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Wie ein Vogel

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25.12.2013
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Wie ein Vogel

Prüfend hält er die Feder ins Licht. Sie schillert in einem dunklen Nachtblau, das ihm gefällt. Am liebsten würde er sie behalten, aber das geht nicht.
Es ist eine Elsterfeder. Er lacht leise, als er daran denkt, wie gut das doch passt. Wo er doch selbst wie eine Elster ist. Nur sammelt er keine glänzenden Gegenstände, sondern Federn.
Für sie. Alles nur für sie. Alles, was er tut.
Er verstaut die Feder in seinem Rucksack, vorsichtig legt er sie zwischen die Seiten seines Vogelbuchs, das er nur wegen ihr gekauft hat. Ihn interessieren diese Viecher nicht besonders, aber er kann ihre Leidenschaft trotzdem verstehen, natürlich kann er das.
Wie ein Vogel will ich sein, hat sie immer gesagt. Sie wollte fliegen.
Sie wird sich freuen, wenn er ihr wieder ein paar schöne Federn bringt, ganz bestimmt. Und dieses Jahr werden es noch mehr und noch schönere Federn sein, das hat er sich vorgenommen. Er will sie doch nicht enttäuschen.
Er sucht noch ein wenig weiter, obwohl er weiß, dass er nichts Brauchbares mehr finden wird. Aber die Elsterfeder, auf die ist er wirklich stolz. Wie wunderschön sie ist!
„Sie schimmert im Licht der Sonne wie deine Augen“, flüstert er.
Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht, erschöpft. Schon seit dem frühen Morgen ist er hier und hat gesucht. Viele Stunden lang, bis er das Juwel fand, das jetzt in seinem Rucksack steckt.

In seiner Wohnung sieht er sich die vielen Federn an, die er in den letzten Monaten für sie gesammelt hat. In allen Größen und Farben liegen sie vor ihm auf dem Küchentisch. Die meisten würden sie für wertlos halten, diese Sammlung, für die er so viel geopfert hat.
Er sieht sie sich alle einzeln an, Feder für Feder. Manche sind ein wenig zerzaust, andere zu gewöhnlich oder nicht schön genug. Eine Feder nach der anderen landet auf dem Boden, achtlos hat er sie hinter sich geworfen.
Am Ende liegen nur noch vier Federn vor ihm. Eine braun-weiße, die von einem Rotmilan stammt, einem ihrer Lieblingsvögel. Die blau-schwarz-gestreifte eines Eichelhähers. Und die schimmernde Elsterfeder, die er am Morgen gefunden hat.
Die letzte Feder ist ganz weiß. Er weiß nicht, von welchem Vogel sie stammt. Er hat nie nachgesehen, dabei hat er sie schon am längsten.
Er nimmt sie in die Hand und dreht sie langsam zwischen den Fingern.
„So weiß wie die Lilien auf deinem Sarg“, sagt er.

 

Prüfend hält er die Feder ins Licht. Sie schillert in einem dunklen Nachtblau, das ihm gefällt.

Besser mit Gedankenstrich. "Nachtblau - das gefällt ihm.


Er sucht noch ein wenig weiter, obwohl er weiß, dass er nichts Brauchbares mehr finden wird.

Ist im Grunde überflüssig. Wenn er weiß, dass er nichts mehr findet, sucht man doch gar nicht erst.


Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht, erschöpft.

Besser: "Er fährt sich erschöpft mit der Hand über das Gesicht."

Er sieht sie sich alle einzeln an, Feder für Feder.

1. Besser: "Er sieht sie sich einzeln an."
2. Der Leser weiß, dass es um Federn geht - darum ist das "Feder für Feder" überflüssig.

hinter sich geworden.

Meintest du "geworFen"?


Insgesamt gefällt mir die Geschichte ganz gut. Besonders, weil du den Grund für das Sammeln erst am Ende der Geschichte nennst.

 

Hallo Chanya,

auch mir gefällt Deine Geschichte gut. Da ist eine Menge Gefühl drin, das Du auf eine unaufdringliche, kitscharme Weise vermittelst. Anders als betzebub habe ich recht früh geahnt (spätestens bei "sie wollte fliegen"), dass die Dame nicht mehr lebt. Das macht aber gar nichts, das muss ja nicht als Knalleffekt ganz am Schluss kommen. So kommt eine gewisse Ahnung auf, die aber ungewiss bleibt und sich am Ende bestätigt. Passt schon.

