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Zu viel versprochen

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24.01.2013
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Zu viel versprochen

Das ist ihre Chance Herr Budnick. Sie werden schon sehen, was wir Ihnen tolles vermittelt haben. Das zweiwöchige Probearbeiten bei der Steuerberaterin schaffen Sie doch bestimmt mit links und dann werden Sie ohne weiteres übernommen. Sie werden schon sehen.

Montag


Auf meinem Weg zur Nussallee 6 dachte ich noch einmal über die Worte meiner Sachbearbeiterin nach, die mir aber nicht wirklich Mut machten. Ich parkte meine alte Schrottkarre ein paar Straßen weiter, damit sie auch ja niemand zu Gesicht bekam. Ich war eine halbe Stunde zu früh, weswegen ich noch zehn Minuten wartete, ehe ich auf die Klingel drückte. Die Steuerberaterin, Frau Klug, öffnete mir höchstpersönlich die Tür und zwang sich dann zu einem Lächeln, als sie mich sah. Ich lächelte dämlich zurück und wurde dabei garantiert rot im Gesicht, was Frau Klug mit genervtem Blick zur Kenntnis nahm.
„Sie sind leider viel zu früh da, wir hatten ja eigentlich neun Uhr vereinbart“, sagte sie mit sehr vorwurfsvollem Unterton und komplimentierte mich dann in ein freies Zimmer. Eine halbe Stunde saß ich dort allein auf einem unbequemen Stuhl, bis ein stattlicher Mann mit Hemd und Krawatte ins Zimmer trat und ich mich erhob und ihm die Hand schüttelte. Er stellte sich als Herr Jakobus vor. Er war Steuerfachangestellter und wirkte um einiges freundlicher als seine Chefin. Er erklärte mir, dass ich mit ihm zusammenarbeiten würde und zeigte mir alle Räume. Sein Büro war relativ klein, aber ausreichend zum Arbeiten. Die Küche machte einen sauberen Eindruck und ich durfte mir Tee machen und Wasserflaschen holen, so viel ich wollte. Das Büro von Frau Klug war ausgesprochen geräumig und allen Wänden hingen hübsche Bilder. In den Regalen standen unzählige Bücher und es gab sogar eine direkte Verbindung zu einem großen und schönen Balkon auf dem ein Tisch und drei Stühle standen. Frau Klug sah nicht gerade begeistert aus, dass ich in ihrem Büro stand und dümmlich grinsend ihre Einrichtung bewunderte. Hinter ihrem riesigen Schreibtisch mit drei Monitoren darauf, warf sie mir einen bösen Blick zu, den auch Herr Jakobus bemerkt zu haben schien, da wir kurz darauf ihr Büro wieder verließen. Herr Jakobus führte mich in das Zimmer zurück, indem ich gewartet hatte und wies mir den Platz an einem Schreibtisch zu, an dem ich warten solle, bis er für mich Aufgaben zu erledigen hätte. Zudem würde Frau Mai demnächst eintreffen. Sie war die Sekretärin und würde mir zwei Wochen direkt gegenüber sitzen.
Ich saß auf meinem Stuhl und versuchte mir vorzustellen, hier zu arbeiten. Eigentlich würde es mir gut gefallen, da war ich mir sicher und auch wenn die Chefin sehr abweisend gewesen war, so könnte sich das bestimmt noch ändern. Die Aussicht aus dem großen Fenster war nicht berauschend und ging auf den Garten der Nachbarn, aber immerhin besser als nichts. Ich wäre mit viel weniger zufrieden gewesen.
Als Frau Mai erschien, schwante mir schon Böses. Sie sah mich etwas zu abschätzend und zu wenig freundlich an und erinnerte mich fast ein wenig an die Chefin. Nach kurzer Eingewöhnungsphase, in der ich schwören musste, dass ich nicht vorhatte ihren Job zu stehlen, war sie aber um einiges netter zu mir. Wenn ich sie etwas zu lange ansah, fragte sie mich auch sogleich, ob ich eine Frage hätte oder ob alles in Ordnung sei. Vielleicht war sie doch eine sehr Liebe, mit der man gut auskommen konnte. Angelogen hatte ich sie auch nicht, da ich eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten suchte und das zum Glück überhaupt nichts mit ihrer Arbeit zu tun hatte. Der erste Schritt war also getan für eine gute Zusammenarbeit.
Meine Aufgaben beschränkten sich in den ersten Stunden auf das Sortieren und Einordnen von verschiedenen Quittungen und Tankbelegen sowie von Kontoauszügen. Ich machte meine Aufgaben natürlich dennoch sehr gewissenhaft, sodass mir auch ja kein Fehler unterlief. Die Sekretärin hatte bereits um sechzehn Uhr Schluss, ich dagegen musste bis siebzehn Uhr dreißig arbeiten. Da ich lange nicht mehr gearbeitet hatte, war das eine sehr gravierende Umstellung und extrem kräftezehrend. Um dies auszugleichen trank ich sehr viel von meiner mitgebrachten Kola, um auch genügend Koffein im Blut zu haben und nicht so schnell müde zu werden.
Mir stand eine Mittagspause von 30 Minuten zu, die ich um vierzehn Uhr nahm, nachdem ich zuvor Herrn Jakobus um Erlaubnis gefragt hatte. Frau Mai empfahl mir einen Supermarkt, neben dem auch ein Imbiss stand und ich machte mich kurzentschlossen auf den Weg dorthin. Ungefähr auf der Hälfte des Weges blieb ich aber stehen. Ich war mir nicht sicher, ob ich auch rechtzeitig wieder zurück sein würde, was ich unter allen Umständen vermeiden musste. So blieb ich einfach in der Mitte des Bürgersteigs stehen und holte umständlich meine Kola sowie ein paar Walnüsse hervor, die ich mitgebracht hatte, weil sie schnell Energie lieferten, sodass ich bis zum Schluss leistungsfähig war. Meine Laune sank sehr schnell und ich fühlte mich einsam und allein. Auch die Sonne, die mir ins Gesicht schien, konnte daran nichts ändern und es frustrierte mich zudem, dass ich im Hochsommer den ganzen Tag in einem stickigen Büro sitzen musste, mit der schwachen Hoffnung, als Auszubildender übernommen zu werden. Zwar hatte meine Sachberaterin mir die tollsten Hoffnungen gemacht, aber ich wusste, dass das wahrscheinlich wieder ein Trick sein konnte. Mit meinen 33 Jahren hatte ich schon so manche Enttäuschung und unzählige vollkommen überflüssige Praktika hinter mir und war manchmal fast am Ende meiner Kräfte. Auch jetzt überkam es mich wieder. Vor zwei Jahren hatte ich wieder angefangen regelmäßiger Alkohol zu trinken, aber ich war weit davon entfernt ein Säufer zu sein. Manchmal wenn es mir schlecht ging, heiterte er mich einfach ein wenig auf. Das war auch schon alles.
Die Zeit wollte nicht zu Ende gehen und meine Pause nicht verstreichen und ich bereute es, nicht zum Supermarkt gegangen zu sein oder mir zumindest die Gegend angesehen zu haben. Noch immer stand ich sinnlos auf dem Gehweg und trat dann schließlich verfrüht meinen kurzen Rückweg an.
Dieses Mal öffnete mir die Sekretärin die Tür und fragte mich, ob ich die Sonne genossen hätte, was ich bejahte.
Wieder auf meinem Platz entdeckte ich ungefähr zwei Dutzend Blätter, die ich erst einmal nicht beachtete. Als Herr Jakobus ins Zimmer kam, sagte er mir, dass ich mir diese einmal durchlesen sollte und ihm kurz vor Schluss einen kurzen Vortrag darüber halten solle. Dies war wahrscheinlich der erste von vielen Eignungstesten, die ich wohl zu absolvieren hatte. Fast drei Stunden las ich mir die Blätter akribisch durch und machte mir dazu Notizen. In der Zwischenzeit hatte sich Frau Mai nett von mir verabschiedet, Frau Klug dagegen bekam ich überhaupt nicht mehr zu Gesicht. Und auf sie kam es natürlich am aller meisten an. Selbst Herr Jakobus würde ihr wohl nur beratend zur Seite stehen, er würde aber bestimmt über keinerlei Befehlsgewalt bezüglich meiner Einstellung verfügen.
Kurz vor halb sechs rief mich Herr Jakobus zu sich und ich hielt einen Vortrag über das neue und veränderte Erb – und Schenkungsrecht sowie andere Themen, die ich in diesem Moment selbst sehr interessant fand. Obwohl es schon spät war und ich mich nicht mehr so gut konzentrieren konnte, riss ich mich zusammen und trug die acht Blätter, die ich mir aufgeschrieben hatte, laut und deutlich vor, ohne andauernd auf sie schauen zu müssen. Einmal verhaspelte ich mich und brachte Herrn Jakobus damit zum Lachen, im Großen und Ganzen war ich aber sehr zufrieden mit meiner Leistung und selbst Herr Jakobus nickte am Ende anerkennend. Wenig später hatte ich Schluss und ich marschierte freudig zu meinem Wagen.


