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Jeannetigone

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12.04.2007
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Jeannetigone

Ares Jeannetigone

Zwo Stockwerk hoch überm Asphalt, dass niemand es sehe, sind Sie lebendig eingemauert. Beladen mit Jahren suchen Sie den Tod wie andre bloßen Schlaf. Selbst den Scheiterhaufen haben eigenhändig Sie geschichtet, das Laken geweißt, dass dem Hemde graut in der Schwärze der Nacht. Am dritten Tage wieder ausgekotzt aus dem Dunkel, eingekleidet mit gebleichter Haut, gekrönt von frisch geweißtem Haar. Ohne Würde, kaum geachtet als irgendein Andrer sterben Sie im Dunst der Sekrete.

Demain je serais morte! –
Demain …?

Der Lärm von draußen hält wach. Sie bitten, das Erkerfenster zu schließen. Der Erker, nur wenige Schritte von Ihnen entfernt, gewährt Aussicht gen Mitternacht, Morgen und Mittag. Der Tag zieht vorüber nach ewigem Gesetz und mit ihm die Schatten – wie der Ihres Pappas, der das Fenster schließt und erkennt –

wo heute Asphalt den kargen Boden versteckt, war einst Acker. Hagel vernichtete manche Ernte, dass die Alten ein Kreuz aufrichteten, den Gott zu versöhnen. Gerechtigkeit stellte sich nicht ein. Weiter zerpflügte Hagel den Acker. Also hat, der da heute noch eisern hängt, keinem geholfen: nicht den Ältern, nicht den Jüngern. Auch sich selbst hat er nicht abhelfen können.

Immondicité, rien qu’immondicité! –
Si seulement je pourrais oublier tout autant que je l’ai été moi-même!

Nicht jeder wird jungfräulich geboren und erlöst alle Welt, spürt er das Kreuz im Rücken. Oidipous Tyrannos, Bibel und Kateschismen - beiseite getan - sind gleich dem Teppich und dem Möbel geronnene Zeit, Erinnerung zahlloser Niederlagen wie der blinde Spiegel. Der hatte stumm gestanden und gelauert. Er haschte nach Ihrem dürren Schatten, bis er Ihren Blick fing.

Entsetzt zeigte der Ihnen die ausgetrocknete Haut eines nackten Halses. Jeder hat seine Haut zu Markte zu tragen, aber das sollten Sie sein? Ist es nicht also, dass Spiegel lügen?

J'ai vu quelquefois ce que l'homme a cru voir,

keifte das fremde Gesicht zurück. Sie warfen einen Hausschuh in das andere Gesicht.

„Si seulement ça aurait cessé de me toucher,
j’aurais cessé de l’haïr.”

Seither fürchten Sie Gewäsch und meiden Wasser, in dem es widerscheint. Gesichtslos ziehen die Tage vorüber. Ab sagen Sie Zauberei und Ketzerei, entsagen aller Ausschweifung. Selbst wenn Sie den Widerruf widerriefen, nimmer wird Ihnen ein glücklicher Mai! Ruhen Sie, Johanna, denn dann werden Sie tot sein und sein wird, als hätten Sie nie gelebt.

Dix-neuf an de vie, c’est bien suffisant!
Je sais le soir …

 

Hallo Friedrichard!

Schon wieder eine Geschichte von dir! :) Diesmal kann ich, glaube ich zumindest, etwas damit angefangen. Hat mir übrigens sehr gut gefallen.
Du bist ein Freund des Wortspiels, was? Hab ich das richtig erkannt, dass der Titel mit 'Antigone' spielt? Wenn nicht, hab ich's wohl doch nicht kapiert. :D

das Laken geweißt, das Hemd ergraut, verschlungen von der Schwärze der Nacht.
Sehr hübsch, diese Grauleiter ist gut gelungen. Mein Lieblingssatz.
spürt ers Kreuz im Rücken.
Ach komm, die Apostrophen magst du doch sonst so gern. :p
Neunzehn Jahre ist genug gelebt!
Die Pointe saß. Ich hab die ganze Zeit alte Menschen gesehen.