Du hast da so ein Stilmittel gefunden, das Du öfter benutzt:

Alles nur für sie. Alles, was er tut.
aber er kann ihre Leidenschaft trotzdem verstehen, natürlich kann er das.
Sie wird sich freuen, wenn er ihr wieder ein paar schöne Federn bringt, ganz bestimmt.
Und dieses Jahr werden es noch mehr und noch schönere Federn sein, das hat er sich vorgenommen.
Er fährt sich mit der Hand über das Gesicht, erschöpft.
Die meisten würden sie für wertlos halten, diese Sammlung
Er sieht sie sich alle einzeln an, Feder für Feder.

Verstehst Du, was ich meine? Diese kurzen Anhängsel nach dem Hauptsatz; meist durch Komma abgetrennt, einmal durch den Punkt. Bestimmt gibt es einen schicken griechischen Namen für diese rhetorische Figur. Die verwendest Du für meinen Geschmack etwas zu häufig in dem kurzen Text. Man kann damit den jeweiligen Nachgedanken hervorheben, aber das nutzt sich auch schnell ab. Ich würde es also sparsamer einsetzen.

Und hier muss ich betzebub widersprechen:

Er sucht noch ein wenig weiter, obwohl er weiß, dass er nichts Brauchbares mehr finden wird.
Ist im Grunde überflüssig. Wenn er weiß, dass er nichts mehr findet, sucht man doch gar nicht erst.

Ich halte den Protagonisten für etwas obsessiv mit seiner Federsammlung. Denn die ist doch für sie. Da ist es m.E. völlig schlüssig, dass er zwanghafterweise weitersucht, obwohl er rational weiß, dass nichts mehr zu finden ist. So lese ich das jedenfalls und kann mich voll damit identifizieren.

Grüße vom Holg...

 

Hi Chanya,

für dein Alter bist du schon sehr weit. Man merkt, du hast Spaß am Schreiben und Formulieren, lass dir das auf keinen Fall nehmen.
Ja, flüssig und angenehm liest sich dein Text, einen eigenen Sprachrhythmus hat er auch schon, finde ich. Und du öffnest den Vorhang deiner Geschichte so Stück für Stück, sagst nicht gleich alles am Anfang, das gefällt mir sehr gut, das bringt deine Leser dazu, weiterzulesen.

Dein erster Kommentator hat dir ein paar Formulierungen aufgezählt, die er persönlich verändern würde. Ich kritisiere eigentlich echt nicht gerne andere Kommentare, aber stilistische Anmerkungen von Kommentatoren sind auch immer sehr individuell und aus persönlichem Geschmack. Wenn dir die Sprache und Sätze deiner Geschichte so gefallen, wie sie jetzt sind, sehe ich keinen Grund, das zu ändern. Und müssen tust du das sowieso nicht.

Bleib dran. Und der nächste Schritt wäre jetzt, so eine kurze Episode wie diese weiterzuspannen, sich eine längere Handlung auszudenken, wo es einen Konflikt zwischen Figuren gibt, eine richtig auserzählte, spannende, erzählenswerte Geschichte. Und wenn man die grobe Geschichte im Kopf hat, das dann versuchen, aufzuschreiben. Vielleicht fällt dir ja was ein! Und wenn du weiter willst, dass du Kommentare bekommst, würde ich deinen Kommentatoren unter deinen eigenen Geschichten mindestens antworten, und auch meine Meinung zu anderen Storys hier sagen.

Viele Grüße,
zigga

 

Hallo,

Danke für die Kommentare!

Ja, ich hatte auch vor zu antworten, zigga. ;) Bin nur in letzter Zeit nicht so oft online, da ich ziemlich viel zu tun habe.
Andere Geschichten würde ich gerne kommentieren, aber oft lese ich sie auch einfach nur ... ist manchmal ein bisschen schwer, Geschichten von Schreibern zu kommentieren, die schon viel älter und erfahrener sind, finde ich.

Die stilistischen Sachen schaue ich mir noch mal an, danke jedenfalls für die Hinweise.

Ich freue mich darauf, noch mehr Meinungen zu hören! :)

Liebe Grüße,
Chanya

 

Hallo Chanya!

