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- 02.07.2001
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Was uns hält
Schwül und traurig lag die große Hitze auf den Gemütern. Träge und schwer die wenigen Worte, die man sich noch zu sagen hatte, verdurstet die Blicke, die man sich allenthalben zuwarf, um sicher zu gehen, daß es dem anderen auch nicht besser ging. Kein Wind bewegte die staubigen Blätter an den Bäumen, kein Quell nährte die längst verdorrten Felder, kein Frohsinn erhellte die grauen Gesichter in den Straßen der Stadt. "Ich möchte raus aus diesem Land, raus aus dieser Welt, raus aus dieser brennenden Furcht, die das Herz einschnürt und die Seele verfinstert." Keiner hörte den klagenden Laut der menschlichen Masse, die sich trübe und einsam wie ein böser schwarzer Fluch durch das Häusermeer schob. "Wenn nur einer käme, der uns errettet! Der uns befreit von der Last unserer Zeit und unseres Wissens! Der uns berührt und heilt und der sie uns abnimmt, diese Verantwortung und diese Zweifel!" So flehten sie zum weiß leuchtenden Himmel. So hoben sie ihre Hände, so brachten sie ihre Opfer dar, so sangen sie mit den letzten Resten ihrer verdorrten Stimmen, so weinten sie ihr tränenloses Weinen. Und der Himmel hatte ein Erbarmen. Und er schenkte ihnen den Regen, der die Welt überschwemmte und den Durst löschte und die Furcht wegspülte.
Aber er hörte nicht auf, der Regen. Er fiel und fiel. Und er fällt weiter. Er tötet mittlerweile. Er ertränkt sie, die menschliche Masse. Er befreit sie von der Welt und dem Leben und der Verantwortung.
Hier sitzen wir in dem letzten Boot, daß den kühlenden Wellen noch trotzt. Der Retter ist mitten unter uns. Liebevoll schaut er uns an und läßt uns die Zeit, die wir brauchen. Mit seinen wundervollen Augen blickt er uns ernst in die Gesichter. "Wißt ihr noch, was euch hier hält?" Seine Stimme ist ein sanftes Klingen und seine milde Güte strahlt uns an. "Wißt ihr es noch?" Wir zögern. "Laß uns nachdenken!" bitten wir. Ein bekümmerter Schatten streift sein schönes Gesicht. Ein trauriger Schmerz liegt in seinen Zügen. "Ihr müßt es doch wissen!" Das Wasser steigt. Donner grollt in der Ferne, der Regen hat kein Ende.