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Wiedersehen

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31.08.2008
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Wiedersehen

Martha nahm die Teller und Becher vom Tisch und stellte sie in die Spüle. Das Brot legte sie in den Brotkasten, Butter, Käse und Wurst in die Speisekammer. Dann ging sie in die Diele und holte einen Topf Kartoffeln aus der großen Holzkiste, setzte sich wieder und begann zu schälen. Ihre Gedanken kreisten um die Kinder, die gerade das Haus verlassen hatten und zur Schule gingen. Ihre Eltern, die im vergangenen Jahr gestorben waren. Die Sonnenstrahlen, die in die Küche schienen, wanderten langsam und beleuchteten nach und nach die Geschirrtücher, die Tür zur Diele, den Kalender neben der Tür. Sie dachte an den Pastor, der ihr und den anderen Frauen jeden Sonntag von der Kanzel Trost zuzusprechen versuchte und sie dabei nie wirklich erreichte. Es schien ihr, als könnte niemand sie aus ihrer inneren Einsamkeit befreien. Niemand. Sie setzte den großen Topf auf den Arbeitstisch neben dem Herd und sah nach dem Feuer, nahm den Feuerhaken, schob die Asche hin und her, daß sie durch das Rost in die Aschenschublade rieselte, und legte ein paar Briketts nach. Die Luftklappe schloss sie vollständig. Das Feuer sollte sich halten, bis sie wieder vom Feld zurück kam. Als sie sich umdrehte, waren die Sonnenstrahlen weiter gewandert und beleuchteten jetzt eine Photographie, die in einem kleinen Holzrahmen neben der Tür hing. Ihr Mann war dort zu sehen, mit der Uniform, die er bekommen hatte, nachdem er eingezogen worden war. Sein Blick hatte etwas verzweifeltes, unsicheres; nicht der feste und stolze Blick, der so oft aus Uniformen herausschaut. Sie erschauderte für eine Sekunde. Lange hatte sie nicht mehr an ihn gedacht. Wie lange war er fort? Vor acht Jahren war er in den Krieg gezogen, danach noch zweimal auf Fronturlaub dagewesen. Gesund hatte er gewirkt, aber auch fremd; oft geistig abwesend. Sie hatten sich nur wenig erzählen können. Er schien glücklich zu sein, einfach inmitten der Familie zu sitzen und zu schweigen. Vor drei Jahren hatte sie eine Vermißtenmeldung erreicht – er habe sich nach einem Gefecht nicht mehr bei der Truppe eingefunden. Ob er verwundet, tot oder in Gefangenschaft geraten war? Wie hatte sie diese Ungewissheit gequält. Jetzt, nach einer stumpfen Zeit, die immerhin von diesen Gedanken frei war, durchfuhr es sie wieder.

Sie zog ihre Stiefel an und ging aus dem Haus, um mit den anderen Frauen aufs Feld zu gehen. Auf der Straße traf sie ihre Nachbarinnen, sie begrüßten sich knapp. Eine hatte ihren Mann wieder zurückbekommen, gleich nach Kriegsende. Er war in der Partei gewesen und immer sehr lautstark für den Krieg eingetreten; jetzt war er ziemlich still geworden. Die Gemeindeverwaltung hatte ihn, zum Glück für seine Familie, wieder angestellt. Die anderen Frauen hatten keine Männer mehr; sie waren alle gefallen. Manchmal hatte Martha diese Frauen beneidet, wegen der Gewißheit.-

Die Vögel zwitscherten, und als sie das Dorf verlassen hatten, tauchten sie in die blühenden Rapsfelder ein. Sie sprachen von der Arbeit, die ihnen bevorstand: das Reparieren der Weidezäune. Das hatten früher die Männer gemacht; inzwischen waren es die Frauen gewohnt, solche Arbeiten allein zu machen. Als die Straße einen Bogen machte und sie wieder ein langes gerades Stück vor sich hatten, sah Martha in der Ferne eine Gestalt, die dunkel in hängende Fetzen gekleidet war und humpelte. Ein fremdes Gefühl beschlich sie, Trauer, Entsetzen und Überraschung wechselten sich in Sekunden ab. Auch als die Gestalt näher kam, blieb das beunruhigende Gefühl, daß dieser Mensch nicht in ihren Ort gehörte, daß er ein Fremder war.


Wilhelm verzog das Gesicht, als der Waggon über die Weichen fuhr. Er war nun schon drei Tage unterwegs, sein Mund brannte vor Durst, Hunger spürte er schon lange nicht mehr. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal gegessen hatte. Solche Gedanken hatte er sich abgewöhnt; sie machten das Leben nicht leichter. Wieder fuhr der Zug über eine Weiche, der Waggon ruckelte, und wieder durchfuhr ihn der stechende Schmerz; der ganze Körper zuckte. Nach einem Schuß in den Rücken war die Kugel nicht auffindbar gewesen. Entzündungen und innere Schmerzen, verbunden mit Fieber, hatte er wochenlang gehabt. Niemand hatte sich noch darum gekümmert. Er hatte sein Essen genommen und sich aufs Lager gelegt – monatelang. Dann war es irgendwann besser geworden. Gleich nach dem Schuß, als er mitten im Sturm zu Boden gesunken war, war er so froh gewesen, als er feststellte, daß er nach dem Treffer wieder aufstehen und laufen konnte. Mit erhobenen Händen war er zwischen den feindlichen Soldaten herumgelaufen; niemand hatte von ihm Notiz genommen. Es war, als wäre er tot: er lief zwischen den Soldaten herum und keiner beachtete ihn. Schließlich hat ihm einer etwas zugerufen, was er nicht verstand, und ihm mit dem Gewehr bedeutet, daß er vorausgehen solle. Wie lange war das her?
Der Zug hielt. Detmold. Seine Heimat. Wilhelm raffte sich mühsam hoch, schaffte es, seinen Beutel über die Schulter zu nehmen und verließ das Abteil. Beim Verlassen des Zuges wäre er beinah auf den Bahnsteig gefallen; ein anderer Passagier fing ihn auf. Mit einer Leichtigkeit, als gelte es, ein Kleinkind aus dem Zug zu heben, hatte er ihn genommen und aufgerichtet.
Der sich nun anschließende Fußweg betrug zwanzig Kilometer. Früher war er diese Strecke oft mit dem Rad gefahren. Jetzt hatte er kein Fahrrad, und er hätte sich auch nicht mehr getraut, auf ein Rad zu steigen. Die Schmerzen im Oberkörper ließen nach, dafür meldete sich sein linker Unterschenkel. Dort hatte er einen Durchschuß gehabt, der schlecht verheilt war. Sein Humpeln wurde mit der Zeit stärker; er hatte nicht die Kraft, so zu gehen, als hätte er keine Schmerzen. Schwach meldeten sich seine Erinnerungen. Wo ging er eigentlich hin? Gab es Martha, seine Kinder, sein Dorf, gab es das alles noch? Manchmal hatte er eine warme Erinnerung gehabt, hatte Kraft gespürt, wenn er die Photographien seiner Familie angesehen hatte, die er immer bei sich trug. Im Gefangenenlager hatten sie ihm die Bilder weggenommen – allmählich waren sie auch in seinem Kopf verblaßt. So sehr er sich auch mühte, war er nicht mehr imstande, die Gesichtszüge von Martha und den Kindern vor seinem inneren Auge entstehen zu lassen. Nur die Sehnsucht war ihm geblieben, daß die wohlige Wärme, an die er sich ganz tief drinnen erinnerte, auch wieder lebendig wird.
Als er in die Rapsfelder eintauchte, zog er beim Gehen den linken Fuß mühsam nach. Sein Blick war nach unten gerichtet. Erst als er aus der Ferne Stimmen hörte, richtete er den Blick auf und blickte der Sonne entgegen die Straße entlang. Eine Gruppe Frauen kam ihm da entgegen. Sie schienen fremd. Er sah der Reihe nach ihre Gesichter an; er kannte keines. Dann hörte er Marthas Stimme: „Nein, das ist er nicht“, antwortete sie einer anderen Frau. Er blieb stehen und sah zu der Frau, die Marthas Stimme hatte.
„Martha“, sagte er leise.
„Wilhelm“, antwortete sie.
Für einen Sekundenbruchteil verharrten sie so; für Wilhelm schien es eine Ewigkeit.
„Geh schon vor, du kannst schon mal die Kartoffeln aufsetzen“, sagte Martha, „ich komm' dann bald.“
Die Frauen setzten sich wieder in Bewegung. Wilhelm ging Schritt für Schritt auf das Dorf zu.

