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Wo ist sie denn, die Emanzipation?

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30.09.2002
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Wo ist sie denn, die Emanzipation?

Meine Tante Herma ist ein sonderbarer Mensch, was nicht alleinig auf der Tatsache beruht, dass sie eine Frau ist. Ihr größtes Problem ist die Sprunghaftigkeit, die ihr Leben wie ein roter Faden durchzieht.
Mit elf Jahren wurde sie zum überzeugten Vegetarier, nur um zwei Jahre später keiner Fleischspeise mehr entrinnen zu können und wollen.
Gerade in der Pubertät verbrachte sie die Nacht meist unter fremden Laken in fremden Betten mit fremdem Menschen, kaum ein Jahr später jedoch verabschiedete sie sich, angeblich für immer, in die Keuschheit eines katholischen Klosters in den Schweizer Bergen - Tante Herma kam zurück. Im Gepäck den absurden Traum, die Welt zu umrunden. Man ahnt es bereits. Die Reise endete damit, dass sie sich bereits am nächsten Bahnhof in ein Café setzte und umzukehren beschloss.
Auf diese Weise setzte sich ihre Inkonsequenz konsequent fort. Mittlerweile ist sie 37, äußerst hübsch – mein Vater versuchte bereits zum Ärgernis meiner Mutter zarte Bande zu knüpfen – und umsorgt als eifrige Hausfrau ihren Freund..
Gestern stattete sie uns mal wieder einen Besuch ab – und wartete mit einer neuen Manie ihres Lebens auf, die sie mir in epischer Bandbreite in meinem Zimmer darlegte.
»Du kannst dich glücklich fühlen«, meinte sie und schaute mich mit funkelnden Augen an.
»Tatsächlich«, erwiderte ich cool, »du willst das Land verlassen?«
Für solche Scherze hatte sie nur einen verwirrten Blick übrig.
»Nein, du bist der erste, dem ich mitteile, dass ich ein neues Leben beginnen werde.«
»Mmm, lass mich mal scharf nachdenken. Wie oft sagtest du das bereits? Ein Dutzend Mal, fünfzig Mal? Eine Millionen Mal? Ich bin mir da nicht sicher.«
Ihr Enthusiasmus ließ sich auch durch sarkastische Nadelstiche meinerseits nicht vertreiben.
»Nein, diesmal ist es endgültig. Für immer. Forever.«
»Ist ja gut«, versuchte ich sie zu beruhigen, »ich weiß, dass du einiger Fremdsprachen mächtig bist. Welchen Floh hat man dir denn diesmal ins Ohr gesetzt? Willst du den Mount Everest erklimmen oder ein Iglu am Nordpol bauen?«
»Spotte du nur«, meinte sie und rieb mir ein Buch unter die Nase, das sie eben aus der Handtasche gefischt hatte.
»In 10 Tagen emanzipiert«, las ich. »Moment Mal! Emanzipiert? Nennen sich so nicht Frauen, die auf Teufel komm raus Teufel sein wollen, Männer willkürlich von der Bettkante stoßen und 40 Stunden in der Woche schuften, nur um sich nicht um die von ihnen in die Welt gesetzten Kindern kümmern zu müssen?«
»Was sagtest du, ich habe dich nicht ganz verstanden?«
»Aha, schon auf dem Trip. Spott vom männlichen Geschlecht wird emanzipiert überhört. Respekt! Und wie soll deine Zukunft jetzt aussehen? Fitnessklub? Politische Karriere? Ein Domina-Studio, um Männer reihenweise in Lack und Leder zu erniedrigen?«
»Nun ja, von meinem Freund habe ich mich bereits getrennt.«
»Wieso das denn?«, fragte ich wenig überrascht. Meine Tante Herma ist ein Unikat des blanken Unsinns. Bei jedem ihrer Besuche wird mir bewusst, was Gene, falsch kombiniert, so alles anrichten können. Auf die rapide Abnahme der Ozonschicht allein kann ihr Zustand kaum zurückzuführen sein.
»Nun ja, in diesem Buch lautet die erste Anweisung: Setzen sie der Männerwelt ein Zeichen! Diesem Ratschlag bin ich gefolgt und habe Erwin mit seinen Siebensachen aus meiner Wohnung geworfen.«
»Hast du ihn vielleicht noch vorher kastriert? Als Zeichen an die Männerwelt: Hallo, hier bin ich! Ich bin emanzipiert.«
»Der Spott in deiner Stimme ist unverkennbar, aber du wirst dich noch wundern.«
Sie runzelte kurz die Stirn.
»Pass auf, wir schließen eine Wette ab.«
Ich wurde hellhörig. Mir bot sich eine Gelegenheit leicht Geld zu verdienen.
»Ich komme jetzt jeden Abend hier vorbei und du kannst dich selbst davon überzeugen, dass ich jeden Tag ein bisschen emanzipierter werde. Sollte ich jedoch innerhalb der nächsten 30 Tage wieder in alte Gewohnheiten zurückfallen, darfst du die Tochter meiner Untermieterin ausführen. Geschieht dies nicht, wirst du einen Monat lang mein Caddy beim Golf werden.«
Golf? Seit wann spielte meine Tante Golf?
»Machen sie etwas, dass dem Klischee der Frau widerspricht, meint das Buch« interpretierte sie korrekt meinen fragenden Gesichtsausdruck, »und Golf gilt ja nicht unbedingt als Frauendomäne, oder? Also, was sagst du zu meinem Angebot?«
Die Wette reizte mich schon. Zwar lockte kein Geld, dafür aber das schönste Mädchen diesseits der westlichen Hemisphäre, wie auch immer meine Tante Herma sie zu einem Date mit meiner Wenigkeit überreden wollte. Andererseits? Einen Monat lang Schläger schleppen und Bälle einsammeln? Für eine Verrückte?! Obwohl, wenn ich mich recht entsinne, meine Tante bliebt selten einer Sportart länger als zwei Wochen treu. Vielleicht segelte sie bereits Morgen mit einem Flugzeug durch die Lüfte. Und das Fliegen versteht sich ja bestens darauf, ohne Bälle und Schläger zu funktionieren.
»Also gut, ich bin dabei. Möge der Bessere gewinnen.«
Demonstrativ räusperte sie sich.
»Oder die bessere. Verzeihung Frau Emanzipationsministerin.«

