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Zwei Welten

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23.08.2008
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Zwei Welten

Zwei Welten
Heinz Körber

Der eine Raum war der, wo stets Höflichkeit und liebenswürdige Behandlung ausgestrahlt wurden, der andere war ein Demütigungsplatz, eine Bastion der Geringschätzung. Dort kam man fröhlich und zufrieden mit einem Paket unterm Arm heraus – da wurde man immer grob hinaus-
komplimentiert, meist auch noch mit Schimpfkanonaden bedacht.
Es war dies „Lothar Klingel´s Ein- und Verkauf von Bekleidung aller Art“.
Die beiden Räume waren durch eine große braune Tür miteinander verbunden, die selten, und wenn, dann nur für wenige Momente geöffnet wurde, nämlich nur, wenn Klingel oder sein Angestellter Fiedler vor den Augen der Kundschaft von einem Raum zum andern mußte. Diese Tür war somit auch die Barriere zwischen freundlichem und gehässigem Ton.
Klingel ging nie auf Urlaub, schon deswegen nicht, weil man in dieser Zeit keinen Umsatz machen konnte. So stand er – Sonn- und Feiertage ausgenommen – tagtäglich seine zehn Stunden im Geschäft, in einem bodenlangen Cloth-Mantel, mit randloser Brille auf der Knollennase und mit einer knapp über die buschigen Augenbrauen reichenden Pullmann-Kappe. Sein ebenfalls schwarz gekleideter Adlatus mit dem Ausehen und den zuckenden Bewegungen eines Pinseläffchens hatte jedoch einmal im Jahr Anspruch auf zwei Wochen Urlaub – und er machte auch Gebrauch davon. Sehr zu Klingels Missbilligung, denn da mußte er sich selbst um beide Räume gleichzeitig kümmern.
Just zu dieser Zeit machte es uns Oberstufen-Gymnasiasten einen besonderen Spass, den meist in der Verbindungstür postierten Klingel zu besuchen und sein gespaltenes Verhalten zu studieren.
„Junger Mann, probieren sie doch das braune Jackett – das paßt ganz ausgezeichnet zu ihrem Typ“,
schmierte er dem Kunden um den Bart.
Sekunden später zischte er in die Einkaufsabteilung hinüber :
„Diesen Ramsch können sie schon wieder einpacken. Das ist Kiloware, vielleicht zum Polster-
füllen. Dafür kriegen sie nicht einmal ein Lutschbonbon“.
Hierauf wieder zu einem, der im anderen Raum gerade Handschuhe anprobierte :
„Kaufen sie die jetzt – es soll heuer einen strengen Winter geben“.
Und gleich darauf zum Einkaufspult hinüber :
„D i e Hose kann ich ihnen beim besten Willen nicht abkaufen, die hat mir zu wenig Stoff zwischen
den Löchern. Für das abgeschlissene Sakko geb ich ihnen drei Euro“.
Für uns Halbwüchsige war die Wandlungsfähigkeit Klingel´s einer der frühen Marksteine unserer
Menschenkenntnis.

