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Serie Zeit des Wandels - Schattenspiele

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21.03.2007
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Zeit des Wandels - Schattenspiele

Unhaufhaltsam wuchs die Mauer aus purem Eis in die Höhe. Sie trennte die kleine Halle in zwei Teile, so dass sich die beiden Kontrahenten nur noch durch die spiegelglatte Eisfläche sehen konnten.
Züngelnde Flammen krochen langsam aus der Handfläche des jungen Mannes. Sie begannen zu wachsen. Immer größer und heißer wurden sie. Mit einer Drehung seiner Arme lenkte er das Feuer auf den Eisblock zu. Ein lautes Zischen erklang, als die beiden Elemente aufeinander trafen. Das Eis schien sich aufzulehnen, versuchte der Hitze der Flammen stand zu halten. Es bildeten sich kleine Sturzbäche, die an der kalten Fläche nach unten liefen. Das Eis gab Stück für Stück nach. Der junge Mann lächelte.
»Was ist los, Zandurion? Wird es dir etwa zu warm da drüben?«
Doch er bekam keine Antwort. Ein schwarzer Schatten tauchte unter der Eiswand hindurch und glitt lautlos den Steinfussboden entlang.
Die Barriere nahm unter der Einwirkung des Feuers immer weiter ab. Langsam materialisierte sich der Schatten im Raum. Man konnte die Umrisse einer Frau erkennen, welche nun direkt hinter dem Flammenzauberer stand.
»Du hast wohl vergessen, dass ich auch noch da bin, Devrim?«
Erschrocken blickte sich der blonde Mann um.
»Du ...«
Devrim sprang nach vorn und versuchte dem Schatten einen Schwinger zu verpassen. Seine Faust drang in den Schatten ein. Sie durchlief einen kurzen Widerstand, so als würde sie durch Wasser schlagen. Dann verließ sie den Körper des Schattens mit vollem Schwung. Devrim geriet aus dem Gleichgewicht und stolperte nach vorn.
»Was in Kors heiligen Namen ...«
Der schwarze Schatten nahm Farben an. Eine hübsche junge Frau mit rabenschwarzen langen Haaren und bleicher Haut fegte Devrim den Fuß weg, so dass er unsanft auf dem Boden der Halle landete.
Mit einem Satz war sie über ihm und stellte ihm ihren Stiefel auf die Brust.
Schmunzelnd zog sie eine Augenbraue nach oben.
»Na, ergibst du dich, mein kleiner Hitzkopf?«
Devrims Gesicht war vor Wut und Scham rot angelaufen. Wieder schlugen lodernde Flammen aus seinen Handflächen.
»Das wirst du gleich sehen, Dragana!«
Enge Fesseln aus Eis schlossen sich um die Unterarme des Feuermagiers und pressten sie auf den kalten Fussboden.
»Das reicht jetzt, ihr beiden!«
Zandurions Stimme klang ungewohnt schroff.
»Das sollte eine Übung sein. Was nützt es uns, wenn ihr beide euch gegenseitig verletzt? Ihr habt durch eure Kräfte eine besondere Verantwortung übernommen. Ich habe euch nicht gelehrt sie zu beherrschen, damit ihr euch miteinander messen könnt, verstanden?«
Dragana blickte betroffen auf den Fussboden, während Devrim trotzig gegen seine Fesseln kämpfte.
»Habt ihr euch jetzt beruhigt?«, fragte der Eismagier.
»Ja«, entgegneten nun beide kleinlaut.
Das Eis begann sich zu lösen und endlich bekam Devrim seine Arme frei. Gereizt rieb er sich die geröteten Handgelenke.
Erhobenen Hauptes verließ er die Halle. Als er an Dragana vorbeikam, konnte er sich einen Kommentar nicht verkneifen.
»Das war nur eine Übung. Auf dem Schlachtfeld wirst du nicht so leicht punkten können.«
Die junge Frau schenkte ihm nur ein Lächeln. Sie wusste, dass ihn das noch weiter zum Kochen bringen würde.
Nachdem sie noch ein paar Worte mit Zandurion gewechselt hatte, ging auch sie und ließ ihren Lehrmeister allein zurück.
Zandurion musste lächeln. Wie sollte er den beiden so einen Zwischenfall übel nehmen. Devrim war gerade erst siebzehn Götterläufe alt geworden. Dragana war nur etwas älter. Als er so jung war, hätte ihm sein Stolz wohl auch diesen Streich gespielt. Ehrenhaft zu verlieren war für junge Burschen schon eine schwere Prüfung. Devrim musste diese Erfahrung aber mit einem eher zarten Mädchen machen. Obwohl Dragana natürlich alles andere als ein normales Mädchen war.
Diese beiden Talente waren seine ersten Schüler. Mit Hilfe des zwergischen Runenmeisters war es ihm gelungen, auch ihnen die Kraft über ihre Fähigkeiten zu schenken.
Sie standen noch ganz am Anfang und dennoch verfügte gerade Devrim über ein unglaubliches Potenzial. Seine Kräfte überschritten diejenigen Zandurions um ein Vielfaches. Allerdings waren beide noch nicht sicher im Umgang mit ihren Fähigkeiten. Zu oft passierten ihnen noch Missgeschicke, die draußen in der Welt eine Katastrophe auslösen würden.
Devrims Feuerkugeln verfehlten ab und an ihr Ziel, oder er erzeugte ein wahres Flammeninferno, wenn er eigentlich nur eine Fackel entzünden wollte.
Neben dem Training ihrer besonderen Gaben, stand natürlich auch der Erwerb von Wissen und die Erlangung körperlicher Fähigkeiten auf ihrem Tagesplan. Sie galten als normale Schüler der Akademie zu Reshok. Ihre Ausbildung wurde aber von der königlichen Armee finanziert und von Zandurion persönlich geplant und durchgeführt. So erhielten sie auch Unterricht im Umgang mit Waffen, im Nahkampf und in taktischer und psychologischer Kriegsführung.
Wenn es um Taktik und Nahkampf ging, hatte stets Dragana die Nase weiter vorn. Sie verstand es den aufbrausenden Devrim so lange zu reizen, bis er einen bedeutenden Fehler machte, den sie schließlich ausnutzen konnte. Der junge Magier fiel immer wieder erneut auf diesen Trick rein.
Die meisten Schüler der Akademie mieden die Beiden. Man erzählte sich die schauerlichsten Geschichten über ihre Herkunft und was für merkwürdigen Studien sie nachgingen. Die Tatsache, dass Dragana, wie auch Devrim Außenseiter an der Akademie waren, ließ sie etwas mehr zusammenhalten. Ansonsten lebten sie aber die Konkurrenz aus, wie man sie oft bei gleichaltrigen Geschwistern findet. Zandurion hatte die Spuren des Übungsgefechts bereinigt und machte sich ebenfalls auf den Weg. Es dämmerte bereits und Frika würde sicher schon auf ihn warten.