Hat mir gut gefallen, Friedel. Ich dehne es bloß nicht so sehr aus, falls meine Deutung komplett falsch sein sollte ... *Fettnäpfchen ausweich*

Also denne, liebe Grüße!
Apfelstrudel

 

Hm, an Antigone erinnert mich aber nur das lebendig-eingemauert werden (obwohl ... ich bin mir da gar nicht mehr so sicher, die Frauen galten als zugehörig zum Haushalt und das Familienoberhaupt wurde mit dem ganzen Hausstand beigesetzt ... obwohl das klingt fast zu ägyptisch; ich muss die Antigone wohl noch mal lesen, da ging es doch um zwei Brüder und die Totenruhe und um Kreon, den alten Sack - Ah, jetzt fällt's mir wieder ein, sie hat sich am Ende aus Prinzip selbst eingemauert, die kleine Verrückte). Ja, und 19 passt gut zu Antigone. Frühreifes Früchten. Dürrenmatt hat gesagt, der Fall Antigone würde heutzutage von Kreons Sekretärin erledigt werden.
Ansonsten hatte ich beim zweiten Lesen Wasser-Speier vor Augen, Gargyle, als Widerpart zu Jesus.

Nur eins noch, Friedrichard: Treib's doch mit den Apostrophen nicht zu weit, das artet schnell in eine Marotte aus. Bei den verschliffenen Formen in der 1. Person muss er wirklich nicht gesetzt werden, da kann man ruhige "Wollt" statt "Wollte" statt "Wollt'" schreiben, bei "er's" steht der Apostroph dann wieder richtig. Aber im Allgemeinen ist die deutsche Sprache doch so schön und klar, dass sie solche Apostrophe und Spielereien mit einer klar erkennbaren 2. Person Singular-Form (Was guckstu?) nicht nötig hat. Das ist mal ganz lustig, aber wenn das ständig kommt, stört es. Mich zumindest. Eine eigene Note kannst du deinen Texten auch anders verleihen.

Gruß
Quinn

 

Grüß Dich Strudel,

schon wieder ’ne Geschichte von mir. Es freut mich, dass sie Dir sehr gut gefällt.

Wortspiele gefallen mir durchaus. Den Titel hastu zur Hälfte richtig erkannt.

Der Satz mit dem fehlenden Apostroph hieße voll ausgeschrieben „Nicht jeder wird jungfräulich geboren und erlöst alle Welt, spürt ER DAS KREUZ IM RÜCKEN.“ Da bedarfs m. E. keines Apostrophs. Ich schau da aber nach, wenn ich aus Lyon zurück bin, versprochen!

Mit der angesprochenen Furcht vor Fettnäpfchen erinnerstu mich für einen Moment ans Epitaph, dem der hier vorliegende Text ein Gegenstück ist.

So viel oder wenig zunächst und schon bin ich wieder weg!

Dank Dir!

Friedel

 

Nur eins noch, Friedrichard: Treib's doch mit den Apostrophen nicht zu weit, das artet schnell in eine Marotte aus. Bei den verschliffenen Formen in der 1. Person muss er wirklich nicht gesetzt werden, da kann man ruhige "Wollt" statt "Wollte" statt "Wollt'" schreiben, bei "er's" steht der Apostroph dann wieder richtig. Aber im Allgemeinen ist die deutsche Sprache doch so schön und klar, dass sie solche Apostrophe und Spielereien mit einer klar erkennbaren 2. Person Singular-Form (Was guckstu?) nicht nötig hat. Das ist mal ganz lustig, aber wenn das ständig kommt, stört es. Mich zumindest. Eine eigene Note kannst du deinen Texten auch anders verleihen.
Ich muss Quinn beipflichten. ;)

 

Grüß Euch Gott, alle miteinander!

Hallo Quinn,

Dein Beitrag war wohl zeitgleich mit meinem letzten eingestellt worden, dass ich ihn gestern gar nicht mehr wahrnahm, wahrnehmen konnte.