Sein Haus hatte er schnell gefunden. Er ging durch die Küchentür an der Seite ins Haus und blickte sich in der Küche um. Dort neben der Tür zur Diele hing das Bild, auf dem er mit der Uniform zu sehen war. Es erregte nichts mehr in ihm; er war zu müde, um noch Wut zu spüren. Er öffnete die Herdklappe und sah nach dem Feuer; das hatte gerade alle Briketts erfaßt und glühte still. Danach stellte er die Lüftungsklappe so ein, daß das Feuer heiß genug zum Kochen wurde und stellte den Topf mit den Kartoffeln auf den Herd. Wasser war schon aufgefüllt, und Salz auch; er wußte noch, daß Martha immer gleich das Salz zugab. Er zog sich die Stiefel aus und setzte sich. „Zu Haus“, sagte er sich.

 

Hallo venusbonn,

hier meine Antwort auf "Es war am 4. Juli - (1945)", sozusagen als Diskussionsbeitrag. Ich hätte diese Geschichte sonst nicht gepostet; es ist ein Versuch aus der Schreibgruppe zum Thema "Wiedersehen". Die Begrüßung des Kriegsheimkehrers mit "du kannst schon mal die Kartoffeln aufsetzen" war noch 30 Jahre später Familienüberlieferung; ich habe versucht, diesen Satz verständlicher zu machen. Der schleppende Stil funktioniert beim Vorlesen, so zum "Selberlesen" ist er so unterträglich wie die Geschehnisse, die hier beschrieben werden.

Gruß Set

 

Hallo Existence,

schöner Name, möchte Dir eigentlich gleich eine Geschichte schicken, die damit zu tun hat. Danke für die Kritik, kam unerwartet. Aber es wird schon noch hageln.

Gruß Set

 

Hallo Setnemides (hat der Name eine Bedeutung??),

bin neu in diesem Forum und dies ist meine erste Antwort.
Ich habe mich bisher noch nicht getraut, eine meiner Geschichten zu veröffentlichen, aber das kommt hoffentlich bald.

Doch nun zu Deiner Geschichte:
Die ersten zwei Sätze Deiner Geschichte haben mich zuerst gelangweilt, dann fing die Sache an, mich zu fesseln, da Du die Gefühle und die Ungewissheit der Figuren sehr gut beschrieben hast. Das hat mich bei der Stange gehalten und ich wollte das Ende erfahren. So muß das auch sein, finde ich.
So ähnlich stelle ich mir übrigens auch die Geschichte meines Onkels vor, die mir meine Mutter oft erzählte, der auch zuerst verschollen war und dann totkrank aus der Kriegsgefangenschaft aus Russland zurück kam.

LG
Giraffe.

 

"Die anderen Frauen hatten keine Männer mehr; sie waren alle gefallen. Manchmal hatte Martha diese Frauen beneidet, wegen der Gewißheit."

Grüß Dich Set,

was Du für Inspirationen aus hier eingestellten Geschichten (von denen ja eine beerdigt wurde) gewinnst, ist schon bewundernswert und was die beiden Vorredner zu dieser Geschichte gesagt haben, kann ich folgen. Die Geschichte hat mich veranlasst, Borchert und Böll wieder auszugraben (womit ich dann lerne, was eine Kurzgeschichte ist, endlich!). Gesellschaftliche Folgeprobleme werden angesprochen, an denen die junge Republik bis in die 60-er Jahre hinein zu knacken hatte: "Eine hatte ihren Mann wieder zurückbekommen, gleich nach Kriegsende. Er war in der Partei gewesen und immer sehr lautstark für den Krieg eingetreten; jetzt war er ziemlich still geworden. Die Gemeindeverwaltung hatte ihn, zum Glück für seine Familie, wieder angestellt" Es fehlten halt die sogenannten "Fachleute". Aber auch so etwas wie "Emanzipation" als Folge des Krieges wird dargestellt: Die Frauen "sprachen von der Arbeit, die ihnen bevorstand: das Reparieren der Weidezäune. Das hatten früher die Männer gemacht; inzwischen waren es die Frauen gewohnt, solche Arbeiten allein zu machen" und weiter unten "Er öffnete die Herdklappe und sah nach dem Feuer; das hatte gerade alle Brikett erfaßt und glühte still. Danach stellte er die Lüftungsklappe so ein, daß das Feuer heiß genug zum Kochen wurde und stellte den Topf mit den Kartoffeln auf den Herd. Wasser war schon aufgefüllt, und Salz auch; er wußte noch, daß Martha immer gleich das Salz zugab." Hätte ers vordem getan?


Ich halt die Geschichte für erstaunlich für einen jungen Menschen, kurz: gelungen.

Gleichwohl einige Anmerkungen der Kleinkrämerseele:

"Die Sonnenstrahlen, die in die Küche schienen, wanderten langsam und beleuchteten nach und nach ..." und etwas weiter unten: "Als sie sich umdrehte, war der Sonnenstrahl weiter gewandert und beleuchtete jetzt eine ..." Im zwoten Satz solltestu den Plural beibehalten.