Devrim schritt unablässig den langen Flur auf und ab. Die Aufregung nagte an seinen Nerven.
»Und du weißt wirklich nicht warum wir hier sind?«
Dragana schüttelte den Kopf.
»Ich habe auch keine Ahnung, was wir hier im Palast wollen. Zandurion hat mir nichts weiter gesagt.«
»Das ist merkwürdig, ihr redet doch sonst über alles ...«
Blut stieg in Draganas Gesicht und färbte ihre Wangen rot.
»Was willst du damit sagen?«
»Vielleicht, dass er dich bevorzugt, weil du ein Mädchen bist.«
Draganas Züge entspannten sich.
»Daher weht also der Wind! Aber nur, dass du es auch weißt, Zandurion bevorzugt mich nicht, weil ich ein Mädchen bin. Es liegt ganz einfach daran, dass ich so viel besser bin wie du.«
Devrim hasste diese Situation. Mit Worten hatte er dieses Mädchen noch nie geschlagen.
»Oh, da ist sie ja.«
»Wer?«, fragte Devrim etwas verwirrt.
»Na, die große Zornesader auf deiner Stirn!«
Der junge Magier kochte innerlich. Gerade als er etwas erwidern wollte, ließ ihn die Stimme seines Lehrmeisters innehalten.
»Seid gegrüßt, meine Schüler. Ich sehe ihr seid pünktlich.«
»Was machen wir denn hier im Palast, Zandurion? Machen wir heute eine besondere Trainingseinheit?«, fragte Dragana neugierig.
»Nein, das tun wir nicht. Wir haben eine Audienz beim König.«
Den beiden Schülern verschlug es mit einem Mal die Sprache. Es war Devrim, der sich als erster wieder fasste.
»Eine Audienz bei König Siegborn?«
»Ja, so ist es. Ich weiß aber auch noch nicht, was er von uns wollen könnte. Jetzt lasst uns aber gehen, damit wir nicht zu spät kommen.«
Zandurion schritt eilig voran. Seine beiden Schüler folgten ihm gedankenverloren. Devrim betrachtet neidisch Dragana. Sie trug ihre schwarze Akademieuniform. Zandurion hatte seinen weißroten Wappenrock angelegt. Devrim selbst hatte sich nur in seine Straßenkleidung gehüllt. Sollte er so vor den König des Gorokreiches treten?
»Wir müssen nochmal kurz zurück!«
»Was ist denn los?«, fragte Zandurion besorgt.
»Ich, äh ...«
Der junge Mann spürte Draganas Augen an seinen Lippen hängen.
»Ach nichts.«

Die gewaltigen Flügeltüren wurden aufgezogen und gaben den Blick auf den Thronsaal frei. Devrim und Dragana ließen ihre Blicke schweifen. Verzierungen aus Gold und Silber schimmerten von den Wänden. Bunte Banner hingen von der Decke. Dann schauten sie nach vorn zum Thron. Er war es wirklich. König Siegborn saß unter der Fahne des Reiches, dem jagenden Falken vor dem roten Mond. An seiner Seite hatten sich voll gerüstete Wachen mit langen Speeren aufgebaut. Der König hatte graue Haare und trug eine dunkelrote Tunika. Sein Gesicht war glatt rasiert. Für einen Mann seines Alters hatte er noch einen stattlichen, muskulösen Körper vorzuweisen. Seine blauen Augen zeugten von Intelligenz und Aufmerksamkeit.
»Ah, ihr seid es, Zandurion! Kor zum Gruße.«
»Kor zum Gruße, eure Majestät!«
Zandurion ging in die Knie. Dragana und Devrim taten es ihm gleich.
»Bitte erhebt euch und tretet näher.«
Die Stimme des Königs klang warm und fürsorglich.
»Berichtet mir, wie geht es mit der Ausbildung eurer Rekruten voran?«
»Wir sind ein ganzes Stück weiter gekommen, eure Majestät. Meine beiden Schüler sind nun in der Lage ihre Kräfte zu kontrollieren. Außerdem erhalten sie eine soldatische Ausbildung und machen dort ebenfalls erhebliche Fortschritte.«
»Ich hörte einer eurer Schüler war in eine heftige Schlägerei vor der Akademie verwickelt.«
Devrim zuckte erschrocken zusammen. Schuldig blickte er nach unten.
Der König verstand die Geste und lächelte freundlich.
»So etwas kommt unter jungen Männern eben vor.«
Zandurion atmete erleichtert auf. Devrim entging also einer Ordnungsmaßnahme.
»Nun aber zum Grund für diese Audienz«, sagte König Siegborn.
»Ich möchte euch gern nach Norden schicken.«
Zandurions Züge zeigten deutlich sein Missfallen. Der König fuhr unbeeindruckt fort.
»Die Eisbarbaren haben einen befestigten Posten am Goldaderpass erobert. Dies ist eine der bedeutendsten Handelsstraßen des Zwergenreiches. Die Zwerge können in diesem Landstrich nicht auf Kriegsmaschinerie zurückgreifen.«
»Warum lasst ihr das die Zwerge nicht allein regeln? Oder warum schickt ihr keine Eliteeinheit?«
König Siegborn legte die Stirn in Falten.
»Zandurion, bei einem Mann eures Formates hätte ich auf etwas mehr taktisches Verständnis gehofft. Ihr seid doch über die Vorgänge im Norden in Kenntnis gesetzt?«
Alle drei Anwesenden nickten.
»Die Tiermenschen rotten sich unter einem neuen Häuptling zusammen. Mehrere Dörfer und kleinere Städte wurden bereits geplündert. Meine Berater gehen davon aus, dass sich diese Armee nun nach Süden wenden wird. Auch unsere Beobachter haben diesen Verdacht bestätigt. Im Norden wird ein Überfall vorbereitet.«
Die drei Magier hielten gespannt den Atem an.
»Sollte es wirklich zum Krieg kommen, werden wir die Hilfe der Zwerge benötigen. Euer Einsatz am Goldaderpass wäre also eine freundschaftliche Geste und eventuell unser Trumpf im Kampf gegen die Tiermenschen. Über eure Idee, eine Eliteeinheit zu schicken, haben wir bereits diskutiert. Alle dafür in Frage kommenden Truppen wurden bereits nach Norden verlegt, um die Tiermenschen daran zu hindern, dicht besiedelte Gebiete zu erreichen. Der Kampf darf nicht in der Nähe größerer Städte ausbrechen.«
Der König versuchte etwas aus den Gesichtszügen der Magier zu lesen, dann fuhr er fort.
»Noch etwas. Wenn ihr keine Elitetruppe seid, wer dann?«
»Verzeiht, eure Majestät, aber ich denke meine Schüler sind noch nicht bereit für einen Einsatz dieser Art.«
»Ich dulde in diesem Fall keine Widerworte, Zandurion. Schließlich finanziert das Reich eure Ausbildung und somit ist es eure Pflicht, der Krone beizustehen wenn sie in Gefahr ist.«
»Ja, eure Majestät.«
»So sei es. Meine Berater werden euch ausreichend informieren und mit allem Notwendigen ausrüsten. Wir vertrauen auf euer Können und eure Treue.«
»Wir werden euch nicht enttäuschen, eure Majestät.«
Zandurion verbeugte sich militärisch knapp und machte auf dem Absatz kehrt. Devrim und Dragana blickten sich kurz in die Augen, dann verbeugten sie sich ebenfalls und taten es Zandurion gleich.

