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Wie du willst ...
„Willst du das wirklich tun?“
Richard fischte ein Messer aus der Spüle und hielt es mit zwei Fingern über das dampfende Wasser. Tropfen lösten sich von der Klingenspitze und schlugen Krater in den Schaum.
„Natürlich will ich das“, sagte er, griff in einen Hängeschrank, angelte ein gefaltetes Trockentuch vom Stapel und zog die Messerklinge durch seine stoffbedeckten Finger.
„Wir sollten uns das noch mal überlegen.“ Frank war neben Richard getreten und stützte sich auf die schwarze Arbeitsplatte. „Ich meine ...“
„Nimm deine Hände da weg.“
„Was ...“
„Du sollst mit deinen verdammten Fingern nicht auf meiner Marmorplatte herumpatschen.“ Richard schubste ihn beiseite und rubbelte mit dem Trockentuch über Franks schmierige Handabdrücke.
„Du spinnst.“
„Warum? Nur, weil ich ein wenig auf Sauberkeit achte?“
„Weil du kurz vor ... dieser Sache keine anderen Sorgen hast, als deine beschissene Marmorplatte.“
Richard trocknete sich die Hände ab und warf das Tuch in den Mülleimer.
„Warum sollte mir ...“, er gestikulierte Anführungszeichen in die Luft, „... diese Sache wichtiger sein als meine Marmorplatte?“
Frank steckte sich zitternd eine Kippe zwischen die Lippen und kramte ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche. Die Flamme wanderte zur Zigarettenspitze, flackerte Schatten auf sein blasses Gesicht.
„Mach sofort das verdammte Ding aus.“
Frank hielt inne, sah Richard über die Flamme hinweg an, dann ließ er Hand und Blick sinken, schob sich die Zigarette in den Mundwinkel und kaute auf dem Filter herum.
„Wir sollten die Sache einfach abblasen“, nuschelte er.
„Du willst es doch auch wissen.“ Richard riss eine Spenderbox mit Latexhandschuhen auf und steckte zwei Finger hinein.
Die Zigarette wippte zwischen Franks Lippen als würde sie nicken, dann nickte auch er.
„Und wo liegt dann das Problem?“ Richard warf was erste Paar in den Abfalleimer und zupfte zwei weitere Handschuhe aus der Pappschachtel.
„Ich weiß nicht, ob es das wert ist.“
Das Latex spannte sich quietschend über Richards Haut, der Saum knallte gegen seine Handgelenke.
„Du kannst gerne gehen, wenn du ein Problem damit hast“, sagte er, ging zur Spüle, drehte den Wasserhahn auf und hielt seine Hände in den Strahl.
„Was zur Hölle machst du da?“
„Das Puderzeug runter spülen.“
„Und warum hast du nicht einfach Handschuhe ohne Puder genommen?“
Richard drehte das Wasser ab und griff nach einem weiteren Handtuch.
„Weil ich mir immer gepuderte kaufe. Sind einfach besser.“ Er trat auf das Pedal des Abfalleimers. „Bist du nun mit dabei, oder nicht?“
„Das funktioniert doch sowieso nicht.“
„Abwarten.“ Richard griff nach dem Messer und schlenderte zur Küchentür. „Jetzt stell dich nicht so an und komm mit.“
Frank zog einen Plastikkamm aus seiner Gesäßtasche, harkte sich das verfilzte Haar aus der schweißnassen Stirn und folgte Richard zögernd in den weißgefliesten Flur.
„Hat er gesagt, dass es unbedingt ein Mensch sein muss?“
„Nein.“ Richard blieb vor einer Tür stehen, steckte einen Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. „Hat er nicht.“
„Dann hättest du doch einfach nen Hund nehmen können. Oder ne Katze. Oder ... was weiß ich? Irgendein Vieh.“
„Der Kerl war einfach das Erste, was mir über den Weg gelaufen ist.“ Richard zuckte mit den Schultern. „Beziehungsweise das Erste, dem ich über den Weg gelaufen bin.“
Sie stiegen eine Treppe hinab. Richard stieß unten eine weitere Tür auf und tastete patschend nach dem Lichtschalter.
Neonlicht füllte zuckend einen kleinen, fensterlosen Raum. Eine Gestalt kauerte in der hintersten Ecke, hing wie ein Schmutzfleck in sterilem Weiß.