Dienstag


Heute kam ich nur eine Viertelstunde zu früh, aber Frau Klug schien auch damit nicht glücklich zu sein und quälte sich deswegen gerade noch zu einem flüchtigen guten morgen. Ihr Blick gefiel mir ganz und gar nicht. Ich glaubte zwar nicht, etwas falsch gemacht zu haben, aber eventuell hatte sie etwas gegen meine Person einzuwenden, was sogar noch um einiges schlimmer war.
Schnell setzte ich mich auf meinen Platz und machte die unerledigten Aufgaben vom Vortag weiter. Als Herr Jakobus eintraf, rief er mich zu sich und gab mir vier Aktenordner, deren Quittungen ich überprüfen und dann in ein Kassenbuch eintragen sollte. Ich freute mich über diese neue Aufgabe und dass ich mit der Rechenmaschine arbeiten konnte, die immer ein lustiges Klacken von sich gab, wenn man eine Zahl eingab und jede einzelne Eingabe auf Quittierblättern mit Tinte gedruckt wurde. Damit konnte ich alle Belege noch einmal nachrechnen, damit mir auch ja kein Fehler unterlief. Dies war sehr wichtig, da in einem Kassenbuch keine Seiten herausgerissen werden durften. Es war nur möglich vereinzelte Zahlen oder ganze Zeilen durchzustreichen. Ebenso musste es streng chronologisch angefertigt werden und wenn man eine Quittung vergessen hatte einzuschreiben und schon über 30 andere Quittungen weiter war, so musste man jede einzelne von denen wieder mit einer geraden Linie durchstreichen und ab der vergessenen Quittung neu ansetzen. Fehler waren also überhaupt nicht erlaubt, jedenfalls nicht wenn man irgendwann mit der Arbeit fertig werden wollte. Zudem sah es sehr schlecht für mich aus, wenn ich andauernd zahlen durchstreichen musste. Herr Jakobus würde davon ausgehen müssen, dass ich nicht gründlich und genau arbeiten konnte, was absolute Voraussetzungen waren, um in dem Beruf Erfolg zu haben.
Leider passierte mir dann aber genau das. Als ich mit dem Kassenbuch fertig war und meine Zahlen zwei Mal kontrollierte, ging ich damit zu Herrn Jakobus, der mich belustigt und ein wenig genervt ansah.
„Sie gucken sich die Rechnung aber schon mal genauer an oder?“, fragte er.
„Natürlich, sehr genau.“ Antwortete ich schnell.
„Das glaube ich weniger. Ansonsten müsste ihnen auffallen, dass Sie jedes Mal den Skonto vergessen haben“.
„Das kann ja gar nicht... äh...sein“, erwiderte ich. Ich hatte keine Ahnung, was ein Skonto war und musste es mir erst von Herrn Jakobus erklären lassen. Es gefiel mir überhaupt nicht, dass er so tat, als wäre ich ein kleines Kind, immerhin war ich mit meinen 33 Jahren bestimmt sogar älter als er. Außerdem war der Skonto viel Leichter zu erklären, als er es tat, auch ohne seine besserwisserische Art.
Wenn jemand eine Rechnung zu einem bestimmten Zeitpunkt, also fristgerecht bezahlte, so erhielt er einen Rabatt auf die Gesamtrechnung. Dieser Rabatt war in der Regel zwischen zwei und drei Prozent und ich hatte natürlich vergessen diesen Skonto auch abzuziehen. Somit waren die Zahlen, die ich aufgeschrieben hatte allesamt falsch und ich musste noch einmal von vorne beginnen. Herr Jakobus sah mich gespielt mitleidig an und wünschte mir viel Spaß dabei. Jetzt durfte mir kein Fehler mehr unterlaufen und nur zwei Stunden später hatte ich meine Zahlen erneut kontrolliert und ging mit dem Kassenbuch wieder zu Herrn Jakobus.
„Schlechte Nachrichten, Herr Budnick“, sagte dieser gerade, als ich sein Büro betrat. „Ich habe noch eine Quittung gefunden. Die muss wohl aus dem Ordner herausgefallen sein. Das tut mir sehr leid.“
Er sah überhaupt nicht so aus, als ob es ihm leid tun würde und ich musste natürlich noch einmal von vorne beginnen. Ich ließ mir meine schlechte Laune darüber nicht anmerken und bat Herrn Jakobus zuvor meine Mittagspause nehmen zu dürfen, die mir sogleich gestattet wurde.
Wieder schien mir die Sonne in mein Gesicht. Es waren etwas über 30 Grad und ich begann in meinem Anzug zu schwitzen, weswegen ich versuchte im Schatten zu laufen. Dieses Mal lief ich die volle Strecke zum Supermarkt. Wie ich von gestern wusste, würde die Zeit locker reichen, um mich dort genügend umzusehen und vielleicht eine Kleinigkeit zu kaufen und dann den Rückweg anzutreten. Der Supermarkt war eher klein, aber die Brotabteilung sagte mir zu und ich kaufte mir ein Kaffeestückchen. Auf dem Weg zurück bemerkte ich, dass ich noch immer eine Viertelstunde Pause hatte, weswegen ich beschloss, jeden Tag zum Supermarkt zu laufen, um mir irgendetwas zu kaufen. Dies würde meine Laune mit Sicherheit heben und ich wäre für die letzten drei Stunden wieder sehr motiviert. Ich wartete noch ein wenig vor der Tür, bis ich die Klingel betätigte und die selbe Traurigkeit von gestern überkam mich. Ich fühlte mich überhaupt nicht gut und wieder sehr allein. Um mich aufzumuntern, beschloss ich, dass sich das frühestens am Donnerstag ändern würde und ich nun eben durchhalten müsse. Das war dann einen Tag vor Freitag und das Wochenende stünde unmittelbar bevor. Das hatte mich schon in der Schule oftmals motiviert oder zumindest meine Laune gehoben.
Frau Mai öffnete mir die Tür und ich machte mich voller Elan an die Arbeit. Fehlerlos gab ich das Kassenbuch Herrn Jakobus, der sich nur ein wenig darüber beschwerte, dass ich etwas sauberer hätte arbeiten können. Ich versprach diesbezüglich Besserung und hatte kurz darauf Feierabend.