Prinzipiell hast(u) und hat Strudel natürlich recht bzgl. der Endungen und Apostrophe: eine Inflation tut niemand gut. Wegen der Apostrophierung bin ich geradezu Heine-geschädigt und Karl Kraus hat dazu auch mal was Kluges geschrieben, was ich aber jetzt nicht parat hab und deshalb auf einen späteren Zeitpunkt verschieben werde/muss.

Aber insgesamt:

Mich freut Deine Stellungnahme –

wie auch Deine

grüß Dich Rosta,

dass ich irgendeinen armen Menschen auslachte, ist mir gar nicht bewusst. Aber Deine Fürsprache zur Apostrophierung gefällt nicht nur Bingo-Bongo, obwohl wir beide keine Raucher sind (nie waren, darum stört uns der Rauch in der Welt weniger als die missionarischen Gesundheitsapostel, die früher einmal selbst Raucher waren). Aber gemütlich ist die Geschichte bestimmt nicht.

Baff bin ich, dass Du mich als „Elisioner“ bezeichnest. Da kann doch bis auf uns vier keiner was mit anfangen. Nee, im Ernst, ich find’s fantastisch, Rosta, woher weißt(u) so was?, schon allein weil Auslassung ein Weg zur Verdichtung einer Geschichte ist.

Jetzt muss ich aber ab ins Bett,

gute Nacht & moin Ihr drei!

Friedel

 

„Es gibt in der Sprache nichts Falsches, das die
Sprache nicht zu einem Richtigen machen könnte.“

Karl Kraus

Hallo Quinn,

Deine Kritik bzgl. des Apostrophs ist grundsätzlich richtig, doch warum erfolgt sie bei einem Text, in dem exakt nur neunmal der Apostroph verwendet wird?

Wie angedroht hab ich bei Karl Kraus folgendes gefunden:

„Der deutsche Apostrophenraub, der den Indikativ »ich raub’« nicht mehr vom Imperativ »raub« unterscheiden lässt und gar den Konjunktiv des Imperfekts »ich schrieb’« nicht mehr vom Indikativ »ich schrieb«“ mache jede Veröffentlichung „zur Augenqual, wenn nicht zur vorgestellten Ohrenpein. Abgesehen von der Verwechslungsgefahr, …, ist das eindeutige Monstrum eines »ich bänd« unerträglich. Diese Zeitsparmaschinen ahnen nicht die Bedeutung eines im Apostroph nachschwingenden Vokals und setzen auch getrost ein raumhaftes »lang« für das zeithafte »lang’«, …“ (aus: Schändung der Pandora).

Offiziell zeigt der Apostroph an, dass man in einem Wort einen oder mehrere Buchstaben ausgelassen hat. Bei einigen Gruppen muss, bei anderen kann man ihn setzen –

aber wem sag ich das?

Gute Nacht,

friedel

 

Hallo Friedrichard,

trotz Antigone und Jeanne D'Arc und die "gottlose Jugend von heute";) kann ich nicht viel mit dem Text anfangen. Es liegt sicherlich an mir und meinen Erwartungen, denn bei Kurzgeschichten will ich's eher gemütlich narrativ haben - den dramatischen Ton ertrage ich da nur in Maßen. Wie du siehst, es geht mir um die Form. Und dahin geht auch meine Detailkritik:

"Ohne Würde ungewürdigt als irgendein Mensch"
Unter dieser Doppelung kann ich mir gar nix vorstellen!

"Ruhen Sie, Johanna, denn dann werden sie tot sein und werden wird’s, als hätten Sie nie gelebt".
Da fehlt ein "!". So'ne Anrede gehört für mich nicht in eine Kurzgeschichte, das ist wieder Dramatik.

"spürt ers Kreuz im Rücken"
er's - damit hast du schon zehn Apostrophe - das übrigens hat mich nicht gestört.

Der Wechsel zwischen Groß- und Kleinschreibung der Pronomen mutet mich ziemlich seltsam an. Was soll das für einen Grund haben? Mich hat es nur verwirrt.

Inhalt - die Assoziationen habe ich schon gennant. Dann ergibt sich ja sowas wie Zeit- & Gesellschaftskritik. Eine Moralgeschichte also, ein versteckter Aufruf?