Auch mir gefällt deine Geschichte, die es wert ist, zwei Mal gelesen zu werden. Ein Mann hat eine geliebte Frau verloren und erinnert sich:

Wie ein Vogel will ich sein, hat sie immer gesagt. Sie wollte fliegen.

Deine Geschichte bringt das Thema Tod und das Thema Vogel-Sein zusammen, so dass ich an die uralte religiöse Vorstellung vom Seelenvogel denken muss: Schon immer glaubten die Menschen, dass sich die Seele eines Verstorbenen in einen Vogel verwandelt.

Sehr poetisch finde ich die Fantasie des trauernden Mannes, einer Elster zu gleichen. Er fühlt sich ebenfalls als Vogel - so ist er seiner verstorbenen Gefährtin nahe, in Gedanken und Gefühlen bei ihr in ihrem Reich, der Luft.

Grüße
gerthans

 
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Es ist eine Elsterfeder. Er lacht leise, als er daran denkt, wie gut das doch passt. Wo er doch selbst wie eine Elster ist. Nur sammelt er keine glänzenden Gegenstände, sondern Federn.

Hallo Chanya,

dass Du schreiben kannst, hastu schon mit Deinem „Frühwerk“ belegt (solltestu noch einige seit 2014 offene Kommentare beantworten, schau mal da rein in Dein Frühwerk) und so sehr der Vogel üblicherweise mit Freiheit gleichgesetzt wird, obwohl kein Vogel freier ist als irgend ein anderes Lebewesen), so identifiziert sich der junge Mensch mit der Elster, dem auffälligsten Rabenvogel neben dem Eichelhäher, aber wegen seines „diebischen“ Verhaltens viel bekannter. Alle Rabenvögel sind soziale Tiere (der größte von ihnen, der Kolkrabe, bleibt ein Leben lang bei seinem einmal erwählten Partner und gilt dennoch als Ratgeber der Götter, es sind also auch kluge Tiere), lebt also in Verbänden, was den Bekanntheitsgrad nur noch steigern kann.

Blau ist der Himmel, blau die See, die beide sich am Horizont küssen, und blau symbolisiert die unendliche Ferne wie die Sehnsucht und selbst die Verse Rimbauds (Voyelles)

"O, supréme Clairon plein des strideurs étranges,
Silences traversés des Mondes et des Anges"​

scheinen für Deine kleine Prosa niedergeschrieben zu sein. Denn seit Ikarus wissen wir, wie die Freiheit des Federkleides lautet. Daher mag dieses Schwärmen fürs Nachtblau kommen, wie wir am Ende erkennen müssen.

Es gibt bei Dir nix zu mäkeln, außer vielleicht oben im Eingangszitat. Der Konjunktiv träfe es besser, weshalb ich mit dem Anfang ende:

Es ist eine Elsterfeder. Er lacht leise, als er daran denkt, wie gut das doch pass[e//m. E. im Konj. II sogar besser: "passte"]. Wo er doch selbst wie eine Elster [sei/wäre]. Nur sammelt er keine glänzenden Gegenstände, sondern Federn.

"Blackbird singing in the dead of night
Take these broken wings and learn to fly
All your life
You were only waiting for this moment to arise."
Lennon/McCartney​

Gruß & schönes Wochenende vom

Friedel

 

Hallo gerthans und Friedrichard,

Danke für das Lob! Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel andere Menschen doch in meinen Geschichten sehen, was mir selbst gar nicht klar war ...

@ zigga: Ich habe diese Geschichte für einen Schreibworkshop geschrieben. Sie durfte nicht länger als eine A4-Seite sein. Vielleicht werde ich sie ja in Zukunft mal länger schreiben, ich weiß nur nicht, ob sie dafür gut neug ist.

In meinem "Frühwerk" schaue ich noch ab und zu rein, nur finde ich es manchmal komisch, die Kommentare nach so langer Zeit noch zu beantworten. Die meisten dieser Geschichten sind für mich fertig, ich habe geändert was ich ändern wollte und möchte jetzt lieber nach vorne schauen. Allerdings möchte ich versuchen, in Zukunft mehr auf die Kommentare zu meinen Geschichten zu antworten, was ich früher oft vergessen habe.

Liebe Grüße,
Chanya

 

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