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Abnehmender Mond

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12.02.2020
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Abnehmender Mond

In manchen Nächten wache ich auf und setze mich an den Küchentisch. In ein Heft mit schwarzem Einband schreibe ich: Es ist Nacht. Ich schreibe: Der Mond ist voll und rund. Oder: Die Mondsichel sieht silbern aus, ich folge mit dem Finger ihrem Bauch.

Ich schreibe: Weißt du noch?

Kann ich noch eins von den Lachsbrötchen haben, hast du gefragt, und ich habe das angerührte Gemisch aus Frischkäse, Meerrettich und Zitronensaft auf die Brötchenhälfte geschmiert, eine Scheibe Lachs darauf gelegt, eine Schere genommen und ein wenig Kresse aus der blauen Schale geschnitten. Ich habe an der Spüle gelehnt, habe dich angesehen, wie du deinen Mittelfinger anleckst, die Brötchenkrümel vom Teller liest und ich habe gelacht, obwohl mir gar nicht nach Lachen war. Lecker, hast du gesagt. Die anderen waren schon in den Ferien, wir waren allein in der WG, dein Zimmer schon leer. Du hast nie körperliche Nähe gesucht und ich hatte Angst.

Ich erinnere mich, dass dein riesiger Rucksack mit den Klamotten in der offenen Küchentür steht, dass es warm ist und ich die Balkontür öffne, Kühle hereinlasse, angenehm, aber trotzdem für einen Moment atemberaubend, dass ich sagen will : Bitte geh! Oder: Bitte bleib!

Blaue Stunde, habe ich gesagt, wollen wir noch eine Runde gehen? Vielleicht war der Mond schon zu sehen. Du hast meine Hand genommen und ich habe dich gelassen. Meine Wirbelsäule streckte sich und ich ging neben dir wie eine Ballerina. Statt ballettsteif wäre ich gerne weich geworden, wäre dir gerne durch die Finger geglitten, um deine Finger herum, deinen Arm entlang, wäre gerne deinen ganzen Körper entlanggeglitten, hätte alles entdecken wollen, jede Senke, jeden Hügel, die feinen, schwarzen Härchen auf deinem Bauch und wie sie sich bewegen, wenn du atmest.

Du hast meine Hand genommen und ich habe dich gelassen, ging kerzengerade neben dir, schluckte, schwieg, fragte dich sinnlose Sachen. Ich erinnere mich nicht an den Mond, nicht an die Weser neben uns, nicht wie die schwarze Weite sich hinter dem blauen Himmel zeigte. Ich sitze am Küchentisch und schreibe, weil ich nicht schlafen kann.

Ich schreibe: Erinnerst du dich?

Wir lagen auf meinem Bett, du trugst ein weißes T-Shirt und eine Boxershorts in Türkis, unsere Körper berührten sich nicht, und manchmal bin ich mir fast sicher, draußen vor dem Fenster war der Mond voll und gold.

Es war hell als ich erwachte mit einer Hand auf deiner Brust, als meine Fingerspitzen über dein Brustbein fuhren, die kleine Erhebung deiner Brustmuskulatur entlang, sich auf dir ausbreiteten wie Invasoren. Ich höre dich keuchen, höre mich keuchen und meine Hände wandern zwischen meine Schenkel, während ich an dich denke, zwölf Jahre später, in dieser Küche, meiner Küche, der Küche meiner Familie.

Im Kinderzimmer schaue ich in das Gesicht unseres schlafenden Sohnes. Er heißt wie du: Luis. Ich streiche ihm übers so dunkle Haar, dann lege ich mich wieder ins Bett, neben Hanno, den Luis Papa nennt und der wie immer mit den Zähnen knirscht, die vom Zahnarzt verordnete Schiene nicht trägt. Ich lege meine Hand auf seine Brust und sage leise: Es ist alles gut! Du kannst dich entspannen. Alles gut!

 

Hallo Katta!