Mittwoch


Peinlich genau achtete ich darauf, dass ich dieses Mal genau zwölf Minuten zu früh da war. Ich hielt es für die beste Zeit. Es war nicht überpünktlich, sah aber sehr motiviert aus, wie ich fand. Frau Klug sah so aus, als ob sie mich erwartet hätte und sah mich sehr streng an.
„Guten Mogern, Herr Budnick!“, sagte sie bissig. „Sie haben gestern vergessen das Fenster in ihrem und Frau Mais Büro zu schließen. Es war die ganze Nacht lang offen gewesen und jeder hätte hier ohne Probleme einsteigen können. Zudem gab es gestern einen Sturm und das ganze Büro hätte unter Wasser stehen können. Würden Sie mir das bitte erklären.“
Natürlich konnte ich es nicht und ich stammelte eine verlegene Entschuldigung und wurde dabei wieder knallrot im Gesicht. Dann viel mir wieder ein, dass Frau Mai mir gestern tatsächlich gesagt hatte, dass ich das Fenster dringend schließen müsste, bevor ich ging. Ich hatte ihr dies gegenüber sogar versprochen und es dann einfach vergessen. Ich gab Frau Klug gegenüber alles zu und sagte, dass Frau Mai keine Schuld traf, aber sie zeigte sich von meiner Ehrlichkeit völlig unbeeindruckt und sagte nur, dass so etwas niemals wieder passieren dürfe. Dann ging sie einfach davon und ließ mich mit meiner Schande allein.
Herr Jakobus hatte heute eine neue Aufgabe für mich, bei der ich wieder sehr exakt arbeiten musste. Ich sollte das Fahrtenbuch für Frau Klugs Mandanten auf Richtigkeit kontrollieren. In diesem Fahrtenbuch waren alle Privat- sowie Geschäftsfahrten eingeschrieben. Geschäftsfahrten konnte man irgendwie absetzen, so ganz hatte ich es aber auch nicht verstanden. Ich benutzte dazu wieder die Rechenmaschine und die Arbeit machte mir Spaß. Danach machte ich mit dem Kassenbuch weiter. Ich hatte das Gefühl, mich mittlerweile ganz gut eingearbeitet zu haben und vergaß sogar den Fauxpas mit dem nicht geschlossenen Fenster wieder. Ich konnte nur hoffen, dass das bei Frau Klug genauso war, als ich ihr aber versehentlich in Herrn Jakobus Büro über den Weg lief, glaubte ich das nicht mehr. Fast bösartig sah sie einmal zu mir, als ich mich neben sie stellte und ich mich nicht traute, das Gespräch der beiden zu unterbrechen.
„Und was ist mit Ihnen?“, fragte Sie mich aus heiterem Himmel. Ich war mir so gut wie sicher, dass sie sich über mein Zusammenzucken amüsierte.
„Was führt Sie eigentlich hier her?“.
Ich stotterte eine Antwort, aber Sie hielt nur ihren bösen Blick weiter auf mich gerichtet.
„Ach, und da denken Sie hier gleich anfangen zu können. Haben Sie denn überhaupt schon einmal gearbeitet und wollen Sie hier einfach so, mir nicht dir nichts, anfangen?“.
Frau Klug schaute mich so an, als wäre ich ihr vollkommen gleichgültig, aber auch zugleich ein störendes Ärgernis. Einen wirklich üblen Blick hatte sie drauf. Herr Jakobus fing an zu lachen und es sah für mich so aus, als würden sie beide gegen mich sein und sich über mich lustig machen. Dann fragte Frau Klug, wie ich mich machen würde und kam noch einmal auf das nicht geschlossene Fenster zu sprechen.
Mir war schon fast schwindelig von Frau Klugs Schimpftiraden und die Ader auf meiner Stirn fing schmerzhaft an zu pochen. Natürlich hatte Frau Klug das recht dazu, sauer zu sein, obwohl eigentlich überhaupt nichts passiert war. Weder stand das Büro unter Wasser, noch war jemand eingestiegen und ich hatte mich bereits dafür entschuldigt. Es gefiel mir gar nicht, dass sie wohl einfach ihre schlechte Laune an mir loswerden wollte, aber ich konnte dagegen natürlich nichts tun und schaute deshalb nur zu Boden. In der Zwischenzeit sprach Herr Jakobus nicht gerade positiv über mich und meinte lachend, dass ihn nicht wunderte, dass ich vergaß das Fenster zu schließen, immerhin würde ich ein wenig zur Schusseligkeit neigen und würde auch nicht sehr sauber arbeiten.
„Na, dann haben Sie in unserem Beruf nun wirklich keine Chancen!“, sagte Frau Klug und sah mich fast triumphierend an. „Wenn Sie nicht in der Lage sind, sauber und genau zu arbeiten, dann haben Sie hier nichts verloren. Wenn bei einer Rechnung auch nur ein einziger Cent fehlt, dann geht diese eben nicht auf und man muss alles von vorne machen. Das ist Ihnen wohl klar oder?“.
Ich nickte blöd vor mich hin, unfähig zu sprechen. Die Ader auf meiner Stirn wollte sich gar nicht mehr beruhigen und auch Frau Klug schaute nun angewidert darauf. Dann verließ sie genervt den Raum und ich stand weiter schweigend herum, so als hätte mich jemand vergessen mitzunehmen. Eigentlich hatte ich nur eine kleine Frage an Herrn Jakobus gehabt und nicht damit gerecht, derart zusammengefaltet zu werden.
„Sie müssen sich das nicht so zu Herzen nehmen“, sagte Herr Jakobus schließlich. „Frau Klug klingt manchmal härter, als Sie eigentlich ist.“
Die tröstenden Worte kamen überraschend für mich, aber eigentlich hätte er sie sich auch sparen können. Immerhin hatte auch er schlecht über mich gesprochen und Frau Klug dadurch erst richtig angestachelt, weiter auf mich loszugehen. Wahrscheinlich sah er mich als Bedrohung, da ich vorhatte, das Gleiche zu machen wie er und ich ihn somit eigentlich auch ersetzen könnte. Natürlich musste er schlecht über mich sprechen und jetzt versuchte er das nur auszugleichen.
Leider hatte ich auch noch meine Frage vergessen, wegen der ich gekommen war und nun stand ich wirklich wie der Idiot da, als der ich zuvor dargestellt wurde.
Ich trank viel Kola und nahm zwei Hände voll Walnüsse, um genügend Energie zu haben, um meine Arbeiten schnell zu erledigen und keine Fehler zu machen. Bei jeder einzelnen Zeile ermahnte ich mich zu übertriebener Sorgfalt und trug die Zahlen so sauber ich nur konnte in die sehr kleinen Kästchen. Selbst Frau Mai fiel auf, dass ich voll konzentriert arbeitete und sie musste mir die Mittagspause fast aufdrängen, die ich endlich nehmen sollte. Ich leistete mir keinen einzigen Fehler mehr, kontrollierte alles noch einmal und ging dann mit der fertigen Arbeit zu Herrn Jakobus. Dieser zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt und gab mir dann eine andere Aufgabe. Ich sollte nun für einen Kunden, der ein Restaurant besaß, alle Preise heraussuchen und aufschreiben, die er selbst für den Großeinkauf seiner Waren bezahlte. Dazu gab es eine Liste mit allen Waren und ich nahm fünf breite Ordner mit in mein Büro, die ich dann ordentlich auf meinem Schreibtisch abstellte. In ihnen musste jeder einzelne Preis enthalten sein. Diese Aufgabe erwies sich als sehr mühsam und ich musste alle Ordner sehr genau durchgehen und fand dennoch am Anfang erschreckend wenig. Selbst die Kola und die Walnüsse halfen nicht. Am nächsten Tag würde ich damit weitermachen. Es war schon nach halb sechs.


Donnerstag


Ich nahm die Mittagspause pünktlich. Meine Annahme vom Dienstag, dass es mir am Donnerstag besser gehen würde, stimmte nicht. Es war der heißeste Tag der Woche und fast 40 Grad, aber dennoch fror ich im Schatten der Bäume. Dies hatte ausschließlich mit meiner Stimmung zu tun und ich fühlte mich sehr allein und bedrückt. Zwei an mir vorbeilaufende Kinder, die mich offensichtlich gerade heimlich auslachten, verschlimmerten dies sogar noch ein wenig.
Heute hatte mir Herr Jakobus die Tür geöffnet und da er normalerweise immer erst zwanzig Minuten später erschien, konnte ich es mir leicht selbst zusammenreimen, dass Frau Klug ihm die Anweisung gab, von nun an früher zu kommen, damit sie mir nicht die Tür öffnen und mich begrüßen musste. Ich hatte sie heute noch nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen und ich fragte mich, wie ich bei ihr anfangen sollte zu arbeiten, wenn sie meine Anwesenheit noch nicht einmal ertrug. Zu ihren Kunden war sie dagegen immer sehr freundlich und lachte pausenlos, sowohl am Telefon, als auch bei einem persönlichen Gespräch. Selbst mit Herrn Jakobus lachte sie oft gemeinsam. Nur ich hatte sie noch nie lachen gesehen und wenn doch, dann nur boshaft und über mich. Als ob das noch nicht reichen würde, konnte ich Frau Klug und Herrn Jakobus sogar über mich reden hören. Sie dachten wohl, dass sie leise genug sprachen, aber ich hatte genau gehört, wie sich Frau Klug über meine Frisur lustig gemacht hatte, die ich immer zu einem Seitenscheitel frisierte. Was sollte ich denn aber sonst auch machen, um seriös zu erscheinen? Und außerdem litt ich bereits unter Haarausfall und musste das beste mit den Haaren machen, die ich noch hatte. Dann lachten beide über den Anzug, den ich seit Montag trug und ich glaube sie sagten, dass es der einzige sein müsste, den ich besaß und mir dieser nicht einmal stand und passte. Zwar erledigte ich meine Arbeiten weiter, mit einem Ohr war ich aber doch bei jedem Geräusch, das ich vernehmen konnte und war somit etwas abgelenkt. Das Lästern der beiden machte mir schwer zu schaffen, aber am aller schlimmsten war etwas anderes: Die Sekretärin hatte sie anscheinend nicht alle. Unglaublich, dass mir das erst am vierten Tag aufgefallen war. Zuvor hatte ich noch geglaubt, dass sie höflich war, weil sie andauernd fragte, ob alles in Ordnung sei, wenn ich sie kurz ansah. Jetzt wusste ich es besser. Wenn ich sie auch nur eine Sekunde zu lang anschaute, sah sie mich wie eine Bekloppte an und fragte dann, ob ich eine Frage hätte oder ob eben alles in Ordnung sei. Wie eine Verrückte schüttelte sie dabei den Kopf und ihre Augen wirkten unfassbar dämlich. Dann hatte sie diesen bescheuerten Gesichtsausdruck, wenn sie etwas an ihrem Computer suchte und lächelte manchmal, als wäre sie nicht ganz dicht. Ganze vier Mal hatte sie mich heute schon gefragt, ob alles in Ordnung sei, als ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ und drei Mal, ob ich eine Frage hätte. Sie sah dabei vollkommen verrückt aus, weswegen ich meinte, dass ich Herrn Jakobus etwas fragen müsse und das nichts mit ihr zu tun hätte. Warum ich das sagte, wusste ich selber nicht, wahrscheinlich, damit sie mich endlich in Ruhe ließe.
Als Herr Jakobus dann aber unerwartet den Raum betrat, rief mir Frau Mai auch sogleich entgegen, dass ich ihn jetzt fragen könne.
„Mach doch! Frag doch! Da ist er doch!“. Ihre nervige Stimme war mir unerträglich und wurde nur noch von ihrem dämlichen Gesichtsausdruck übertroffen. Da ich eigentlich gar keine Frage hatte, sie aber nicht locker ließ, musste ich mir allen Ernstes erst eine Frage überlegen und kam mir dabei wie ein Idiot vor.
Ich betrachtete es als kleinen Trost, als ich bemerkte, dass Frau Mai aber auch die beiden anderen andauernd fragte, ob alles in Ordnung sei, wenn diese sie zu lange anschauten. Das Arbeiten mit dieser Sekretärin musste eine Qual sein und ich fragte mich, warum sie noch nicht längst entlassen worden war. Vielleicht war das sogar ein Vorteil für mich, denn wenn so eine Bekloppte hier arbeiten durfte, so könnte ich, der garantiert weniger verrückt war, eventuell auch hier beginnen. Es konnte sogar sein, dass Frau Klug nur ihre schlechte Laune an mir ausließ, die Frau Mai in ihr auslöste. Somit war sie nicht einmal wirklich auf mich sauer. Höchstens ein wenig wegen des blöden Fensters.
Das Heraussuchen der Preise für die Waren war momentan meine einzige Aufgabe und von neun bis vierzehn Uhr dreißig tat ich nichts anderes. Es machte mich nervös, dass die Aufgabe so lange dauerte und ich noch immer nicht ein einziges Mal irgend etwas Wichtiges oder zumindest Interessantes erledigen durfte. Auch den Computer hatte ich noch nicht ein einziges Mal benutzen dürfen und das, obwohl ich direkt davor saß. Zudem ließ Frau Mai vor einer Stunde in ihrer dämlichen Art die Bombe platzen. Sie sagte mir, dass Frau Klug bereits eine Auszubildende hätte, welche normalerweise an meinem Platz saß und jetzt gerade in der Zeit, in der ich da war, Urlaub hätte.
„Für dich ist dann ja eigentlich gar kein Platz mehr hier“, fügte sie hinzu und sah mich dann für mehrere Sekunden blöd von der Seite an und runzelte ihre Stirn, die ohnehin schon genügend Falten hatte. „Aber egal. Ich freue mich, wenn die Auszubildende wieder zurück ist. Sie heißt Christine. Wir verstehen uns sehr gut. Du wirst sie ja bestimmt nicht kennenlernen. Jedenfalls gibt es keinen Platz hier für dich und Herr Jakobus` Büro ist zu klein und Frau Klug lässt dich garantiert nicht in ihrem Büro sitzen und...“.
Die Sekretärin war mir mittlerweile fast unerträglich. Gut, dass sie nicht bis 17:30 Uhr mit mir zusammen saß.
Ich ging den Weg zum Büro zurück und hoffte, dass es mir morgen besser gehen würde.