Eines Tages während der Nichturlaubszeit Fielders wollten wir herausbekommen, mit welchen Margen Klingel eigentlich so im Durchschnitt arbeitete. Allzu oft deutete er nämlich auf seinen kaum vorhandenen Hals und sagte :
„Da lass ich mich reinstechen, wenn ich mehr verdien, als die Regien auffressen".
Alfons verkaufte, besser gesagt versuchte vorerst, ihm die Sportskappe seines Vaters zu verkaufen.
Klingel´s erster Kommentar : Haben sie schon einmal gesehen, dass jemand auf dem Kopf Schach
spielen will ? Wenn sie mir so einen zeigen, verkauf ich ihm das gekastelte Kappel“.
Damit schob er Alfons die hochmodische Kopfbedeckung zu und schickte sich an, etwas Wichtigeres zu erledigen.
Alfons begann zu jammern „Aber Herr Klingel, ich möcht heut mit meiner Freundin ins Kino gehen“.
„So geben´s halt dem Billeteur die Mütze. Sie werden schon sehen, wo sie der mitsamt dem
Fräulein Braut hinsetzt – dafür“.
„Sieben Euro“ bettelte Alfons.
„Aha – alleine will er gehen, der feine Herr“, meinte Klingel, nahm die Kappe nochmals in die
Hand und untersuchte sie eingehend. „Die ist ja was für einen Wasserschädel, da macht man am besten einen Stiel dran und verkauft´s als Schirm“.
"Als was sie sie später verkaufen, ist mir egal, ich möcht nur heut ins Kino gehen".
Klingel riss ein wenig am Futter, bis eine Naht platzte und meinte dabei :
"Zerrissen ist´s auch schon - zwei Euro, wenn sie´s gleich nehmen"
"Drei - "
Klingel knallte zwei auf den Tisch, öffnete die Tür einen Spalt, schoss die Kappe ins Verkaufslokal
hinüber und rief : "Fiedler, nähen´s das Fetzenkappl z´samm".
Zu Alfons gewandt zischte er in seiner herben Art : "Und sie, was schauen´s noch so ? G´fall ich ihnen so gut - oder wollen´s sich nur aufwärmen, dann geben´s die zwei Euro wieder her als
Heinzkostenzuschuss".
Einige Tage später ging ich in die Verkaufsabteilung, an diesem Tag machte Fiedler den Einkauf und der Chef persönlich den Verkauf. Diese Rotation wurde von Klingel angeordnet - zum besseren
Überblick über das G´schäft, wie er es nannte.
Breit grinsend empfing er mich : "Jöh, der fesche Bursch aus der Gentzgasse. Was darf´s denn sein ?"
"Taschentücher"
"Es soll wohl was Besseres sein. Schließlich will man sich ja nicht blamieren vor den Mädeln.
Die da kosten 2 Euro das Stück, in der 5-er-Packung 8,50"
"Also 15% Rabatt"
"So gut sieht er aus, und so schnell rechnen kann er auch noch dazu"
Schon spulte er an der Kasse, als für ihn der Verkauf feststand.
"Sind hautfreundlich und liegen gut in der Hand".
Etwas widerwillig legte ich ihm das in der Freundesrunde gesammelte Geld hin und verdrängte alle
Skrupel, weil ja jeder ein als so trefflich beschriebenes Taschentuch dafür bekam.
"Vielleicht noch einen Anzug oder einen Schal für den Spätherbst, Zwirnshandschuhe für die
Tanzereien, Socken eventuell", bot er mir an.
"Nein", sagte ich, und er darauf "schade".
Ein Funken Freude sprang in seine Miene, als mir doch noch was einfiel : "Vielleicht etwas für den Kopf könnt ich noch brauchen".
"Da hätt ich einen eleganten, schwarzen Hut - schön breitkrempig und warm, knitterfest, dichtes Material aus Schottland. Oder diesen Inländer, etwas härter, moderne Facon, zu gebrauchen bei
traurigen und freudigen Anlässen - und auch zwischendurch"
"Haben sie nur Hüte", wollte ich wissen.
"Sie haben recht, sie schauen sowieso viel älter aus, als sie sind", köderte er mich und bot mir an :
"Vielleicht eine Mütze oder eine adrette Kappe"
"No, Kappe könnt ich mir schon vorstellen"
Darauf er : "Da hätt ich eine besonders hübsche, fast neuwertige, französische mit dezentem
Karree-Muster".
Ich sah sie mir genau an und war mir sicher, dass es die von Alfons´ Vater war. Der heißt nämlich Franz, was Klingel für die Abkürzung von "französisch" hielt. Alfons Mutter hatte nämlich ein großes Vergnügen daran, in jedes einzelne Kleidungsstück der drei männlichen Familienmitglieder deren Vornamen einzuheften - auf kleinen Selbstklebe-Etiketten, damit es zu keinen Verwechslungen kam.
"Wieviel soll denn die kosten ?"
"60 normal, und weil sie so sympathisch sind 55".
Ich traute meinen Ohren nicht : "Wie bitte -"
"Guten Tag, der Herr, muss nur noch diesen Kunden fertig bedienen", grüßte er an mir vorbei einen weiteren Kunden in meinem Rücken.
" 55 für diese sportlich-elegante Kappe aus der ersten französischen Kappenfabrik ist ein guter
Preis", grinste er mich an.
Wir Burschen hatten uns zuvor ausgemacht, uns die "regien-deckenden" Margen des Herrn Klingel bis zum 10-fachen des Einstandspreises anzusehen, also bis 20 Euro - aber das, was ich da zu hören bekam, war weit mehr als es die wildesten Fantasien zuließen.
Ich spürte unbändige Wut in mir hochsteigen und hörte mich schreien :
"Um lächerliche zwei Euro haben sie meinem Freund diese Kappe erst vorgestern abgeluchst - jetzt
wollen sie 55 dafür !"
Da wurde auch Klingel zornig : "40 hab ich gezahlt für diese Modellkappe, die in Frankreich nur
Aristokraten und hohe Politiker tragen". Er schwenkte die Kappe und öffnete die Tür zum Einkauf.
"Fiedler, sie waren ja dabei, als ich diese Prachtkappe um 40 Euro gekauft habe", brüllte er hinüber.
Dienstbeflissen erschien das Pinseläffchen im Türrahmen, jederzeit zu einem Meineid für den Chef bereit :
"Wenn nicht gar 45, soweit ich mich erinnern kann".
Klingel wirft mit sattem Lächeln die Tür zu : "Da haben sie´s gehört. Also mein letztes Angebot -
52 Euro und keinen Cent weniger. Ich muss aber jetzt den Herrn da bedienen".
"Für zwei Euro haben sie´s erstanden. Ihr lügt ja beide !" schrie ich noch lauter als zuvor.
"100 hat sie umgerechnet gekostet bei Harrods in London" hörte ich plötzlich eine vertraute Stimme
seitlich hinter mir. Es war die von Alfons´ Vater.
"Da sehen sie - der Herr versteht was von Kopfbedeckungen", meinte Klingel schon wieder in
versöhnlichem Tonfall.
"Diese Kappe gehört nämlich mir" sagte der Vater scharf und griff danach.
Verlegen grüßte ich ihn und versuchte, auch einen Teil der Kappe zu erwischen, um das Etikett mit seinem Namen verschwinden zu lassen. So zogen wir alle drei an der edlen Kopfbedeckung, bis
sie schlußendlich der Vater an sich riss mit den Worten :
"Auslassen ! Ich werde sie zurückkaufen".
Freudig erstaunt ließ Lothar Klingel die Kappe aus - und auch ich brauchte nun das
Franz-Schild nicht mehr zu entfernen.
Für den Augenblick hatte also jeder das, was er wollte : Der Vater seine Kappe, ich die Taschentücher und Klingel seine regien-deckende Marge.