Mir hat dieser Text sehr gut gefallen. Ein einfühlsames Innenportrait einer Frau, die in einer Beziehung "zweiter Wahl" lebt und sich in blauen Nächten sehnsuchtsvoll an ihre große Jugendliebe erinnert. Vielleicht war sie damals zu sehr an Sicherheit orientiert, um mit dem Rucksacktyp (was für ein vielsagendes Bild) weiterzuziehen, vielleicht hat der freiheitsliebende Künstlertyp sie verlassen, egal, sie hat zu einem Anderen gefunden. Ihr Söhnlein muss davon nichts wissen, sagt Papa zur "zweiten Wahl" und alles ist angeblich gut, wie so oft in Beziehungen. Offenbar nicht für sie, aber wenigstens für den zähneknirschenden Partner. ;)
Der Text ist sprachlich schön, enorm einfühlsam und flüssig verfasst, fließt dahin wie ein Bächlein im Walde, nur ein, zwei, sprachliche Kleinigkeiten fielen mir auf, die ich überdenken würde, aber insgesamt habe ich nichts auszusetzen an deiner Blitz-Fiktion!

draußen vor dem Fenster war der Mond voll und gold.
Besser gefiele mir: voll Gold
Oder: voll und golden
Ich streiche ihm übers so dunkle Haar, dann lege ich mich wieder ins Bett,
Das "so" könnte m.A.n. entfallen.

LG, Manuela

 

Hey @Manuela K.,

vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar. Freut mich natürlich sehr, dass dir der Text sehr gefällt. Das "voll Gold" gefällt mir gut, das heb ich mir mal auf und werde vielleicht darauf zurückgreifen, muss den Text erst mal ein bisschen sacken lassen und evtl. noch andere Kommentare lesen. Das "golden" war mir so sehr lyrisch-antiquiert, weil der Text sich ja eh schon so ein bisschen lyrisch liest (für mich), aber darum war und ist mir das "golden" dann eine Schippe zu viel. Im "so dunklen Haar" steckt für mich noch etwas drin, was ohne das "so" fehlt, es soll bedeuten schwarzes Haar oder fast schwarzes Haar. Aber auch da hilft sacken lassen, um das am Ende zu entscheiden.

Ich danke dir für diesen erlösenden und wohlwollenden ersten Kommentar.

Viele Grüße
Katja

 

Guten Tag @Katta,

ein lyrischer Text, aber nicht ganz konsequent. Ich finde ihn sehr schön, sehr poetisch. Der 'poetische Lesefluss' wurde aber hin und wieder unterbrochen.

Luft floss über mich hinweg, angenehm und kühl und atemraubend für einen Moment
Das erzeugte Bild ist nicht schlüssig oder stimmig. Dass es Luft ist, klar, unbewegt ist sie es immer noch. Bewegt wäre es Wind, aber entscheidend ist ja das Kühle. Vielleicht:
Angenehme Kühle strömte herein, raubte mir für einen Moment den Atem ... oder so.

Ich erinnere mich nicht an den Mond, erinnere mich nicht, wie die Weser neben uns herfloss, wie sich langsam die schwarze Weite hinter dem blauen Himmel zeigte.
Vielleicht kann man das noch eindampfen oder etwas auf das Poetische konzentrieren. Vielleicht: Da ist keine Erinnerung an einen Mond oder die Weser. Weites Schwarz hinter blauem Himmel. Mehr nicht.

voll und gold
voll und golden ... hat @Manuela K. schon angesprochen. voll und gülden :D

Es war hell als ich erwachte, mit einer Hand auf deiner Brust als gehöre sie dorthin, als meine Fingerspitzen über dein Brustbein fuhren, die kleine Erhebung deiner Brustmuskulatur entlang, sich auf dir ausbreiteten wie Invasoren, sie waren weich und biegsam, fanden Hügel und Senken auf deinem Körper. Meine Fingerspitzen überfluteten dich. Ich höre dich keuchen, höre mich keuchen und meine Hände wandern zwischen meine Schenkel, während ich an dich denke
überfluteten ... nicht schön. Und 3 x als ... kann man das alles kürzen? Vielleicht:
Mit einer Hand auf deiner Brust erwachte ich im Taghellen. Meine Finger kreisen auf deiner Brust, von einer Erhebung zur anderen, ein darüberstreichen, das Schaudern in dir, dann stöhnen, keuchen und doch bin ich es die keucht und glüht, zwischen meinen Schenkeln sind es nur meine Hände, die mich vorwärts treiben. Ohne dich.

