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Weihnachtliche Neuerungen

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02.11.2001
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Weihnachtliche Neuerungen

Langsam humpelte der alte Mann mit schweren Schritten zum Besprechungszimmer. Es war wieder soweit, die Saison hatte begonnen. Es war Mitte November und heute würden sie ihre erste Einsatzbesprechung abhalten, um die Planung für Weihnachten 2003 festzulegen und die Aufgaben zu verteilen.

Er öffnete die kreisrunde Tür und trat in das Besprechungszimmer. Die Mitarbeiter waren bereits alle anwesend und saßen an einem langen, schweren Eichentisch. Über dem Tisch befanden sich hölzerne, mit Kerzen bestückte Kronleuchter, die allesamt erleuchtet waren, da der gewölbeartige Besprechungsraum keine Fenster hatte.

Schwerfällig setzte sich der alte Mann in seinen Sessel am Kopfende des Tisches und blickte in die Runde. Seine Mitarbeiter sahen ihn mit großen, erwartungsvollen Augen an. Wie jedes Jahr, wenn er seine Begrüßungsrede hielt.
Er nahm sich die verbeulte Metallkanne vom Eichentisch, schenkte sich einen Becher Glühwein ein und prostete in die Runde.

„Auf ein neues, Kollegen. Weihnachten 2003. Und wieder neue Herausforderungen!“
Er nahm langsam einen Schluck und seine Mitarbeiter taten es ihm gleich.
„Ich will gar nicht lange ausschweifen, Kollegen“, fing er seine alljährliche Rede an, „Weihnachten 2003 wird ein ganz besonderes Weihnachten. Wir werden das Zepter in die Hand nehmen und dieses Jahr endlich wieder im Weihnachtsgeschäft dominieren!“
Rudolf, der als einziger aus seinem Team bei der Besprechung anwesend war, schnaubte erstaunt und fragte: „Aber, aber, das versuchen wir doch jedes Jahr. Was...“
„Dieses Jahr wird anders, glaub mit“, unterbrach ihn der alte Mann, „dieses Jahr habe ich mich endlich dazu durchringen können, professionelle Hilfe zu engagieren“.

Der alte Mann stand auf und ging zu einer kleineren, ebenfalls runden Tür, die ins Nebenzimmer führte.
„Sie können jetzt hereinkommen, Dr. Birger.“
Mit großen Augen betrachteten die Mitarbeiter Dr. Birger. Er schwebte fast, sein doppelreihiger dunkler Anzug und sein perfekt zurückgekämmtes graues Haar suggerierten Autorität und Arroganz. Und einen Schimmer von Unfehlbarkeit, der ihm Allwissenheit zu verleihen schien, noch bevor er etwas gesagt hatte.
„Darf ich vorstellen? Dr. Ronald Birger. Unternehmensberater“, sagte der alte Mann und blickte stolz in die Runde. „Er hat sich bereit erklärt, einen genaueren Blick auf unser Unternehmen zu werfen, damit wir in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten auch das Meiste herausholen und der Konkurrenz endlich wieder das Wasser abgraben können.“

Doch statt der erhofften Begeisterung musste der alte Mann feststellen, dass einige ungläubig, andere eher besorgt dreinblickten. Rudolf scharrte nervös mit den Hufen.
„Also los, fangen Sie an“, sagte der alte Mann, zog sich seine mit weißem Pelz verzierte rote Jacke aus, setzte sich wieder in seinen Sessel und legte die schweren Stiefel auf den Tisch.

Dr. Birger stellte einen großen Koffer vor sich auf den Boden und fing an, seine Utensilien auszupacken. Zuerst einen Stapel Papier und einen Zeigestock, danach eine Flipchart-Tafel, die er ausklappte und aufstellte. Oben links auf die Tafel schrieb er das Datum und den Anlass der Besprechung: Optimierung und Erhöhung des Return of Investment.
„Sehr geehrte Damen und Herren...“ wollte Dr. Birger anfangen, als er von einem der Elfen unterbrochen wurde.
„Äh, Herr Professor Berger, was bedeutet denn ‚Return of Investment’?“
„Doktor. Doktor Birger. Nicht Berger. Return of Investment bedeutet, dass wir mehr aus diesem Unternehmen machen.“
„Mehr als was?“ fragte Rudolf.
„Mehr als vorher, Herr, äh“
„Rudolf, einfach Rudolf“
Dr. Birger sah zum alten Mann hinüber der sich etwas vorlehnte und sagte: „Gemach, gemach, liebe Kollegen. Lasst uns anhören, was Dr. Birger vorschlägt ohne ihn ständig zu unterbrechen, in Ordnung?“
Allgemeines Kopfnicken und Füßescharren.