Frika hatte ihre Arme um Zandurion geschlungen.
»Jetzt beruhige dich doch erstmal!«
Zandurion lehnte seine Stirn an ihre und atmete tief durch.
»Es ist großer Irrsinn, was man da plant. Die beiden sind noch halbe Kinder. Sie haben weder die nötige Reife, noch die kriegerische Erfahrung, um in einer solchen Schlacht zu kämpfen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn einem meiner Schüler etwas zustößt. Auch ihre besonderen Fähigkeiten machen sie nicht unverwundbar.«
Frika kitzelte ihn mit den Spitzen ihrer roten Haare. Dann blickte sie ihn aufmunternd an.
»Denkst du nicht, dass die beiden bereit sind, sich zu beweisen? Sie haben viele Sonnenläufe harten Trainings hinter sich.«
Sie machte eine kurze Pause.
»Und das bei dem besten Lehrmeister hier im Gorokreich!«
Zandurion musste schmunzeln. Frika schaffte es doch immer wieder ihn aufzuheitern.
»Weißt du, Frika, im Grunde hast du ja recht. Aber schau dir zum Beispiel Devrim an. Seine unglaubliche Macht überschreitet manchmal bei weitem seinen Verstand. Diese Fähigkeiten können schnell dazu führen, dass man sich selbst überschätzt.«
»Jetzt zerbrich dir mal nicht deinen hübschen Kopf, mein Süßer. Wir passen schon auf die beiden Hitzköpfe auf.«
Zandurion wurde bleich.
»Was meinst du mit wir?«
Sein Gesicht wurde mit heißen Küssen eingedeckt, welche langsam seinen Hals hinab wanderten. Geschickte Finger schoben langsam seinen Wappenrock nach oben. Zandurions Gedanken verschwommen. Er gab sich seinem Verlangen hin.

Yendan beobachtete den seltsamen Zwerg misstrauisch. Wieder gab er ein farbiges Pulver in das Feuer. Die Flammen zuckten nach oben und erzeugten ein gleißendes Licht. Kromlok scharrte aufgeregt mit den Hufen.
Markward, so der Name des Zwergs, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er hatte sich vollkommen in das dunkle Ritual vertieft.
Es waren noch nicht viele Sonnenläufe vergangen, seitdem sich dieser Vertreter der Grufhalzwerge, für sein Volk zu seinem neuen Herrscher bekannt hatte. Der kleine Zwergenklan lebte tief in den Wäldern, weit weg von ihrer ursprünglichen Heimat, den hohen Gebirgen. Es waren Verbannte. Eine kleine Sippe von Zwergen hatte sich vor langer Zeit dem Gott Thornquil verschrieben, dem obersten Kriegsgott der Rasresch.
Über lange Zeit hatten sie Pläne geschmiedet und Intrigen gewoben, um an die Macht im Zwergenreich zu gelangen. Neben der dunklen Runenmagie nutzten sie auch Dämonenbeschwörungen für ihre Ziele. Doch bei einer dieser Beschwörungen geschah ein Fehler. Die Pläne der Sippe wurden aufgedeckt und die meisten ihrer Angehörigen gemeuchelt. Verfolgt von etlichen ihrer Artgenossen, konnten aber einige der Grufhalzwerge in die tiefen Wälder entkommen. Sie fanden bei den Rasresch Schutz und schenkten ihnen mächtige Waffen als Tribut.
Bis zum heutigen Tag hat sich diese kleine Sippe untereinander fortgepflanzt. Sie geben ihre Geheimnisse nur innerhalb ihrer Gemeinschaft weiter und haben sich zu mächtigen Runenmeistern entwickelt. Sicher hat sie ihr Streben nach Macht in Yendans Arme getrieben.
Doch er würde ein Auge auf sie haben. Es war ja immerhin möglich, dass sie seinen Platz einnehmen wollten. Doch dann würde er dieses Volk zusammen mit den Menschen versklaven!
»Ich bin jetzt soweit«, keuchte Markward.
Yendan nickte und gab Kromlok ein Zeichen. Zwei Rasreschkrieger führten kurze Zeit später eine nackte Frau herein. Ihr Körper war übersät mit Spuren von Peitschenhieben. Abwesend musterte sie Yendan und den Zwerg.
»Was soll das? Dieses Frack habt ihr für euren Zauber ausgesucht?«
Yendan spuckte empört auf den Fußboden.
Markward schenkte seinem Meister einen arroganten Blick. Er gab den Tiermenschen ein Zeichen, die Frau gut festzuhalten. Er nahm eines der glühenden Eisen aus der Glut und presste es der Frau auf den Bauch. Sie schrie auf, wand sich unter den Schmerzen. Als der Zwerg endlich das Eisen zurückzog, hinterließ das Eisen ein fremdes Zeichen. Diese Prozedur wiederholte sich viele Male. Doch die Frau bekam davon kaum noch etwas mit, sie war in eine befreiende Ohnmacht gefallen.
»Jetzt ist es an euch, Meister Yendan!«, sagte der Zwerg und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Lasst uns allein!«
Alle Anwesenden verließen den Raum. Die Rasresch hatten die Frau auf eine Decke neben das Feuer gelegt. Yendan beugte sich zu ihr hinunter und betrachtete sie eine Weile. Er strich ihr durch das dunkle Haar, streichelte ihre Wange. Dann liebkoste er ihre Brüste. Langsam zog er seine Hose aus.

