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Wiedersehen

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05.01.2010
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Wiedersehen

Wiedersehen

„Dein Enkel ist da.“, sagte eine tiefe Stimme.

„Was?!“

Sie dreht sich erstaunt um und eine Mischung aus Überraschung gepaart mit tiefer Traurigkeit und Enttäuschung spiegelt sich in ihren glänzenden, braunen Augen.

Sie hatte ihren Enkel seit Jahren nicht mehr gesehen; und das, obwohl sie ein solch inniges familiäres Verhältnis zueinander hatten, dass er eigentlich täglich bei ihr war… die Erinnerung daran liegt schon in weiter Ferne doch war sie immer noch stark genug, um durch den Nebel des Vergessens hervorzustechen.

Sie lebten einst alle unter einem Dach: Sie, ihr Sohn, die Schwiegertochter und deren beiden Kinder, ihre Enkelin und ihr Enkel, wobei ihr Enkel der Jüngste im Haus war.
Jung und alt, zwei Pole im Haus, die einfach zusammen gehörten. Einen Großteil der Kindheit hat er bei ihr verbracht, sei es mit Bauklötzen spielen, Hörspiele hören, Comics lesen, Fernsehen oder auch einfach nur das miteinander Reden. Er war wirklich sehr oft bei ihr.

Ganz unwillkürlich kommen ihr die Tränen und ihre Hände beginnen zu zittern.
„Er war doch noch nie hier. Warum kommt er gerade jetzt?“
Ein Engegefühl im Hals lässt ihr letztes Wort in einem fast heiseren Krächzen durch den Raum hallen.

Wie lange hatte sie auf seinen Besuch gewartet… so viele Jahre, doch er kam nicht. Die anfängliche Hoffnung wich mit der Zeit den Zweifeln.
Zeit wird ab einer gewissen Spanne dehnbar. Sie scheint nie konstant, sondern sich täglich zu verschieben, als würde sie kompakter, je länger sie andauert.

Jahre die sich früher nach Jahren anfühlten, fühlen sich plötzlich nur noch wie Monate an und plötzlich nur noch wie Wochen… die eigenen Zeichen der Zeit, Zeichen der Alterung werden dann nicht mehr wirklich wahrgenommen, sie scheinen nur ein Tropfen im See der Existenz zu sein, der für den kurzen Augenblick des Lebens ein verzerrtes, welliges Abbild der Energie, die uns ausmacht spiegeln.

Warum kommt er jetzt?
Nachdem sie einige Monate auf seinen Besuch wartete, begann sie sich Gedanken darum zu machen, ob sie etwas falsch gemacht hatte, ob sie ihn vielleicht doch zu sehr an sich gebunden hatte und er sich vielleicht eingeengt fühlte. Sie wollte doch niemandem zur Last fallen, das war nie ihre Absicht.
Sie wollte sich immer nur als ein Teil dessen fühlen, was die Familie zusammenhielt. Sie wollte ihren Beitrag dazu leisten können, sie wollte alles tun, nur nicht „unnütz“ werden.

Bei ihren letzten Begegnungen redete er kaum noch mit ihr... sie spürte instinktiv eine diffuse, nicht näher erklärbare Abneigung, die von seiner Seite aus ausging.

Vielleicht wurde sie doch zur Last und er wollte ihr das nicht sagen? Sie wusste es nicht.
Aber es tat weh, die Unwissenheit ertragen zu müssen. Es war sogar noch schlimmer, als es genauer zu wissen.

Ungewissheit ist wie eine kleine juckende Stelle, die man zunächst kaum wahrnimmt, die einen aber jeden Tag nervöser macht, je länger man sie wahrnimmt. Und man kratzt und kratzt, doch die juckende Stelle wird nur wund und es kommt keine Besserung… es kommt nur Blut.

Keine Besserung.

Und jetzt ist er da.

Und sie weiß nicht mehr, ob sie jetzt, wo sie sich jahrelang gezwungen fühlte, sich an diese Ungewissheit zu gewöhnen, mit dieser Wunde zu leben, ob sie jetzt wirklich dazu in der Lage ist, einer Veränderung dieses Gefühls standzuhalten. Veränderung bringt Mauern zu Fall, Veränderung baut neue auf, Veränderung bringt Fortschritt aber manchmal auch einfach nichts weiter als den Tod.

„Willst du ihn sehen?“
Die tiefe Männerstimme scheint von überall her zu kommen.

