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Woher einen Tannenbaum nehmen und nicht stehlen

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10.12.2003
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Woher einen Tannenbaum nehmen und nicht stehlen

Margarete schaut auf ihre Armbanduhr. Noch fünf Stunden bis ihre Eltern kommen. Jetzt könnte Erich endlich mal den Weihnachtsbaum aufstellen.
„Erich!“ ruft sie nach ihrem Mann. Wo ist er nur? Sie läuft durch das Haus.
„Erich?“ versucht sie es noch einmal. Hat sie da nicht eben etwas gehört? Die Kellertür steht weit offen. Sie steckt den Kopf durch die Tür und ruft noch einmal laut nach ihrem Mann.
„Ja Schatz, was ist denn?“ antwortet dieser aus den Tiefen des Kellers.
„Stellst du bitte den Weihnachtsbaum auf damit wir ihn schmücken können?“
Unten im Keller wird Erich siedend heiß zumute. Der Weihnachtsbaum! Jetzt wusste er endlich was er die ganze Zeit vergessen hatte.
„Ja, weißt du, ich, ähm, hm“, Erich steigt die Treppe hinauf.
„Ich habe den Baum noch gar nicht gekauft.“
„Was?“ Margarete entgleiten sämtliche Gesichtszüge.
„Es ist ja noch genügend Zeit bis zur Bescherung. Ich fahre gleich los“, versucht Erich seine Frau zu beruhigen. Dabei müsste er zunächst einmal sich selbst beruhigen, aber das gibt er natürlich nicht zu. Er weiß wie schwer es ist am Heiligabend noch einen Weihnachtsbaum aufzutreiben.
Zerstreut sucht Erich nach dem Autoschlüssel und sprintet dann zur Garage. Zuerst wird er es in der Stadt versuchen. Verzweifelt sucht er einen Parkplatz. Doch diese sind alle von Leuten besetzt, die ebenfalls noch letzte Weihnachtsbesorgungen erledigen. Endlich entdeckt er ein wegfahrendes Auto und rast zu dem freiwerdenden Parkplatz bevor ihn jemand anderes sieht. Er hetzt zu der Stelle, an der er gestern einen großen Stand mit vielen Weihnachtsbäumen gesehen hat. Schöne Exemplare waren das gewesen. Ein Traum für jede Weihnachtsstube. Als er dort ankommt, sieht er jedoch nur eine schäbige Holzwand, an der gestern noch die prachtvollen Weihnachtsbäume gelehnt haben. Verzweifelt sieht er sich um.
„Frohe Weihnachten“, spricht ihn ein Mann an. „Suchen sie etwas?“
„Ja, ich brauche einen Weihnachtsbaum“, erwidert Erich.
„Den werden sie hier nicht finden. Ich habe soeben den letzen verkauft. Jetzt werde ich meine Sachen zusammenpacken und verschwinden. Wird Zeit, dass ich nach Hause komme.“
„Wissen sie denn wo ich noch einen Baum kriegen kann?“ versucht es Erich.
Der Verkäufer denkt angestrengt nach.
„Nun ja, ich habe gehört in der Hildebrandstraße soll es noch welche geben.“
„Danke, dann versuche ich es da“, Erich wünscht dem Verkäufer schöne Weihnachten und geht zurück zum Parkplatz.
Als er in die Hildebrandstraße einbiegt, sieht er gleich den Blumenladen, der die Weihnachtsbäume verkauft. Draußen stehen noch zwei Bäume. In ihm macht sich Erleichterung breit. Er parkt und geht mit großen Schritten auf den Laden zu. Da sieht er zwei Männer aus der Ladentür heraus treten. Sie gehen direkt auf die Weihnachtsbäume zu.
Oh nein, denkt er. Bitte nicht. Die beiden Männer lachen, schütteln sich die Hände. Dann nimmt einer der Männer einen Weihnachtsbaum unter den Arm und geht zu seinem Auto. Der andere Mann wendet sich wieder dem Laden zu. Das ist also der Verkäufer.
Puh, noch mal Glück gehabt, denkt Erich bei sich. Ein Stein fällt ihm vom Herzen. Es ist noch ein Baum über. Sein Baum.
„Hallo, hallo!“ ruft er dem Verkäufer zu. Dieser dreht sich um und geht auf Erich zu.
„Ja bitte?“
„Den Weihnachtsbaum da“, er zeigt auf den letzten Baum. „Den will ich.“ Erich ist ganz außer Atem. Besonders schön sieht der Baum ja nicht aus, aber er ist besser als gar keiner.
„Tut mir leid, der ist schon verkauft.“