Freitag


Immer noch bearbeitete ich die Ordner und suchte die Preise heraus. Konnte es sein, dass dies einfach nur Schikane war, um mich raus zu ekeln. Ich hoffte es nicht. Meine Laune wurde aber kurzzeitig besser, als ich von Frau Mai erfuhr, dass am Freitag nur bis 14 Uhr gearbeitet wurde und dann die Putzfrau kam und wir dann alle Schluss hatten. Ich arbeitete so gründlich und schnell ich konnte, aber ich konnte einfach nicht alles finden. Nachdem ich dies Herrn Jakobus mitteilte, bat ich darum zwischenzeitlich weiter das Kassenbuch bearbeiten zu dürfen, was er zwar erlaubte, das Augenmerk würde aber weiterhin auf der vorherigen Arbeit liegen. Ich war sehr froh, endlich wieder etwas handfestes erledigen zu dürfen und die Arbeit machte mir wieder Spaß. Ich suchte danach noch ein wenig, mehr als Alibi, in den Ordnern, fand aber wie zu erwarten nichts mehr.
Als die Putzfrau kam, gingen wir alle gemeinsam. Die Stimmung war etwas bedrückt und das obwohl es noch früher Freitag Nachmittag war und die Sonne kräftig schien. Ich wusste genau, dass dies nur an meiner Anwesenheit lag und wenn überhaupt dann sprachen nur Frau Klug und Herr Jakobus verschwörerisch ein paar Worte miteinander und Frau Mai steckte ihren Kopf hin und wieder dazu und tat so, als würde sie dazu gehören. Zur Verabschiedung gab Frau Klug allen die Hand und somit auch Not gedrungen mir. Sie schaute mir dabei aber nicht einmal in die Augen. Ich lief zu meinem Auto und erst als ich niemanden von den dreien mehr sah, bekam ich ein minimal gutes Freitagsgefühl, wie ich es aus der Schulzeit kannte.


Montag


Eine Woche war schon um und ich wusste nicht, wie es um mich stand. Ich hatte fast das gesamte Wochenende verschlafen und Abends nur allein ein paar Bier getrunken. Ich glaubte sogar bereits Alpträume von Frau Mai gehabt zu haben, die mich heute bereits unzählige Male gefragt hatte, ob alles in Ordnung sei oder ich eine Frage hätte. Dann schwärmte sie von der Auszubildenden, deren Platz ich noch immer beschlagnahmt hätte und sagte mir, dass ich es nicht schaffen könne, ihren Job zu stehlen und warum ich nicht endlich aufgab. Die hatte sie doch einfach nicht alle. Ihr dämlicher Blick machte mir bis zur Mittagspause schwer zu schaffen. Als sie mich hereinließ, fragte sie mich, ob ich die Sonne wieder genossen hätte und sie das ja nicht könne. Immerhin hätte sie nicht einmal eine Mittagspause. Als ich sie daran erinnerte, dass ich auch länger arbeiten würde, sah sie mich derart bescheuert an, dass ich meinen Blick von ihr abwenden musste. Auch heute bearbeitete ich das Kassenbuch weiter, aber noch immer musste ich diese verdammten Preise heraussuchen. Auch Herr Jakobus meinte bereits, dass ich schon sehr lange an der Aufgabe saß. Als ich erwiderte, dass ich so gut wie sicher sei, dass nicht jeder einzelne Preis auf der Liste enthalten war, sollte ich ihm alle meine Blätter geben, auf denen die Preise standen, die ich bisher herausgefunden hatte. Er schaute mich vorwurfsvoll an, als ich dies tat. Kurz darauf kam er wieder mit mehreren Blättern, auf denen verschiedenste Waren aufgelistet waren, die ein Restaurant anbot und ich sollte von jeder den Preis aufschreiben. Dazu gab er mir wieder ein paar Aktenordner und ich sollte zum Beispiel heraussuchen, wie viel der Restaurantbetreiber für eine Flasche Mineralwasser mit jeweils sechs Flaschen ausgab und wie viel dann der Preis für eine einzelne Flasche sei. Ich wollte mich auf der Stelle auf meine neue Aufgabe stürzen, aber mitten in meiner Bewegung verharrte ich einen Moment und sank dann fast auf den Ordnern zusammen. Ich dachte noch einmal darüber nach, was ich gerade erledigen sollte und fing ein wenig an zu zittern.
Was für ein lächerlicher Unsinn das war, was ich jetzt wieder tun sollte. Ich glaubte kaum, dass so etwas die Arbeiten eines echten Steuerfachangestellten waren. Viel mehr war es nichts weiter als reine Schikane. Normalerweise weiß jemand, dem ein Restaurant gehört ganz genau, was er für seine Waren bezahlt. Warum ruft man den nicht einfach an, anstatt Tage lang einer derart sinnlosen Arbeit nachzugehen? Das machte alles keinen Sinn. Ich konnte nicht fassen, was hier abgezogen wurde und in meinem Kopf drehte sich bereits alles. Ich sank für einen Moment auf einem der Ordner nieder und erschrak dann vor Frau Mais dümmlicher Stimme, die mich fragte, ob alles in Ordnung sei.
„Ja“, sagte ich nur und dieses Mal war sie es, die sich von meinem Gesichtsausdruck schnell abwandte.