" ..., , und legte ein paar Brikett nach" Plural "Briketts" üblicherweise, seltener und eher ungebräuchlich, aber durchaus korrekt "Bikette".

"Nur die Sehnsucht war ihm geblieben, daß die wohlige Wärme, an die er sich ganz tief drinnen erinnerte, auch wieder lebendig werden würde." Zweifelt er? Glaub ich nicht. Darum "würde" weg und evtl. " ... auch wieder lebendig wird."

"Eine Gruppe Frauen kam da entgegen." Könnte hier das Personalpronomen?

"„Martha“, sagte er leise.
„Wilhelm“, antwortete sie."
Wäre hier nicht besser noch je ein Fragezeichen zu setzen, um das Vorsichtige deutlicher werden zu lassen?

Nix für ungut

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

hallo Giraffe,

die Frage nach dem Namen stelle ich mir bei vielen Mitgliedern; meiner ergibt sich aus einer Geschichte, die ich bisher nicht eingestellt habe. Denke an den Titel des Buches, das Du gerade liest, und wisse, daß mein Name vollständig "Reteuh sed Setnemides" lautet, dann kommst Du vielleicht darauf, bist aber nicht viel schlauer.
Daß Du bald eine geschichte einstellst, hoffe ich sehr, obwohl es natürlich viel schöner ist, wenn sich eine Neue erstmal an den Diskussionen beteiligt und dann etwas einstellt, als umgekehrt. Manchmal knallt hier jemand 10 Geschichten auf einmal rein, ohne zu anderen geschichten etwas zu schreiben, und wenn die erste leichte Kritik kommt, ist er wieder verschwunden.

Zu Deiner Kritik: Ich weiß, daß eine Kurzgeschichte mit dem ersten Satz den Leser einfängt. Ich weiß, daß ein Roman mit dem ersten Absatz seinen Käufer findet. Sog, Spannung, Dynamik müssen am Anfang stehen - ohne das wird weitergeklickt. Ich fange fast immer langweilig an. Oft, weil ich es nicht besser kann, und manchmal, um von Anfang an die ruhige, ereignislose Ausgangssituation darzustellen, oder die depressive Stimmung des Protagonisten, oder oder ... dank Dir, daß Du weitergelesen hast. Mit dem Hauptschulsatzbau ist es dasselbe: er drückt eine lähmende, drückende Stimmung gut aus; funktioniert aber nur beim mündlichen Vortrag.
Ich glaube, auch wir mit der Gnade der Nachkriegsgeburt haben genug unterschwellig über die Eltern und andere aufgenommen, was damals für Seelenzustände an der Tagesordnung waren. Oft haben die Eltern es weggedrängt und die Kinder hatten dafür die Stimmung in ihren Träumen. Für diejenigen, die auch davon nicht erfaßt waren, wurde in der Schule Borcherts "Draußen vor der Tür" gelesen oder, besser noch, im Schultheater inszeniert (haben die sich doch wirklich umgebracht, indem sie den Gashahn aufgedreht haben. Davon hätte man eine Woche kochen können, etc.).
Die Begrüßung mit dem "Kartoffeln aufsetzen" habe ich als Inbegriff der Verrohung erzählt bekommen, in dem Sinne von: er hat den Krieg durchgemacht, sich von Vorgesetzten zusammenscheißen lassen, wurde in der Gefangenschaft gequält, und kommt nach Hause, um in dem gefühllosen Kommando der Ehefrau die schlimmste Erniedrigung zu erfahren, schlimmer als der ganze Krieg. Für mich bedeutet der Satz ungefähr "jetzt wird alles wieder, wie es war", und der Mann geht nach Hause, und macht alles wie immer.

Und damit bin ich bei

Friedrichard:
Ja, er hat immer die Kartoffeln aufgesetzt, deshalb weiß er auch, daß seine Frau schon Salz drangetan hat. Danke für die übrigen Kommentare; sehe ich genauso.-
Zum Lob mit dem Altersbezug: ich bin ja nicht viel jünger an Jahren als Du, nur im Schreiben unerfahrener; ich denke, daß diejenigen, die als Kinder noch die letzten Trümmerstraßen gesehen haben, auch etwas gemeinsam haben.
Im Vergleich zu meiner Kriegsgeschichte "An der Alster" schildere ich hier zwei Menschen, die bis scheinbar bis zur Auflösung ihrer selbst gelitten und doch ihre Seele bewahrt haben, während "an der Alster" jemand nicht leidet und zu seinem Inneren gar keinen Zugang hat. Es liegt natürlich nahe, die Zukunft anzudeuten: daß diejenigen, die es (z.B. wegen der Parteimitgleidschaft) im Krieg leicht hatten, gleich wieder oben schwammen und die Opfer weiter litten; soweit wollte ich hier nicht gehen. Es reicht eigentlich, daß das einzige Parteimitglied am Ort auch fast der einzige Überlebende ist.

Die übrigen Korrekturen werde ich alle beachten, weil sie alle richtig sind, bis auf die Fragezeichen am Schluß: Martha sagt etwas, und beide erkennen sich an den Stimmen sicher wieder. Das drückt aus, daß die seelische Verbindung noch besteht. Hier liegt der wirklich entscheidende Unterschied zur Geschichte von venusbonn ("Es war am 4. Juli - (1945)"), wo diese Verbindung abgerissen ist.

Mit den Korrekturen warte nur noch ein bißchen.

Existence, Giraffe und Friedel vielen Dank,

Set

 

Friedvolle Grüße

Deine Geschichte bestätigt, was ich unter venusBonns "Es war am 4. Juli" schon vermutet habe: Das Thema taugt nicht für eine Kurzgeschichte. Genau wie sie hörst auch Du genau dann auf, da die Geschichte erst losgeht.

Ich wollte die Geschichte noch im einzelnen Zerpflücken, aber das ist mir nicht gelungen. Aus Deiner Geschichte spricht mehr Lebenserfahrung als aus der von venusBonn, sie ist überlegter, geht mehr auf das Detail ein.

Was ich als Problem sehe ist der Anfang. Da steigst Du bewußt in eine ganz profane Alltagsituation ein. Das macht, betrachtet man den Rest der Geschichte, absolut Sinn, dürfte jedoch nicht wenige Leser verschrecken. Da solltest Du mal überlegen, ob Du in den ersten zwei Sätzen nicht mehr Dramatik reinbringen kannst.