Poetisches Texten ist verdammt schwer. Die Umgangssprache eignet sich nur bedingt. Der Wortschatz gibt genug her, aber Um- und Beschreibungen zu finden oder auch wiederzuentdecken und alles am roten Faden zu halten, ist schon hohe Kunst, wie ich finde. Interessanterweise habe ich vor paar Wochen angefangen, meine über 40 Jahre alten Gedichte zu überarbeiten. Ins nasse Tuch und ausquetschen. Überflüssigen Kram raus, ohne den Sinn aufzugeben. Da fällt einem auf, wie ausufernd man früher doch dachte und Worte verwendete.

Mir hat dein Text gefallen. Lyrik ist meist das Ich im Chaos der Welt. Das hast du gut rübergebracht.

Grüße
Morphin

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Morphin,
entschuldige meine späte Antwort, war gestern den ganzen Tag paddeln und dann heute erst wieder zu Hause und bin ziemlich kaputt. Hatte deinen Kommentar gelesen, aber am Handy ist's immer doof mit dem Antworten. Vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar.
Das mit der Luft stimmt, ich denke, ich habe vielleicht auch ein wenig oft das Verb fließen verwendet ;-) Mit dem golden kann ich mich noch nicht anfreunden, verstehe aber, dass es so wie es ist, komisch klingt. Es gibt noch einige Stellen, die für mich noch nicht ganz rund sind, die gehört auf jeden Fall dazu. Der Satz mit dem überfluten fliegt raus, das passt auch gar nicht zu den Invasoren und dem Rest (und ist schon wieder was mit Wasser und fließen ;-)). Und das mit den 3x als ist mir gar nicht aufgefallen, da muss ich noch mal gucken. Ich muss selber auch erst mal herausfinden, wie ich den Text überhaupt finde. Bin mir da noch nicht sicher, aber es freut mich natürlich, dass er dir gefallen hat. Morgen bin ich noch mal ein paar Stunden auf der Autobahn, werd aber sicher später am Tag oder in den nächsten Tagen noch mal dazu kommen, ein bisschen rumzudoktoren und evtl einzudampfen.

Lieben Dank noch mal für deinen Kommentar und
viele Grüße
Katta

 

Poetischer Text, der mir sehr gefällt,

liebe Katta,

dass ich ihn eigentlich unberührt lassen möchte (warum sollten dergleichen „Abweichungen“ vom Standard nur dem Reim* zugestanden werden?)
Aber wat mut, dat mut!, wie etwa hier

Der Mond ist voll und rund oder: Die …

vorm „oder“ besser ein Komma oder alternativ einen Gedankenstrich

und hier

Weißt du noch, wie dir[...]immer die Kresse von den Lachsbrötchen fiel, …

und hier
Vielleicht war der Mond schon zu sehen, ich glaube, er war voll oder auch eine Sichel.
schließt die Bedingung nur den Neumond (alternativ find ich das schweizerische „Leermond“ an sich trefflicher als den gemeinhin üblicheren Ausdruck)

Hier ist dann mit dem (Ge)Zeitenwechsel, der bei reiner Lyrik vllt. sogar durchgegangen wäre

Du nahmst meine Hand und ich habe dich gelassen, ging kerzengerade aufgerichtet neben dir, schluckte, schwieg, fragte dich sinnlose Sachen.
hatte (wiewohl "gelassen haben" ja auch "vergangen"/"vorbei" ist.)

Es war hell[,] als ich erwachte mit einer Hand auf deiner Brust[,] als gehöre sie dorthin, als …
Besser für eine als-ob-Situation den Konjunktiv II „als gehörte“, selbst auf die Gefahr hin, dass der Konj. nicht von jedem Leser als solcher erkannt wird. Einer würde-Konstruktion "würde" ich mich verweigern ...

Sehr gerne gelesen!