Gruß
Kasimir

 

Salü Friedrichard,

:bonk:

gelesen, nochmal und nochmal gelesen und wieder nicht verstanden.
Aber dann: Beim laut lesen fand ich einen Text, der eindringlich zu deklamieren ist, fast zum singen geeignet. So lass ich den Inhalt und erfreu mich still am Gesang.

Herzlichst,
Gisanne

 

Grüß Dich Gisane,

danke für Deine Zeilen und hau nicht mit dem Kopf gegen die Wand!

Du hast einen Weg gefunden, mit einem Text auf Deine Weise umzugehen, den Du nicht zu verstehen glaubst: „Beim laut lesen fand ich einen Text, der eindringlich zu deklamieren ist, fast zum singen geeignet. So lass ich den Inhalt und erfreu mich still am Gesang.“ Wie muss es den(ganz) Alten gegangen sein, die einen Text nicht in Schriftform, sondern als Erzählung oder Lied vorgetragen bekamen und die flüchtigen Worte behalten mussten, um überhaupt näherungsweise den Inhalt zu begreifen? Oder dem Kind, dem von einem Elternteil ein Märchen als Gute-Nacht-Geschichte vorgetragen wird?

Was heute im Zeitalter der technischen Reproduktion wie ein Kinderspiel erscheint, war harte (Konzentrations-)Arbeit, zu der heutigentags bei der ganzen Informationsflut und Sintflut an Infotainment kaum noch einer durch-, geschweige denn aushält.

Es ist gut, dass Du einen Weg gefunden hast, den Text „zu knacken“.

Was das Verständnis angeht gaben Apfelstrudel und Quinn schon einen ersten Hinweis, der wohl aus dem Titel gewonnen wurde: die Antigone ist auf kürzest mögliche Weise darin verarbeitet. Auf „Jeanne“ stößt zunächst Rosta: die gefangene „Johanna“ und Kasimir hat sie als Jeanne d’Arc identifiziert, und das, obwohl er mit dem Text nicht viel anzufangen weiß.

In der Tat hab ich die Intention gehabt, zwei Personen wie sie gegensätzlicher nicht sein können,

- die eine ist Tochter eines Bauern, bleibt jungfräulich und wird Kriegsherr(in) und – hier wird die ganze christliche Ethik auf den Kopf gestellt, Heilige,
- die andere ist Ödipus’ inzestiöse Tochter, die letztlich scheitert beim Versuch, den Bruderkrieg zu verhindern -

in einer Person darzustellen.

Dass man – wie Strudel – sich im Altenheim wähnen kann ist keineswegs ein unerwünschter Nebeneffekt.

Hallo Kasimir,

tut mir leid, dass Du nicht allzu viel mit dem Text anfangen kannst, umso erstaunlicher, dass Du einen Schlüssel zu seinem Verständnis gefunden hast. In jedem Fall dank ich Dir auch für Deine Kritik!

Zur Detailkritik:

Du kannst Dir nix unter dem Satz "Ohne Würde ungewürdigt als irgendein Mensch" vorstellen. Nimm den Satz Wort für Wort auseinander und er sollte zu begreifen sein. Das ist nicht unfreundlich von mir, denn ich glaub nicht, dass Du alles vorgekaut haben willst, oder?

Nach "Ruhen Sie, Johanna, denn dann werden sie tot sein und werden wird’s, als hätten Sie nie gelebt" sähst Du gern ein Ausrufezeichen, dass dann aber im Folgesatz „Neunzehn Jahre ist genug gelebt!“ erfolgt. Das Ausrufezeichen soll dem vorgenannten Satz besond’ren Nachdruck verleihen (wer glaubt schon, dass einer mit 19 genug gelebt habe?), während der vorletzte Satz sich aus dem Kontext erschließt.

Die Personalpronomen werden groß geschrieben, soweit Jeannetigone angesprochen wird („Höflichkeitsanrede“), ansonsten klein. So ganz hat eine vom Gegner gefangene Kriegsheldin & -treiberin/Kriegsverhinderin ihre Würde denn doch nicht verloren.

Deine letzten Fragen (Moral/versteckter Aufruf) muss ich jedem selbst überlassen (sozusagen: ’s bleiben letzte Fragen).