Sie hat den Blick – in ihre Gedanken verloren – auf den Boden gerichtet und blickt jetzt auf.
Sie befindet sich in einem weißen, kahlen, Raum. Er ist von Licht durchflutet, so dass man die Wände nicht wahrnimmt, es ist als würde Licht mit weiß, weiß mit Licht verschmelzen und den Raum zur Unendlichkeit weiten.

Die klinkenlose Tür öffnet sich einen Spalt und Dunkelheit kriecht wie ein ungebetener Gast herein.
Durch die Helligkeit wirkt der Schatten noch schwärzer als schwarz. Er wirkt wie Tinte, die alles Licht ertränkt. Er wirkt wie ein Loch, in das man sich stürzen kann… und diese Versuchung ist sehr groß. Der Spalt wird größer, so dass man hindurchpasst.

Sie steht da. Ihre Hände zittern, ihre Augen glänzen jetzt nicht nur, sondern Tränen tropfen auf den weißen Boden… wieder ein Tropfen im See der Existenz, denkt sie zusammenhanglos.

Einen Moment noch lädt die offene Tür sie dazu ein, hindurchzugehen und dann beginnt sie sich wieder langsam zu schließen. Die Schwärze, die eben noch den Raum zu verschlucken drohte, wich wieder dem gleißenden Licht, welches alle Grenzen und Konturen grenzenlos und konturlos machte.

Das löst ihre Blockade und sie bewegt sich mit weichen Knien auf die Tür zu.
Sie schiebt eine Hand zwischen Licht und Dunkelheit und verhindert so das Schließen der Tür.

Sie geht hindurch.

*

Oma war cool, selbst als Teenager konnte er das voller Selbstbewusstsein verkünden, ohne von seinen Kumpels deswegen ausgelacht zu werden. Denn jeder, der seine Oma kennen lernte, konnte es bestätigen: Sie war cool.

Sie hat nie mit dem moralischen Zeigefinger die alte „Früher-war-alles-besser“-Leier verkündet, als wäre es die Offenbarung.

Wenn er sie über „Früher“ befragte, gab sie ihm natürlich Antwort, und sie gab ihm auch ihre Meinung zu verstehen, versuchte aber nie, ihn zu einer solchen Meinung zu drängen.

Sie erkannte wohl schon sehr früh, dass die Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft in den Händen der jungen Generation stand und sie versuchte stets, ihn dabei zu unterstützen, zu einer Persönlichkeit heran zu wachsen, der diese Verantwortung der Zukunft gepaart mit den Werten der Vergangenheit zu übernehmen können würde.

Und dabei stärkte sie ihn stets und verurteilte ihn nie.
Er hat auch niemals das Gefühl gehabt, dass es möglich sein könnte, irgendwann eine Zeit ohne sie zu erleben. Sie war einfach immer da.

Und sie hat immer zugehört und nie gesagt, dass sie gerade keine Zeit hatte.

Und sie hatte ihm nie das Gefühl vermittelt, ihm nicht richtig zuzuhören.
Sie hat nicht immer alles für gut befunden, was er sich in der Jugend geleistet hatte, aber sie gab immer klar zu verstehen, dass sie ihn unterstützte wo sie nur konnte.

Selbstlos war sie.... sie war der Inbegriff der Selbstlosigkeit... so wie er sich selbst immer wünschte zu werden, wenn er alt würde.

Und jetzt? Er fühlt sich jetzt nicht mehr selbstlos. Er fühlte sich Egoistisch und schwach. Er hat sie im Stich gelassen, hat sie alleine gelassen.

Dabei war eigentlich das das Einzige gewesen, was sie niemals wollte: Sie wollte niemandem zur Last fallen, weil sie Angst hatte... Angst davor, dass man sie dann alleine lassen könnte.

Und jetzt steht er da... in der Dunkelheit und wartet auf das Wiedersehen.
Jetzt hat er Angst. Angst davor, doch abgelehnt zu werden, weil er es jetzt wagt aufzutauchen.

Die Tür öffnet sich. Gleißendes Licht erfüllt die Dunkelheit und blendet seine von dunklen Augenringen verzierten braunen Augen und lässt seine blasse haut noch bleicher wirken.

So ist das also.... wie klischeehaft, denkt er.

Die Tür wirkt einladend, ihn aus der Dunkelheit zu führen, doch wagt er es nicht, einen Schritt vor den nächsten zu setzen. Zu viel Ungewissheit wieder. Zu viele Fragen, zu viele Zweifel.
Die Tür beginnt sich langsam wieder zu schließen.
Er bleibt resignierend stehen, er fühlt Scham und bittere Traurigkeit in sich und fühlt wie die Dunkelheit wieder Besitz von ihm zu ergreifen droht.

