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Wiederbelebt

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24.05.2008
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Wiederbelebt

„Schreiben Mädchen, du musst schreiben! Wenn du schon mit niemandem redest, so schreibe doch wenigstens!“
Lena schaute die Frau vor sich mit leerem Blick an. Sie wusste nicht wie lange diese Frau schon auf sie einredete. Sie hatte jegliches Gefühl für Zeit und Raum verloren.
Wer war diese Frau eigentlich? Lenas Augen wanderten über lange, braune Haare, ein schmales Gesicht mit einer viel zu großen Nase, auf der eine viel zu kleine Brille saß. Ein Rollkragenpullover in verschiedenen Brauntönen. Daran befestigt ein Namensschild: Dipl.-Psych. K. Baumgart.
Was wollte diese Frau von ihr? Lena war sich nicht ganz sicher ob sie die gleiche Sprache sprachen. Sie verstand sie einfach nicht. Lenas Blick schweifte zum Fenster. Und ich? Wer bin ich? Ich bin gar nichts. Nicht mehr. Ein Niemand seit ... seit dem Tom mich hier zurückgelassen hat. Bilder und kurze Filmsequenzen schossen Lena durch den Kopf. Ein sonniger Tag – sie waren spazieren gegangen – sie waren baden gewesen – es war spät geworden – sie fuhren mit dem Motorrad durch die Dunkelheit nach Hause – Lena hatte sich fest an Toms Rücken geklammert und sich selten so sicher gefühlt – plötzlich dieses grelle Licht. Dann wusste Lena gar nichts mehr. Nur noch Dunkelheit, Leere und ein Gefühl von Einsamkeit. -

Ihr Wunden waren gut verheilt, sagten die Ärzte. Äußerlich vielleicht. Außerdem bereitete ihr das Atmen große Probleme. Sie hatte seit dem Unfall immer wieder Anfälle, in denen sie keine Luft bekam. Aber auch sonst fiel ihr das Atmen sehr schwer. Doch die Ärzte konnten nichts feststellen. Das gäbe sich mit der Zeit, sagten die Ärzte. Doch das tat es nicht.
„Lena? Hörst du mir noch zu?“
Lena schob ihre Gedanken beiseite und schaute wieder in die Richtung aus der die Frau sprach.
„Mensch Mädchen. So wird das aber nichts. Du musst dir schon ein wenig Mühe geben. Also ich möchte jetzt, dass du den Stift in die Hand nimmst und etwas schreibst“, sagte sie und drückte Lena einen Stift in die Hand. Lena starrte auf das weiße Blatt Papier vor sich. Und was ist mit mir? Was will ich? Ich will Tom zurück. Ich will mein Leben zurück. Ich will hier weg. Sie nahm den Stift fester in die Hand und schrieb: „Johnny war ein Butterkeks, er glaubte an die Liebe, doch er wurde aufgegessen – das tat weh!“
Sie steckte behutsam sie Kappe auf den Stift, stand auf und ging.

Zunächst nur bis zur Tür. Dann bis zum Ende des Flurs. Dann bis zur Eingangshalle des Reha-Zentrums. Dann bis zum Eingangstor. Als sie an der Straße angekommen war fiel ihr das Atmen schon sehr schwer. Sie schnappte nach Luft, aber ihre Lungen schienen sich einfach nicht mit genügend Sauerstoff füllen zu wollen. Dennoch ging sie weiter. Ohne Ziel. Einfach nur weiter. Immer weiter die Straße entlang. Vorbei an Silhouetten von Menschen und Autos. Keuchend und hustend blieb sie an einer Ampel stehen und hielt sich daran fest. Sie schloss für einen kurzen Moment die Augen.

„Ganz egal was passiert – ich warte hier auf dich – und ich geh hier solange nicht weg bist du mich holen kommst“ hört sie Toms Stimme von weit weg sagen. Sie musste etwas lächeln wenn sie daran dachte, wie er sich während er diese Worte gesagt hatte an dem großen Kirschbaum festhalten hatte und so getan hatte, als würde er nicht wieder davon loskommen. Es war das erste Mal gewesen, dass sie sich mit einem Jungen verabredet hatte.

