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Weihnachtsfreuden

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01.05.2002
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Weihnachtsfreuden

Weihnachtsfreuden


Laut ertönte „Oh du fröhliche...“ aus den Lautsprecherboxen, der am letzten Heiligabend verschenkten Anlage. Schon draußen vor der Tür begrüßte ein Kranz den Besucher: liebevoll zusammengeflochtene Tannenzweige mit roten und weißen Schleifen geziert. Betritt man das Haus, stechen einem die Mistelzweige ins Auge, hängend an der Decke der Diele. Der Jackenständer hingegen wurde dank vier possierlicher Weihnachtsmänner, detailliert aus Holz geschnitzt, bereichert. Zwei von den vollbärtigen Nikoläusen tragen Geschenke in der Hand, nur ihre Blickrichtung ist unterschiedlich. Der außen hängende Geschenkbringer fährt auf einem Schlitten, den Blick konzentriert nach vorne gerichtet. Der letzte war dem hingegen schlicht dargestellt: Seine Hände auf dem Rücken zusammengefaltet schaute er schüchtern drein, blickte verunsichert in eine andere Richtung. Auf dem Schuhschrank war noch ein Engel zu sehen, fein gefertigt aus Keramik, der aber kaum aufzufallen wusste.
Folgte man dem Weg durch die Diele geradeaus, gelangte man ins Esszimmer des 2stöckigen Hauses. Weihnachtsmuffel, die den beschmückten Flur als Grauen betrachteten, würde ihm im Essraum wohl nicht nur die Sprache verlieren. Pompöse Adventskalender für die Kinder, deren tägliche Überraschungen bis Weihnachten bereits alle abgenommen worden waren, fielen als erstes auf. Fast schon penetrant auch der übergroße Adventskranz auf der Mitte des runden Tisches, der an einem zentralen Punkt des kleinen Raumes stand. Die riesigen Kerzen brannten zwar alle, machten aber nicht den Eindruck häufig in der Vorweihnachtszeit angezündet worden zu sein. Eigenartig, da der Kalender den 24. Dezember anzeigte. Der signifikante Eindruck des Zimmers wurde durch knapp ein Dutzend weiterer Keramikfiguren abgerundet: Weihnachtsmänner, weitere Engel, Lebkuchenhäuser und wieder Weihnachtsmänner. Fast alle so präpariert, dass ein Teelicht hinein gestellt werden konnte.

Und im Hintergrund immer noch Weihnachtsmusik. Eigenartig laut, übrigens...

Das geschickte und zweckmäßig gebaute Haus hatte eine direkte Verbindung zwischen Esszimmer und Küche, weshalb der neugierige Besucher wohl als nächstes dort vorbei geschaut hätte. Ein Rest des Duftes der vor einigen Stunden verspeisen Weihnachtsgans hätte ihn empfangen. Doch am ehesten aufgefallen wäre wohl das Fenster, dessen Rollläden trotz der pechschwarzen Nacht noch nicht unten waren: eine Lichterkette, eng und sehr strikt am Rahmen festgeklebt, wäre zu sehen gewesen. Ebenso ein Stern, der ruhig und beharrlich in die Ferne strahlte. Knapp die Hälfte der Fenster des Hauses protzten mit derartigen Lichtschauspielen.

Und immer noch Weihnachtsmusik. Ein Klassiker lief gerade: „Stille Nacht“.

Schon in der Diele weißte eine Treppe ins höher gelegene Stockwerk. Auf der Hand liegend nun dort hochzugehen. Neben der Eingangstür offenbarte ein recht großes Fenster den Blick in den Vorgarten. Brauch man eigentlich noch erwähnen, dass auch dort jede Pflanze mit Leuchtkugeln und Lichterketten versehen war? Die sonst dort stehenden Gartenzwerge genossen wohl gerade ihren Winterurlaub, denn an deren Stelle thronten verschieden Weihnachtsdarstellungen zwischen der Flora. Neben einem leuchteten Weihnachtsmann in der Pose der schwenkenden Glocke, war dort auch die Szene des Neugeborenen Jesus Christus zu sehen. Ein echter Zufall, dass Jesu Geburt auf Weihnachten, sein Tod auf Ostern fällt. Oder wie war das noch mal? In einer Krippe, die derweil mit echtem Heu ausgestattet war, lag nun das junge Kind. Darum herum Maria und Josef. Alle Figuren übrigens bis zu 50 cm groß.

„Oh Tannenbaum“, der Klassiker schlechthin, war nun an der Reihe. Keine Frage: Die Töne kamen von oben.