Doch bevor die Tür sich wieder schließt, sieht er sie...ihre Hand und wieder füllen sich seine Augen mit heißen Tränen, die er jahrelang zurückhielt. Er wollte sie nur noch fließen lassen.

*

„Warum bist du hier?“

Enttäuschung.

„Sollte ich nicht?“

Das erste Mal so etwas in ihr zu erkennen, das Wut gleich kam. Das kannte er nicht von ihr.

„Nein, das solltest du NICHT, verdammt! Warum jetzt!? Und warum auf diese Art?“

Er lässt den Kopf hängen.

„Ich wollte dir sagen, dass es mir leid tut.“

„Was?“

„Dass ich nie da war.“

Schweigen.

Er erwartet, dass sie ihm Zuspruch gibt.

Sie schüttelt nur den Kopf.

„Du hättest nicht herkommen sollen.“

„Warum nicht?“

„Sieh dich an.“

Sie greift seine beiden Arme und ihre Hände fühlen sich seltsamerweise immer noch warm an.

Er sieht sich an.

Seine Haut ist blasser denn je, das stimmt, doch er erschrickt, als er seine Arme betrachtet.
Wie kleine Kabelstränge klaffen seine Pulsadern aus den Wunden an seinen Unterarmen, kleine Rinnsale geronnen Blutes haben in kastanienbraunen Farbtönen ihr makaberes Kunstwerk hinterlassen.

Ihre Augen sind glasig und tränenerfüllt.

„Mal eine Blume, eine kleine Grabpflege, so wie du es immer versprochen hast, das hätte doch schon gereicht... aber warum DAS?!“

Das letzte Wort bricht in einem Weinkrampf ab.

„Ich wollte... ich wollte doch... aber dann.... und es kam immer etwas dazwischen... ich... ich....“
Er sackt zusammen auf die Knie.
Er schüttelt langsam den Kopf.

„Ich konnte es einfach nicht.“
Das war es.
Ohne Schnörkel.
Ohne Zweifel.
Er konnte es nicht.

Zwei Seelen gefangen zwischen Dunkel und Licht
Gebrochener Stolz, demütig fromm
Trennung durch Jahre, durch Hast ohne Zeit
So stehen sie zwischen den Welten zu zweit
Bis endlich das törichte Schweigen zerbricht
Durch ihr einzelnes Wort: „Komm.“

 

Das ist meine erste Geschichte, daher bitte nicht zu hart mit der Kritik, aber ich bin dennoch daran interessiert, zukünftig Fehler zu vermeiden, daher würde mich schon interessieren was ihr davon haltet. Besten Dank.

 

Hallo Zenni!
Gleich mal zu Beginn: Deine Sprache gefällt mir außerordentlich gut!! Die Stimmung, die du in deiner Kurzgeschichte vermittelst, hat mich echt gefesselt!
Ich weiß, eigentlich bring Kritik mehr, da man dann gezwungen ist, an sich zu arbeiten, um etwas BESSER zu machen, aber Zenni: ich habe keinen Kritikpunkt, sorry! :-)
Mir hat die Geschichte wirklich gut gefallen!! Freu mich schon, mehr von Dir zu lesen!
Lg,
lamet

 

Hallo lamet2010,

dankeschön für das Lob, ich hab noch ein paar andere kleine Geschichten, auch wenn ich sonst eher Gedichte schreib.

 

Hallo Zenni,

und herzlich willkommen hier. Seltsamerweise wählen viele hier für ihre erste Geschichte das Thema Selbstmord, insofern ist es ziemlich ausgelutscht und wird wahrscheinlich nicht unbedingt zu positiven Kritiken verleiten. Wie dem auch sei, mir bleibt vor allem das Motiv deiner Figur viel zu schwach. Warum Selbstmord? Weil der Enkel sich nicht um das Grab seiner Oma gekümmert hat? Das allein ist mMn kein Motiv, zumindest kein ausreichendes. Hier müsstest du viel mehr an Hintergrundinformationen einbringen. Es kommt so ein ganz kleines bisschen durch, dass der Enkel sich dafür schämt, sich umgebracht zu haben. Es wird also vermutlich andere Gründe dafür gegeben haben, aber darauf gehst du nicht ein. Genau hier liegt das Problem: Ich kann nicht mit einer Figur mitfühlen, die ich nicht kennen gelernt habe, sprich, die du nicht oder nur kaum charakterisiert hast. Hieran müsstest du arbeiten und die Motive stärker darlegen.
Dein Bild mit der Dunkelheit und dem Licht funktioniert für mich auch nicht so richtig.