„Guten Abend“, sagte Richard grinsend und ging langsam auf den Mann zu, der sich an die Wand presste, als wollte er in der Mauer versinken, und mit den Hacken seiner zerschlissenen Schuhe dunkle Streifen auf das Linoleum quietschte.
„Wir könnten ihn doch einfach frei lassen und nen Tier fangen.“ Frank war im Türstock stehen geblieben und lutschte an seiner Zigarette.
„Warum? So einen Typen vermisst doch niemand. Hat in der Gosse gelegen. In seiner eigenen Pisse.“ Richard zerrte den wimmernden Mann auf die Beine und überprüfte den Knoten des Paketbandes, das die schmutzigen Hände hinter dem parkabedeckten Rücken fixierte.
„Aber er ist trotzdem ein Mensch, verdammt.“
„Pass auf. Entweder du kommst jetzt rein oder verschwindest. Aber mach endlich die Tür zu und hör auf mit der lächerlichen Jammerei.“
Frank fingerte die Zigarette aus seinem Mund und trommelte mit dem durchnässten Filter auf seiner Unterlippe herum.
„Also?“ Richard stieß den Mann gegen die Wand, bückte sich nach einer weißen Plastikplane, die ausgebreitet auf dem Boden lag und knüllte sie zusammen.
„Ich hab wirklich nen beschissenes Gefühl bei der Sache“, sagte Frank, während die Tür ins Schloss und die Zigarette zurück in seinen Mund glitt.
Richard legte seinen Arm von hinten um den Hals des Mannes, zerrte ihn vor eine glänzende Metallplatte, in der sich die niedrige Decke spiegelte und zwang ihn auf die Knie.
„Bist du sicher, dass das Ding nicht anders aufgeht?“
„Siehst du irgendwo nen Griff?“
„Ich meine mit nem Brecheisen, oder so.“
„Sie geht nicht anders auf.“ Der Mann wand sich in Richards Umklammerung, schrie in den Tennisball, der in seinem Mund steckte wie ein Apfel in der Schweineschnauze. „Halt still.“ Richard drückte ihm das Messer an den Hals.
„Und warum sollte das Ding ausgerechnet aufgehen, wenn wir ...“
„Weil der Alte gesagt hat, dass es so ist.“
„Ich weiß, was der Kerl gesagt hat. Aber glaub nicht an diese Scheiße.“
„Einen Versuch ist es doch wert.“ Richard packte den Mann bei den Haaren, riss seinen Kopf zurück, holte mit dem Messer aus. „Wenn es nicht klappt, ziehen wir uns halt ne DVD rein oder bestellen Pizza.“
Und stach zu, riss die Klinge heraus, stach wieder zu. Der Mann schrie in den Tennisball, Blut gurgelte auf die Falltür. Frank spuckte die Zigarette auf den Boden, seinen Mageninhalt hinterher und schloss die Augen. Das Messer zerstückelte die Schreie zu Wimmern, das Wimmern zu Röcheln, dann sackte der Mann zur Seite. Richard ließ das Messer fallen, riss sich die Müllsäcke vom Leib, die er um Arme, Beine und Oberkörper gewickelt hatte und streifte die Handschuhe ab.
„Jetzt müsste das Ding eigentlich auf gehen“, sagte er und trat einen Schritt zurück.
Frank hob langsam die Augenlider und wischte mit dem Handrücken über seinen Mund.
„Da tut sich nichts, verdammt. Und du weißt auch ganz genau, dass sich da nichts ...“ Ein leises Klicken unterbrach ihn.
„Sieh dir das an. Scheiße, siehst du das?“ Richard beugte sich über sein Spiegelbild.
Die Blutlachen schrumpften, schienen im glatten Metall zu versickern, als wäre es Erde.
Frank trat in seine Kotze und verteilte sie bis zur Falltür, die mit einem weiteren Klicken ein Stück aufsprang.
„Heilige Scheiße“, stammelte er.
Richard ging langsam in die Hocke, tastete nach dem Messer, schob die Klinge vorsichtig in den schmalen Spalt und hebelte die Metallplatte hoch, bis er seine Finger darunter schieben konnte.