Die oberste Etage teilte sich in Badezimmer, Schlafzimmer und Wohnzimmer auf. Während Schlafraum und Bad kaum zu interessieren vermochten, hätte der gewiefte Gast als nächstes das Wohnzimmer angesteuert. Um es kurz zu machen: Eine Fotographie aus dem Buch „Das perfekte Weihnachten“ hätte ihn empfangen. Der Tannenbaum, ein riesiger Genosse von nahezu zwei Metern Größe, dessen Beschmückung alle Pflanzen des eben erwähnten Vorgartens hätten zieren können, wäre als erstes aufgefallen. Lichterketten in rauen Mengen, Kugeln in der einheitlichen Farbe rot, Lamettafäden, alles andere als dezent verteilt und der obligatorische Weihnachtsstern als Krone des modernen Glanzstücks. Ja sogar Kunstschnee aus der Sprühdose zierte den Nadelbaum. Nach dem ersten „Schock“ wäre wohl jeder über ein Gehör verfügender Mensch zur Musik-Anlage gegangen. Immer noch lief „Oh Tannebaum“, in einer furchtbaren Lautstärke, die unten als nicht so geräuschvoll empfunden worden wäre. Gute Schalldämpfer, diese Wände.
Erst jetzt hätte der Besucher einen Blick auf den Rest des Zimmers geworfen, hätte den Kamin gesehen und den imposanten Fernseher betrachtet. Bald würde unter ihm ein brandneuer DVD-Player stehen, denn rechts vom Tannenbaum aus lagen (gut sichtbar) auf einem Tisch alle Geschenke. Videospiele, CD aktueller Musiker, teure Kleidungsstücke und zwei Handys, wohl für die Kinder im Haus. Ein Buch lag ebenfalls dabei, aber nein, es handelte sich lediglich um ein Handbuch für eines der Mobiltelefone. Auf dem größeren Tisch brannten noch ein paar Kerzen und auch dieser Raum geizte nicht mit obligatorischer Weihnachts-Dekoration. Doch spätestens jetzt hätte sich das Auge des Eindringlings, Besuchers oder Gastes an die Flut von Kitsch und Weihnachtsschmuck gewöhnt. Er hätte sich gefragt, wo denn eigentlich die Familie wäre, die denn Vergnügungspark des Weihnachtsfestes mit Leben füllen müsste. Wenn da nicht noch eine Türe wäre, eine Tür nur einem Meter rechts vom Kamin. Der Gast hätte sich gefragt, was ihn wohl dort erwarten würde und so wäre er auf sie zugegangen und hätte sie aufgemacht. Doch zum Glück für den potenziellen Besucher existierte ein solcher nicht. Denn der Schrecken hinter der Tür hätte ihn traumatisiert. Die 4köpfige Familie erschossen am Fußboden. Der Vater als letzter mit dem Colt in der Hand: Mord. Die Blutlache auf dem Parkett der relativ großen Abstellkammer. Das Schrecken in den Augen der Kinder, der unschuldigen Mädchen. Der verwirrende Blick der Frau, welcher zum einen Schrecken, zum anderen Schuld, aber auch Erleichterung signalisierte.

Der Druck des Weihnachtsfestes, Harmonie und Glückseligkeit, Kitsch und teure Geschenke. Das Haus, zwar mehr geschmückt als jedes andere, eigentlich der Inbegriff des heutigen Weihnachtsfestes; doch alles war nur Fassade...

 

Hallo hoEyo!

Eine Geschichte, die ausschließlich aus Beschreibungen besteht und ohne jegliche Handlung. Dadurch ist es dir gelungen, Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen; Handlung halte ich aber in den meisten aller Fälle (auch wenn sie nur spärlich ausfällt) für notwendig. So anfangs auch bei deiner Geschichte - bis ich zum Ende kam. Da wurde mir bewusst, warum du darauf verzichtet hast. Und daher finde ich die Geschichte so in Ordnung.
Und bedenkt man, dass Heiligabend der Tag des Jahres ist, an dem die meisten Selbstmorde geschehen, ist sie auch gar nicht mal so abwegig.
Den Titel finde ich zutreffend.

Viele Grüße,
Michael :)

 

Danke! Dies war die erste Kritik die recht positiv ausfällt :) .

Ich schrieb diese Geschichte als Hausaufgabe für Religion. Unser Lehrer wies auf den Umstand hin, dass an Weihnachten die meisten Polizeieinsätze des Jahres anfallen. So kam ich auf die Idee.

Nun denn, morgen werde ich sie wohl vorlesen müssen.

 

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