Das Grundproblem aber ist das gleiche wie bei "Es war am 4. Juli", Du hörst auf, wenn es interessant wird. Das Wiedersehen der beiden Eheleute deutet an, das alles so weiterläuft wie vor dem Krieg, aber das ist nicht möglich. Beide haben sich zu sehr geändert. Wie leben sie nun mit diesen Veränderungen? Können sie sich anpassen an die neue Situation, lieben sie diese neue Person, die sie da zurückbekommen haben, überhaupt noch? Alles Fragen, die von Dir nicht beantwortet werden.

Kane

 
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Hallo Brother Kane,
Drama am Anfang ist für mich ein Stereotyp, der nicht per se zur Kurzgeschichte gehört, sondern nur zur Erwartung einiger, die dem Trend der Zeit erlegen sind, böse formuliert. Ich habe dazu schon mehrfach Stellung bezogen, zuletzt oben in der Antwort an Giraffe. Die mir wichtige Tatsache ist, daß diese Frau an diesem Ort in träger Gleichmäßigkeit ein Leben weiterlebt, daß eigentlich keines mehr ist, und daß in diesem Leben, nachdem der Krieg ihren Mann geholt und nicht wiedergegeben hat, nichts mehr dramatisch ist, oder alles, aber wirklich alles, so schwer wiegt, als wäre Martha beim Stricken die Wolle heruntergefallen. Und in diesem Nicht-Leben passiert an diesem einen Tag etwas - das wird nicht sichtbar, wenn der Eyecatcher die Geschichte aufmacht. Hier sollte man die Adrenalin-Abhängigkeit der Leser und den Kg.de-Normenkanon ausnahmsweise zurückstellen. Ich gehe im Urlaub auch nicht in die Restaurants, wo die Anquatscher vor der Tür stehen. Sorry, ich habe in "Neues Leben" und "Der Pool" die Anfangssätze verändert, um zu sehen, wie es damit geht, aber hier geht es wirklich nicht.

Das zweite Thema ist die Zukunft: nicht mein Thema, nicht wirklich, die Geschichte beschreibt genau den Übergang von der Vergangenheit in die Zukunft, warum soll sie alles vorwegnehmen? Viele Geschichten sind so gestrickt, daß sie Übergänge darstellen, sie sind ja auch das wesentliche im Leben, die äußeren Krisen, nach denen etwas Neues beginnt. Und genau weil diese Gegenwart zwischen einer langen Vergangenheit und einer langen Zukunft so kurz zu erzählen ist, weil in diesem Augenblick so wesentliches offebar wird (das jedenfalls siehst Du in beiden Geschichten), ist das Thema prädestiniert für eine Kurzgeschichte.

Die Richtung, in der es weitergeht, kannst Du entnehmen: die beiden sind wieder zusammen, sie gehören noch zusammen, sie sind beide schwach und sehr verletzt, jeder auf seine Art, aber sie haben weder sich noch einander verloren. Jeder für sich kann trotz dieser Erlebnisse weiterleben, ihre Beziehung kann es wahrscheinlich auch. Daß in diesem Weiterleben die Dinge nur äußerlich wieder werden, wie sie waren, ist klar. Aber das gilt für jeden von uns auch heute nach einer tiefgehenden Erfahrung oder auch nach einer flachen oder einer fehlenden: nach jedem Tag werden wir nie wieder, wie wir waren.
Die Frage ist nur, ob die Leser das aus der kurzen Schilderung der Begegnung entnehmen können.

Ich denke, der Unterschied meiner Geschichte zu den Geschichten, wo wie bei venusBonn der Mann am Ziel seiner Sehnsucht ankommt und findet einen neuen Mann und dessen Kinder in seinem Zuhause, ist sehr grundlegend. Das Trennende in den Geschichten mit dem neuen Mann ist der sehr unterschiedliche Leidensdruck der beiden Partner in der Vergangenheit.

Viel aktueller ist ja in unserer modernen Zeit die Variante, daß die Frau mit den Kindern den Krieg in der gepflegten Stube am Fernseher miterlebt, alles wohlversorgt, und für die schönen Kriegsberichte mit den lachenden Soldaten sorgen CNN und Fox News, und dann kommt der Familienvater nach Hause, umarmt seine Frau und hebt die Kinder in die Lüfte, fragt nach den Schulaufgaben und soll von einem Tag auf den anderen vergessen, daß er die Woche zuvor noch die Köpfe von Kindern und Frauen auf Zaunpfähle gespießt hat.

Gruß Set

 
Zuletzt bearbeitet:

Sie dachte an den Pastor, der ihr jeden Sonntag Trost zuzusprechen versuchte und sie dabei nie wirklich erreichte. Es schien ihr, als könnte niemand ihre innere Einsamkeit wieder auflösen. Niemand.

An dieser Stelle fielen mir zwei Sachen auf: der Pastor spricht ja nicht zu ihr persönlich von der Kanzel, also ist das personalisierte "Ihr... Trost zuzusprechen versuchte " und "SIE... nie erreichte" etwas zu konzentriert auf ihre Person. Oder hat sie jeden Sonntag ein persönliches, seelsorgerliches Gespräch mit dem Pastor?

Und "Einsamkeit auflösen" finde ich auch nicht so überzeugend. Auflösen kann man Rätsel, Konflikte oder Knoten oder Dinge in Nichts. Aber Einsamkeit ist ja schon Abwesenheit von jemand oder etwas,also bereits etwas Nicht-Vorhandenes. Besser fände ich: "niemand konnte ihre innere Einsamkeit beenden" oder "sie aus ihrer inneren Einsamkeit befreien". Denn sie wirkt ja innerlich gefangen in dieser Einsamkeit wie in einer Festung. Dieses Gefühl des Eingeschlossenseins im Ausgeschlossensein kommt für mich sehr stark rüber, sollte aber vielleicht noch expliziter ausgedrückt werden. (siehe auch das Buch von Bruno Bettelheim "The empty Fortress" über Autismus).

kleine Korrektur: seine Dorf - falsch: (das Dorf also:) sein Dorf

in hängenden Fetzen - falsch: Präposition + unbestimmter Artikel im Plural + Akkusativ(also "Nullartikel") hat im Adjektiv die -e Endung zur Folge : also "in hängende Fetzen gekleidet"

Den Schluss finde ich einfach genial - in dieser Art, fast belanglos sich zu begrüßen nach der langen Zeit und zu den Alltagsdingen überzugehen, steckt sehr viel übergroße Emotion, die verborgen und erst langsam geöffnet werden will, eine gewisse vorsichtige Art der Annäherung, behutsam und schrittweise, erfordert.
Übrigens hatte ich vorweg vor den Korrekturen schon angefangen, eine Antwort zu schreiben, aber die ist jetzt verschwunden, ich kann wohl mit dem Zitier-Tool nicht richtig umgehen...