Ein heftiges Prickeln durchfuhr ihre Nase. Mit einem lauten Niesen verschaffte sich Frika Erleichterung.
»Ist die Sonne nicht herrlich?«, fragte sie in die Runde.
Aber niemand schien ihre Freude zu teilen. Bei Zandurion konnte sie das verstehen, er hatte sich in ihrer gemeinsamen Zeit als ausgesprochener Langschläfer gezeigt. Jetzt stand die Sonnenscheibe gerade erst ein paar Finger über dem Horizont.
Frika ließ ihren Blick über die anderen beiden Mitglieder der Gruppe schweifen. Devrim trug eine schwarze Uniform mit roten Symbolen am Kragen. Seine Augen strahlten ausdrucksvoll. Er sah sehr stattlich in seiner Uniform aus, fand Frika. Wahrscheinlich war er tief in seine Gedanken versunken und träumte von ruhmreichen Schlachten und einem Haufen glühender Verehrerinnen. Frika war gespannt, den jungen Mann im Kampf zu sehen. Zandurion hatte gesagt, Devrims Kräfte würden seine bei weitem übersteigen. Der blonde Bursche schnürte seinen Sattel fest und überprüfte noch einmal den Inhalt seiner Packtaschen.
Dann schaute Frika zu Dragana. Die junge Frau kam ihr beinahe unheimlich vor. Sie trug enge Hosen und Stiefel. Ihren Oberkörper hatte sie in ein Wams geschnürt, das ihren schlanken Körper betonte. Die dunkle Farbe ihrer Kleidung ließ ihre Haut noch blasser erscheinen. Über ihrer Kleidung trug sie einen grauen Umhang, welcher vorn geöffnet war. Trotz des freundlichen Wetters hatte sie sich die Kapuze über den Kopf gezogen.
Die junge Magierin schien das perfekte Gegenstück zu Frika darzustellen. Frika war laut, schrill und fröhlich. Dragana hingegen war schweigsam, nachdenklich und melancholisch.
Dennoch fand Frika, dass dieses Mädchen irgendetwas Verlockendes an sich hatte. Die Männer mussten ihr scharenweise zu Füßen liegen. Sie würde ihren Liebsten auf dieser Reise genauestens im Auge behalten.

Das Lachen König Thorgrims grollte durch die gewaltige Höhle.
»Will euer König mich zum Narren halten?«
»Wie kommt ihr darauf, König Thorgrim?«, fragte Zandurion erstaunt.
Der Zwergenkönig blickte den Eismagier ernst an.
»Ich zweifle nicht an euren Fähigkeiten, Zandurion. Ihr habt schon einmal vor mir gestanden und ihr habt eure Reise mit heiler Haut überstanden. Aber König Siegborn hat mir eine Eliteeinheit versprochen, um eine Barriere zu brechen. Und was schickt er mir? Vier Menschen, darunter noch zwei Weibsbilder! Wenn mehrere Einheit meiner besten Zwergenkrieger sich an diesem Posten die Zähne ausbeissen, was will eine Handvoll Menschen da wohl ausrichten?«
Wieder erklang das Lachen des beleibten Königs, welches eher an das Donnern eines Wasserfalls erinnerte.
»Mit Verlaub, eure Majestät, aber das lasst unsere Sorge sein. Wir geben euch unser Wort, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um euch bei der Rückeroberung dieses Postens zu helfen.«
König Thorgrim machte ein überraschtes Gesicht. Es schien diesem Menschen wirklich ernst zu sein. Der Zwerg wusste um die Kräfte Zandurions. Überall erzählte man sich die Geschichte dieses besonderen Menschen.
»Nun gut. Ihr werdet diesen Einsatz begleiten. Aber euer König soll sich nachher nicht beschweren, wenn ihr nicht vollzählig zurückkehrt. Meine Krieger haben wichtigeres zu tun, als auf ein paar lebensmüde Menschen aufzupassen.«
Devrim wollte etwas erwidern, wurde aber durch den Ellenbogen Draganas daran gehindert. Heftig presste er die angestaute Luft aus seinem Körper.
»Geht es eurem Gefährten gut?«, fragte Thorgrim mit besorgtem Blick.
»Ihm bekommt nur die Höhlenluft nicht gut, eure Majestät«, sagte Dragana.
»Typisch Mensch. Vertragen keine Höhenluft, Höhlenluft, Seeluft und was am schlimmsten ist, sie vertragen kein Bier. Doch bevor ich es vergesse, da ist noch jemand, der euch unbedingt sehen will.«
Frika und Zandurion blickten sich fragend an. Dann beschlich sie ein gemeinsamer Verdacht.
»Du denkst doch nicht ...?«
In diesem Moment hörte man das Stampfen schwerer Stiefel. Er war es wirklich! Farold trug ein sauber poliertes Kettenhemd. Ein goldener Helm samt Nasenschutz bildete einen derben Kontrast. Nachdem er sich kurz vor König Thorgrim verbeugt hatte, wandte er sich den Menschen zu.
»Seid gegrüßt, ihr beiden! Wie ich sehe seid ihr gesund und wohlauf. Habe mich wirklich auf diesen Moment gefreut. Ihr müsst mir alles erzählen was in der Zwischenzeit passiert ist. Am besten wir klären das bei ein paar Krügen zwergischen Starkbiers!«
Fröhlich schüttelte Farold den Menschen die Hände. Unter dem festen Druck der Zwergenhand fuhr Devrim zusammen.
»Erschreck doch nicht gleich, Junge! Du wirst schon auch noch groß und stark.«
»Oder nur stark, so wie du.«
Die Umstehenden lachten. Farold blickte Dragana zuerst grimmig an, dann stimmte er aber in das Lachen ein.
Frika und Zandurion konnten es immer noch nicht fassen. Ihr Gefährte war am Leben! Sie erzählten sich am Abend ihre Geschichten. Farold kam immer wieder auf seinen Kampf mit den Verfolgern zurück. Mit jedem Krug Starkbier wurden es mehr Gegner, welche er ruhmreich besiegt hatte.
»Fündunzwanz Menschn riechen ni, um nen stolzen Zwerch zu fälln!«, hatte er verkündet, bevor er der Länge nach vorn über kippte und in ein lautes Schnarchen verfiel.
Nachdem die Menschen ihn zugedeckt hatten, gingen sie in ihre Quartiere.