Am nächsten Tag erschien meine sonst so aufreizend gekleidete Tante Herma in einem Hosenanzug.
»Nieder mit der Diktatur der Miniröcke und weiten Dekolletés«, rief sie, »Frauen aller Länder, vereinigt euch.«
»Aha. Man merke sich. Keine Emanzipation funktioniert ohne Hosenanzug. Ich bin gespannt, womit du mich Morgen überraschen wirst. Ach übrigens, du solltest davon absehen Geistesblitze eines kommunistischen Utopisten zu verschandeln.«

Mit einer blauen Perücke suchte sie mich am nächsten Tag heim. Wirklich, zu komisch! Wollte sie beim Fasching auftreten?
»Lassen sie ihre alte, vom Manne unterdrückte Persönlichkeit zurück«, erklärt sie, »so steht es in dem Buch. Und ich muss sagen: Unter der Perücke fühle ich mich direkt viel besser.«
»Und wahnsinnig emanzipiert sicherlich auch. Nun ja, deine geistigen Wirrungen scheinen diesmal länger Bestand zu haben.«
»Und mein Handicap habe ich deutlich verbessert. Es sieht nicht so aus, als müsse ich die Schläger noch lange alleine schleppen.«
»Freue dich nicht zu früh, oder hast du bisher etwas geleistet, außer dein Äußeres unkonventionell zu gestalten?«

Zwei Tage später stolzierte sie mit hocherhobenem Kopf in mein Zimmer und empfand es nicht für nötig, Platz zu nehmen.
»Ich bin nur kurz vorbeigekommen, um zu sagen, dass ich mit meiner Freundin ein Bordell nur für Frauen eröffnen werde. Das Leben als Hausfrau war mir leidig.«
»Frauenbordell? Sehr emanzipiert. Wirklich.«
Ihr Flachhirn war unübertroffen im Viertel. Sie stellte es nur allzu oft unter Beweis.
»Hör lieber auf mit deinen Witzen und trainiere schon mal fürs Schlägertragen, die Dinger sind nicht gerade leicht.«

Drei Tage darauf ächzte das Bett seltsam schwer und an der Taille meiner Tante Herma konnte ich erste Speckrollen ausmachen.
»Gehört das auch zu deiner Emanzipation?«
Ich deutete auf ihre Pölsterchen.
»Und ob. In dem Buch steht, man solle nicht für einen Mann abnehmen, sondern für sich essen. Und genau diesen Rat befolge ich. Ich esse für mich, ich lebe für dich, äh mich!«
»Ich dachte, du hasst Speckröllchen? Du weißt, dass die Männer dir dann nicht mehr hinterher pfeifen.«
»Ach die Männer! Das war früher. Wie oft soll ich dir denn das noch erklären: Das ist der Beginn meines neuen Lebens. Und da haben Männer erst einmal keinen Platz.«
Sie schien genervt. Vielleicht von mir? Vielleicht war es auch der Zwang der Emanzipation? Wer weiß das schon so genau.

