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Die Corona-Krise und damit verbundene Quarantäne macht vielen Menschen zu schaffen. Besonders Menschen mit psychischen Erkrankungen sind stark betroffen.
Diese Kurzgeschichte ist ein Versuch das Innenleben einer depressiven Protagonistin zu schildern. Gibt es vielleicht noch andere Erkrankungen, die man in ihren Denkmustern erkennen könnte? Ist Wilbert ein Hirngespinst, auf das sie ihre Symptome projiziert oder ein realer Begleiter, neben dem sie sich nicht wie eine Versagerin vorkommt? Auch ich weiß es nicht...
Wilbert, die Lederwanze
Ich glaube er wusste, dass ich einsam bin. Schon lange hatte ich mir ein Haustier gewünscht und plötzlich war er da, in meinem Badezimmer. Mit einem Tropfen aus der Dusche taufte ich ihn auf den Namen Wilbert. Wir beschlossen, dass die Feier nur im engsten Familienkreis stattfinden soll, wir sind beide introvertiert. Wilbert ist eine Lederwanze. Er mag das Badezimmer und versteckt sich oft hinter der Klobürste, wobei ich mich frage, warum er sich zu der schmutzigsten Sache des Hauses hingezogen fühlt.
Er hat angerufen und gesagt, dass er mich zwar immer noch liebt, aber das alles nicht mehr kann. Ich habe nur “Okay” gesagt und aufgelegt. Danach habe ich Wilbert Grünzeug von draußen zum Fressen gegeben, aber er isst nicht. Er schläft auch nicht, er liegt den ganzen Tag nur da. Wenn ich sehe, dass er sich innerhalb der letzten drei Stunden nicht bewegt hat, geht es mir schon ein bisschen besser. Ich habe ein Blatt Toilettenpapier als Transportmittel zurechtgelegt für den Fall, dass er ins Krankenhaus muss, wenn es ihm noch schlechter geht.
Maria wollte sich treffen, aber ich habe gesagt, dass ich mich um mein neues Haustier kümmern muss, das konnte sie nicht verstehen. In Wirklichkeit hasst sie mich, sie ruft nur aus Pflichtgefühl an. Wilbert ist anders, er ist ein treuer Begleiter.
Meine Mutter kommt vorbei. Sie fängt an meine Wohnung aufzuräumen und erzählt mir von dem Streit der Nachbarn, ihren neuen Kunden bei der Fußpflege und Papas Elektrofahrrad. Ich verstehe nur die Hälfte. Während der ganzen Zeit überlege ich nur, wie ich Wilbert dazu bringen kann zu essen. Sie meint, dass ich mein Leben auf die Reihe bekommen soll und Sport treiben müsse. “Es wäre doch schön, wenn du wieder eine gute Stelle findest”, ist ihr letzter Satz, bevor sie geht. Vollkommen erschöpft lege ich mich wieder ins Bett. Es ist Nachmittag und ich bin froh, dass Wilbert auch nichts anderes zu tun hat als auf seinem Blatt zu sitzen. Stunden vergehen, ich will verschwinden, langsam und leise. Und das tue ich auch bis ich bemerke, dass Wilbert tot auf seinem Blatt liegt.