Der nächste Morgen begann sehr unsanft. Alle außer Dragana, welche auf das Starkbier verzichtet hatte, litten unter schweren Kopfschmerzen. Umso erstaunter waren sie, dass Farold schon wach war und die Menschen vergnügt zum Frühstück abholte.
»Was ist nur los mit euch? Ihr habt doch nur zwei Krüge getrunken, oder?«
Dem Zwerg war es unbegreiflich, wie einen so ein kleines Gelage für den nächsten Tag außer Gefecht setzen konnte.
»Naja, ihr stärkt euch jetzt erstmal richtig. Beim Marschieren an der frischen Luft wird euch die Übelkeit schon vergehen.«
»Wir brechen heute schon auf?«, fragte Frika entgeistert.
»Natürlich, habt ihr ein Problem damit?«

Der Zwergentrupp bestand aus etwa hundert Kriegern. Allesamt waren mit schweren Waffen ausgestattet. Außerdem führten sie noch eine Einheit Armbrustschützen und einen Runenmeister mit. Der Befehlshaber der kleinen Streitmacht war ein kampferfahrener Zwergengeneral namens Urdrag, den aber alle nur Steinbeisser nannten.
Devrim musste sich während der Reise mehrmals übergeben, eine Nachwirkung des zwergischen Bieres. Dafür erntete er natürlich das Gelächter seiner zwergischen Mitreisenden.
»He Junge, steig von deinem Gaul und marschier mit uns, dann bist du schneller in den Büschen!«, rief ein Zwerg mit grauem Bart.
Als man das Nachtlager errichtete, mühte sich einer der Zwerge vergeblich damit ab, ein Feuer zu entzünden. Zandurion beauftragte Devrim ihm zu helfen.
»Geh bitte etwas zur Seite«, sagte der junge Magier.
Doch der Zwerg beachtete den Menschen nicht weiter und schlug weiter seine beiden Feuersteine gegeneinander. Devrim schickte einige kleine Flammen in den Steinkreis, worauf sofort ein wärmendes Feuer entstand. Beinahe hätte sich der Zwerg seinen schwarzen Bart versengt. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrte er Devrim an.
Bereits beim Essen beobachteten ihn zahlreiche faszinierte Augenpaare. Das Ereignis am frühen Abend hatte scheinbar die Runde gemacht. Der junge Magier genoss diesen Augenblick.
Die Zwerge verbrachten den Abend damit, sich alte Heldensagen zu erzählen, oder sich über die ausgemergelten Weibsbilder der Menschen lustig zu machen.
»Wie lange werden wir noch brauchen, Farold?«, fragte Zandurion.
»Wenn wir das Marschtempo beibehalten, sollten wir unser Ziel in etwa drei Sonnenläufen erreichen. Allerdings werdet ihr bald eure Pferde zurücklassen müssen, wir müssen durch unwegsames Gelände. Dort gibt es viele Geröllhänge und ähnlich tückische Fallen.«
Devrim saß zwischen Frika und Dragana. Die beiden Frauen hatten ihm einen Kräutertee bereitet. Es war das erste, was er an diesem Tag zu sich nahm.
»Sagt mal, habt ihr denn keine Angst, ihr beiden?«, fragte Frika.
Devrim schaute sie ernst an. Seine Augen begannen zu leuchten.
»Ich habe hart für diesen Tag gearbeitet und es erfüllt mich mit Stolz, dass ich für meinen König in die Schlacht ziehen darf. Endlich können wir beweisen, aus was für einem Holz wir Menschen geschnitzt sind.«
Frika blinzelte ihm freundlich zu. Sie kannte diesen überschäumenden jugendlichen Enthusiasmus nur allzu gut. In ihrer Zeit als Diebin hatte sie ebenfalls jedes Wagnis auf sich genommen, um der Welt zu beweisen, wie stark sie doch war. Doch dann kam Zandurion. Er hat ihre ganze Welt verändert und sie liebte dieses neue Gefühl der Verbundenheit und Treue.
»Und wie sieht es mit dir aus, Dragana?«
Die Angesprochene drehte ihren Kopf.
»Was ... ich ...«
»Sie hat wieder einmal geträumt«, spottete Devrim.
Frika tat so, als hätte sie den Kommentar überhört.
»Hast du Angst vor den kommenden Ereignissen?«
»Ich glaube ja. Ich habe Angst davor, andere Wesen zu verletzen. Wie sollen wir wissen, dass wir die Guten in diesem Spiel sind? Woher weiß ich, was für eine Motivation hinter den Taten meiner Gegner steckt?«
»Das kann ich dir nicht beantworten. Ich hoffe nur, dass du selbst in der Lage bist Antworten auf diese Fragen zu finden. Am besten so schnell wie möglich.«
Frika war von der offenen Antwort des Mädchens überrascht gewesen. Eine so tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Thema hatte sie nicht erwartet. Frika hoffte, dass Dragana einen Ausweg fand. Der Gegner, der ihr bald gegenüber stehen wird, würde nicht erst zögern und den Grund des Kampfes hinterfragen.

Markward schob sich leise durch den Türspalt. Kromlok hatte ihn jedoch gewittert und wies Yendan auf den Neuankömmling hin.
»Unser Runenmeister, welch freudige Überraschung.«
Die kalten schwarzen Augen fixierten den Grufhalzwerg.
»Spart euch euren ironischen Unterton, Meister. Ich bringe euch wichtige Neuigkeiten.«
Yendan spürte die Wut in sich auflodern. Dieser widerliche fette Zwerg war einer der wenigen, welcher es wagte so mit ihm zu reden. Er war schließlich Bölthorn, ein Gott. Er konnte diese kümmerliche Gestalt zerquetschen, wie einen fetten Käfer. Er konnte schon das Knacken hören. Doch vorerst brauchte er diesen überheblichen Zwerg noch für seine Pläne.
»Was habt ihr zu berichten, Markward?«
»Die Befruchtung ist geglückt. Die Mutter hat alles gut überstanden, die Geburt wird sie aber nicht überleben.«
»Wen kümmert das schon?«, fauchte Yendan.
»Wie lange wird es noch dauern?«
»In den alten Schriften steht etwas von dreizehn Sonnenläufen, aber wie ihr wisst, habe ich dieses Ritual zum ersten Mal durchgeführt.«
Yendan nickte. Der Zwerg ging auf die Tür zu.
»Markward, ihr seid persönlich für den Schutz meiner Leibesfrucht verantwortlich. Wenn ihr etwas zustoßen sollte, werdet ihr euch wünschen, eure Artgenossen hätten euch damals zu fassen gekriegt.«
Ohne irgendeine Reaktion zu zeigen, verließ der Grufhalzwerg den Raum.