Also hier noch mal: ich fand den Beginn auch etwas zähflüssig, aber sehr schnell war ich gefesselt von dem Innenleben der weiblichen Protagonistin, die ein viel realistischeres Nachkriegsleben führt als meine "Rosemarie". Ich finde nur, dass etwas zu oft, sowohl bei ihr als auch sich wiederholend bei Wilhelm dieselben Bilder und Adjektive verwendet werden - z.B. "dumpf", bzw. auch dass sie sich dauernd etwas Abgewöhnen (Hunger, Erinnerung, Gedanken, Gefühle) mag zwar real den Erfordernissen dieser harten Zeit entsprochen haben, die dazu führte, dass viele in dieser Generation gelernt haben, sehr vieles zu verdrängen, um das Unerträgliche zu ertragen. Aber vielleicht könnte man da etwas abwechslungsreichere Begriffe verwenden , wie z.B. unterdrücken, verdrängen, verbot sich selbst etc.

Aber die Charaktere und die Handlung sind wirklich sehr gelungen und überzeugend dargestellt. Glückwunsch!

Gruß venusBonn

 

Hallo venusBonn,

alles richtig, ich werde es in der Korrektur berücksichtigen.-
Ich dachte beim Schreiben, daß der Pastor sie besucht hat, um mit ihr zu sprechen, habe das aber nicht so beschrieben - stimmt, so paßt es nicht.
Einsamkeit beenden - okay. Auflösen paßt mehr zur Trauer, die darin schwingt.
Unterdrücken und verdrängen sind Nachkriegsvokabeln aus der "Wir sind alle Psychologen"-Sprache; die werde ich wohl nicht nehmen; aber die Adjektive sehe ich nochmal durch.

Danke,

Gruß Set

 

Hallo Setnemides!

Erzählt finde ich die Geschichte sehr schön, vor allem die Atmosphäre kommt sehr gut rüber und Dein Blick für Details gefällt mir auch sehr gut.
Was mir nicht gefällt ist einerseits der Aufbau, andererseits, wie schon von anderen kritisiert, daß Du da aufhörst, wo es eigentlich interessant wird. Nicht, weil Du dem Leser eine spannende Geschichte liefern sollst, sondern weil Du damit genau dasselbe machst, wie sehr viele Menschen damals: die Dinge unausgesprochen lassen, verdrängen.

Mir ist schon klar: Du wolltest gerade diese Sprachlosigkeit, mit der man zum Alltag übergegangen ist, zeigen. Aber als die Menschen sprachlos waren, waren sie das, weil es zu weh getan hätte, den seelischen Schmerz zuzulassen. Es ist die Frage, ob es heute noch sinnvoll ist, eine Geschichte zu schreiben, die das, was damals nicht gesagt wurde, wieder nicht ausspricht. – Du zeigst die Strapazen des Mannes während der dreitägigen Heimreise, wie er seinen Hunger verdrängt und die körperlichen Schmerzen, die er von den Kriegsverletzungen hat; die Gefangenschaft liest sich mit »Er hatte sein Essen genommen und sich aufs Lager gelegt – monatelang« beinahe wie ein Erholungslager; am Ende noch der beschwerliche Fußweg und dann das Wiedersehen der beiden, in dem Jahre der Geschichte in Sekunden erstarren, bevor sie zum Alltag übergehen, als wäre er nur mal zwei Wochen weggewesen.
Es sind großteils Beschreibungen von Äußerlichkeiten, körperliche Schmerzen, keine innerlichen; das gepaart mit diesem Ende hat so den Nachgeschmack, als sei eh alles gar nicht so schlimm gewesen, als müsse er nur körperlich wieder gesund werden und schon ist alles wieder gut.
Man muß die Geschichte also schon mit der richtigen Einstellung lesen und sich alles Nichtgesagte selbst dazudenken, damit man sie so versteht, wie Du sie gemeint hast. Bringt jemand diese Voraussetzung nicht mit, weil er z.B. noch sehr jung ist und das Thema in der Schule vernachlässigt wurde, könnte dabei auch die Aussage »War eh alles nicht so schlimm« entstehen. Ich weiß, daß das nicht Deine Intention ist, aber was Du nicht in die Geschichte schreibst oder zumindest leicht nachvollziehbar andeutest, steht eben nicht drin und es bleibt am Ende ein Wunderbar, er ist wieder da und kann schon die Kartoffeln aufsetzen und es sich gemütlich machen.

Du schweigst Dich auch darüber aus, ob der Protagonist widerwillig oder euphorisch in den Krieg gezogen ist. Die Frage, wie es in einem Mann aussieht, der voller Euphorie in den Krieg gezogen und dann nach der Gefangenschaft so nach Hause gekommen ist, wäre zum Beispiel intessant. Oder wenn Du zumindest eine Veränderung des Charakters zeigst, an der man seine inneren Schmerzen oder Schuldgefühle ablesen kann.
Ludwig Hirsch hat ein schönes Lied, in dem er das Zerbrechen seines Protagonisten auf subtile Weise sehr gut rüberbringt: »Das Lied vom Heimkehrer«, zu finden auf der CD »Traurige Indianer & Unfreundliche Kellner« (wenn Du willst, schick ich Dir das Lied als MP3, leider gibt es das bislang nicht auf youtube, hätte es gern verlinkt).

Was den Aufbau betrifft, meinte ich vor allem Marthas unmotivierten Rückblick:

Sie erschauderte für eine Sekunde. Lange hatte sie nicht mehr an ihn gedacht. Wie lange war er fort? Vor acht Jahren war er in den Krieg gezogen, …
Abgesehen davon, daß sie offenbar schon weiß, daß er schon so gut wie da ist (»Wie lange war er fort?«), wirkt der Rückblick gerade mit der Aussage »Lange hatte sie nicht mehr an ihn gedacht« ziemlich aufgesetzt, also irgendwie in die Geschichte gepreßt. Und wie paßt die Aussage zum sonntäglichen Trostzusprechen des Pfarrers, wird sie dadurch nicht zumindest jeden Sonntag an ihn erinnert?
Daß die aufgehende Sonne auf das Bild scheint, finde ich nicht genug Auslöser für die Erinnerungen, da sie das wohl jeden Tag macht, soferne keine Wolken sie verdecken. Wenn Du den Rückblick an dieser Stelle haben willst, würde ich einen anderen Auslöser suchen, der nicht so alltäglich ist; etwas, das ihr hinunterfällt und sie an ihn erinnert, oder sie streift im Vorbeigehen an dem Bild an, das ihr sonst schon gar nicht mehr aufgefallen ist, und es fällt fast vom Haken. – Oder, das wäre meiner Meinung nach die geschicktere Lösung, es könnte ihr das alles in den Kopf schießen, wenn sie ihn in der Ferne sieht, damit wäre der Rückblick auch später und der erste Teil somit kürzer.