„Was?“ Erich schaut den Verkäufer entsetzt an. Dabei war er sich doch so sicher gewesen, dass jetzt nichts mehr schief gehen könnte.
„Eine ältere Dame hat ihn vor wenigen Minuten gekauft. Sie holt nur ihren Schwiegersohn, weil sie ihn nicht alleine tragen kann.“
„Oh nein“, entfährt es Erich.
Mitleidig sieht ihn der Verkäufer an.
„Wissen sie wo ich noch…“ Der Verkäufer schüttelt den Kopf bevor Erich die Frage beenden kann.
„Sie kommen zu spät. Es ist schon nach vier, da werden sie keinen Baum mehr finden. Die Geschäfte machen jetzt alle zu.“
Erich bekommt keine Luft mehr, seine Kehle ist wie zugeschnürt.
„Danke“, krächzt er. Mutlos stiefelt er zu seinem Wagen zurück. Wie soll er das bloß Margarete erklären. Und was werden die Jungs sagen, wenn sie erfahren, dass es dieses Jahr keinen Weihnachtsbaum gibt.
Ziellos fährt er kreuz und quer durch die Stadt und hält Ausschau nach einem Weihnachtsbaum. Gerade als er aufgeben will, sieht er einen Laster mit einigen Weihnachtsbäumen auf der Ladefläche vorbei fahren. Jetzt oder nie, denkt er sich und rast dem LKW hinterher.
Der Laster biegt auf einen Industriehof ein. Erich will ihm hinterher fahren, doch neben dem Eingangstor stehen zwei Männer, die den Kopf schütteln und auf ein Schild neben der Einfahrt deuten.
„Privatgrundstück. Für Unbefugte Zutritt verboten“, liest Erich. Er kurbelt sein Fenster hinunter und erklärt den Männern seine Notlage. Die Beiden haben Verständnis und lassen ihn passieren.
Erich steigt aus und geht auf den LKW zu. Doch es ist zu spät. In diesem Moment neigt sich die Ladefläche des Lasters und die Weihnachtsbäume rutschen in eine darunter stehende Maschine, die sie zu Sägespänen verarbeitet.
„Nein!“ ungläubig steht er da.
„Tut mir leid. Aber du wirst schon noch irgendwo einen auftreiben können“, einer der Männer klopft ihm aufmunternd auf die Schulter und geht weg. Erich nickt obwohl er nicht mehr daran glaubt. Langsam dreht er sich um und steigt wieder in sein Auto.
Er fährt nach Hause. Jetzt wird er sich dem Unumgänglichen stellen.
„Da bist du ja endlich“, begrüßt ihn Margarete. „Ist der Baum noch draußen? Hol ihn doch schnell rein, wir haben nicht mehr viel Zeit. Meine Eltern sind in einer Stunde da.“
„Du, hm, ich, äh, ich habe keinen Baum bekommen“. Erich macht sich auf ein Donnerwetter gefasst. Doch stattdessen sagt Margarete gar nichts, nickt nur.
Zusammen mit seinen beiden Söhnen überlegt er wie sie nun noch an einen Weihnachtsbaum kommen könnten.
„Ich habe einen schönen Baum bei Riekes im Garten gesehen“, flüstert Rüdiger.
„Lass das nur nicht Mama hören, die flippt aus, wenn sie hört, dass du einen Baum klauen willst“, sagt Tom zu seinem Bruder. Auch Erich ist unwohl bei dem Gedanken daran. Trotzdem, es wäre eine Lösung. Er lässt sich von seinen Söhnen überreden.
„Wir sind noch mal weg, Mama“, ruft Rüdiger seiner Mutter zu. Dann verschwinden alle drei. Sie nehmen eine Axt und eine Säge mit.
„Das klappt doch nie! Das ist doch viel zu laut“, flüstert Tom. Die beiden anderen wissen, dass er recht hat. Doch sie verdrängen den Gedanken.
Sie betrachten im Garten ihrer Nachbarn die besagte Tanne. Die Rollläden des Wohnhauses sind hinunter gezogen und so sind sie vor unliebsamen Blicken geschützt. Den Baum nach Hause zu tragen, wäre auch kein Problem. Sie würden ihn einfach über den niedrigen Zaun schmeißen.
Rüdiger setzt die Axt an und schlägt zu.
„Nicht so laut!“ ruft Tom.
„Sehr witzig, kannst du mir mal verraten wie ich leise einen Baum schlagen soll?“, entgegnet sein Bruder. Darauf weiß Tom auch keine Antwort.
„Vielleicht besser mit der Säge?“ schlägt Erich vor. Er setzt die Säge an.
„Hallo? Ist da jemand?“, hören sie Frau Rieke rufen.
„Psst, wenn wir ganz still sind, wird sie denken, sie hätte sich verhört.“ Und tatsächlich hören sie bald darauf die Haustür wieder zuschlagen.