„Fass mit an“, keuchte er, doch Frank stand starr an der Falltür, während sein gespiegeltes Gesicht langsam über das Metall rutschte und vom Rand der Platte in die Dunkelheit kippte.
Richard erhob sich ächzend und stierte mit zusammengekniffenen Augen in die Schwärze.
„Sieht aus wie ne Treppe.“ Er hielt seine Hand auf. „Lampe.“
„Das ... das Ding ist wirklich offen.“
„Lampe.“
„Was?“
„Gib mir die verdammte Taschenlampe.“
Franks Augen funkelten hinter den wirr in seinem Gesicht klebenden Haarsträhnen.
„Welche Taschenlampe?“
„Die, die ich dir gegeben habe.“
Frank klopfte auf seine Hosentaschen, griff in die linke, dann in die rechte, zog eine kleine Lampe heraus und drückte sie Richard in die Hand.
Der Lichtkegel wanderte eine steinerne Treppe hinab, glitt über grobe Backsteinmauern, die sich von beiden Seiten an die schmalen Stufen drängten.
„Willst du da wirklich runter?“
„Ich denke schon.“ Richard trat auf die erste Stufe, atmete tief ein und setzte den rechten Fuß, die Spitze tastend voran, vorsichtig auf die zweite.
„Mach hier schon mal sauber“, sagte er, zögerte einen Augenblick, ließ die Taschenlampe von einer Hand in die andere wandern, dann stieg er langsam hinab.
Der Lichtkegel huschte über Stufen und Wände, während der Neonschein, der durch die Tür fiel, allmählich verblasste. Richard blieb stehen, leuchtete auf seine Armbanduhr, tupfte sich Schweiß von der Stirn, sah flüchtig über seine Schulter zurück und ging weiter, Stufe für Stufe für Stufe für ...
Richard schrie auf, als sein Fuß ins Leere trat. Er ließ die Taschenlampe fallen, die geräuschlos in der Dunkelheit verschwand, ruderte mit den Armen, kippte nach vorne und fiel ...
*
Richard klopfte benommen Staub von seinem Sakko und lehnte sich gegen einen alten Kleiderschrank. Er hatte einen Trip durchs Sternentor an einen Ort jenseits der Unendlichkeit erwartet, doch momentan fühlte Richard sich, als wäre er besoffen vom Barhocker gekippt und Stunden später auf dem Kneipenfußboden aufgewacht. Sein Kopf dröhnte, über ihm kreisten Dachbalken, unter ihm Holzdielen.
Richard massierte sich die Schläfen und ließ seinen Blick durch das dämmrige Licht torkeln, während das Schwindelgefühl langsam nachließ. Wurmstichige Möbel, Kisten, aus denen Textilklumpen quollen, Gerümpel, das aussah, als wäre es nie für etwas anderes bestimmt gewesen, als angehäuft seinem Verfall entgegen zu stauben. Das hier war nicht mehr als ein stinknormaler Dachboden.
Richard stieß sich vom Schrank ab, stieg hustend über einen Stapel Bücher mit Paragraphenzeichen auf den ledernen Rücken, umkurvte verstaubte Holzbänke und ging auf einen massiven Schreibtisch zu, der unter einem Dachfenster stand.
Er hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war. Da war die Falltür gewesen, die Treppe, Dunkelheit. Und dann Holzfußboden und das Getrappel von Rattenpfoten.
Richard schob eine Waage beiseite, die Staub gegen Spinnenweben abwog, wischte einen Hammer von der Eichenplatte, kletterte auf den Tisch und blickte aus dem Fenster. Der Himmel klebte zwischen Vogelscheiße an der verdreckten Scheibe, Wolken am Himmel und Baumwipfel am unteren Fensterrand.
Richard faltete ein Taschentuch auseinander, legte es sich auf die Handfläche, griff nach dem verrosteten Knauf und rüttelte daran. Ein aufgeschreckter Vogel flatterte kreischend davon, das Fenster knackte und knirschte, saß aber wie angeklebt in der Einfassung.
Richard warf das Taschentuch über seine Schulter und glitt vom Schreibtisch. Der Alte hatte etwas von einer anderen Dimension gefaselt, von einer fremden Welt, aber das hier schien nichts von alledem zu sein. In einer Stadt aus grünem Schleim zu landen hätte ihn weit weniger überrascht, als auf diesem Dachboden.