Dort neben der Tür zur Diele hing das Bild, auf dem er mit der Uniform zu sehen war. Es erregte nichts mehr in ihm; er war zu müde, um noch Wut zu spüren.
Hier könntest Du auch schreiben, daß er auf dem Bild einen siegessicheren Gesichtsausdruck hat, und was er dabei empfindet, wenn er das jetzt sieht. Stattdessen weichst Du aus. Und Wut auf wen oder was zu spüren ist er zu müde? Auf die Uniform auf dem Bild? Auf Hitler? Auf die Russen? Auf sich selbst?

Wie gesagt, erzählt finde ich die Geschichte sehr schön, aber sie bleibt mir für eine Geschichte aus heutiger Sicht zu sehr an der Oberfläche.
Aber weil ich sie trotzdem gern gelesen hab, hab ich noch ein paar Dinge herausgeklaubt:


»Sie dachte an den Pastor, der ihr jeden Sonntag Trost zuzusprechen versuchte und sie dabei nie wirklich erreichte.«
– ich nehme an, er hat nicht nur versucht, zu sprechen, sondern ihr tatsächlich Trost zugesprochen; daß er sie damit nicht erreicht hat, ist eine andere Sache, also: der ihr jeden Sonntag Trost zusprach

»Es schien ihr, als könnte niemand ihre innere Einsamkeit wieder auflösen.«
– »wieder« kannst Du streichen (wurde sie schon einmal aufgelöst?)

»und legte ein paar Brikett nach.«
– Mehrzahl: Briketts

»Die Luftklappe schloss sie vollständig.«
– da die Geschichte ansonsten in alter Rechtschreibung ist: schloß (oder den Rest auch auf neue Rechtschreibung umschreiben)

»Das Feuer sollte sich halten, bis sie wieder vom Feld zurück kam.«
– zusammen: zurückkam

»Als sie sich umdrehte, war der Sonnenstrahl weiter gewandert«
– zusammen: weitergewandert

»Sein Blick hatte etwas verzweifeltes, unsicheres; nicht der feste und stolze Blick, der so oft aus Uniformen herausschaut.«
– etwas Verzweifeltes, Unsicheres
– der Satz beginnt mit »Sein Blick hatte«, da paßt »nicht der feste und stolze Blick« nicht dazu, müßte z.B. heißen: »es war nicht der feste und stolze Blick, der …« oder »nichts von dem festen und stolzen Blick«

»Wie lange war er fort?«
– da sie noch nicht weiß, daß er gerade am Weg zurück ist: Wie lange ist er (schon) fort?

»wegen der Gewißheit.-«
– wieso der Bindestrich am Ende?

»sah Martha in der Ferne eine Gestalt, die dunkel in hängenden Fetzen gekleidet war«
– abgesehen davon, daß es »in hängende Fetzen« heißen muß, klingt es auch seltsam, Vorschlag: »die in dunkle, hängende Fetzen gekleidet war«, aber auch das würde ich noch kürzen, nämlich um »hängende«, denn was sonst sollten Fetzen tun?

»Ein fremdes Gefühl beschlich sie, Trauer, Entsetzen und Überraschung wechselten sich in Sekunden ab.«
– würde die beiden Sätze stärker trennen, wenn nicht durch einen Punkt, dann zumindest durch einen Strichpunkt (Semikolon)

»Gleich nach dem Schuß, als er mitten im Sturm zu Boden gesunken war, war er so froh gewesen, als er feststellte, daß er nach dem Treffer wieder aufstehen und laufen konnte.«
– statt dem zweiten »als« einfach »froh gewesen, festzustellen, daß«

»Entzündungen und innere Schmerzen, verbunden mit Fieber, hatte er wochenlang gehabt.«
– würde ich entweder umdrehen (Wochenlang hatte er Entzündungen und innere Schmerzen, verbunden mit Fieber) oder statt »hatte … gehabt« »hatten ihn wochenlang geplagt« schreiben.

»Es war, als wäre er tot: er lief zwischen den Soldaten herum und keiner beachtete ihn.«
– auch nach alter Rechtschreibung gehört das »er« hier groß

»Wilhelm raffte sich mühsam hoch, schaffte es, seinen Beutel über die Schulter zu nehmen und verließ das Abteil.«
– »seinen Beutel über die Schulter zu nehmen« ist Ergänzung zu »schaffte es«, daher gehört ein Beistrich nach »nehmen«

»Früher war er diese Strecke oft mit dem Rad gefahren. Jetzt hatte er kein Fahrrad, und er hätte sich auch nicht mehr getraut, auf ein Rad zu steigen.«
– eins der beiden Räder würde ich in ein Fahrrad verwandeln und das Fahrrad durch »Jetzt hatte er keines« wegkürzen

»Gab es Martha, seine Kinder, seine Dorf, gab es das alles noch?«
– sein Dorf

»richtete er den Blick auf und blickte der Sonne entgegen die Straße entlang. Eine Gruppe Frauen kam da entgegen.«
– die Wiederholung von »entgegen« würde ich mit »Eine Gruppe Frauen kam da auf ihn zu« vermeiden

»Sie schienen fremd.«
– besser fände ich »Sie wirkten fremd«

»das hatte gerade alle Brikett erfaßt und glühte still.«
– Mehrzahl: Briketts


Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Susi,

einige der einfachen redaktionellen Hinweise habe ich schon überarbeitet und gepostet; Du beziehst Dich auf die ältere Fassung. Ich gehe auf die wesentliche Kritik zum Inhalt ein:

„Was mir nicht gefällt ist einerseits der Aufbau, andererseits, wie schon von anderen kritisiert, daß Du da aufhörst, wo es eigentlich interessant wird. Nicht, weil Du dem Leser eine spannende Geschichte liefern sollst, sondern weil Du damit genau dasselbe machst, wie sehr viele Menschen damals: die Dinge unausgesprochen lassen, verdrängen.“

Ich möchte hier nichts verdrängen; wie schon oben gesagt, geht es mir um den Schnittpunkt von Vergangenheit und Zukunft, der vieles offenbart, nicht alles, aber genug für die Geschichte. Wenn Du die seelischen Befindlichkeiten der Prot. meinst: ich habe mich bemüht, so gut ich konnte, aber natürlich nicht die tiefen Zustände benannt, sondern an äußeren Dingen erschließbar gemacht – für einige. Falls Du wie brother kane nochmal auf das Problem mit dem Aufhören, wenn es interessant wird, anspielst:
Ich bin tatsächlich überzeugt, daß die Zukunft, so wie ich schon geantwortet habe, hier angelegt ist. Eine tiefe seelische Bindung kann manches Leid und viele Veränderungen überleben, basiert die Beziehung, wie oft, auf einer durch psychische Konditionierung gegebenen Kompatibilität der Persönlichkeitsoberflächen, übersteht sie gar nichts, noch nicht einmal die Entwicklungen, die von innen angetrieben werden.
Beide haben unter der Trennung gelitten, sich äußerlich extrem verändert, aber beide erkennen sich an den Stimmen, also dem Klang der Seele, wieder – das muß reichen.