„Weiter!“ Erich sägt. Doch Frau Rieke hat sich nicht irritieren lassen und alarmiert ihren Mann.
Zum Glück hört Tom wie die Haustür wieder aufgeht und so können sich alle drei rechtzeitig hinter einem großen Busch verstecken. Herr Rieke sieht sich im Garten um. Doch es ist dunkel und er kann niemanden sehen. Schließlich geht er zurück ins Haus.
„Das wird nichts, lasst uns verschwinden!“
Verschwitzt und mit leeren Händen kehren Erich und seine Söhne nach Hause zurück.
„Wir könnten auch in den Wald fahren…“, fällt Rüdiger ein.
„Dafür ist es jetzt zu spät. Und genug habe ich von solchen blödsinnigen Ideen auch.“ Erich lässt sich auf einen Stuhl fallen. Als Margarete das Zimmer betritt, schütteln alle drei nur betreten den Kopf.
„Naja, es wird auch ohne gehen.“
Es klingelt an der Tür. Margarete öffnet und begrüßt ihre Eltern. Als diese das Wohnzimmer betreten, scheinen sie bereits von Margarete darüber informiert worden zu sein, dass es keinen Weihnachtsbaum gibt. Sie wirken jedenfalls nicht überrascht, dass statt eines Baumes nur der Adventskranz und einige andere Kerzen den Raum erleuchten.
„Schön hast du das gemacht, Margarete“, lobt Oma Liese. Missfällig sieht sie Erich an. Der senkt seinen Kopf.
„Danke Mama“
Als sie vor der Bescherung ein Weihnachtslied anstimmen, kommt trotz Margaretes schönem Weihnachtsschmuck keine richtige Stimmung auf. Der Weihnachtsbaum fehlt.
Mitten im zweiten Weihnachtslied klingelt es an der Haustür. Die Familienmitglieder sehen sich verblüfft an. Wer mochte das um diese Zeit sein?
Erich öffnet die Haustür. Die anderen Familienmitglieder folgen ihm und lugen um die Ecke. Da steht Herr Rieke. Oje, denkt Erich. Das gibt Ärger.
„Frohe Weihnachten, Herr Nachbar“, sagt Herr Rieke.
„Frohe Weihnachten“
Herr Rieke hält eine Axt hoch.
„Das ist doch ihre, oder?“ Die Familie hält die Luft an. Tom stößt Rüdiger in die Rippen. Wie konnte er nur vergessen die Axt aus Riekes Garten wieder mitzunehmen. Doch vor lauter Panik hatte Rüdiger versehentlich die Axt auf dem Boden liegen gelassen.
„Ähm, das kann nicht sein“, versucht Erich sich heraus zu reden.
„Doch, doch. Das ist dieses alte Ding, dass sie immer zum Holz hacken nehmen. Habe ich schon ein Dutzend Mal bei ihnen gesehen.“ Erich kann nicht umhin zuzugeben, dass es sich um seine Axt handelt. Jetzt ist alles aus. Herr Rieke würde die Polizei rufen und sie alle würden Weihnachten im Gefängnis verbringen müssen. Erich malt sich diese Vorstellung in den schwärzesten Farben aus.
„Kann es sein, dass sie einen Weihnachtsbaum brauchen, Herr Nachbar“, fragt Herr Rieke.
Erich hüstelt.
„Ja, nun…“
„Ich habe mich schon gewundert, dass ich noch keinen bei ihnen stehen sehen habe. Sonst kann ich ihren prachtvoll geschmückten Baum doch immer von unserem Küchenfenster aus bewundern.“
Erich nickt. Ja, jetzt würde er alles zugeben. Es hatte sowieso keinen Zweck mehr zu leugnen.
„Hey Jungs! Kommt doch mal mit.“ Herr Rieke nickt Tom und Rüdiger zu. Die sehen sich verwundert an und folgen Herrn Rieke. Kurz darauf kommen sie lachend zurück. Unter den Armen tragen sie einen Weihnachtsbaum.
„Den hat Herr Rieke noch über gehabt. Eigentlich sollte ihn seine Mutter kriegen, aber die hat sich kurzfristig entschieden lieber zu ihren Bekannten nach Mallorca zu fahren. Er schenkt ihn uns“
Die Familie jubelt. Erich seufzt erleichtert. Doch kein Gefängnis.
Sie stellen den Weihnachtsbaum auf und alle helfen beim Schmücken. Bald darauf glänzt der Baum und sieht noch schöner aus als je einer ihrer anderen Weihnachtsbäume zuvor. Als sie nun ein Weihnachtslied anstimmen, kommt endlich auch Weihnachtsstimmung auf und die Familienmitglieder sehen einander glücklich und zufrieden an.