Friedel

* Karl Kraus hat sich mal in Reimform über ihn ausgelassen - steht auch im Netz unter

https://de.wikisource.org/wiki/Der_Reim_(Kraus)

 
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Lieber Friedel,

ich freue mich, dass du bei mir rein (und nicht vorbei) geschaut hast. Wegen des Kommas vorm 'oder' hab ich hin und her überlegt und mich dann aus ästhetischen Gründen fürs Weglassen entschieden, aber wahrscheinlich ist es doch hilfreich, den Lesefluss hier ein bisschen für den Leser zu strukturieren, werde das Komma gleich mal einsetzen.

Das hier hab ich nicht verstanden:

und hier
Weißt du noch, wie dir[...]immer die Kresse von den Lachsbrötchen fiel, …
und hier
Vielleicht war der Mond schon zu sehen, ich glaube, er war voll oder auch eine Sichel.
schließt die Bedingung nur den Neumond (alternativ find ich das schweizerische „Leermond“ an sich trefflicher als den gemeinhin üblicheren Ausdruck)

Hier ist dann mit dem (Ge)Zeitenwechsel, der bei reiner Lyrik vllt. sogar durchgegangen wäre
Du nahmst meine Hand und ich habe dich gelassen, ging kerzengerade aufgerichtet neben dir, schluckte, schwieg, fragte dich sinnlose Sachen.
hatte (wiewohl "gelassen haben" ja auch "vergangen"/"vorbei" ist.)
Hmm, ich dachte, dass man Präteritum und Perfekt im Deutschen eigentlich meistens synonym verwenden kann. Sitze ich da einem Irrtum auf oder meinst du es eher ästhetisch-stilistisch oder dass man in einem Satz nicht wechseln soll/darf? :confused:

Besser für eine als-ob-Situation den Konjunktiv II „als gehörte“, selbst auf die Gefahr hin, dass der Konj. nicht von jedem Leser als solcher erkannt wird. Einer würde-Konstruktion "würde" ich mich verweigern ...
Auch hier meine ich, dass beides geht. sowohl Konj. 1 als auch 2 nach "als ob Konstruktion". Für mich klingt "gehörte" an dieser Stelle reichlich schräg, vermutlich weil es eben wie das Prät klingt.
Anderes Beispiel:
Es klingt als wisse ich, wovon ich spreche.
Es klingt als wüsste ich, wovon ich spreche.
Geht doch beides, oder? In diesem Fall wäre ich auch für den Konj II , aber beim gehöre - gehörte ... hmmm ... ich lass das noch mal sacken und muss das wahrscheinlich irgendwann später entscheiden. Kann das gerade nicht richtig "hören".

Viele Grüße
Katta

 

Hallo @Katta

Sehr schöne und berührende Geschichte. Geschrieben in klarer, poetischer Sprache, durchzogen von Melancholie und dennoch, trotz der Trauer, trotz der Allgegenwärtigkeit des Verlusts, insgesamt von einer betörenden Leichtigkeit, zu der auch die lyrischen Passagen und Einschübe beitragen. Bis zum letzten Absatz bleibt es ambivalent, wer erzählt, und von wem, und als es dann aufgeklärt wird, trifft es einen auf ergreifende Weise, ohne wie ein gewollter Schlag in die Magengrube zu wirken, ohne Empathie oder gar Mitleid erzwingen zu wollen.

Für mich sind es die kleinen Details, die spezifischen, materiellen Aspekte der Erinnerungen, die einen direkt hineinziehen. Das Lachsbrötchen, der Mittelfinger, die schwarzen Härchen. Ich bin mir gar nicht sicher, ob das Motiv des Mondes für mich vollständig funktioniert, das war für dich ja dem Titel nach zu urteilen zentral, für mich bleibt es am Ende nebensächlich, stört aber auch nicht groß. Es birgt natürlich die Gefahr, den eigentlich unsentimentalen Ton doch ein wenig ins pathetische zu pushen, aber die restlichen Details und Motive verhindern dies für mich. Zum Rest des Textes würde als Motiv des voranschreitenden unmöglichen Dialogs mit dem verlorenen Liebsten vielleicht eher etwas Irdischeres passen, aber das ist glaube ich einfach Geschmackssache, das musst du jetzt nicht zwangsläufig ändern.