„Es ist die Frage, ob es heute noch sinnvoll ist, eine Geschichte zu schreiben, die das, was damals nicht gesagt wurde, wieder nicht ausspricht.“
Was hätte ich denn noch sagen sollen?

„bevor sie zum Alltag übergehen, als wäre er nur mal zwei Wochen weggewesen.“
Das weißt Du nicht; es geht aus der Geschichte nicht hervor.

„Wunderbar, er ist wieder da und kann schon die Kartoffeln aufsetzen und es sich gemütlich machen.“
„And he went on, and there was a yellow light, and fire whithin; and the evening meal was ready, and he was expected. And Rose drew him in, and set him in his chair, and put little Elanor upon his lap.
He drew a deep breath. “Well, I’m back,” he said.”
So endet “The Lord of the Rings” und ich bin mir darüber im Klaren, mit der Passage "Er zog sich die Stiefel aus und setzte sich. „Zu Haus“, sagte er sich." hier ein bißchen geklaut zu haben. Aber die Stimmung, in der mein Prot. nach Hause kommt, ist trotzdem eine gründlich andere als die von Sam.

„Du schweigst Dich auch darüber aus, ob der Protagonist widerwillig oder euphorisch in den Krieg gezogen ist. Die Frage, wie es in einem Mann aussieht, der voller Euphorie in den Krieg gezogen und dann nach der Gefangenschaft so nach Hause gekommen ist, wäre zum Beispiel intessant. Oder wenn Du zumindest eine Veränderung des Charakters zeigst, an der man seine inneren Schmerzen oder Schuldgefühle ablesen kann.“

Im Text heißt es dazu: „eine Photographie, die in einem kleinen Holzrahmen neben der Tür hing. Ihr Mann war dort zu sehen, mit der Uniform, die er bekommen hatte, nachdem er eingezogen worden war. Sein Blick hatte etwas verzweifeltes, unsicheres; nicht der feste und stolze Blick, der so oft aus Uniformen herausschaut.“
Und: „Vor acht Jahren war er in den Krieg gezogen, danach noch zweimal auf Fronturlaub dagewesen. Gesund hatte er gewirkt, aber auch fremd; oft geistig abwesend. Sie hatten sich nur wenig erzählen können. Er schien glücklich zu sein, einfach inmitten der Familie zu sitzen und zu schweigen.“

Ein euphorischer, kriegsbegeisterter Kämpfer? Ich möchte nicht noch drastischer benennen, daß hier ein traumatisierter Mann nach Hause gekommen ist, der von seinen Bildern ständig verfolgt wird und so davon besetzt ist, daß er Mühe hat, an einer normalen Kommunikation teilzunehmen.

„Dort neben der Tür zur Diele hing das Bild, auf dem er mit der Uniform zu sehen war. Es erregte nichts mehr in ihm; er war zu müde, um noch Wut zu spüren.“ Du kommentierst: „Hier könntest Du auch schreiben, daß er auf dem Bild einen siegessicheren Gesichtsausdruck hat, und was er dabei empfindet, wenn er das jetzt sieht. Stattdessen weichst Du aus. Und Wut auf wen oder was zu spüren ist er zu müde? Auf die Uniform auf dem Bild? Auf Hitler? Auf die Russen? Auf sich selbst?“

Natürlich ist hier nur eine Wut möglich: die Wut darüber, daß man ihm und den vielen anderen das angetan hat, ihn in diese Uniform zu stecken und zu zwingen, Verbrechen an Menschen zu begehen. Siehe oben: „Sein Blick hatte etwas verzweifeltes, unsicheres; nicht der feste und stolze Blick, der so oft aus Uniformen herausschaut.“

Ich versuche Dir hier zu belegen, daß alles drin steht – trotzdem müssen wir uns darüber unterhalten, ob die wesentlichen Themen – die Grausamkeit des Krieges, die Trennung, die einvernehmliche Ablehnung des Krieges, das Überleben der seelischen Bindung – deutlicher herausgearbeitet werden könnten. Von der Metamorphose eines begeisterten Nazikämpfers handelt diese Geschichte nicht, dann hätte ich die von dem Mann, der in der Partei war und als einziger Mann aus dem Dorf schnell und gesund wieder daheim war, schreiben müssen. Dessen Geschichte finde ich aber langweilig, sie ist mir nur eine Randnotiz wert.

Liebe Grüße und vielen Dank für die Mühe
Set

 

Hallo Setnemides,

Ich muss wirklich sagen, dass du da eine tolle Geschichte geschrieben hast! Hab sie auch gleich an ein paar Freunde weiterempfohlen. *g*

Besonders das Ende gefällt mir. Du hast den "Ton" gut getroffen, die gesamte Schilderung ist sehr plastisch. "Zu Haus" sagt Wilhelm zu sich selbst, nicht zu seiner Frau, zwischen den beiden herrscht eine Distanz, die den Leser gleichzeitig befriedigt wie unbefriedigt. Sie lässt die Situation realistisch erscheinen und doch möchte ein jeder das "Happy End", die beiden sollen sich in die Arme fallen und endlich wieder glücklich sein düfen. So läuft das im Leben aber leider nicht. :(

Ich muss mich meinen Vorrednern allerdings anschließen, was den Anfang deines Textes betrifft. Er wirkt ein wenig philosophisch mit den "wandernden Sonnenstrahlen". Auch mir erschien der Einstieg langweilig. Mir persönlich wäre ein ruckartiger Einstieg lieber, ein herunterfallender Teller oder Ähnliches. Der Rest deiner Geschichte beschreibt ja eig. auch sehr profane Dinge wie die Arbeit auf dem Feld. Ich finde das würde ein bisschen besser in den Gesamtkontext deiner Erzählung passen. :)

Ansonsten habe ich die Geschichte aber wirklich sehr genossen,
vielen Dank für den Gaumenschmauß,
Ane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Selene,

solltest du irgendwie mehr Überraschung in das Wiedersehen einbauen (finde ich zumindest), sonst wirkt es irgendwie so flach und nicht so intensiv wie es vielleicht sein sollte.