Im Heerlager berieten Urdrag, Farold und die Menschen die Taktik für den Angriff.
»Die Feste ist noch etwa einen halben Tagesmarsch entfernt. Wir sollten lieber hier rasten. Wenn wir unser Nachtlager zu nah bei den Gegnern aufschlagen, besteht die Möglichkeit, dass uns ihre Späher entdecken.«, sagte Dragana.
Der Zwergengeneral fuhr sich nachdenklich durch seinen dichten Bart.
»Den Überraschungseffekt können wir sowieso vergessen. Die Feste liegt auf einem erhöhten Punkt. Ringsum findet sich nur flaches Land, der größte Teil der umliegenden Wälder wurde abgeholzt. Wir Zwerge wissen, wie man eine Verteidigungsanlage errichtet. Der ganze Stützpunkt ist ein einziges Bollwerk aus Fels und mächtigen Stämmen.«
Dragana schien unbeeindruckt von den Worten des Generals.
»Wir sollten von der Seeseite aus angreifen.«
Die Blicke der Anwesenden ruhten nun geschlossen auf der geheimnisvollen jungen Frau.
»Die Idee ist nicht schlecht«, kommentierte Urdrag das Gesagte.
»Der See ist nicht besonders groß, es dürfte ein Leichtes sein ihn zu durchschwimmen oder mit behelfsmäßigen Booten zu überqueren. Diese Seite der Anlage dürfte für die Eisbarbaren um einiges schwerer zu verteidigen sein. Außerdem verfügt die Wehrmauer dort über keine schweren Geschütze.«
Dragana nickte zustimmend.
»Aber es wird gar nicht nötig sein den See zu durchschwimmen. Dafür wird Zandurion schon sorgen!«
Die vier Menschen und Farold setzten ein wissendes Lächeln auf.

Die Sonne hatte sich gerade erst über die hohen Berggipfel geschoben. Zandurion spähte über den See zur Wehrmauer. Sie hatten einige Stunden geschlafen und waren dann im Schutze der Nacht marschiert. Alle Männer waren in den Plan eingeweiht. Dies waren die letzten Augenblicke vor der Schlacht.
»Es kommt Bewegung in die Wachposten«, flüsterte er seinen Gefährten zu.
»Das Ablenkungsmanöver scheint zu funktionieren.«
Die Einheit Armbrustschützen näherte sich der Wehranlage auf offenem Feld und nahm die Wachen unter Beschuss. Der Runenmeister sorgte für die passende magische Schützenhilfe. Der uralte Zwerg war auf Schutzrunen spezialisiert und würde die kleine Einheit vor den Geschossen bewahren.
Zandurion schaute Frika lange in die Augen.
»Bist du dir in dieser Sache wirklich sicher?«
»Ganz sicher, ich werde mit dir gehen. Mein Platz ist für immer und ewig an deiner Seite.«
»Ich liebe dich.«
Die beiden küssten sich zärtlich.
»Ok, es geht los!«
Zandurion berührte mit seinen Fingerspitzen die Wasseroberfläche und konzentrierte sich. Das flüssige Element verwandelte sich nach und nach in eine feste Fläche, bis das Eis letztendlich auch das andere Ufer erreichte.
»Jetzt muss alles schnell gehen, Männer. Es wird nicht lange dauern, bis die Menschen im Stützpunkt unseren Trick bemerken!«
Urdrag trieb seine Männer zur Eile an. Vorsichtig prüften die ersten Zwergenkrieger die Festigkeit der Eisfläche. Dann wagten sich immer mehr nach vorn.
Zandurion blickte sich um. Devrim war nirgends mehr zu sehen. Er musste mit an vorderster Front stehen. Dragana stand noch mit bei ihm und Frika. Aufmunternd nickte er den beiden Frauen zu, dann suchten auch sie sich ihren Weg über die spiegelglatte Fläche.
»Zandurion, Frika! Da oben!«
Dragana zeigte mit ihrer linken Hand auf die Wehrmauer. Zahlreiche Wachposten versammelten sich hinter der Brüstung. Die Angreifer hatten gerade einmal die Hälfte des Sees passiert.
»Verdammt, haben die unseren Trick so schnell durchschaut?«, fluchte Frika.
»In Deckung!«, rief jemand aus den vordersten Reihen. Die Krieger wurden mit Pfeilen und Armbrustbolzen eingedeckt.
Die Männer rissen ihre Rundschilde nach oben. Krachend schlugen die Spitzen in das Holz. Schmerzensschreie ertönten. Es folgte eine ganze Salve schwerer Geschosse.
»Das sind Speerschleudern! Ich denke die Seeseite hat keine schweren Geschütze?«
Zandurion blickte ungläubig zu Urdrag.
»Zumindest hatte sie die nie, bis jetzt.«
»Was sollen wir tun, hier auf dem See sind wir ohne jegliche Deckung.«
»Wenn wir den Rückzug antreten, werden sie uns in die ungeschützte Rückseite schießen. Wir müssten hohe Verluste in Kauf nehmen.«
»Du willst wie geplant angreifen?«
Der General nickte und hob seinen Kriegshammer in die Luft.
»Für die Ehre unseres Volkes!«
Ein donnernder Kriegsschrei erklang. Die Zwerge stürmten todesmutig nach vorn.
Heftige Flammen loderten an der Mauer empor. Devrim hielt die Wachposten vom Abfeuern der Speerschleudern ab.
»Devrim, pass auf, dass du nicht zuviel Hitze erzeugst!«
Der junge Mann hatte seinen Lehrmeister gehört und gab ihm ein Zeichen, dass er verstanden hatte. Wurfanker wurden über die Brüstung geschmissen, Leitern an die Mauern gestellt.
Die Zwerge stellten sich allerdings nicht als geborene Kletterer heraus. Frika hingegen hatte sich schon ein beträchtliches Stück empor gearbeitet. Ihr Geliebter war ihr nur einige Schritt weit hinterher.
Devrim bekam nun zusehends Schwierigkeiten. Wegen der vielen Kämpfer an der Mauer, konnte er seine Zauber nur noch eingeschränkt wirken. Zu groß war die Gefahr, dass er einen der eigenen Leute verletzte. Dies gab den Verteidigern die Möglichkeit zum Rückschlag. Bolzen regneten auf die Angreifer hinab. Die Kletterer waren den Geschützen hilflos ausgeliefert. Immer mehr Zwerge stürzten in die Tiefe.
Zandurion blickte nach unten. Er suchte nach Devrim. Viele der Schützen auf der Mauer konzentrierten sich nun auf den Feuermagier. Dieser wich immer wieder aus und suchte verzweifelt unter einem Schild Schutz.
Ungläubig sah Frika zu, wie ein dunkler Schatten die Mauer hinauf glitt.
»Was ... was war das?«
»Das war Dragana.«, rief Zandurion.
»Frika pass auf!«
Die Akrobatin schaute nach oben. Ihre Augen weiteten sich. Die Verteidiger hatten einen dampfenden Kessel auf die Brüstung gehievt, welcher sich nun direkt über ihr befand.
Dann kippten sie ihn. Die schwarze zähflüssige Masse stürzte die Mauer hinab.
Unsicher griffen die Finger nach dem Seil. Doch nur eine ihrer Hände bekam es zu fassen. Frika kämpfte um Halt. Der Sprung war gerade noch einmal geglückt, doch ihre Kräfte ließen sie langsam im Stich.
»Ist alles in Ordnung, mein Schatz?«
Doch Frika konnte nicht antworten. Die Kletterpartie hatte bereits zu lange angedauert.