Gerne gelesen und hat meine Neugier für weitere (und vorherige) Texte von dir geweckt.

Liebe Grüße
Paul

 
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Ich noch mal, wenn ich darf,

liebe Katta,

der wesentliche Unterschied der beiden Konjunktiefen liegt m. E. in ihren Ursprüngen, wobei die einfachere Form, der Konj. I nahe bei der indirekten Rede liegt und seinen Ursprung in der Wiedergabe von Gehörtem gibt und Wahrhaftigkeit unterstellt (etwa in Sitzungsprotokollen oder polizeilichen Unfallberichten o. ä.)

Bei der Erzählung der Mutter über den Nikolaus wird das Kind mit zunehmenden Alter von ca. 1 gegen 0 tendieren - womit wir beim Konj. II als Konj. irrealis oder potentialis sind - sowas wie eine literarische Wahrscheinlichkeitsrechnung von "0,0" unwahr, unmöglich, erstunken und erlogen bis "1", das Erzählte/Behauptete gibt's wirklich -
spätestens wenn ich gegen die Wand lauf, vor der gewarnt wurde, weiß ich das.

I. d. R. wird der Konj. II aus dem Prät. durch Umlautung gebildet (halt ich auch für die liter. schönere Form), aber manchmal lässt sich eine würde-Konstruktion nicht vermeiden, von der manche Vereinfacher von heute meinen, würde-Konstruktionen dem engl. Vorbild mit would nachbilden zu müssen.

Dabei bietet schon die erste Zeile der Nationalhymne ein anderes Bild,

meint der

Friedel

 

Hallo @Katta

Das zwischen Luis und der Prot war länger rein platonisch bzw. sie hatte sich in ihn verguckt, aber der Prot standen ihre Ängste im Weg, und er hat sich zurückgehalten, um die Freundschaft nicht zu gefährden. Er hatte schon gepackt, da fanden sie doch noch zueinander, weil er am Ende die Initiative ergriff (vielleicht tat er das nur, weil er sich dachte, 'morgen oder übermorgen bist eh weg, jetzt leg sie noch kurz flach'? Will ich ihm jetzt aber mal nicht unterstellen ;)). Fortgegangen ist er dann sowieso. Was der Prot geblieben ist, sind ein gemeinsamer Sohn und ihre Sehnsucht nach Luis. Ihr Aktueller, der Hanno, ist nur ein Lückenbüsser. Wahrscheinlich wird er diese Lücke niemals füllen können.

Das soweit meine Lesart. Ich finde die Geschichte sehr schön geschrieben, kann den anderen nur zustimmen. Auch mir gefällt diese 'fliessende Poetik' in deinen Worten wirklich gut.

Krimskrams und Kinkerlitzchen:

In manchen Nächten wache ich auf und setze mich an den Küchentisch. In ein Heft mit schwarzem Einband schreibe ich: Es ist Nacht. Ich schreibe: Der Mond ist voll und rund, oder: Die Mondsichel sieht silbern aus, ich folge mit dem Finger ihrem Bauch und schreibe ein 'a', oder: Neumond.

Ich schreibe: Weißt du noch

Der Anfang wirkt noch ein wenig verstockt im Gegensatz zum Rest, ich mein aufgrund der vielen : Ausserdem verhunzen die das Schriftbild :p

Wie du das Bienengift mit deinem Mund aus meiner Hand gesogen hast, wie ich geweint habe dabei?
Wieso nicht mit 'dem' Mund? Dürfte klar sein, dass er das mit seinem Mund macht ... 'Dabei' ist Füllwort, finde ich.

die ganze WG, an der Weser gegrillt haben, gegrillt und gechillt, getrunken, geraucht, in dem Sommer, in dem Micha auf keine Ahnung was hängen blieb
Ein Ausdruck wie 'Grill & Chill' passt zum WG-Leben, klar. Ich finde aber, das braucht's nicht, bei 'an der Weser gegrillt' hatte ich das sofort vor Augen.