Lena wusste jetzt was sie wollte. Sie nahm all ihre Kraft zusammen und raffte sich auf so gut es ging. Sie würde nur um die Ecke gehen müssen und schon wäre sie am Marktplatz mit dem einen Kirschbaum. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, doch irgendwann war sie da. Erschöpft lies sie sich unter dem Kirschbaum einfach fallen. Sie hustete während sie langsam zur Ruhe kam. Lena schloss die Augen. Sie sah Toms Gesicht vor sich. Die strahlenden, neugierigen Augen mit kleinen Lachfältchen drumherum. Ein kleiner, frecher Leberfleck unter dem linken Auge. Der feine Mund. Die blonden Haare, die das ganz Gesicht umrahmten.
„Du bist wirklich hier“ flüsterte Lena und eine wohlige Wärme umgab sie. Und wie sie da so lag, unter dem Kirschbaum, die Augen geschlossen, ein unscheinbares Lächeln auf den Lippen, atmete sie seit langem mal wieder richtig durch.

 

Hey Imation!

Herzlich Willkommen auf kg.de!

Die Idee ist gut, das dachte ich am Anfang der Geschichte, aber es verläuft dann doch eher in die kitschige Richtung.

Und ich habe die Geschichte eh nur kommentiert, weil ...

Johnny war ein Butterkeks, er glaubte an die Liebe, doch er wurde aufgegessen – das tat weh!“
das so ein geiler Satz ist!!! Ich liebe diesen Satz, ich klau ihn dir!

JoBlack

 

Hallo Imation,

ich finde das nicht kitschig, ganz im Gegenteil, es hat mich berührt - ist mir nicht peinlich. Trauma, Verlust, Sehnsucht - gefühlvoll beschrieben.

Set

 

Also ihr lieben Leute,

ganz vielen lieben Dank für eure Kommentare zu meiner Geschichte.
Zugegeben: sie mag dem einen oder anderen vielleicht etwas klischeehaft und kitschig vorkommen, aber was ist denn bitte gegen ein wenig Kitsch einzuwenden? Zumal Romantik doch eigentlich häufiger mal n bisschen was mit Kitsch zu tun hat ;)

So genial wie der die kleine "Johnny Butterkeks Geschichte" auch sein mag (ich finde die selbst total klasse und hau den Satz von Zeit zu Zeit gern mal raus), so muss ich doch leider zugeben, dass schon jemand anderes vor mir darauf gekommen ist. Nämlich: Fanny van Dannen in seinem Lied "Verweifelte Dinge".

Und nein, Lena ist keine verkappte Psychopatin. OK, vielleicht ein wenig, aber nicht mehr als du und ich. Sie sollte mit den Zeilen einfach nur nochmal unterstreichen wie unfair das Leben manchmal sein kann.

Besonderen Dank an Setnemides.
Genau das wollt ich erreichen. Ich freue mich, dass wenigstens bei einem die Geschichte das erreicht hat, was ich ausdrücken wollte. Scheinst zwar bisher der einzige zu sein, aber immerhin.

 

hallo imation,

ich versuche mal, Kitsch zu definieren (so ins Grobe): Wenn Gefühle nicht wirklich erlebt werden können, sondern nur ein schwacher Schimmer davon, kommen sie unwirklich rüber, manchmal auch vereinfacht und verstärkt, eben nur als grobe Zeichnung dessen, was gefühlt werden sollte.
Wenn Gefühle stark erlebt werden, ohne Filter, kann deren Schilderung kitschig wirken, weil wir die unmittelbare Beschreibung starker Gefühle nicht gewohnt sind. Auch echte Gefühle können einfach strukturiert sein!
In unserer Kultur ist die Unterscheidung logischerweise schwierig.

Wenn Kitsch die unwirkliche Verstärkung gehemmter Gefühle ist, könnte man darauf aufbauend auch "Anti-Kisch" definieren: die unwirkliche Abschwächung der Beschreibung gehemmter Gefühle. Mord und Grauen, Sex mit dem ultimativen Kick werden beschrieben, als wäre das alles "cool".

Das Problem im Ursprung ist beim Anti-Kitsch dasselbe, jedoch ist er überall anerkannt; man läuft damit keine Gefahr, kritisiert zu werden. So gesehen sind in diesem Forum wenige Texte "kitschig", aber ziemlich viele "anti-kitschig".

Ich schließe mich natürlich ein, bei beiden Rubriken,

Gruß Set

 

Hallo imation!

Ist ja viel schon gesagt worden. Das ist einfach zu schmalzig. Mag sein, dass man etwas so erlebt, wenn man in einer solchen Situation ist, aber man darf nicht vergessen, dass andere Menschen eine andere Vergangenheit haben und diese Erfahrungen nicht einfach so nachvollziehen können.

Das bedeutet also, wenn, dann muss man die Inhalte anders transportieren. So, dass es eben nicht als Kitsch aufgefasst wird.

Schöne Grüße,

yours

 

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