Ich dank Euch beiden +

Gute Nacht!

friedel

 

Hallo Gisanne,

gerade hat mich Tunichtgut Eichendorff überwältigt

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und Gisann’ hebt an zu singen,
Triffstu nur das Zauberwort.

Gruß in die Berge

friedel

(Original: Eichendorff „Wünschelrute“)

 

Salü Friedel,

und damit

Schläft ein Lied in allen Dingen
hastu mich voll durchschaut. Ich liebte diesen Vers schon immer. Er ist mir recht abgewöhnt worden im Laufe der Zeit, die so viel mehr abverlangt, an Durchsicht, Klarsicht, Schärfe ... Ach, was solls!
Die da träumen fort und fort
sind dann letztlich die, die eingemauert sind ...
Aber e s träumt sich immer wieder von Neuem und das ist gut so, meine ich.

Aus dickem Schneefall liebe Grüsse,
Gisanne

 

Hallo Friedrichard,
es ist schön mal etwas über Jeanne zu lesen-die mir wirklich sehr viel bedeutet-daher schon einmal danke ;)
und ich mag die art wie du schreibst-gefällt mir gut die Geschichte

LG
Frenchy

 

Nach fast einem Jahr des Dahinsiechens ist Jeannetigone wieder da. Wie schön! Dank Dir,

Are!

Wie immer ein ausführlicher Kommentar und ich denke, dass da noch mehr kommen wird. Jeanne auf frz., das wär' schon was ...

Grüß Dich Frenchy,

danke fürs Lesen, vor allem aber, dass es Dir gefällt.

Hey Jo(e),

hab den Moers schon gelesen. Titel gut, Rest ... Ich verehr übrigens Blaubär und die Maus.

Hallo Sam,

da werd ich wohl bald dem Club der unverständlichen Dichter beitreten. Aber Kafka ist da so viel jünger als ich. Schlag vor, eine Geschichte für Dich allein zu schreiben. Aber könnte die je ein anderer verstehen?

Gleichwohl: Ich dank auch Euch beiden, Jo & Sam, denn jetzt muss ich langsam heim, dunkel ist's geworden und Fußball läuft hier im Cafe ...

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Mit der Reihe Yolande - Jolande (Jolanthe) - Jokaste ist ein kleiner Nachweis geführt, dass ich eigentlich nur an einem Text schreib. Um es zu verdeutlichen: Iokaste ist Mutter und Gattin des Oedipus, somit Großmutter und Mutter Antigones zugleich. Was ich vom Oedipus halt, ist bereits in der kurzen Beschreibung eines Hundelebens (Stichwort: Bingo) angerissen.

Uneigentlich wähle ich einige Umwege, um zu dem einen Text zu gelangen,

liebe Are.

Hey Jo(e),

ich glaub's nicht,

denn schon wieder läuft hier Premiere und finde mich auf allen Plätzen unserer schönen kleinen Republik wieder.

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

"Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da"

Hallo Leute,

für alle, die's nicht kapieren, ein kurzer Abriss beider Personen:

Antigone ist die Tochter des Vatermörders Oedipus und der Iokaste, die zugleich Mutter und Gattin des Oedipus ist. A bleibt als einzige ihrem Vater treu und begleitet ihn in die Verbannung, nachdem Mord und Inzest aufgeklärt sind. Als die Söhne Oedipus' ("Sieben gegen Theben" - kennt Ihr den Film "Sieben gegen Chicago?") im Kampf ums Erbe sich gegenseitig umgebracht haben, besteigt ihr Onkel Kreon den Thron von Theben und verbietet, seinen gefallenen Neffen Polynerikers zu bestatten, da er ihn für einen Landesverräter erklärt. A widersetzt sich als einzige diesem Verbot und bedeckt den Bruder mit Erde, was Kreon nicht dulden kann. A wird lebendig eingemauert und erhängt sich. Ihr Tod löst nun wiederum Katastrophen in Kreons Familie aus ...