Die klinkenlose Tür öffnet sich einen Spalt und Dunkelheit kriecht wie ein ungebetener Gast herein. Durch die Helligkeit wirkt der Schatten noch schwärzer als schwarz.
Dunkelheit kann nicht in einen hell erleuchteten Raum kriechen, und schwärzer als schwarz gibt es auch nicht.

Formal wirbelst du die Zeiten häufig durcheinander. Hier ein Beispiel dafür:

Sie hatte ihren Enkel seit Jahren nicht mehr gesehen; und das, obwohl sie ein solch inniges familiäres Verhältnis zueinander hatten, dass er eigentlich täglich bei ihr war… die Erinnerung daran liegt schon in weiter Ferne doch war sie immer noch stark genug, um durch den Nebel des Vergessens hervorzustechen.
Sorry, aber der ganze Satz ist krumm. Ich würde ihn aufteilen und komplett in die Vorvergangenheit setzen. Davon hast du noch mehr im Text. Diese häufigen Zeitenwechsel sind nicht nur falsch, sie reißen einen auch aus dem Lesefluss.

Das ist meine erste Geschichte, daher bitte nicht zu hart mit der Kritik, aber ich bin dennoch daran interessiert, zukünftig Fehler zu vermeiden, daher würde mich schon interessieren was ihr davon haltet.
Ich hoffe, ich habe mit meiner Kritik nicht zu hart zugeschlagen, aber Kuschelkritiken helfen dir nicht weiter. Fehler sind dazu da, um gemacht zu werden, und um daraus zu lernen.

Lieben Gruß,
Stefan

 

Hallo Stefan,
dankeschön für deine Rückmeldung.

Der Grund für den Selbstmord sollte tatsächlich offen sein - zumindest war das so meine Intention, Ich wollte da gar nicht zu sehr Klischees bedienen... wenn das auf den Leser nicht wirkt, dann muss ich mir natürlich darüber Gedanken machen wie ich das zukünftig besser machen kann.

Die Scham bezüglich des Selbstmordes hast du richtig erkannt, das sollte auch mitschwingen... vor allem sollte es die Gegensätzlichkeit der beiden verdeutlichen... die Oma, die sehr lebensbejahend war und der Enkel der sich aus den Problemen des Lebens letztlich davongestohlen hat.

Das mit der Dunkelheit... hmm das war eigentlich genau so beabsichtigt... gerade wegen dieser Unmöglichkeit wollte ich das Jenseits in einer surrealen Form skizzieren... dass es phsyikalisch und optisch so nicht möglich ist, weiß ich.

Den Schuh mit dem Tempus den zieh ich mir hingegen an. :-) Da hapert es tatsächlich noch etwas.

Habe auf jeden Fall ein paar Impulse zum Nachdenken und Überarbeiten bekommen.

Danke :-)

 

Hallo Zenni,

und herzlich willkommen auf KG.de.

Ich habe deine Geshichte jetzt 2 x gelesen. Allerdings muss ich dir sagen, dass sie mich nicht vom Hocker reißt. Wie schon gesagt, das Thema Selbstmord ist schon etwas ausgelutscht und du fügst ihm nichts Neues hinzu.
Dazu kommt, das du eine fast lyrische Sprache benutz, die aber nicht wirklich zum jeweiligen Aspekt der Geschichte passt. Ausserdem sind manche Beschreibungen recht irreführend. Etwa hier:

Sie dreht sich erstaunt um und eine Mischung aus Überraschung gepaart mit tiefer Traurigkeit und Enttäuschung spiegelt sich in ihren glänzenden, braunen Augen.
Du beschreibst eine junge Frau, vielleicht bei ihrem ersten Date, nicht aber eine überraschte, traurige alte Frau. Sie ist eine Großmutter, kein junges Ding.

Einige andere Dinge hat Stefan S schon angesprochen. Ich möchte sie hier nicht wiederholen. Aber recht hat er.

So, dass war vielleicht etwas heftig. Aber ich glaube, wenn ich mir einzelne Sätze und Bilder in deiner Geschichte betrachte, dass du durchaus sehr gute Geschhichten mit starken Bilder erzählen kannst. Dein Sprachstil würde mir z.B. bei einer Liebesgeschichte im Fantasybereich recht gut gefallen.

lg
Dave

 

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