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Zwei Wächter
"Noch ne Runde."
"Okay... also, ich sehe was, was du..."
"Die Wand?"
"Ja, die Wand."
"Langweiliges Spiel."
"Du hast Recht. Und jetzt?"
"Weiß nicht. Unsere Schicht geht noch acht Stunden. Wollen wir unsere Hellebarden polieren?"
"Sicher nicht, wenn du dabei bist."
"Ich meinte die Waffe in deiner Hand."
"Ach, das ist also eine..."
"Ja."
Die beiden Wachmänner standen nun schon eine ganze Weile links und rechts vor der dicken Eichentür und blickten stur geradeaus. Der Kodex der Wachmänner verlangte von ihnen, sich nicht zu bewegen, keine Mine zu verziehen und die Tür am gegenüberliegenden Ende des Korridors ununterbrochen im Auge zu behalten. Seit nunmehr achtzehn Jahren sorgten sie, gemeinsam mit ihren beiden Kollegen von der Nachtschicht, nun schon für die Sicherheit und Unberührtheit von Prinzessin Hermine zu Dramstedt, jüngster Spross und mangels männlicher Nachkommen sicher auch baldige Thronfolgerin des Geschlechts derer zu Dramstedt.
Achtzehn Jahre lang. Jeden Tag. Keine Pause. Kein Urlaub. Keine Wochenenden. Keine Krankheitstage.
"Manchmal frage ich mich, warum ich nichts Anständiges gelernt habe."
"Was denn? Du kannst doch nichts."
"Darum wollte ich es ja lernen. Tischler zum Beispiel. Tischler wäre fein."
"Tischler? Nee, das macht doch keinen Spaß. Ich brauche Abenteuer in meinem Beruf. Abwechslung und Nervenkitzel."
"Ja. Dann bist du hier genau richtig."
"Stimmt schon. Aber wer konnte denn ahnen, dass die Prinzessin so ein... naja... ich meine, das war nicht absehbar, als ich hier den Vertrag unterschrieben habe."
Prinzessin Hermine zu Dramstedt war einst, wie jedes andere Baby, eine furchtbar knubbelige und niedliche Erscheinung gewesen. Sie hatte Milch getrunken, ab und zu ein mittelgroßes unappetitliches Häufchen gemacht, gesabbert, geschrien und ihre Zehen in den Mund genommen, war egoistisch und von der ständigen Erwartung getrieben, alles und jeder würde einzig und allein zu ihrer Erheiterung existieren.
Im Laufe der Jahre hatte sich da natürlich einiges geändert. Inzwischen konnte sie ihre Zehen nicht mehr in den Mund nehmen.
"Ich meine, welcher Held würde schon freiwillig, also..."
"Den Palast stürmen, im Eingangsbereich sämtliche Dienerscharen niedermetzeln, die königlichen Ritterheere vermöbeln, den hinterlistigen Hutmagier im Duell besiegen, sich die Treppen des höchsten Turmes des Schlosses hochkämpfen, dem bösen einäugigen Drachen den Schlüssel entwenden, dann wieder die Treppe runterstolpern, das endlose Labyrinth des Wahnsinns durchqueren, nur um irgendwann durch diese Tür da vorne zu stoßen, um uns beiden in einem heldenhaften Kampf um den Einlass in das Gemach der Prinzessin gegenüberzustehen?"
"Der König hat seine Tochter echt gut versteckt, oder?"
"Haha. Naja, aber sowas würde wohl echt kein Held freiwillig machen."
"Das Schlimmste ist ja auch, dass er dann hinterher die Prinzessin heiraten müsste."
"Manchmal sehne ich mich ja nach meinem alten Job."
"Warum?"
"Da war ich bei einem Sultan beschäftigt und habe den Harem bewacht."
"Du hast..."
"Neidisch?"
"Ach, geht. Wird man da nicht vorher zum Eunuchen gemacht?"
"Och, naja... Sie haben gesagt, das wäre bei mir nicht nötig."
Die Sonne stieg höher und schien durch das einzige Fenster des Korridors zu ihrer Rechten. Der als Sonnenuhr fungierende Knauf der Tür gegenüber der Wächter zeigte schräg nach unten links. Viertel vor zwölf. Es war mitten im Sommer und die beiden Männer schwitzten unter ihren dicken Uniformen und den fellbesetzten Mützen. Schweiß rann in Sturzbächen ihre Gesichter herunter und tropfte ihnen vom Kinn. Aber die beiden waren zu diszipliniert, um sich den Schweiß abzuwischen oder sich etwas anmerken zu lassen.
"Nur der Choreograph war irgendwie nicht sonderlich gescheit."
"Habt ihr da getanzt?"
"Nur am Wochenende. Nein, ich meinte den Kampfchoreographen. Kannst du dir das vorstellen? Wann immer ein Held den Harem betreten hatte, um eine Jungfrau zu entführen, und das kam oft vor, mussten wir dieselbe Taktik anwenden."
"Mundgeruch?"
"Nein, wir... Moment mal, willst du mir damit irgendwas sagen?"
"Nö. Ich mag den Geruch von Zwiebelmett am Mittag."
"Dann beschwer dich nicht. Nein, wir mussten uns in einer Reihe aufstellen und den Helden nacheinander beharken."
"Ihr habt Schlange gestanden, um die Hucke vollzukriegen?"
"Der Choreograph war Brite. Meistens haben wir verloren. Und als der Harem dann irgendwann leer war, hat man mich entlassen."
"Wie traurig."
"Ja nun, was will man machen. Und du? Wo warst du vorher?"
"Ich war Türsteher in Joes Kleiner Drachenpinte. Da gabs den besten Mupfelsaft der Welt."
"Ist das Alkohol?"
"Worauf du einen lassen kannst."
"Und wie bist du dann hier gela..."
Der Wächter konnte seinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn zum ersten Mal seit achtzehn Jahren geschah das Undenkbare.
Lauter Tumult hallte durch die Gänge, als ein Held den Palast stürmte, im Eingangsbereich sämtliche Dienerscharen niedermetzelte, die königlichen Ritterheere vermöbelte, den hinterlistigen Hutmagier im Duell besiegte, sich die Treppen des höchsten Turmes des Schlosses hochkämpfte, dem bösen einäugigen Drachen den Schlüssel entwendete, dann wieder die Treppe runterstolperte, das endlose Labyrinth des Wahnsinns durchquerte, nur um irgendwann durch die Tür da vorne zu stoßen, um schließlich den beiden Wächtern in einem heldenhaften Kampf um den Einlass in das Gemach der Prinzessin gegenüberzustehen.
Einer der beiden erhob seine Hellebarde und schlug dem Helden mit einer erstaunlich routinierten Bewegung den Kopf ab. Gelernt ist gelernt.
"Also, wo waren wir stehen geblieben?"
"Ich wollte gerade fragen... ach, Mist, ich hab jetzt echt den Faden verloren."
"Mhh... Na gut. Also, ich sehe was, was du nicht siehst..."