- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 6
Wieder so ein Tag der Anderen
Wieder so ein Tag, an dem alles zu glitzern und zu glänzen scheint. Nur ich bin wieder einmal der schwarze Fleck auf der Linse…
Seit er sich vor vierzehn Jahren in die Berge verzogen hat und sich seither nur noch zum Einkaufen im Dorf hat blicken lassen, sitzt er jeden Abend vor seinem selber gebauten Häuschen, blickt hinab in die scheinbar so grosse weite Welt, und übergibt seine Gedanken dem Wind. Nicht, dass er sich in der Zeit verliert, nein. Er will bewusst jede Minute zum Nachdenken nutzen. Nun schon vierzehn Jahre lang haftet an ihm das Gefühl, dass man ihn vertrieben hat. Niemand wollte ihm zuhören wenn er seine Erkenntnisse preisgeben wollte. Niemand interessierte sich für die entdeckten Zusammenhänge die er dem herrschenden Chaos der Menschheit unterjubeln wollte. Also kehrte er diesen Banausen den Rücken zu und verlagerte sein zu Hause in die Höhe, wo seine Gedanken einfacher über die Welt schweifen konnten.
Wie schon so oft sitze ich irgendwo im Nirgendwo, versuche meinen Gedanken Formen zu verleihen und starre blicklos in die Leere. Meine schlechte Laune lasse ich mir von keinen zwitschernden Vögeln vermiesen. Kein kitzelnder Sonnenstrahl ist imstande, Wärme in mir auszulösen. Kein Lächeln, das mir entgegengeworfen wird, zieht meine Mundwinkel nach oben.
Wieder so ein Tag, an dem ich das Leben tief in mir spüren will.
Ich stürze mich in meine Traumsucht und lasse mich von ihr dahinraffen. Je stärker ich auf andere Menschen – andere – wirke, desto schwächer scheine ich. Doch frage ich mich: Wo ist der Unterschied zwischen stark und schwach? Viele Schwächen zeichnen sich dadurch aus, die Stärke des jeweiligen Menschen zu sein. Wer zu stark scheint, wird von den Anderen – immer diese Anderen – als schwach eingeschätzt. Ihm wird eine Hülle vorgeworfen, hinter der er seine Schwächen zu verstecken versucht. Wie perfid muss die Welt sein?!
Langsam erwacht wieder die Wut in ihm. Weder die Dunkelheit die sich langsam auf die Erde niederlegt und mit der ganzen prächtigen Farbpalette in rot, orange und gelb gegen die, sich schwarzblau ankündigende Nacht kämpft, noch der allzu bekannte Geruch nach alterndem Holz das von seiner Hütte ausgeht, kann ihn besänftigen. Die Einsamkeit – eigentlich sein bester Freund – hat ihn gesellschaftsunfähig gemacht. Länger, als es braucht um für einen Monat Lebensmittel im Warenhaus in den Einkaufswagen zu schmeissen und an der Kasse mit dem Geld seiner verstorbenen Eltern zu bezahlen, hält er es nicht aus. Unter Menschen zu sein macht ihn einsamer, als wenn er allein ist.
Ich bin mir manchmal selber nicht mehr Herr genug. Ich schwimme mit dem Strom. Aber trotzdem. Manchmal halte ich mich an einem herabhängenden Ast fest, um in Ruhe beobachten zu können. Und ich vergesse nie. Zwischendurch lasse ich mich wieder fallen und das Spiel beginnt von neuem.
Ein Spiel ohne Regeln und Schiedsrichter. Ein Spiel, das man verliert, wenn man nicht mitspielt. Wie die Liebe.
In unserem Spiel, spielen wir mit den Anderen. Die Aussenseiter sitzen auf der Ersatzbank. Doch ein Spiel ohne Zeitlimit und Abgrenzung, lässt keine Einwechslungen zu. Einmal draussen, immer draussen. Sagen die Anderen.
Auch er war einst ein Anderer. Hatte einen gut bezahlten Job und drehte noch so jede kleine Münze um. Sein Vater war in armen Verhältnissen aufgewachsen und hatte ihm beigebracht, dass man niemandem sein letztes Hemd geben soll, wenn man selber keines mehr besitzt.
Zuerst komme ich, und dann der Rest.