Dienstag


Letzte Nacht konnte ich nicht schlafen und das, obwohl ich eine Menge Bier getrunken hatte. Meine Gedanken kreisten immer um dasselbe und meine Stimmung wechselte zwischen Wut und Selbstmitleid.
Es gab in dem Büro bereits eine Auszubildende, es war nicht einmal Platz für mich da, ich habe lächerliche und unnütze Arbeiten zu erledigen, die Chefin sieht mich nicht einmal an, Herr Jakobus ist auch ein Arsch und die Sekretärin hat eine Vollmeise.
Tolle Voraussetzungen, um dort zu arbeiten. Was hatte mir denn meine Beraterin nur für einen Mist erzählt? Manchmal fand ich mich damit ab, aber kurz darauf klammerte ich mich wieder an diesen letzten Strohhalm und hoffte inständig, dass sie mich nicht angelogen hatte. Ihre Worte klangen so nett und aufrichtig und dann musste ich hier diesen Wahnsinn ertragen.
Frau Klug öffnete mir morgens die Tür und ich versuchte wie ein normaler Mensch zu grinsen und mich zu bedanken. Ich hätte es mir aber auch sparen können, denn sie schenkte mir kaum Beachtung. Ich war aus Versehen fast zwanzig Minuten zu früh gekommen und mein Vorhaben, wieder draußen vor der Tür zu warten, hatte ich komplett vergessen. Kein Wunder also, dass sie sauer war. Eine Stunde später konnte ich sie sogar hören, wie sie mit Herrn Jakobus in dessen Büro schimpfte und ihn fragte, warum er nicht früher dagewesen war. Das bezog sich eindeutig auf mich. Als Herr Jakobus in mein Büro kam, benahm er sich auch merkwürdig und ignorierte mich.
Da ich keine andere Wahl hatte, versuchte ich weiter die Preise herauszufinden und kam auch erstaunlicherweise ganz gut voran. Ich trank sehr viel Kola und aß viele Walnüsse, was wohl meine gute Leistung erklärte. Bis zur Mittagspause war ich zufrieden mit mir. Meine Laune steigerte sich noch ein wenig, als ich mir ein Kaffeestückchen im Supermarkt holte und die Sonne mir warm ins Genick schien.
Wieder oben bemerkte ich dann allerdings, dass Frau Klug ausgerechnet an meinem Platz saß und wütend etwas in den Computer eingab. Ich näherte mich ihr mit fast zitternden Knien und sie nahm meine Anwesenheit mit sehr genervtem Blick zur Kenntnis.
„Gehen Sie mal woanders hin oder suchen Sie sich einen anderen Platz“, sagte sie, ohne dabei aufzuschauen. „Das, was Sie hier gerade tun, das können sie auch überall sonst wo machen. Oder machen Sie jetzt ihre Pause.“
Als ich kleinlaut erwiderte, dass ich gerade von meiner Pause kam, sah sie mich derart herablassend an, als wäre ich der größte Idiot oder auch das sinnloseste Wesen auf der ganzen Welt. Wortlos und mit herabhängenden Schultern verließ ich den Raum. Ich stellte mich in die Küche und hoffte, dass niemand zu mir kam. Herr Jakobus lief einmal an der Tür vorbei, er schaute aber nicht in meine Richtung. Dann hörte ich, wie sich Frau Klug und Herr Jakobus unterhielten und ich trat mehrere Schritte nach draußen, um besser mithören zu können. Zwar konnte ich nicht alles vom Gespräch verstehen, aber das, was ich hörte, ließ mich erschaudern.
„Was macht dein Praktikant eigentlich mit den ganzen Ordnern?“, hörte ich Frau Klug sprechen. „Und hat er schon alles gefunden? Nein? Diese Arbeiten kann doch sogar ein Affe erledigen!“
Ich weiß nicht, wie lange ich regungslos auf der Stelle stand und an nichts dachte. Als ich wieder auf meinem Platz saß, sah mich die Sekretärin dämlich an und wollte einfach nicht wegschauen.
„Meinst du, die sind hier mit deiner Arbeit zufrieden?“, fragte sie mich und schaute noch immer in meine Richtung..
„Ich weiß nicht. Ich hoffe es“, sagte ich leise, damit sie mich in Ruhe ließ.
„Das klang aber gar nicht so. Ich glaube fast, du wirst hier nicht so gemocht, aber du bist ja eh bald weg.“
Ich schaute weiterhin zu Boden und griff nach einem Ordner, aber die Sekretärin ließ nicht locker.
„Vielleicht mögen die dich aber doch oder zumindest Frau Klug. Immerhin saß sie eben gerade an deinem Platz. Hast du für sie etwas an dem Computer bearbeitet, was sie jetzt noch verbessern musste oder warum saß sie dort?“.
Frau Mai hatte wirklich starke Komplexe. Ich hatte den Computer noch nicht ein einziges Mal anmachen dürfen und ich hatte keine Ahnung, was Frau Klug auf meinem Platz gemacht hatte. Frau Mai ließ mich bis zum Ende kaum noch aus den Augen und als sie ging, sagte mir noch einmal wütend ins Gesicht, dass ich ihren Job nicht stehlen könne und ich endlich aufgeben solle. Ich erwiderte dem nichts. Bis zum Ende schaute ich alle Ordner gründlich durch. Vielleicht wäre ein Affe damit etwas schneller als ich gewesen, aber außer mir war in dem Raum niemand mehr.

Mittwoch

Donnerstag

War ich gestern überhaupt da? Ja, natürlich. Das heißt: Natürlich nicht. Die Straße zur Arbeit war über Nacht gesperrt worden und ich steckte über eine Stunde im Stau fest. Ich wusste keinen anderen Weg zu meiner Arbeit und ich musste zuhause erst einmal im Internet nach einer alternativen Strecke nachsehen. Ich war bereits zu spät und mein PC streikte. Irgendwie hatte es keinen Sinn mehr. Ich rief Frau Klug an und hinterließ eine hysterische Nachricht, die ich auch sogleich bereute. Nicht einmal meinen Namen hatte ich ihr genannt. Ich sagte irgend etwas von einer Krankheit, aber wenn sie mich jetzt danach fragte, wüsste ich nicht einmal, welche ich gesagt hatte.
Sie fragte nicht und wenn, dann wäre es mir auch fast egal gewesen. Ich hatte mir eben irgend eine Affenkrankheit eingefangen von der ich hoffte, dass sie ansteckend war. Ich erledigte weiterhin meine Arbeiten, aber vielleicht war jetzt ohnehin alles egal. Bei insgesamt nur zehn Arbeitstagen hatte ich bereits einen Fehltag und ich wusste nicht, ob ich jetzt durch meine eigene Schuld versagt hatte. Ich ärgerte mich noch immer sehr, dass ich gestern nicht wenigstens etwas später zur Arbeit gekommen war, aber in meiner bescheuerten Hektik hatte ich leider die Nachricht von einer Krankheit hinterlassen und war somit anscheinend arbeitsunfähig und mein Recht ins Büro zu kommen damit verwirkt. Frau Klug fragte aber nicht einmal nach einem ärztlichen Attest und ich war ihr offensichtlich vollkommen gleichgültig. Auf der anderen Seite müsste ich aber eigentlich dennoch ein Attest vom Arzt holen, da ich ansonsten einen unentschuldigten Fehltag hätte und das Grund genug wäre, um eine Absage zu erhalten. Insofern ich überhaupt noch einen Grund brauchte. Frau Klug würde sich aber garantiert über diese Steilvorlage freuen.
Da ich nichts mehr zu verlieren hatte, gab ich noch einmal alles. Ich trank wieder viel Kola und steckte mir eine Hand voll Walnüsse in den Mund. Dann schaffte ich es, in großer Geschwindigkeit das Kassenbuch weiter zu bearbeiten und ich fand noch einige gesuchte Warenpreise und rechnete davon mit Leichtigkeit die Einzelpreise aus. Ich musste etwas zu zufrieden mit mir selbst gewirkt haben, denn Frau Mai weigerte sich kurz darauf das Fenster auch nur ein wenig zu schließen und im Raum gab es nun einen starken Durchzug, der mir genau ins Gesicht wehte.
„Nur wenn du mir sagst, ob du wieder etwas für Frau Klug am Computer bearbeiten durftest“, sagte sie mir dann ins Gesicht. Ich sprach so höflich ich konnte mit ihr und fünf Minuten später war das Fenster wieder geschlossen. Ich hustete einige Male bis zu meiner Pause und gab daran heimlich Frau Mai die Schuld, die nun endlich Mal einen Grund hatte, mich zu fragen, ob alles in Ordnung sei und dies auch tat.
Ich blieb meine gesamte Pause über auf der gleichen Stelle in der Sonne stehen und trank nur etwas und aß Walnüsse. Dies war meine letzte Pause, die ich innerhalb meiner Probezeit haben würde und ich wollte sie genießen. Irgendwie klappte dies aber nicht und ich kam durch verschiedenste Gedanken schlecht drauf. Gestern hatte ich schon mittags ein paar Bier getrunken und auch eine Antidepressiva genommen, die mich sehr müde machte. Am Abend nahm ich noch eine. Irgendwie dachte ich, dass es danach besser ginge, aber eigentlich hatte ich nur vergessen, was ich den halben Tag über getan hatte. Viel konnte es nicht gewesen sein.
Bis zum Ende war ich weiterhin sehr motiviert und Herr Jakobus musste mich um halb sechs geradezu bitten endlich Feierabend zu machen, da auch er nach Hause gehen wollte. Ich tat ihm diesen Gefallen, wollte mich aber von meinen Aufgaben kaum trennen.

