Weihnachtsvorbereitung alá Horst
Wissen Sie, wann die Weihnachtszeit beginnt?
Manche Menschen glauben: am 15. September, wenn bei ALDI die ersten Paletten Lebkuchen in den Verkaufsraum geschoben werden. Andere lassen es auf sich zu kommen und sind Jahr für Jahr aufs Neue überrascht, wie plötzlich Heiligabend vor der Tür stehen kann.
Ich habe es einfacher, denn bei uns gibt es ein untrügliches Merkmal für den Beginn der Weihnachtszeit: Kruschinsky!
Die Vorzeichen sind eher unscheinbar. Etwa Mitte November verbringt mein Nachbar drei Abende auf dem Dachboden, kramt und wühlt in allen möglichen Kisten, um dann - wiederum drei Tage lang - diversen Krimskrams in die Wohnung und die Garage zu schleppen. Für die nächste Woche wird die Garage zu seinem Refugium.
Letztes Jahr hatte ich das Glück, einem Teil dieser Aktivitäten beizuwohnen. Ich war gerade auf dem Weg zur Arbeit, als sich Kruschinskys Garagentor öffnete und ein sichtlich übermüdeter Horst mir entgegenblickte.
„Guten Morgen!“, rief ich. „Na, alles klar?“
„Ja, Guten ...“ Er sah zur Uhr. „Ist schon wieder Morgen?“, fragte er entgeistert.
Ich schaute ihn nur stumm an.
„Na ja“, sagte er. „Was soll’s! Kannst du mir vielleicht helfen?“
Während ein kleines Engelchen auf meiner Schulter einen schrillen Warnschrei ausstieß, betrat ich die Garage.
„Du könntest mal dem Weihnachtsmann ins Gesicht treten“, sagte Horst.
Jetzt war es an mir, entgeistert zu gucken, doch dann entdeckte ich den großen Läufer auf dem Boden. Ein riesiges Weihnachtsmanngesicht lächelte mir entgegen.
„Stell dich einfach auf seine Nase!“, forderte Horst und wandte sich seiner Werkbank zu. Eine Weile murmelte er vor sich hin, stieß zwei oder drei Flüche aus, fuchtelte wild mit irgendwelchen Kabeln umher, und dann geschah es: Ein ohrenbetäubendes „HoHoHo! Merry Christmas!“ fegte mich von den Füßen.
Horst führte einen kleinen Veitstanz auf, rief immer wieder „Es klappt! Es klappt!“, und entließ mich aus seiner Weihnachtswerkstatt. Sichtlich erleichtert suchte ich das Weite.
Während Horst in seiner Garage bastelt, ist seine Frau Gisela nicht untätig. Für die Inneneinrichtung ist sie zuständig und auch hier folgt alles einem von Horst festgelegten Plan. Zunächst verschwindet das Herbstgesteck auf der Anrichte und legt einen etwa 38 cm durchmessenden Brandfleck frei. Erinnerung an die Adventszeit 93, als einen Tag nach Anzünden der ersten Kerze der Kranz in hellen Flammen stand. Stattdessen wird dort der immergrüne Adventskranz aus asbestdurchwirktem Polystyrol dekoriert. Die elektrischen Kerzen mit Flackersimulation sind eine reine Vorsichtsmaßnahme.
Das gewöhnliche Teeservice in der Vitrine muss einer Kanne im Santa-Claus-Look mit original schwarzwälder (behauptet Horst) Wichtelgesichter-Teetassen weichen; die Likörgläser werden gegen Rentier-Punschtassen ausgetauscht.
Sodann erfolgt der Rest der weihnachtlichen Dekoration, natürlich dezent und ohne großen Aufhebens: ein blinkender Leuchtstern im Küchenfenster, ein kleiner Komet an der Terrassentür, vielleicht noch ein leuchtendes „Fröhliche Weihnachten“ im Schlafzimmer und so weiter und so weiter. Die vielen herabhängenden Stromkabel werden mit Leukoplast an der Decke befestigt und mit Lametta bis zur Unkenntlichkeit verziert.
Horst ist irgendwann mit seinen Arbeiten in der Garage fertig. Zwischendurch war er noch kurz bei IKEA, notwendige Einkäufe erledigen. Und dann beginnt er mit der unauffälligen Dekoration des Hauses und Grundstückes.
Da man sich auf das Wetter nicht verlassen kann, sprüht er den Vorgarten mit garantiert hitzebeständigen japanischen Kunstschnee aus. Darauf parkt der beleuchtete Weihnachtsschlitten mit Rudolf, dem rotnasigen Rentier (natürlich blinkend) als absolute Sensation.
Eine Lichterkette hier und eine da, eine „Jingle Bells“-quakende Ente mit Bewegungsmelder am Gartentor, ein schnarchender Weihnachtsmann im elektrischen Schaukelstuhl neben der Haustür. Und natürlich landet der fürchterlich brüllende Teppich im Hausflur. Zum Schluss wird die Leiter angestellt.
Wenn kurz darauf im AKW Grohnde die zweite Turbine ans überlastete Netz geschaltet wird, und die Rollläden vor meinem Schlafzimmerfenster einen vergeblichen Kampf gegen die gleißende Flut von 276 438 schwedischen Glühbirnen führen, weiß ich: Es ist 1. Advent; die Weihnachtszeit hat begonnen.