„Also, die Unternehmensstrategie stützte sich bisher auf drei Säulen: Fabrikation von Spielzeug, Versendung per, äh, Rentier Transport, und Sponsorship von Coca-Cola. Richtig?“ Dr. Birger sah fragend in die Runde.
„Naja, früher war es nicht Coca-Cola“, sagte der alte Mann und zupfte an seinem langen weißen Bart, „zu Anfang war es die Kirche. Meine Berufskleidung entstand, als mein Urgroßvater die Firma gründete. Unser erster Sponsor war die katholische Kirche, daher war es eine Anlehnung an die Tracht der Bischöfe. In 1862 hat Thomas Nast dann unsere Anzüge entworfen, wie sie heute noch existieren. Als die Kirche 1931 den Vertrag kündigte, musste ich mich anderweitig umsehen und Coca-Cola schien mir damals ein geeigneter Partner.“

„Und damit wären wir schon bei Punkt 1 der neuen Strategie“, Dr. Birger fuchtelte mit seinem Zeigestock in Richtung Flipchart-Tafel, „die Berufskleidung. Sie haben bereits einmal den Sponsor gewechselt – ich empfehle Ihnen, jetzt wieder einen neuen Sponsor zu wählen. Es gibt momentan Firmen, die weitaus mehr Geld für Sponsoring ausgeben als Coca-Cola, glauben Sie mir!“
„Aber Dr. Birger“, quengelte einer der Elfen, „die Kinder haben sich so an das Rot und Weis gewöhnt! Die Farben gab es von Anfang an und haben sich auch durch den Vertrag mit Coca-Cola nicht geändert!“
„Stimmt, Dr. Birger, wie wollen Sie das lösen?“ fragte nun auch der alte Mann sichtlich erstaunt.
„Das ist ganz einfach. Ich habe den idealen Sponsor für Sie“, Birger machte eine theatralische Pause, „T-Mobile!“
Erstauntes Raunen.

„Es passt wunderbar. Das Weiß kann bleiben. Alles was Sie machen müssen, ist das Rot gegen Magenta auszutauschen. Aber das ist ja kein Hals und Beinbruch. Es würde Sie sogar viel jünger und dynamischer erscheinen lassen“, grinste Birger.
„Hhm, wäre zu überlegen“, der alte Mann sah in die Runde.
„Das kannst Du doch nicht machen“, rief Rudolf und hieb mit einem Huf auf den Tisch.
„Nun mal abwarten, Rudolf“, sagte der alte Mann und drehte sich hastig zu Dr. Birger: „fahren Sie fort“.

„Die zweite Säule ist die Produktion. Bisher waren es Holzspielsachen und ähnliches. Verträge mit Brio und Lego, um nur einige zu nennen. Das müssen wir ändern.“
Jetzt stand einer der Elfen auf und rief: „aber was soll denn das heißen? Unsere ganze Produktion und Beschaffung ist auf diese Spielsachen ausgelegt! Was anderes können wir nicht!“

„Ja, dann müssen wie die Produkt- und Einkaufstrategie dieses Unternehmens ändern“, sagte Dr. Birger und fing an, etwas auf die Flipchart Tafel zu malen. „Sehen Sie, hier ist der Verbraucher, der sollte im Mittelpunkt stehen. Und das ist unsere Marketingstrategie, hier im Kreis drum herum“.

Die Elfen und Rudolf starrten auf die Flipcharttafel und sahen dann den alten Mann fragend an.
„Herr Dr. Birger“, der alte Mann kratzte sich am Kopf, „was bedeutet das denn konkret?“
„Ganz einfach. Der Markt ist an Ihnen vorbeigezogen. Andere Unternehmen haben in der Zwischenzeit Pokemons und Playstations entwickelt. Das kommt besser bei der Zielgruppe an.“
„Und was sollen wir machen?“
„Wir müssen Ihre Produktstrategie ändern. Ich schlage vor, dass Sie einen Vertrag mit Nintendo abchließen, sowie einen Vertrag mit einer Firma wie Mattel oder einem der Filmstudios, die zu Weihnachten regelmäßig neue Zeichentrickfilme herausbringen.“
„Und was machen wir dann?“, fragte einer der Elfen.
„Ganz ruhig bleiben, ....“, aber Dr. Birger fiel dem alten Mann ins Wort: „Wir werden die Produktion unweigerlich auslagern müssen, bis Sie die Fertigkeiten erworben haben, dieses Spielzeug selbst zu produzieren. Und außerdem“, Dr. Birger wandte sich jetzt dem alten Mann zu, „bedingt die Optimierung von Unternehmensprozessen in einigen Fällen auch die Reduzierung der Festkosten.“
„Jetzt hört aber alles auf“, rief Rudolf, „das ist doch bloß ein blöder Schnack dafür, dass Sie die Elfen auf die Straße setzen wollen! Die meisten wohnen hier schon seit über hundert Jahren, wie sollen sie denn am Nordpol einen anderen Job finden?“