Dragana glitt die Mauerinnenseite hinab. Alles schien an ihr vorbeizufliegen. Sie sah die wilden Männer mit ihren Fellen und barbarischen Waffen. Sie sah die Rinder und Schweine im Inneren der Anlage. Sie sah die Kinder und Frauen, welche man zum Schutz in eine Ecke unterhalb der Mauer gebracht hatte. Doch sie nahm alles nur flüchtig wahr. Es ging um das Leben ihrer Freunde. Sie allein konnte sie retten. Sie raste über den Felsen. Dann war sie endlich an dem kleinen Tor. Sie fuhr aus dem Boden. Ihre Augen suchten die Umgebung ab, niemand schien sie bemerkt zu haben.
Sie brauchte all ihre Kraft, um den schweren Balken aus der Verankerung zu heben. Endlich konnte sie die massiven Flügeltüren öffnen.
Kurze Zeit später stürmten die ersten Zwerge in den Innenhof. An vorderster Front stand General Urdrag, an seiner Seite hatte sich Farold positioniert.
»Wir müssen auf die Mauern die Schützen ausschalten! Ihr beiden kümmert euch um das Haupttor und lasst unsere Schützen rein!«
Seine Männer folgten dem Befehl sofort. Auch Devrim betrat den Hof. Keuchend lehnte er sich gegen eine Mauer.
Ein verbissenes Gefecht begann. Die Eisbarbaren hatten sich auf der Mauer verschanzt und gaben keinen Schritt an Boden preis. Zandurion war mittlerweile bei Frika angelangt und half ihr sich langsam abzuseilen.

Nach einem langen kräftezehrenden Kampf hatten die Zwergenkrieger die Überhand gewonnen. Der Widerstand der Verteidiger brach. Die Überlebenden wurden zusammen getrieben und gefesselt.
»Was passiert jetzt mit ihnen?«, fragte Frika.
Urdrag blickte die junge Frau fragend an.
»Wir werden sie hier behalten, bis der König ein Urteil über sie gefällt hat.«
Später am Tag feierten die Sieger ein rauschendes Fest. Die Zwerge hatten Rinder und Schweine geschlachtet und genehmigten sich einige Fässer Bier aus den Vorratskammern der Wehranlage.
Urdrag ließ es sich nicht nehmen mit den Menschen anzustossen.
»Ohne eure Hilfe wäre das nie geglückt. Wir stehen tief in eurer Schuld!«
Die Menschen prosteten dem General zu.
»Was ist denn los mit dir, mein Liebster?«, fragte Frika besorgt.
»Du bist so nachdenklich. Die Schlacht ist vorbei, wir haben triumphiert.«
»Ich weiß, aber ich mache mir Sorgen um Dragana. Schau sie dir an. Sie kämpft mit sich selbst.«
Devrim ließ sich von den Zwergenkriegern die Hände schütteln, dann ging er zu seinen Gefährten und umarmte einen nach dem anderen überschwänglich. Als Dragana an der Reihe war, stieß sie ihn schroff von sich.
»Lass das gefälligst!«
Der junge Mann blickte sie zornig an.
»Nicht schon wieder. Heute wirst du mir die Stimmung nicht vermiesen! Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, wir haben gesiegt! Wir sind alle noch am Leben.«
Dragana musterte ihn kühl.
»Und zu welchem Preis?«
Ihre Stimme hatte wieder den ironisch beißenden Unterton angenommen.
»Diese Männer hatten sich hier versteckt, um ihre Frauen und Kinder in Sicherheit zu wissen. Ihr versteht es nicht. Ihr redet nur von Ehre und Treue, von Völkern, Königen und Göttern. Doch sind es nicht andere Sachen die von Bedeutung sind? Müssten diese Menschen sich fremdes Eigentum zu eigen machen, wenn wir ihnen helfen würden, alles was sie zum Leben brauchen, zu erlangen? Ihr habt diese Männer getötet, weil sie Sicherheit für sich und ihre Familien suchten. Ich frage euch: Wer sind hier die Barbaren?«
Alle im Hof schauten zu der Frau in den dunklen Kleidern. Es herrschte Stille.
Stolz erhobenen Kopfes durchschritt sie die Reihen der Krieger und trat durch das Haupttor. Zandurion, Frika und Farold eilten ihr hinterher.