Das ist im Wesentlichen die ursprüngliche Fassung Sophoklos', der in den folgenden Jahrtausenden Verniedlichungen und damit Verwässerungen (oh, was können die Tränen fließen!) erfuhr. Hervorzuheben sind m. E. Aktualisierungen Anouilhs, Brechts und zuletzt Hochhuths.

Jeann d'Arc (1412 - 1431) war die vielleicht letzte Amazone. Die Welt war einfach nicht auf ein solches junges Mädchen vorbereitet, das quasi auf der Überholsdpur lebte und wahrscheinlich wusste, welches Ende es erwartete. Für Christine de Pisan hatte diese junge Frau Fähigkeiten und die Größe des weiblichen Geschlechts zu beweisen mit Vergleichen zu Judith und der Debora - und dieser früheste europäische Hinweis auf Emanzipation findet sich in einem Preisgedicht auf den neuen König 1429! Christine konnte da nichts vom Ende der Ketzerin wissen. Für Villion galt Jeanne 1461 als die "ungekrönte Königin", was weniger kitschig ist als das Flittchen von unserer "Königin der Herzen" ... Nicht verschwiegen werden darf der Spott Voltaires 300 Jahre später, der aber nicht auf Jeanne, sondern auf den religösen Firlefanz und vor allem den Aberglauben zielte.

Absurd find ich die These Palmer-Whites und Guerins in "Operation Shepherdness" (1961), Jeanne wäre Tochter Königin Isabelles und deren Liebhabers, des Herzogs Karl von Orleans. Sie wäre dann durch die Schwiegermutter Karls VII., eben die zuvor von Are genannte Jolande von Aragon gezielt für "ihre" Mission erzogen worden. Als Indizien gelten den Autoren, dass Jeanne das Wappen Orleans getragen hätte und dass sie der englischen Gefangenschaft in Wirklichkeit entkommen konnte. Statt ihrer wäre ein anderes Mädchen zu Rouen Mai 31 hingerichtet worden, was mich sehr an eine Punch and Judy Show erinnert. Dem entspricht auch der Titel der deutschen Übersetzung dieses Machwerks: "Johanna sagt Euch ewig Lebewohl". Wie wahr! Aber könnten wir das nicht alle mit der entsprechenden Variante des Namens sagen?

Erwähnenswerte Aktualisierungen erfährt der Stoff durch Anouilh (selbst wo er m. E. übertreibt) und Brecht.

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"Und dann ist da diese Hoffnung auf morgen."

Nach dieser kleinen Abhandlung aus dem Internetcafe,

hallo Are,

"Allgemeingültigkeit - und das über das ganze Jahr hindurch, wird ersichtlich, wenn man im ersten Satz nicht schreibt: »lebendig eingemauert«, sondern: »Vous-êtes, vive, entourée de murs clos.« Das heisst, lebendig von geschlossenen Mauern umgeben. Wer denkt da nicht gleich an die Geschlossene Anstalt!", ist m. E. genial und lässt mich gespannt sein auf das, was noch erfolgt durch eine Übersetzung in eine romanische Sprache. Das kann nur Gewinn bringen.

Zu Deinen etymologischen Versuchen:

"Ahd. wan bedeutet leer, mangelhaft (engl. vaning). Wahnwitz (wanwizzi) und Wahnsinn ist etwas ohne Sinn und Verstand.
Wahn (ahd. wân = die Hoffnung, die Erwartung) und wan sind zusammengefallen und haben sich gegenseitig beeinflusst. Wahn wurde zur falschen, eingebildeten Hoffnung. Der alte Wortbestandteil wan wird heute als das etymologisch nicht verwandte "Wahn" wahrgenommen. (aus Wikipedia)"

Bleibt zu ergänzen, dass ahd. "wan" (ich kann hier an der Tastatur die Akzente nicht setzen) auch Meinung und Verdacht bedeuten kann. Schon im Gotischen bedeutet "vans" "mangelnd" und/oder "leer" und es verweist auf die idg. Wurzel (erinnert sei ans lat. "vanus") auch den Stamm der "Wüste" liefert.

Großartig der Hinweis darauf, dass der Begriff des "Morgens" von der täglichen Wirklichkeit abgeleitet ist!