Der alte Mann sackte langsam in seinem Sessel zusammen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah Dr. Birger an. „Ich bin mir sicher, dass Dr. Birger auch dafür einen Plan hat. Vielleicht fahren Sie aber erst mal mit Ihren Ausführungen fort, Ok...Ok?“

„Kein Problem. Und da Herr, äh, Rudolf es bereits angesprochen hat. Nicht nur in der Produktion gibt es Optimierungsbedarf. Wir sollten uns auch den Vertrieb anschauen.“
„Was stimmt nicht mit dem Vertrieb?“ Rudolf lehnte sich vor und erschien auf einmal doppelt so groß.
„Nun, es gibt mittlerweile Firmen wie UPS, die sich sehr stark auf die internationale Auslieferung von Sendungen spezialisiert haben und dadurch extrem effizient geworden sind. Immerhin haben wir inzwischen 6,2 Milliarden Menschen auf der Erde, und nicht ein paar hundert Millionen, wie zu der Zeit als Sie den Vertrieb gegründet haben.“
„So so, und was können die, was ich mit meinem Team nicht kann – was!?“
„Herr, äh, Rudolf, können Sie Waren über Nacht ausliefern? Können Sie jederzeit Auskunft darüber geben, wo sich die Waren befinden, haben Sie nicht gelegentlich Fehlauslieferungen?“ Dr. Birger verstummte, als er Rudolfs rote Nase vor Wut anschwellen sah.

„Dr. Birger“, der alte Mann erhob sich langsam von seinem Sessel und sah etwas bedrückt in die Runde, „Rudolf’s Team liefert immer innerhalb einer Nacht aus. An alle 6,2 Milliarden Menschen. Und Rudolf weiß auch immer, wo die Wahre ist. Er, und ich im übrigen auch, kümmert sich persönlich darum. Ich möchte mal sehen, wie Ihr UPS das bewerkstelligen will“.

Dr. Birger wollte soeben noch etwas über den Versicherungsschutz bei UPS einfügen, jedoch schnitt ihm der alte Mann scharf das Wort ab: „Im übrigen danke ich ihnen für Ihre Ausführungen. Ich werde mit den Elfen Ihre Ideen zur Produktstrategie überdenken – vielleicht können wir ja Elfen aus der Produktion stattdessen in der Beschaffung anlernen. Und was das Sponsoring angeht: Nein, Magenta steht mir nicht. Ich werden den Anzug meines Urgroßvaters nicht austauschen. Diese Farben haben sich über mehr als hundert Jahre bewährt. Soll doch T-Mobile seine Farben ändern.“

Nach dem Dr. Birger höflich aber bestimmt von Rudolf hinausgeschoben worden war, setzte sich der alte Mann wieder in seinen Sessel, legte die Stiefel auf den Eichentisch und zündete sich eine Pfeife an. Er zupfte sich an seinem langen weißen Bart und sagte: „Freunde, Weihnachten 2003 steht vor der Tür und wir haben einen Sack voll zu tun. Ihr kennt die Prozedur, also lasst uns loslegen.“
Genüsslich zog der alte Mann an seiner Pfeife und lächelte in die sichtlich erleichterte Runde.

 

Hallo,
eine nette kleine Geschichte in die moderne Zeit verlegt. Hat mir recht gut gefallen.
Aber ein paar "Tipp"-Fehler sind mir aufgefallen:

"Er öffnete die Kreisrunde Tür..." - ...kreisrunde Tür...

"Doch statt der erhofften Begeisterung musste der alte Mann feststellen, dass die viele ungläubig, andere eher besorgt dreinblickten." - macht irgendwie keinen Sinn.

"Das Weis kann bleiben.." - Das Weiss...

schöne Grüsse

 

Hallo Holli-would,

vielen Dank für die Korrekturen. Allerdings habe ich Weis in Weiß geändert. (Siehe neue Rechtschreibung - eine Seite, die man viel öfter aufsuchen sollte...)

Bis sich eine der beiden Ortho-Gräfinnen beschwert, lasse ich es erst mal so.

freut mich, dass die Geschichte Dir gefallen hat,

gruss,
philipp.

 

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