Alfons wurde von seinem Vater nie auf diese Begebenheit angesprochen, jedoch von mir eingehend darüber informiert.
Bei finanziellen Sonderwünschen des Sohnes griff sich jedoch der alte Herr wortlos an eine nicht vorhandenen Krempe einer imaginären Kopfbedeckung.

 

Hallo Heinzkoerber.

Sein ebenfalls schwarz gekleideter Adlatus mit dem Ausehen und den zuckenden Bewegungen eines Pinseläffchens
Das ist bildlich, das ist schön. :D

den meist in der Verbindungstür postierten Klingel zu besuchen und sein gespaltenes Verhalten zu studieren.
*schmunzel*

Klingel riss ein wenig am Futter, bis eine Naht platzte und meinte dabei :
"Zerrissen ist´s auch schon - zwei Euro, wenn sie´s gleich nehmen"
:lol:


Also diesen Verkäufer finde ich echt köstlich. ^^

Die Geschichte ist zwar im ganzen kein Brüller, aber doch recht kurzweilig und unterhaltsam.

Grüße von Jellyfish

 

Hallo, Heinz; mir gefielen die Dialoge sehr, und in meinem Kopf klangen sie wienerisch. Gesehen habe ich dabei Gestalten von Dickens. Wenn das keine Kompliment ist! ;)
Gruß Tex

 

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