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Warum?
Warum?
Ich stieg aus dem Flugzeug und blieb auf der Gangway stehen. Langsam schaute ich mich um und inhalierte heimische Luft, die so anders schmeckte, als im fernen China. Außerdem hatte ich in meiner zweiwöchigen Abwesenheit meine Heimat vermisst und in unbequemen Hotelbetten geschlafen.
Mehr noch als diese Landschaft hatte ich meine Familie vermisst. Natürlich hatten wir täglich für wenige Minuten telefoniert. Zur Beruhigung redete ich mir immer wieder ein, dass ich die Bauaufsicht in fremden Ländern für den Lebensstandard machte, den ich meiner Frau und den Kindern bot.
Als ich die Gangway verließ, war es ein schönes Gefühl, Michelle wieder einen großen Schritt näher gekommen zu sein. Zufrieden schaute ich auf meine Uhr.
Meine beiden Mädchen befanden sich in der Schule. Die Zeit sollte aber noch ausreichen, damit ich Michelle begrüßen und wir uns die wichtigsten Neuigkeiten sagen konnten.
Auf der Straße standen genügend Taxis, die auf Fahrgäste warteten. Ich schritt die Reihe der Autos ab und setzte meine Reisetasche am vordersten Wagen ab.
Ein südländischer Fahrer stieg aus, bleckte mir seine weißen Zähne entgegen und fragte: „Taxi fahren?“
Ich nickte und stieg ein.
„Zum Irisweg 23, bitte“, wies ich den Fahrer an, nachdem er mein Gepäck verstaut hatte.
Er schaute mich mit einem freundlichen Grinsen an und startete den Motor. Ein weiteres Mal schaute ich auf die Uhr. Es war kurz nach zehn.
„Schaffen wir das in zwanzig Minuten?“, fragte ich.
„Zwanzig Minuten“, wiederholte der Fahrer.
„Ja“, bestätigte ich: „Gegen ein ordentliches Trinkgeld natürlich.“
Der Taxifahrer nickte und trat das Gaspedal ein wenig mehr durch.
Nachdem wir die Autobahn verlassen hatten, kribbelte es mich am ganzen Körper. Die Freude, unser Haus zu betreten wuchs ins Unermessliche. Bald konnte ich Michelle in die Arme nehmen und darauf warten, dass Laura und Sophie aus der Schule kamen. Sie waren mein ganzer Stolz und meiner Frau wie aus dem Gesicht geschnitten. Der heutige Tag gehörte nur ihnen.
Momentan zählte nur Michelle. Ihr alle Wünsche zu erfüllen spornte mich an, so viel Geld wie möglich nach Hause zu bringen. Ich dachte immer wieder daran, wie lange ich gebraucht hatte, um sie zu erobern.
Trotzdem musste ich diese schöne Zeit vier- bis fünfmal im Jahr für jeweils zwei Wochen vergessen. Jedes mal, wenn ich meine Familie dann verlassen musste, hasste ich mich dafür. Aber was blieb mir übrig? Ich liebte meine Familie und deshalb nahm ich die Hürde gerne.
Der erste Tag nach meiner Rückkehr war immer ein wunderschöner. Während die Kinder in der Schule waren, verbrachten wir den Vormittag im Bett und liebten uns heiß und innig. Auch heute würde es nicht anders sein. Als ich am Irisweg dreiundzwanzig angekommen war, betrachtete ich unser Haus. Das Garagentor war geschlossen, Michelles Auto parkte davor.
Langsam bewegte ich mich auf die Haustür zu und schloss auf. Die dahinter liegende Tür war geschlossen, trotzdem konnte ich die Stimme meiner Frau hören. Ich belauschte das Gespräch und hörte, wie mein Name fiel.
Vorsichtig stellte ich meinen Koffer ab und schlich mich an die Zimmertür. Völlig behutsam drückte ich die Türklinke hinunter und öffnete die Tür einen Spalt breit. Dabei kam ich mir wie ein Spion vor.
„Was sagst du dazu?“, fragte sie und in ihrer Stimme konnte ich ein wenig Verzweiflung hören.
„Du liebst ihn?“, fragte eine männliche Stimme. Ich konnte den Klang sofort einordnen. Sie gehörte unserem gemeinsamen Freund Karl.
„Ja“, bestätigte Michelle: „aber das reicht nicht. Ich bin noch nie damit klar gekommen, dass er zehn Wochen im Jahr nicht bei mir ist. Und die Kinder vermissen ihn auch.“
„Weiß er das? Ich meine, hast du ihn schon einmal darauf angesprochen?“
Michelle schwieg. Nach kurzem zögern fuhr Karl fort: „Franz scheint seinen Beruf richtig zu mögen.“
„Wir hatten eine schwere Zeit, als er vor einigen Jahren arbeitslos wurde. Immer wieder hat er sich Vorwürfe gemacht. Ich glaube, er hat bis heute nicht akzeptiert, dass er uns damals nichts bieten konnte“, erklärte Michelle.