Freitag

Gestern habe ich von einem Arzt noch ein Attest für Mittwoch bekommen. Musste nicht einmal lange bitten und betteln. Hatte ihm gesagt, dass es mir nicht gut ging und somit nicht einmal gelogen. Da ich eine Grippe vortäuschen musste, schenkte er mir netterweise Antibiotika, die demnächst abgelaufen wären. Der Arzt hatte echt Charakter. Irgendwie vertrugen die Medikamente sich aber nicht so gut mit meinen Antidepressiva und ich glaube, gestern wieder einen kurzen Aussetzer gehabt zu haben. Habe irgendwie starke Kopf- und Halsschmerzen. An beiden gab ich Frau Mai die Schuld, die eben schon wieder das Fenster geöffnet hatte. Ich hustete einige Male und wohl weil es mein letzter Tag war, empfahl sie mir, einen Tee in der Küche zu holen, damit es mir besser ginge. Ich hörte auf ihren Rat und beeilte mich sehr bei der Zubereitung. Der Tee tat mir wirklich gut und das Kratzen im Hals ließ nach. Ich musste das Husten unbedingt unterdrücken. Es würde nicht gut für mich aussehen, da niemand gerne mit einem Kranken zusammen arbeitete und außerdem könnte ich sogar deswegen nach Hause geschickt werden. Am Montag käme dann wohl die Benachrichtigung, dass ich nicht angenommen worden sei und das war es für mich. Aber so sollte es nicht enden. Ich würde bis zum Schluss kämpfen. Wenn ich bloß heute morgen auf die Antidepressiva oder zumindest die Antibiotika verzichtet hätte, die mich einfach nur müde machten. Völlig arglos schluckte ich beide bei meinem Morgenkaffee. Eine wirklich schlechte Mischung. Um die Müdigkeit auszugleichen, trank ich wieder viel Kola. Herr Jakobus kam einmal herein und fragte mich lachend, ob heute mein letzter Tag sei. Ich sagte einfach ja und wusste nicht, ob er das Frau Klug weiter sagte und das somit mein Todesstoß war, so als ob ich meinerseits das Arbeitsverhältnis beendet hätte. Ich hoffte es nicht. Meine Kopfschmerzen nahmen immer weiter zu und Frau Mais Stimme drang schmerzend in mein Ohr, als sie mir sagte, dass sie für Frau Klug zur Post gehen müsse, um wichtige Pakete abzuschicken. Dann sah sie mich triumphierend an, da mir diese Aufgabe nicht zugefallen war und wiederholte noch einmal, wie wichtig die Pakete wären. Ich wünschte ihr viel Spaß und machte mich dann weiter an die Arbeit. Im Kassenbuch musste ich mehrere Zeilen ganz durchstreichen, da sich immer wieder vereinzelte Fehler bei der Arbeit eingeschlichen hatten, weswegen ich mich wieder zur Ordnung rufen musste, auch wenn das gar nicht so einfach war. Heute, am letzten Tag, war die letzte Gelegenheit, um mich zu beweisen. Zumindest an mir sollte es nicht liegen.
Ich beschloss, mir noch einen Tee zu machen, welcher mir wieder sehr gut tat, weswegen ich mir gleich noch eine Tasse holte. In der Küche drehte sich aber alles um mich herum oder in meinem Kopf und ich glaubte Herrn Jakobus dort begegnet zu sein.
Die Arbeiten liefen nun leichter von der Hand und ich gab wieder alles. Zwei ganze Seiten im Kassenbuch schaffte ich fehlerlos am Stück und in den Ordnern fand ich sogar noch weitere Warenpreise. Wenn es so weiter ging, dann wäre ich ganz zufrieden mit mir und ich durfte einfach keinen einzigen, weiteren Fehler mehr machen.
Im Büro war es seltsam ruhig und ich schloss mich dieser Stille gerne an. Wenn ich mich nur unauffällig genug benahm, so würde ich nicht einmal auffallen. Und wenn ich meine Arbeiten noch dazu gründlich und schnell erledigte, so wäre das ein doppelter Vorteil. Am besten wäre es, wenn sie die verrückte Sekretärin loswerden würden und mich, einen nicht Verrückten, dafür einstellten. Sollte Frau Mai davon eben halten, was sie wollte.
Ich beschloss eine kleine Pause zu machen, da meine Kopfschmerzen wieder etwas zu nahmen. In Kürze würde ich mir wohl noch einen Tee holen. Ich hatte ihn mir verdient. Aber in der Zwischenzeit würde ich einfach nur hier sitzen und mich ruhig verhalten.


„Da ist der Verrückte! Los, nehmen sie ihn fest!“, schrie die Sekretärin und bekam sich gar nicht mehr ein. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand oder wie ich dort hingekommen war. Erst bei einem genaueren Blick erkannte ich, dass ich in Frau Klugs Büro stand. Erst jetzt realisierte ich, dass ich etwas in meinen schon fast tauben Fingern hielt und die Erinnerung drückte sich nun schmerzhaft schnell in mein Bewusstsein.

Ich war in die Küche gegangen, um mir einen Tee zu machen und Herr Jakobus war mir dort über den Weg gelaufen. Er fragte mich, ob der Tee mir schmecken würde und ob ich schon alle Sorten ausprobiert hätte. Schnell erwiderte ich, dass dies meine erste Tasse sei. Was für eine dreiste Lüge und bestimmt sehr schnell zu entlarven. Ich hatte vergessen, ob ich ihn zuvor auch schon in der Küche gesehen hatte, da es mir so schlecht ging. Dann schaute er mich merkwürdig an und fragte, ob alles in Ordnung sei.
„Haltet ihr jetzt etwa alle gegen mich zusammen?“, fragte ich, ohne zu wissen, warum. Meine Gedanken gehorchten mir nicht mehr ganz und meine Worte anscheinend auch nicht.
„Ich weiß nicht, was sie meinen“, lächelte Herr Jakobus mich an. „Ich habe Sie nur gefragt, ob der Tee Ihnen schmeckt. Kein Grund mich derart zu hinterfragen.“
„Ja, der schmeckt gut“, sagte ich schnell. „Ist vielleicht doch schon meine zweite Tasse. Habe ich vergessen. Ist wohl die zweite.“
Ich fühlte mich auf frischer Tat ertappt. Zuerst log ich dreist und jetzt versuchte ich mich herauszureden.
„Und auch wenn es die dritte wäre, das ist mir ziemlich egal.“ sagte Herr Jakobus. Irgendwie war er nun schlecht gelaunt. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen? es scheint mir ja eher nicht so.“
Schon wieder musste er die Worte der Sekretärin benutzen und ebenso dämlich wie sie starrte er mich jetzt an und er wollte gar nicht mehr wegschauen.
„Sie sind wohl ganz schön durch den Wind“, sagte er erneut. Er sprach noch mehrere Sätze weiter, aber ich hatte sehr starke Probleme zuzuhören und das war mir wohl auch anzumerken. Ich glaubte das Wort Diebstahl aus seinem Kauderwelsch herausgehört zu haben. Konnte man meine vierte Tasse Tee schon Diebstahl nennen? Ich glaubte nicht, wusste es aber nicht genau. Drei Tassen waren ihm anscheinend egal, dann bestimmt auch die vierte. Oder sagte er es einfach nur so und es war jetzt zu spät.
„Ich klaue doch keinen Tee!“, rief ich. „Das ist meine erste Tasse und noch lange kein Diebstahl.“
„Eben sagten Sie noch, es sei ihre zweite Tasse und jetzt wieder die erste. Was ist denn überhaupt los mit Ihnen? Haben Sie etwas genommen?“.
„Ja, leider“, sagte ich Vollidiot und erntete auch sogleich einen verständnislosen Blick.
„Ich glaube Sie reißen sich hier gerade alles ein, was Sie sich mühsam aufgebaut haben.“ Herr Jakobus starrte mich noch immer dämlich an. Vielleicht war es nur eine Floskel von ihm oder aber ich hatte jetzt wirklich alles vermasselt. Ich musste ihm so schnell es nur ging von den Antibiotika erzählen und warum ich mich so seltsam benahm.
Ich bekam aber keinen einzigen, vernünftigen Satz heraus und stotterte vor mich hin und der Typ starrte mich noch immer an. Ich musste in Panik geraten sein. Es ging schon gar nicht mehr um den Tee. Ich torkelte auf den Küchentisch zu und griff nach dem Brotmesser, das mich in diesem Moment so verlockend anstarrte.
„Was haben Sie denn damit...“, rief Herr Jakobus mir aufgeregt entgegen. Ohne zu wissen, was ich tat, rammte ich ihm das Messer mitten in seinen Bauch, was ihn laut aufschreien ließ. Dann zog ich es verzweifelt wieder zurück und stach ein zweites Mal zu, traf aber nur seinen Unterarm. Wieder schrie er auf. Die Verzweiflung war uns wohl deutlich anzusehen; ihm auf jeden Fall. Meinen dritten Versuch zuzustechen, wehrte Herr Jakobus mehr durch Glück ab und stürmte dann auf mich zu. Es kam zu einer wilden Rangelei und er schaffte es, mir mit seiner Faust mitten auf die Nase zu schlagen, was mich fast ohnmächtig werden ließ. Dann schlug er noch einmal zu und irgendwie war ich wieder wach. Ich glaube, wir rutschten beide auf seinem Blut aus und kamen ins Schlingern. Kurz darauf gab es wieder einen größeren Abstand zwischen uns und als wir wieder festen Halt unter den Füßen hatten, schlug er mir noch einmal mitten ins Gesicht, was mich aufstöhnen ließ. Bevor er mir noch einen Schlag verpassen konnte, schaffte ich es irgendwie, ihn mit einem Tritt in den Bauch, der offensichtlich um ein Vielfaches so schmerzhaft wie normal war, etwas zurückzustoßen. Zuerst wollte ich ihm noch einen Tritt geben, aber ich entschied mich anders und stach mit dem Messer erneut zu. Wieder erwischte ich nur seinen Arm, aber der Schnitt war sehr tief und er fing sofort stark an zu bluten. Wie ein wildes Tier starrte er mich nun an. Da meine Hand, in der ich das Messer hielt, sehr stark schmerzte, wollte ich noch einmal nach ihm treten, aber wieder rutschte ich auf dem Blut aus, das auf dem Küchenfußboden verteilt war. Ich humpelte ungeschickt auf Herrn Jakobus zu und dieser ließ sich nicht zwei Mal bitten. Er hielt mich mit seiner linken Hand am Hinterkopf fest und schlug mir mit der rechten Faust drei wilde Schläge ins Gesicht. Der erste hätte mich beinahe wieder umgehauen, die beiden darauffolgenden waren aber um einiges schwächer. Er musste schon eine Menge Blut verloren haben und seine Kräfte gingen wohl langsam zur Neige.
Da ich jeden seiner Schläge mit meinem Gesicht pariert hatte, ging es mir aber genauso. Der Griff, mit dem er mich festhielt, wurde schwächer und da ich noch immer das Messer in Händen hielt, nutzte ich meine Chance und stach noch einmal nach ihm. Ich schaffte es nur ein wenig an seinem Hals entlang zu ratzen, was ihn aber vor Schreck wieder neue Kräfte entfachen ließ, was ich an seinen dämlichen Augen sah, die fast nichts menschliches mehr in sich hatten. Gerade wollte er wieder auf mich losstürmen und mich packen, aber seine Bewegungen waren nun zu langsam und vorhersehbar. Ich trat ihm noch einmal in seinen dicken Bauch, was ihm komplett die Luft nahm. Dann rannte ich auf ihn zu und stach mit dem Messer seitlich in seinen Bauch. Er war zu erschöpft, um aufzuschreien; vielleicht bekam er es auch gar nicht mehr mit.
Für einen Moment schauten wir uns in die Augen. Er sah noch immer animalisch aus, aber auch ein bisschen wie ein sehr beleidigtes Kind, das mir sagen wollte, dass ich angefangen hatte. Ich glaubte aber, dass er es war, der anfing, immerhin hatte er sehr provoziert und mir ins Gesicht geschlagen.
Irgendwie schaute er mich nun wieder herausfordernd an. Ich glaubte, dass er etwas hinter seinem Rücken versteckte. Ehe ich mich versah, schlug er mit einem Glas oder einer Tasse nach mir und knallte sie mir klatschend auf die Stirn. Augenblicklich tropfte Blut auf mein Gesicht und ich war etwas benommen. Auf der Stelle wollte Herr Jakobus dies ausnutzen und kam auf mich zu. Er hätte fester zu schlagen sollen, denn ich war noch immer klar im Kopf. Mit meinem linken Arm drückte ich ihn etwas zurück, aber der Dicke war stark. Er schlug meinen Arm zur Seite und versuchte nun mit beiden Händen meinen Hals zu würgen. Gerade als seine Pranken nur noch wenige Zentimeter von mir entfernt waren, stach ich mit dem Messer mit dem Mute der Verzweiflung zu. Ich erwischte ihn direkt in der Brust und das Messer sank tief in seine Haut ein. Wie ein nasser Sack fiel er in sich zusammen und knallte regungslos auf den Küchenboden. Er blieb auf dem Bauch liegen und kurz darauf floss Blut zu allen Seiten von seiner Körpermitte ausgehend davon.