Die Goten - wie überhaupt diese scheinbar primitiven Stämme allesamt, der Ausdruck "Barbaren" zeigte ja, dass sie unrasiert und - sofern sie frei waren - insgesamt "ungeschoren" durch die Gegend tappsten - kannten eigentlich nur die Gegenwart und interessierten sich auch nur aus religiösen Belangen mit der Vergangenheit. I. d. R. kannte man nicht einmal Namen der Großelterngeneration. Die Goten hatten eine sehr vage Vorstellung von dem, wo sie herkamen, und eine noch unbestimmtere, wo's hinging. Angezogen wurden sie nach 375 vom wärmenden Süden, da zogen sie schon mit gelegentlichen "Staats"gründungen seit über 500 Jahren durchs östliche Europa. Da sind die meisten Mitteleuropäer gar nicht so weit weg von.

Wie dem auch sei -

ich dank Dir und allen andern!

Gruß

Friedel

 

Hallo Are,

zum Begriff des Morgens wär noch nachzutragen, dass wir insofern Glück gehabt haben mit unsern Altvorderen, dass sie ihr eigenes räumliches (Halb-)Tagewerk für den zeitlichen Begriff wählten, statt des Flächenmaßes, das durch Arbeit der Ochsengespanne geleistet wurde. Ich stell mir gerade vor, wenn ich "bis Joch", statt "bis Morgen" sagte.

Bzgl. der Propheten seh ich zunächst, dass nach den Richtern so etwas wie ein "Volkskönigtum" errichtet wurde und die Propheten halt vorher und dann auch mit der Erblichkeit des Königtums dem Volk nahe blieben. Es bestand kein Gottkönigtum. Bei allen anderen vorderasiatischen, einschl. ägyptischen Königen herrschte es, soweit ich das jetzt parat hab.

Was den Oedipus betrifft so nennstu einen interessanten Gedanken, kann ich aber so nix genaues sagen, ich komm aber drauf zurück ...

Gruß

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin (oder doch Joch),

liebe Are,

der Hinweis unter # 22 auf Moses lässt mich nun wiederum auf das ähnliche Jugendschicksal wie das des Oedipus hinweisen (ausgesetzt-sein). Hilfreich ist da auch Ranke-Graves, der ja den echten vom historisierenden Mythos unterscheidet. Der "echte" findet seinen Ursprung im Matriarchat, das wohl vor der ersten Einwanderungswelle durch archaische und ionische* Stämme aus dem Norden vorherrschte. Aber zerstörerischer (welch ein Komparativ!) war die zwote Griechenwelle der aiolischen und dorischen Stämme, die wohl das Patriarchat installierten (ca. 13. Jhdt. vor unserer Zeitrechnung). "Matriarchat" bedeutet dann nicht, dass die Mütter das Sagen hatten. Es sicherte nur die matrilineare Erbfolge. Beim Bund der Irokesen, die man gelegentlich als die Griechen Nordamerikas bezeichnet hat, bestimmte der Rat der Frauen, wer z. B. Kriegshäuptling wurde. Ranke-Graves sieht darum auch den Vatermord eher als rituellen/sdymbolischen Mord am König durch seinen Nachfolger an ("echter" Mythos). Historisch sieht er darin die Eroberung Thebens durch Fremde (insbesondere durch die zwote Einwanderungswelle), was ja in den "sieben gegen Theben" sehr deutlich wird und somit den Kreis zu Antigone schließt.

R.-Graves berichtet denn auch von einer Variante zur Geschichte der Antigone: der Sohn des Kreon,, Haimon, soll A. einmauern, doch auch er verweigert sich - aus Liebe - dem Befehl des Vaters und bringt A. aufs Land in Sicherheit (romantisch angehaucht: zu einem Schafhirten). Sie gebiert dem Haimon einen Sohn, der als Erwachsener nach Theben kommt, wo Kreon immer noch regiert. Der erkennt seinen Enkel ... Auch die Alten mochten wohl schon Soaps.

So viel oder so wenig für heute!

Gruß aus Niflung

Friedel

# 24 ist - wie immer - sehr tief und muss von mir erst mal "verdaut" werden.

 

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