„Es ist auch nicht einfach, wenn man seiner Familie etwas ermöglichen möchte, es aber nicht kann. Vielleicht hat er gerade deshalb diesen Beruf. Er hat damals gesucht und diese Firma hat ihn unter diesen Bedingungen eingestellt. Er hat bestimmt Angst davor, wieder in die Arbeitslosigkeit zu rutschen.“
„Aber Geld ist nicht alles“, beklagte sich meine Frau.
„Aber das Geld ermöglicht euch euren Lebensstandard. Ohne seine ständigen Reisen würdet ihr nicht so Leben, wie ihr lebt. Eure Urlaubsreisen, eure Klamotten, … ja, euer gesamtes Leben ist seinem Geld angepasst.“
Ich Trottel hatte es ignoriert, dass meine Frau ein Problem damit hatte, mich zehn Wochen im Jahr nicht zu sehen. Mittlerweile fühlte ich mich schlechter als jemals zuvor. Wie konnte ich nur so blind sein?
„Aber wenn er weniger verdienen würde, würden wir auch nicht verhungern. Zur Not würde ich einen Halbtagsjob nehmen. Zumindest in der Zeit, in der die Kinder in der Schule sind.“
„Dann verstehe ich nicht, dass ihr euch nicht darüber unterhaltet. Ich kenne Franz. Er ist kein Egoist. Außerdem trägt er dich auf Händen. Versuch es doch einfach.“
„Und wenn er mich vor die Wahl stellt?“, fragte Michelle ängstlich.
Ich konnte kaum glauben, was ich hörte. Niemals würde ich meine Frau vor die Wahl stellen. Nicht in einer Million Jahren.
„Das wird er nicht tun“, behauptete Karl, als hätte er meine Gedanken gehört.
„Ich habe Angst davor, dass er mich verlässt. Ich weiß auch nicht, wie ich das den Kindern erklären soll, sie hängen doch so an ihm.“
Michelles Stimme klang verkrampft. Kurz darauf hörte ich, wie ein Sessel verrückt wurde. Eigentlich war jetzt der Moment gekommen, an dem ich aufstand und mich zu meiner Frau begab. Zärtlich würde ich sie in die Arme nehmen und innerlich spürte ich, wie ich eifersüchtig wurde. Karl würde es mir gleichtun, damit er Michelle Mut zusprach.
„Michelle“, begann Karl und seine Stimme hörte sich sehr sanft an: „du bist eine attraktive Frau. Du bist intelligent und besitzt genau das, was sich jeder Mann wünscht. Ich glaube, dass Franz das genauso sieht. Glaub mir. Am Besten wird sein, dass du mit ihm redest. Ihr müsst auf einen Nenner kommen, schon der Kinder wegen.“
„Vielleicht hast du recht“, erklärte meine Frau mit weinerlicher Stimme.
Ich hatte genug gehört. Auch wenn ich bisher nicht geahnt hatte, dass die Bauaufsicht für mein Unternehmen in fremden Ländern meine Frau so sehr mitnahm. Dieses Problem ließ sich ändern. Ich schloss die Zwischentür und öffnete die Haustür. In dem Moment, in dem ich die Haustür zuzog drückte ich den Klingelknopf.
Sekunden vergingen, bis ich eine schattenhafte Gestalt im Inneren erkennen konnte. Als Michelle öffnete, sah sie erstaunt aus und blickte mich aus verweinten Augen heraus an.
„Du?“, fragte sie schüchtern: „Ich dachte, … du kommst erst Morgen?“
„Wir habe den Auftrag schneller erledigt, als ich dachte. Außerdem muss ich dringend mit dir reden.“
„Hallo Franz“, hörte ich die Stimme meines Freundes aus dem Wohnzimmer.
Ich schaute Michelle entschuldigend ins Gesicht. Sie errötete. Es war ihr peinlich, dass Karl in unserem Haus war und sie mir nichts davon gesagt hatte.
„Es ist nicht so, wie du vielleicht denkst“, erklärte sie.
Ohne ein weiteres Wort nahm ich Michelle in die Arme und schloss die Augen. Es folgte ein unendlich langer Kuss, in dem sich unsere Zungen berührten. Zärtlich strich ich über ihr langes Haar und spürte ihren Busen. Endlich umarmte sie mich auch und es folgte ein zweiter Kuss.
Karl zwängte sich an uns vorbei und verabschiedete sich.
„Ich habe dein Gespräch gerade belauscht. Vielleicht hättest du mit mir reden sollen, weil ich bisher immer angenommen hatte, dass wir das Geld brauchen. Jedenfalls werde ich dich und die Kinder nie wieder alleine lassen“, erklärte ich ihr liebevoll und schob mit einem Lächeln hinterher: „Das verspreche ich.“
Ich sah Michelle in die Augen und sie strahlten. Solch ein Strahlen hatte ich bei ihr noch nie gesehen. Was dann folgte war die zärtlichste Liebe, die ich je hatte.