Noch immer etwas benommen, nahm ich einen Schluck von dem Tee, der mir überhaupt nicht schmeckte. Es war ein seltsames Aroma.
Ich lief in das Büro von Frau Klug, aber sie war nicht an ihrem Platz. Als ich nach draußen sah, erkannte ich, dass sie auf dem Balkon saß. Sie hatte von der Auseinandersetzung zwischen mir und Herrn Jakobus wohl noch nicht einmal etwas mitbekommen. Ich lief ins Bad und wischte mir das Blut aus meinem Gesicht. Dann setzte ich mich für einen Moment wieder auf meinen Platz. Ich würde das Kassenbuch aber nicht weiter bearbeiten. Ich hatte dazu einfach keine Lust und die fehlenden Warenpreise würde ich auch nicht mehr suchen. Stattdessen ging ich wieder langsam auf Frau Klugs Büro zu. Ich stellte mich einfach in den Raum und bewunderte erneut die schönen Bilder. Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, als Frau Klug mich fragte, ob alles in Ordnung sei oder ob ich eine Frage hätte. Ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung und als sie mein geschundenes Gesicht erblickte, sah sie mich erschrocken an und wiederholte ihre Frage eins zu eins. Eins zu eins. Ohne zu zögern lief ich auf sie zu. Irgend etwas hatte sie in mir ausgelöst. Noch immer sagte sie etwas, aber ich bekam ihre Worte nicht einmal mehr mit. Ich ging hinter sie, ergriff ihren Kopf und schlug ihn mehrere Male auf die Tastatur, die direkt vor ihr lag. Am Anfang ging das sehr schlecht, doch dann immer besser und ihre Klagelaute verstummten irgendwann. Als ich nicht mehr konnte, ging ich auf den Balkon und genoss für ein paar Minuten die schöne Aussicht. Dann ging ich wieder zurück und betrachtete noch einmal die Bilder, bevor ich zu Frau Klug zurück ging und weiter mit ihrem Kopf auf die Tastatur schlug. Zwischenzeitlich war wohl Frau Mai zurückgekehrt und hatte die Polizei verständigt. Nun stand sie ein paar Meter von mir entfernt und starrte mich dämlich an. Mehrere Polizisten waren an ihrer Seite, die nun auf mich zugerannt kamen und mich packten.

Ich wehrte mich kein bisschen. Ich war jetzt wieder klar im Kopf und musste mir eingestehen, was für einen unfassbaren Mist ich gebaut hatte.
Die Polizisten riefen alle etwas, aber ich konnte nur Frau Mais Stimme deutlich heraus hören, die hysterisch auf die Polizisten einredete:
„Der Typ ist der aller schlimmste! Er hat versucht mir meinen Job zu klauen! Nur deshalb war er überhaupt hier! Als er bemerkte, dass ich zu gut bin, in dem, was ich tue, muss er wohl ausgerastet sein und hat dann beide umgebracht. Und das, obwohl ich ihm so oft sagte, dass er meinen Job nicht stehlen kann! Dieser Mörder!“

Die Polizisten brachten mich weg und hielten mich dabei vorn über gebeugt. Die Sonne schien in mein Gesicht, aber auch sie spendete mir keinen Trost. Was hatte ich nur getan? Es ging mir aber auch einfach überhaupt nicht gut. Normal war das jedenfalls nicht. Die Tabletten waren zu viel gewesen und ich hatte wohl zu wenige Walnüsse gegessen und Kola getrunken und deshalb einen gewaltigen Aussetzer erlitten. Oh, man. Ups. Was für eine Scheiße. Vielleicht geht es aber in ein paar Wochen oder zumindest Monaten wieder etwas besser. Na ja, ich glaube nicht.

 
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Hallo Jonni,

diese Geschichte ließe sich problemlos um gut sechzig Prozent kürzen. Fast jeder Satz ist zu lang und enthält überflüssige und unnötig umständlich formulierte Informationen.

Was mich dabei gehalten hat, war die Spannung, wie sich aus dieser Steuerbüro-Ödnis heraus der Horror entwickeln würde. Da gäbe es viele Möglichkeiten. Er entdeckt, dass das Büro die Steuern macht für einen Milliardär, der auf seinem Privat-Eiland Menschenjagden veranstaltet, oder Herr Jakobus ist ein Dämon, dem als menschliche Form der Steuerfachangestellte einfach sinnvoll erscheint, oder die Klug will, dass der Prot ihr für den Job ein Kind macht, weil das Büro ein getarnter Tempel für die Anhänger eines uralten Gottes des Chaos ist (die Ordner mit den besonders vergilbten Papieren enthalten von Steinreliefs durchgepauste Gebete aus vorbabylonischer Zeit), der durch sie wiedergeboren werden soll. Und, und, und ... irgendwann ab der Mitte dachte ich dann: Auha, dieses weinerliche „Alle sind doof zu mir“, es wird doch wohl nicht auf einen simplen Amoklauf hingearbeitet?