Die Holzdielen knarrten unter Richards Füßen, während er durch tanzende Staubwolken schritt und versuchte, so wenig wie möglich zu atmen. Er musste erst einmal hier raus und dann weiter sehen. Richard rückte einen Kleiderständer beiseite, an dem eine mottenzerfressende Robe hing, griff nach der Klinke einer dahinter auftauchenden Tür, schob sich durch den quietschend wachsenden Spalt und schlich im Halbdunkel eine schmale Treppe herunter, trat von der letzten Stufe durch einen klimpernden Perlenvorhang und sah sich um.
Schemen von Besen, Eimern und Kartons klebten wie ihre eigenen Schatten an den weißen Wänden, durch eine angelehnte Tür drang leises Rauschen, ein schwacher Lichtschein sickerte in den Raum. Von einem stinknormalen Dachboden in eine stinknormale Abstellkammer. Fremde Welt. Andere Dimension. Er hätte diesen alten Spinner anstelle des Penners in seinem Keller ausbluten lassen sollen. Aber vielleicht würde er das noch nachholen.
Richard trat in die blasse Lichtlache, zog die Tür ein Stück auf und spähte durch den Spalt. Ein monitorbeleuchteter Schreibtisch stand in der Mitte eines abgedunkelten Raumes, Bücher quetschten sich in deckenhohe Regale, ein Computerlüfter rauschte monoton in der stickigen Luft.
Richard sprang über einen Streifen Parkettfußboden auf einen Perserteppich, der seine Schritte verschluckte und die Rollen des ledernen Drehstuhls, als er auf die Sitzfläche sank und sich dem Bildschirm entgegen beugte.
Der Cursor blinkte am Ende eines Textzipfels, der unter der Symbolleiste am oberen Bildschirmrand hervor lugte. Richard las den letzten Satz. Er ließ die Taschenlampe fallen, die geräuschlos in der Dunkelheit verschwand, ruderte mit dem Armen, kippte nach vorne und fiel ... Tastete nach der Maus, scrollte hoch, während sein Blick fetzen aus dem Text riss. Richard trat auf die erste Stufe, atmete tief hebelte die Metallplatte hoch Blutlachen schrumpften, schienen im glatten Messer zerstückelte die Schreie zu Wimmern ziehen wir uns halt ne DVD trommelte mit dem durchnässten Filter auf seiner Unterlippe frei lassen und nen Tier Gestalt kauerte in der hintersten Ecke griff nach dem Messer und Latex spannte sich quietschend über Richards Haut riss eine Spenderbox Flamme wanderte zur Zigarettenspitze, flackerte Schatten zog die Messerklinge durch seine stoffbedeckten Krater in den Schaum.
Der Scrollbar schlug oben an. „Willst du das wirklich tun?“
Richard starrte auf den Bildschirm. Die Zeichen verschwammen vor seinen Augen und mit ihnen seine Gedanken, bis er nicht mehr wusste, ob das, was er gerade gelesen hatte, überhaupt jemals klar gewesen war. Das konnte einfach nicht ...
Ein Geräusch hinter seinem Rücken, ein Luftzug, dann zerbrach die Welt mit einem dumpfen Schlag und als ihn ein stechender Schmerz aus der Ohnmacht riss, sah er sich selbst in einer glänzenden Metallplatte und Blut, das auf sein Blut tropfte und seine aufgerissenen Augen, die ihn anstarrten und er hörte angestrengtes Keuchen hinter seinem Rücken und sich selbst Röcheln und Würgen, während die Klinge in seinem Hals brannte und er sah, wie ihm sein Gesicht entgegen raste, spürte, wie seine Nase auf die seine krachte, die kaltes Metall war und dann ...
*
Er warf das Messer neben Richards Leiche, knipste die Taschenlampe an und folgte ihrem Kegel eine schmale Treppe hinab, stützte sich mit der freien Hand an Backsteinen ab, die unter seinen Fingern bröckelten, suchte in den Fugen nach Halt und stoppte, als der Gang zu flackern begann. Er schlug mit dem Handballen gegen das Lampengehäuse, dann setzte er seinen Fuß auf die nächste Stufe, trat ins Leere, kippte nach vorne und fiel ...