Weitere 14 Tage vergingen und meine Tante nahm weiter an Gewicht zu, eröffnete das Bordell, furzte höchst unabhängig und unanständig in Kinos und öffentlichen Einrichtungen, las mir eine Liste von Schimpfwörtern zu, die eine emanzipierte Frau unbedingt beherrschen sollte (Im Kampf gegen die Diktatur der Männerschaft. Jawohl!), stellte das Autoradio auf Endstufe, fasste sich in abartiger Regelmäßigkeit in den Schritt, klaute Männern die Parklücke, setzte mit ihrem Kampf gegen Zellulitis und Krähenfüße aus und trank massenweise Bier. Aus der Flasche natürlich.

»Nun, Sebastian, es scheint, du wirst deine Wette verlieren. Es tut mir wirklich leid, dass du bei dieser Hitze Golfschläger schleppen musst. Nicht, dass du dich noch überanstrengst, mein kleines Kerlchen oder sollte ich dich Lieblings-Caddy nennen?«
Die fortgeschrittene Emanzipation schien ihr neues Selbstvertrauen gegeben zu haben. Mich störte das nicht im geringsten.
»Tantchen, sei dir deiner Sache nicht zu sicher, dann ist die Enttäuschung hinterher nicht so groß, und kümmere dich lieber schon mal um das Date mit Marie.«
»Das arme Kind wird nie deine Bekanntschaft machen müssen. Ich will ihr nicht die Utopie nehmen, Jungen seien höflich, intelligent und gutaussehend.«
Sie hätte Kanonier bei der Armee werden sollen.
»Kompliment, Tantchen, doch gebe ich wenigstens zu, nicht höflich, intelligent und gutaussehend zu sein.«
Sie honorierte meinen Witz mit einem mitleidigem Lachen und verließ mein Zimmer.

Zwei Tage später wendete sich das Blatt. Als ich ihr Auto hörte, vermisste ich das laute Musizieren aus dem Radio und als meine Tante das Zimmer betrat, verzichtete sie auf ihr Begrüßungsrülpsen.
»Was ist denn mit dir los, sehe ich da etwa erste Ablätterungserscheinungen?« fragte ich schadenfroh.
»Schwachsinn! Ich habe lediglich aus Gründen der Höflichkeit einen Gang zurückgeschaltet.«
»Aha, so nennst du das. Einen Gang zurückschalten. Gib es zu, du hast einen Mann kennengelernt?«
Sie druckste etwas herum, kam dann aber doch nicht umhin, mir ein Geständnis zu machen: »Okay, er heißt Paul und ist ein netter Kerl. Nein, vielmehr, er ist so süß!«
Sie begann zu schwelgen.
»Aber er wird meine Pläne nicht durchkreuzen«, meinte sie entschlossen.
Ich sah, dass sie schwächelte und stieß zu.
»Natürlich nicht. Wie du es bisher bei jedem deiner Liebschaften praktiziert hast.«
Für einen Kerl hatte sie sogar Japanisch gelernt, einem anderen zuliebe die Ehefrau überfahren (Ihr Zustand ist weiterhin kritisch. Sie liegt seit drei Jahren im Koma.) Ich glaube, sie hätte sich sogar eine dritte Brust annähen lassen.
Ich sah Marie in einem betörenden Kleidchen bereits vor mir tanzen.

Am nächsten Tag verzeichnete ich erste Gewichtsverluste an Bauch und Beinen und auch ihr Gesicht wirkte wieder sonderlich auffällig geschminkt. Doch ersparte ich mir jeglichen Kommentar, wollte ich Tante Herma doch nicht dazu anstacheln, ihr Emanzipationsvorhaben wieder anzugehen.
»Denke nicht, dass du gewinnst«, versicherte sie, »ich habe alles im Griff. Er ist so sü...ich geh dann mal wieder.«

Am Abend darauf wies sie erste Anzeichen von wirklicher Schlankheit auf. Die blaue Perücke ragte aus ihrer Handtasche.
»Ich dachte, ich lasse sie heute mal ab. Auf Dauer wirkt das schon albern.«
Ich grinste.
»Und übrigens: Mit Paul hat das nichts zu tun. Er lässt mir meinen Freiraum. Jedenfalls meistens.«
Ich grinste und wählte bereits die Kleidung für mein Rendezvous.