Aber genau so kommt es. Und ähnlich wie bei den Selbstmordgeschichten der Schreibanfänger denkt man: Das ist doch einfach viel zu offensichtlich, dass es so einfach nicht ist. Wenn „Die Chefin ist scheiße“ der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt, dann musst du vorher beschreiben, womit dieses Fass gefüllt ist. Das bleibt völlig aus. Die Demütigung, seine Existenzangst, das alles kommt gar nicht rüber, obwohl die Geschichte so unglaublich lang ist.

Der Aufbau: Dieses mit den Tagen ist okay, aber ich würde mich auf Montag bis Freitag beschränken. Ich dachte am Mittwoch, jetzt geht's gleich ab, und dann habe ich gesehen, dass noch eine Woche kommt, und ich habe das Überfliegen angefangen, weil einfach ÜBERHAUPT NICHTS passierte. Wenn du dir mal Geschichten anguckst, die das auch so machen: Meistens geschieht schon am Montag irgendeine Kleinigkeit, perfekterweise aber eine, die von Tag zu Tag mehr Sinn macht und sich dann vom Finale aus gesehen hundertprozentig erklärt. Außerdem ist die Steigerung wichtig. Deine Tage sind völlig austauschbar, die plätschern so vor sich hin und rumms, kriegt der Jakobus das Messer in den Bauch. Einfach so. Darum glaubt man das auch nicht.

Und sonst:

Kommafehler im ersten Satz: Autsch.

etwas Tolles, das muss man glaube ich laut NR groß schreiben.

Mal so für die generelle Glaubwürdigkeit: Probearbeiten kenne ich von H&M und aus der Produktion von Industriebetrieben. Beim Steuerberater? Gibt's das echt? Zumindest, für einen arbeitslosen Ü30?

Auf meinem Weg zur Nussallee 6 dachte ich noch einmal über die Worte meiner Sachbearbeiterin nach, die mir aber nicht wirklich Mut machten. Ich parkte meine alte Schrottkarre ein paar Straßen weiter, damit sie auch ja niemand zu Gesicht bekam.

Straßen und Leute haben manchmal die beknacktesten Namen, aber als Autor hast du das in der Hand und musst da nicht gleich so einen leicht lächerlichen Unterton reinbringen. Warum ist der Name der Straße überhaupt wichtig? Und bei der „alten Schrottkarre“ entsteht kein Bild im Kopf. Besser: Jedes Mal, wenn er gerade einen klaren Gedanken gefasst hat, fleht der Keilriemen kreischend um Gnade, oder es ist bullenheiß und er kann das Fenster nicht runterkurbeln, weil er genau weiß, dass er es sonst nicht wieder hochbekommt, irgendwas in der Art. Beschreiben, nicht behaupten.


Die Steuerberaterin, Frau Klug, öffnete mir höchstpersönlich die Tür und zwang sich dann zu einem Lächeln, als sie mich sah. Ich lächelte dämlich zurück und wurde dabei garantiert rot im Gesicht, was Frau Klug mit genervtem Blick zur Kenntnis nahm.

Mal ein Vorschlag: Frau Klug öffnete selbst die Tür. Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie mich sah. Ich lächelte zurück und spürte, wie ich errötete. Das schien ihr zu missfallen.


sagte sie mit sehr vorwurfsvollem Unterton

Das ist der Klassiker: Wenn du beschreiben musst, wie etwas gesagt wird, stimmt mit dem Dialog was nicht. Bräuchtest du an dieser Stelle auch nicht. Wobei ich mich inhaltlich frage, warum er extra zehn Minuten wartet und dann immer noch zu früh ist. Viel zu früh kommen ist ja nunmal genauso unhöflich wie zu spät. Man merkt an dieser Stelle, dass die Klug als Ziege rüberkommen soll, aber ich zumindest denke stattdessen über den Prot: Trottel.


bis ein stattlicher Mann mit Hemd und Krawatte ins Zimmer trat und ich mich erhob und ihm die Hand schüttelte

Das ist so formuliert, als könnte er das Aufstehen und Handschütteln nicht selbst kontrollieren – also erhob ich mich und schüttelte ihm die Hand.


und allen Wänden hingen hübsche Bilder.

an, und „hübsche Bilder“ ist auch wieder so nichtssagend wie Schrottkarre. Was ist auf den Bildern zu sehen?


Verbindung zu einem großen und schönen Balkon

Verbindung zu einem Balkon


dümmlich grinsend

Er sieht sich ständig doof gucken, rot werden, dumm grinsen ... Was für'n Typ! Du willst doch einen, mit dem man mitfiebert. Schwächen sind wichtiger als Stärken, um eine Figur sympathisch zu machen, aber wenn einer ständig von sich selbst sagt, „Ich bin eigentlich so der letzte Horst“, das ist kontraproduktiv.


da war ich mir sicher und auch wenn die Chefin sehr abweisend gewesen war,

Komma vor „und“ weil vollständiger Satz.


Nach kurzer Eingewöhnungsphase, in der ich schwören musste, dass ich nicht vorhatte ihren Job zu stehlen,

Das ist schon klar, was gemeint ist, aber vorstellen kann man sich das so ganz ohne Herleitung nicht. Besser wäre, die Figur erst ein bisschen auf Distanz zu halten, und dann kommt man sich näher, nachdem er unter dem offenkundigen Druck ausgerastet ist und zu ihr gesagt hat: Hören Sie, das ist jetzt wichtig: Ich – will Ihnen – nicht den Job wegnehmen. Verstehen Sie? Will ich nicht. Ganz im Ernst. Manchmal entwickeln sich ja die besten Freundschaften zwischen Leuten, die sich eingangs nicht leiden konnten. Umso größer dann der Knaller, wenn das Monster ihr kurz vor Schluss den Kopf abreißt. Oder was auch immer noch passiert, wir sind ja hier in Horror. Das kommt dann doppelt so dick, wenn die Zuneigung aus anfänglicher Feindschaft entstanden ist. Weil sie was gekostet hat. Denk an Rocky und Apollo.


Ich machte meine Aufgaben natürlich dennoch sehr gewissenhaft, sodass mir auch ja kein Fehler unterlief.

So bläst man einen Text auf. „natürlich dennoch“ ist „trotzdem“ (oder einfach dennoch!), der Inhalt nach dem Komma steckt im zuvor Gesagten bereits drin.


Um dies auszugleichen trank ich sehr viel von meiner mitgebrachten Kola, um auch genügend Koffein im Blut zu haben und nicht so schnell müde zu werden.

Auch: Ich trank Cola, um wachzubleiben.


stand und ich machte mich kurzentschlossen auf den Weg dorthin.

Ganzer Satz, Komma vor und.


Die Zeit wollte nicht zu Ende gehen

Das klingt wahlweise philosophisch oder physikalisch. Die Zeit geht um/rum


zu einem flüchtigen guten morgen.

„Guten Morgen“


einzuwenden, was sogar noch um einiges schlimmer war.

gewesen wäre


wenn ich andauernd zahlen durchstreichen musste.

Der Text ist ja so sonst ganz ordentlich redigiert, aber kleingeschriebene Hauptwörter sehen echt immer mega-schlampig aus.


Natürlich, sehr genau.“ Antwortete ich schnell.

Natürlich, sehr genau", antwortete ich schnell.


immerhin war ich mit meinen 33 Jahren bestimmt sogar älter als er.

Da kam für mich zumindest sehr überraschend, ich hatte bei Jakobus einen Mann um die fünfzig vor Augen.


natürlich vergessen diesen Skonto auch abzuziehen.

natürlich vergessen, diesen Skonto auch abzuziehen.


Herr Jakobus sah mich gespielt mitleidig an und wünschte mir viel Spaß dabei.

Er war vorher korrekt zum Prot. Es ist nichts passiert, was das rechtfertigt, dass er jetzt plötzlich so arschig ist. Es muss nachvollziehbar sein, warum jemand etwas auf eine bestimmte Art tut.


Natürlich konnte ich es nicht und ich stammelte eine verlegene Entschuldigung und wurde dabei wieder knallrot im Gesicht.

Du machst sehr viele unds, ruhig ab und (!) zu lieber zwei Sätze stattdessen.


alle Privat- sowie Geschäftsfahrten eingeschrieben

eingetragen


her?“.

Kein Punkt.


aber Sie hielt nur

Sie groß ist Anrede.


Frau Klugs Schimpftiraden

Man hält ihn da für ein Weichei, weil sie ihn nur ein bisschen schärfer angesprochen hat.


„Sie müssen sich das nicht so zu Herzen nehmen“, sagte Herr Jakobus schließlich. „Frau Klug klingt manchmal härter, als Sie eigentlich ist.“

Der Jakobus ist echt nicht stringent charakterisiert.


als der ich zuvor dargestellt wurde.

Vorvergangenheit: worden war.


Grüße
JC

 

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