 

Hallo goldi_x,

eine nette Weihnachtsgeschichte. Ein Christbaum gehört zum Fest einfach mit dazu. :)

Das Ende war zum Schluss hin etwas vorhersehbar – die Geschichte musste einfach mit einem Happy-End aufhören –, ansonsten fragte ich mich, wieso der Vater nicht gleich in den Wald gefahren ist, nachdem er bemerkt hat, dass es keine Bäume mehr zu kaufen gibt. Stiehlt man ihn beim Nachbarn, ist es wirklich ziemlich riskant, entdeckt zu werden.

Ansonsten gefällt mir deine Weihnachtsgeschichte recht gut.

Sie hatte ihn schon vor zwei Stunden darum gebeten
Warum ist Erich dann nicht bereits vor ein paar Stunden aufgefallen, dass sie noch keinen Baum haben?
Das ist dieses alte Ding, dass sie immer zum Holz hacken nehmen
das

Viele Weihnachtsgrüße,

Michael :xmas:

 

Hallo goldi_x,

ja, das mit dem Ende hab' ich mir auch fast schon gedacht, aber da es eine Weihnachtsgeschichte ist, gefällt mir das. Obwohl ich normalerweise nicht gerade ein Fan von Happy Ends bin :) !

Schöne Geschichte, hat mir gut gefallen!

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo ihr beiden!

Vielen Dank für eure Kommentare! Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sie euch gefallen hat.

Dass das Ende voraussehbar ist, ist natürlich klar. Ich hatte auch gar nicht erwartet, dass es jemanden überrascht.

Michael: Erich ist es nicht aufgefallen, dass er noch keinen Baum gekauft hatte, weil er ein wenig schusselig ist. Aus dem gleichen Grund hat er auch nicht daran gedacht gleich in den Wald zu fahren und einen Baum zu stehlen. Werd' aber nochmal darüber nachdenken und das vielleicht abändern.

Viele Grüße, Sylvia

 

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