In jungen Jahren hatte er sich dagegen gesträubt, zu studieren und dann die steile Karriereleiter zu besteigen. Er wollte frei sein, etwas von der Welt sehen, Menschen kennen lernen. Nicht tagtäglich dieselben Sachen sehen, hören und schmecken. Aber blosse Enttäuschung erfuhr er auf seinen Reisen und fand schnell wieder ins Elternhaus zurück.
Menschen sind nichts als Tiere. Rudeltiere, die ihre kranken und andersartigen Artgenossen zurücklassen. Eine Gruppe ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.
Als wäre es gestern gewesen hört er noch die Stimme seines Vaters, der ihm kurz nach seiner Ankunft mit einem kurzen stechenden Blick und diesen Worte gezeigt hatte, dass er – sein Sohn – ein Taugenichts sei.
Hättest du auf mich gehört, wärst du nie fort gegangen. Wärst du nie enttäuscht worden. Wärst du glücklich.
Sein Vater sagte viel. Und was er sagte, hatte seine Gültigkeit. Fehler sind verboten in seiner Welt. Warum nur, musste er ausgerechnet sein Sohn sein?
Er hatte zugehört, ja. Aber nicht aufgenommen. Er wollte nicht. Sein Vater war niemand, der über seine Worte nachdachte. Ihnen in Form von Gedanken einen gewissen Tiefgang verleihen konnte. Seine Worte waren wie ein glühendes Eisen, das sich in die Haut brannte und Narben hinterliess.
Egal, wer was sagt, ob gelogen oder nicht, gesagtes spukt immer herum, ob in den Köpfen oder in der Luft. Frei von allen Gedanken gibt es nicht. Die Wenigsten interessiert es, ob man etwas zu sagen hätte, viele wollen nichts hören über Nachgedachtes. Das Einzige was für sie zählt sind belanglose Worte. Sie müssen sich nicht in Acht nehmen vor dem Falschen, denn sie sind gar nie gefährdet. Wer sich auf dünnes Eis wagt, muss sich selber retten. Auf festem Boden halten sie alle zusammen. Gemeinsam ist man stark. Glaube ich auch. Doch halten sie nur in Sicherheit zusammen. Riecht es nach Gefahr, sind sie verschwunden. Ist alles überwunden, sind sie wieder da, ohne Schimmer welch einschneidende Erlebnisse sie verpasst haben. Sie lassen es zu, sich voneinander zu entfernen, nur um sicher zu sein. Legen sie denn überhaupt keinen Wert auf die schlechten Seiten des Lebens?
Manchmal ist es notwendig, steile Hügel zu übersteigen, damit man sehen kann, was sich dahinter verbirgt. Es wäre einfacher, ihn zu umgehen, doch minimiert sich so die Freude, etwas geschafft zu haben, auf ein kleines Reststücklein. Egal. Ich habe mittlerweile gemerkt, dass ich meine Zukunft nicht dort finden werde, wo ich sie vermutet hätte.
Kompromisse wurden von seinem Vater verabscheut. Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht? Gerade Schritte auf gerader Strasse. Wessen Vergangenheit schwarz war, dessen Zukunft wird nicht heller werden. Wer sich nicht mit rund geschliffenen Kanten in die Meute der Gesellschaft einfügt, wird untergehen. Wird als schwächstes Glied ausgestossen und vereinsamt.
Ich lehne mich zurück und lausche mit geschlossenen Augen der schweigenden Stille. Ich kämpfe gegen die Lebensmüdigkeit an, die mich übermannt; noch ist nicht alles gesagt. Gehört habe ich schon manches.
Gründe sind Nebensache. Nebensachen sind vergänglich. Was niemand sein sollte. Ich will nicht niemand sein...
Er hat sich aber seine Einsamkeit selber ausgesucht. Sie erschien ihm lockender als das ewige Alleinsein unter Anderen. Ist er deswegen trotzdem das schwächste Glied? Er hat sich dem ewigen Kampf um Besitz und Reichtum entzogen. Macht ihn das klein und wertlos? Obwohl es nicht so sein sollte, fühlt er sich danach. Seine Gedanken bestimmen sein Gemüt. Sein Gemüt sein Empfinden. Und empfinden will er nichts mehr.
Wieder so ein Tag, an dem mich das Leben und dasjenige der Anderen eingeholt hat.