Zwei Tage später gestand mir Tante Herma, ihren Job aufgeben zu haben und ihr Leben wieder mehr in der Küche stattfinden zu lassen. Sie war wieder schlank, trug moderne, knappe Kleidung und unterließ jedes Vergehen bezüglich gesellschaftlicher Konventionen.
»Es ist noch nicht verloren«, hechelte sie erschöpft und ich warf ihr einen mitleidigen Blick zu, »und nochmals sei versichert: Paul hat da nicht die Hände im Spiel. Ich bin emanzipiert.«
»Hat das je irgendwer ernsthaft bestritten?«

Drei Tage später – es war nun die Zeit gekommen, unsere Wette zu beenden und wir trafen uns zu einem abschließenden Treffen in meinem Zimmer.
»Ich habe nicht viel Zeit, Paul hat mir nur fünf Minuten gegeben«, meinte sie sichtlich niedergeschlagen und entfernte einen Flusen von ihrem schwarzen Minikleid, das sich elegant an ihren jungen Körper schmiegte.
»Soso, er gibt dir nicht mehr Zeit. Wo müsst ihr denn hin?«
»Er hat für mich zwei Wochen Schönheitsfarm in Südfrankreich gebucht und ich muss noch meine Koffer packen.«

Natürlich gewann ich meine Wette, was sie jedoch nur leise brummelnd zugab. Paul lasse ich meinen größten Dank zukommen. Tante Herma hatte sich furchtbar in ihn verliebt und war ihm mehr oder wenige hörig.
Ich warte nun voller Freude auf meine Verabredung mit Marie. Meine Mutter meinte kürzlich, ich sehe wirklich entzückend aus in meinem Anzug und obwohl Mütter meistens falsche Einschätzungen abgeben, muss ich ihr diesmal recht geben. Ich sehe wirklich entzückend aus.
Übrigens – Tante Herma hat mir eine Ansichtskarte geschrieben: Sie werde noch zwei Wochen länger auf der Schönheitsfarm bleiben und anschließend kosmetische Korrekturen an Gesicht und Bauch vornehmen lassen. Es scheint, sie hat ihren Platz in der Gesellschaft nach langem Ringen gefunden.

 

Hi Sebastian Dalkowski,
und wenn sie nicht gestorben ist, dann ist sie noch immer auf der Schönheitsfarm. Da hast du eher die lauwarme Karikatur einer durchgeknallten Tante geschaffen, der nur der "richtige" Paul gefehlt hat.
Ziemlich durchsichtiges Neffengedöns, geeignet zum Schenkelklopfen und Totlachen auf Frauenkosten. Das funktioniert an den Stammtischen der MGVs und anderswo. Viel Spaß dabei.
Grüße von Emma

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Sebastian Dalkowski,
nu aber mal halblang!
Du hast was geschrieben, und ich habe kundgetan, wie es auf mich wirkt.
Worüber ich lache, in einem anderen Leben, beim Lesen einer anderen Geschichte, ist an dieser Stelle offtopic.
Also noch mal von vorne.
Tante Halma ist auf der Suche: Das kann ich verstehen. Die Notausgänge (Schönheitsfarm und ein Paul) finde ich platt. Manche sagen auch Klischee dazu.
Und wenn ich noch weiter überlege, dann ist Helma vielleicht, da sie sich mit einer Schönheitsfarm und einem Paul zufrieden gibt, genau so dämlich wie ihr "cooler" Neffe, dann liegt's vielleicht in der Familie. So was soll es auch geben. Dann wäre deine Geschichte sozusagen eine familiäre Realsatire. Und ich habe es nicht gemerkt! Und nicht mal gelacht! So eine Gemeinheit!
Grüße von Emma

 

Hi Existence,
natürlich bin ich unfair und voreingenommen: Typen wie Tante Herma stehen mir nicht besonders nahe und coole Neffen finde ich gar nicht cool.
Ich habe nicht den Stil oder das Niveau der Geschichte kritisiert, die sind ok. Sonst hätte ich sie gar nicht bis zum Ende gelesen.
Grüße von Emma

 

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