grauen Mann oder einem kleinen Kind.
In meinem Fall ist es aber ein in Kaffe getränkter Flyer für Handys.
"Warten Sie nicht länger", steht darauf.
Ich lege das Geld auf den Tisch und wir gehen zum Auto.
An der Ampel warten wir auf Grün, während auf dem Fußübergang eine Mutter geduldig wartet, dass ihr KLeinkind ein Fuß vor den anderen setzt.
Mir wird klar, dass wir alle warten. Immer.
Warten auf die erste Liebe, warten auf den zweiten Frühling, warten auf das Essen, warten auf den Bus. Warten auf die Lieblingsserie, warten auf das erste Tor. Warten auf den Urlaub, warten auf Regen, warten auf Einfälle, warten auf Geld.
Das Leben ist eigentlich kein Leben sondern ein Warten auf den Tod, von Anfang an.
Es ist nichts anderes als eine Warteschleife in der wir hängen. Und wenn der Tod kommt, dann werden wir hinausgeworfen aus der Schleife. Und dann?
Wenn wir nur warten, warten, warten. Dann müßte doch eigentlich am Ende des Wartens etwas Tolles, Phänomenales sein. Veilleicht wird man aber auch nur in eine andere Warteschleife verbunden.
Zuhause warte ich, bis sie die Tür aufgeschlossen hat und ziehe dann meinen Mantel aus.
Ich setze mich auf das Sofa und warte auf Entspannung.
Sie kommt zu mir und küsst mich.
Ich warte auf das warme Gefühl in meinem Bauch und danach auf die Tagesschau im Fernsehen.
Dann gehen wir ins Bett. Ich schließe die Augen und während ich auf den Schlaf warte, frage ich mich, was ist, wenn man am Ende doch nur einfach aus der Leitung geschmissen wird und erst ein Besetztzeichen und dann gar nichts mehr hört.Hmm. Abwarten.