Die übliche Weieresehensfreude mit Juchzen und um den Hals fallen steht hier nicht an; es ist gerade das Ziel der Geschichte, die Kraftlosigkeit und völlige seelische Überforderung zu zeigen. Die Intensität liegt in der Ruhe, erschließt sich nicht jedem aus dem Text. Im mündlichen Vortrag gibt es da logischerweise kein Problem; da läßt es sich rüberbringen. Ich weiß nicht, wie ich besser auf den Schlüsselsatz hinführen kann:

Geh schon vor, du kannst schon mal die Kartoffeln aufsetzen -

zu erklären, wie es nach so viel Entbehungen und langer Trennung zu dieser Begrüßung kommen konnte, war mein Ziel. Hierzu dient der ganze doppelte Vorspann, und die Begegnung mit

„Martha“, sagte er leise.
„Wilhelm“, antwortete sie.

Die soll die Unwirklichkeit zeigen, die dieser Augenblick nach so langem Leiden hat, die Unmöglichkeit, zu begreifen, daß der/die andere jetzt wirklich da ist. Das haben, zugegeben, nur wenige Leser aufgenommen.

Gruß Set

 

Hallo setnemides,

zunächst erstmal das, was mir beim Lesen aufgefallen ist:

Eine hatte ihren Mann wieder zurückbekommen, gleich nach Kriegsende.
Klingt ein wenig lieblos, als hätte sie einen Mantel zurück erhalten. Dieses "wieder zurückbekommen" ist die Formulierung, die mir misshagt.

Wie wäre es mit: Bei einer (oder einigen) war der Mann gleich nach Kriegsende wieder heimgekehrt (oder zurück gekehrt).

Die anderen Frauen hatten keine Männer mehr; sie waren alle gefallen.
Ich erwähne, auch wenn gewiss überflüssig, dass du meine Formulierungsvorschläge natürlich in Bausch und Bogen ausschlagen kannst, es sind nur aufrichtige Angebote, wie ich es formulieren würde und oft ist es Gefühls-und Geschmackssache.
Diesen Satz würde ich so formulieren: Die Männer der anderen Frauen waren alle gefallen.

Manchmal hatte Martha diese Frauen beneidet, wegen der Gewißheit.-
"Manchmal hatte" und jetzt? möchte man nun fragen? Dauert dieses Beneiden an? Wenn nicht, wieso ist es vorbei? Vielleicht willst du aber auch ausdrücken: Es gab Momente, in denen Martha diese Frauen beneidete, wegen der Gewissheit. Oder noch runder: Es gab Momente, in den Martha diese Frauen wegen der Gewissheit (um ihre Männer) beneidete.

Entzündungen und innere Schmerzen, verbunden mit Fieber, hatte er wochenlang gehabt.
Kann sein, dass du es extra so geschrieben hast, aber mich erinnert dieser Satzaufbau an meine Art zu diktieren, ich fange mit den wichtigsten Details an und versehe den Satz dann am Ende mit dem Verb im Grunde nur, damit er vollständig ist. ;)
Wie wäre es mit: Er hatte wochenlang Entündungen und innere Schmerzen, verbunden mit Fieber gehabt.


Gleich nach dem Schuß, als er mitten im Sturm zu Boden gesunken war, war er so froh gewesen, als er feststellte, daß er nach dem Treffer wieder aufstehen und laufen konnte.
Hör mal, ob dir dieser Satz ein wenig besser klingt: Gleich nach dem Schuß, als er mitten im Sturm zu Boden gesunken war und feststellte, trotzdem nach dem Treffer wieder aufstehen und laufen zu können, war er froh gewesen.

er lief zwischen den Soldaten herum und keiner beachtete ihn.
das hast du schon vorher gesagt, ich würde den Satz streichen.

Schließlich hat ihm einer etwas zugerufen, was er nicht verstand, und ihm mit dem Gewehr bedeutet, daß er vorausgehen solle.
Der Satz könnte etwas eingekürzt werden und zwar so: Schließlich hatte ihm einer etwas Unverständliches zugerufen und mit dem Gewehr bedeutet, dass er vorausgehen solle.

seinen Beutel über die Schulter zu nehmen
seinen Beutel zu schultern, oder seinen Beutel über die Schulter zu hängen.

ein anderer Passagier
passt hier wirklich das Wort "Passagier"? Wie wäre es mit : ein Mitreisender....

und er hätte sich auch nicht mehr getraut, auf ein Rad zu steigen.
wozu dieser Satz? Wenn kein Fahrrad da ist, dann wird er auch keinen Gedanken daran verschwenden, was er täte, wenn er eins hätte oder? Ich würde diesen Satz streichen.

Sein Humpeln wurde mit der Zeit stärker; er hatte nicht die Kraft, so zu gehen, als hätte er keine Schmerzen.
Klingt etwas holprig. Vielleicht so: Mit jedem Schritt humpelte er stärker, er hatte nicht die Kraft, die Schmerzen zu ignorieren.

die er immer bei sich trug.
Du würdest dem Satz mehr Kraft und Bedeutung geben, wenn du ihn solo stellst. "Er trug sie immer bei sich."
Ist doch wichtige Aussage. Zeigt, dass ihm an der Familie liegt. Wenn der Satz in dem großen Satz verbleibt, verwischt sich die Bedeutung finde ich.

Sein Haus hatte er schnell gefunden.
Der Satz passt nicht. Man fragt sich, musste er denn suchen?

Für einen Sekundenbruchteil
bitte nicht übertreiben. Eine Sekunde ist auch schon bannig kurz. Aber ein Bruchteil davon ist unglaubwürdig.

Dort neben der Tür zur Diele hing das Bild, auf dem er mit der Uniform zu sehen war.
Das mit der Uniform ist eine Wiederholung. Ich Leser habs nicht vergessen, was auf dem Foto zu sehen war. Du als Autor gewiss auch nicht. Ergo: wie wärs mit: Dort enben der Tür zur Diele hing sein Bild.

Zur Geschichte:

Eine ruhige Geschichte über einen Spätheimkehrer. Mir gefällt wie du, obwohl man ja schon durch den Titel weiß, was gleich passiert, trotzdem ein wenig Spannung ausbaust als sich das Paar bei den Rapsfeldern begegnet. Die Reaktion Marthas hat was. Und seine Reaktion am Ende auch. Und man hat, ohne, dass du viel weiter berichten musst, das feste Gefühl, die beiden gehören zusammen.
Mir hat diese schlichte Geschichte gefallen.

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Lakita,

danke, ich lasse es erst einmal sacken. Zum Teil benötige ich diese Holprigkeit in den Formulierungen, für mich drückt sie aus, wie dieser Mann denkt und wie er geht. In der Beschreibung von Martha bist Du ja scheinbar nicht so fündig geworden. Ich werde mal sehen, wie sich Deine Vorschläge mit einer etwas geradlinigen Gedankenführung anfühlen. Daß Du mir die Begegnung in den Rapsfeldern abnimmst, freut mich natürlich sehr; denn das ist ja das Thema der Geschichte.

Vielen Dank

Gruß Set

 

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