Die Frau auf dem Holztisch versuchte den Schmerz hinaus zu schreien. Ihr Körper hatte sich in den letzten Sonnenläufen verändert. In der kurzen Zeit schien sie viele Götterläufe gealtert zu sein. Ihre Haut hatte sich gelblich verfärbt, war rau und faltig geworden. Merkwürdige dunkle Male verunstalteten ihren gesamten Leib.
Beulen und Eiterbläschen hatten sich gebildet. Die Haut an ihrem Bauch war gespannt. Im Inneren schien sich etwas zu bewegen.
Markwards Augen glühten fanatisch. Seine dicken Finger rieben aufgeregt seinen Bauch.
»Die Frucht ist reif, Meister! Wir sollten jetzt beginnen.«
Yendan und Kromlok traten einen Schritt näher.
Der Grufhalzwerg nahm einen Dolch von der Tischplatte. Die lange Klinge reflektierte das Licht der Fackeln. Ungeschickt führte er die Spitze des Dolches an den Bauch der Frau. Langsam drang die Klinge durch das Fleisch. Noch einmal kämpfte die leidende Frau gegen ihre Schmerzen an. Ihr Körper zuckte und wand sich.
»Es ist vollbracht!«
Yendan betrachtete zufrieden sein Werk. In den blutverschmierten Händen des Zwergs lag ein Kind. Doch es hatte nur Ähnlichkeit mit einem Menschen. Scharfe Klauen und kräftige Flügel machten es zu einem überlegenen Kämpfer. Jetzt, da es einmal geglückt war, sollte es nicht schwierig sein, eine ganze Armee dieser Wesen zu züchten! Die ungleiche Gruppe ließ die verblutende Frau allein zurück.

»Hier drüben!«, rief Farold.
Frika und Zandurion rannten zu ihm. Dragana saß auf einem Stein und hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben. Ein leises Schluchzen war zu hören.
Die beiden Menschen setzten sich zu ihr. Frika legte liebevoll ihren Arm um Draganas Schultern.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Farold.
Der sonst eher grimmige Zwerg schien sich wirklich Sorgen zu machen. Nach einer Weile blickte Dragana auf und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Gar nichts ist in Ordnung. Nicht solange sich die Völker gegenseitig abschlachten. Jedes Volk hat seinen eigenen friedliebenden Gott und dennoch bekämpfen sie sich. Warum frage ich euch, warum?«
Doch die drei konnten ihr keine Antwort geben. Erneut suchten sich dicke Tränen ihren Weg über Draganas weiße Wangen. Alle vier schwiegen und gaben sich ihren Gedanken hin.

Nachdem sie sich lange und innig von Farold verabschiedet hatten, machten sich die vier Gefährten auf den Heimweg.
»Das glaubst du doch selbst nicht!«
Zandurion rollte mit den Augen.
»Ich bin mir ganz sicher, schließlich habe ich es mit meinen eigenen Augen gesehen!«, protestierte Frika.
»Ich glaube ihr. Warum sollte ein Zwerg denn anders fühlen als ein Mensch? Es kann durchaus sein, dass Farold eine Träne bei unserem Abschied kam. Ich glaube er hat euch beide sehr ins Herz geschlossen.«
Dragana hatte sich wieder beruhigt und saß stolz auf ihrem edlen Rappen.
Zandurion nickte.
»Aber nicht nur uns beide«, gab er zurück.
Devrim ritt schweigend hinter der Gruppe her. Düstere Gedanken plagten ihn. Anstatt ihren Sieg gebührend zu feiern, hatten seine Freunde den letzten Tag damit verbracht Dragana zu trösten. Niemand hatte sie für ihre ketzerischen Reden bestraft. Im Gegenteil, Frika und Zandurion hatten ihr sogar teilweise nach dem Mund geredet.
Wie konnten sie nur die Autorität des Königs in Frage stellen? Er war Kors heiliger Gesandter. Soviel Gutes hatte er für das Volk getan und jetzt machte man ihn verantwortlich für den Tod eines Haufens streunender Barbaren! Hier ging es um Größeres. Den Bestand des Gorokreiches, das Überleben des gesamten Menschengeschlechtes! Was zählte da schon eine Handvoll Menschenleben? Sollte die Chaosbrut des Nordens ruhig kommen, jetzt da Menschen und Zwerge vereint kämpften, konnte ihnen nichts und niemand etwas anhaben, dessen war sich Devrim sicher.
Kraftvoll trieb er seinen Hengst an und schloss zum Rest der Gruppe auf.
Dragana musterte den blonden Burschen von oben bis unten.
»Devrim?«
Er machte sich auf eine weitere Verbalattacke seitens der Magierin gefasst.
»Es tut mir leid. Ich wollte dir diesen Augenblick nicht zerstören. Ich weiß, dass er dir sehr wichtig war. Ich hoffe, du vergibst mir.«
Devrim erschrak, er hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einer Entschuldigung.
Entschlossen fasste er die Zügel von Draganas Pferd und brachte es zum Stehen. Dann lenkte er sein Reittier direkt neben sie. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie zärtlich.
»Schon vergessen«, sagte Devrim mit liebevoller Stimme.
Beide lächelten.
Frika und Zandurion hatten das Schauspiel aus einiger Entfernung beobachtet.
»Das hätte ich ihr nicht zugetraut«, sagte der Eismagier.
»Wir Frauen werden euch wohl immer ein Geheimnis bleiben.«
Frika beugte sich vorn über. Sie spürte die weichen Lippen Zandurions. Sie spürte seinen warmen Atem.
»He, ihr Turteltauben! Es geht weiter, wir wollen nicht die nächsten Sonnenläufe auf dem Waldboden übernachten!«
Devrim galoppierte an den dem jungen Paar vorbei, dicht hinter ihm ritt Dragana. Zandurion lächelte seiner Liebsten zu.
»Was hältst du von einem kleinen Wettrennen, meine Schöne?«
»Lieber nicht, ich bin zu erschöpft und außerdem ...«
Frika ließ ihr Pferd steigen und stürmte davon.
Zandurion war nicht sonderlich überrascht. Er gab seinem Pferd die Sporen und machte sich an die Verfolgung.

 

Ja was soll ich sagen, wieder mal eine neue KG aus der Welt Myanvar. Es handelt sich um eine indirekte Fortsetzung zu Kältestarre. Ich hoffe ihr habt etwas Spaß damit und natürlich auch, dass ihr einige Verbesserungsvorschläge auf Lager habt. Ich denke die KG kann auf jeden Fall für sich allein stehen. Wer die anderen Geschichten kennt, dürfte aber an keiner Stelle ins Stocken kommen.

Mit lieben Grüßen
Euer Ultra, der jetzt total kaputt ins Bett plumpst

 

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