Weißt du noch, wie dir immer die Kresse von den Lachsbrötchen fiel, die du so gern gegessen hast? Kann ich noch eins haben, hast du gefragt
Bräuchte es meiner Meinung nach nicht unbedingt, weil das wird ja gleich danach klar, dass er die gerne gegessen hat, indem er fragt, ob er noch eins haben kann. Aber ist wohl wie mit den Lachsbrötchen: Geschmackssache! :D

ein wenig Kresse aus der flachen, blauen Schale geschnitten
Ist das wichtig, dass die Schale flach und blau war? Mindestens eines davon würde ich streichen.

Du hast am Küchentisch gesessen, das Brötchen gegessen.
Bin ich mir unsicher, ob's das braucht. Es fällt auch bisschen ab, im Vergleich zum Rest, das klingt so platt, und als Reim finde ich es jetzt in einem ansonsten reimlosen Text auch nicht unbedingt Bombe.

Du hast meine Hand genommen und ich habe dich gelassen, während mein Herz pumpte und pumpte und pumpte und das tat, wofür ein Herz gemacht ist.
Das mit dem Pumpen: Das klingt mir fast etwas zu mechanisch. Soll es zeigen, dass die Prot überfordert ist durch die Nähe, die Berührung von ihm? Irgendwie will es mir nicht so recht gefallen, auch wenn mir jetzt nur das klassische 'schlagen' als Alternative in den Sinn kommt. Würde hier vielleicht bisschen reduzieren und höchstens 2x 'pumpen' schreiben.

Du hast meine Hand genommen und ich habe dich gelassen, während mein Herz pumpte und pumpte und pumpte und das tat, wofür ein Herz gemacht ist. Du nahmst meine Hand, meine Wirbelsäule streckte sich, machte mich gerade wie eine Ballerina. Du nahmst meine Hand und statt ballettsteif wäre ich gerne weich geworden
Hier habe ich nicht genau verstanden, warum Du beim ersten Satz eine andere Zeitform gewählt hast, als bei den beiden darauffolgenden. Damit es nicht zu gleichförmig klingt? Vielleicht könnte das mittlere 'Du nahmst meine Hand' auch einfach weg? Das mit dem 'ballettsteif' finde ich übrigens super!

Du nahmst meine Hand und statt ballettsteif wäre ich gerne weich geworden, wäre dir gerne durch die Finger geglitten, um deine Finger herum, deinen Arm entlang, wäre gerne deinen ganzen Körper entlanggeflossen, hätte alles entdecken wollen, jede Senke, jeden Hügel, hätte geschaut, wie sich die feinen, schwarzen Härchen auf deinem Bauch bewegen, wenn du atmest.
Das 'hätte geschaut' würde ich streichen, es steht da bisschen im Satz rum. Braucht es gar nicht. Die Bewegung der Härchen könnte sie ja auch 'entdecken', wie es vorher heisst. Nach 'Hügel' vielleicht ein Punkt, anstatt direkt weiter, es würde noch einen gewissen Fokus setzen, die Passage zusätzlich abrunden, finde ich.

Du nahmst meine Hand und ich habe dich gelassen, ging kerzengerade aufgerichtet neben dir
Überflüssig, kerzengerade impliziert bereits, dass sie aufgerichtet neben ihm hergeht.

draußen vor dem Fenster war der Mond voll und gold.
Ja, das mit dem 'voll und gold' passt noch nicht so ganz, wirkt irgendwie abgehackt. Wie wäre es vielleicht mit sowas: draußen vor dem Fenster zeigte sich ein voller, goldener Mond? Schwebte ein voller, goldener Mond? ... etc. Oder einfach: draußen vor dem Fenster ein voller, goldener Mond.

Es war hell als ich erwachte, mit einer Hand auf deiner Brust als gehöre sie dorthin, als meine Fingerspitzen über dein Brustbein fuhren, die kleine Erhebung deiner Brustmuskulatur entlang, sich auf dir ausbreiteten wie Invasoren, sie waren weich und biegsam, fanden Hügel und Senken auf deinem Körper.
Das dreifache 'als' hat mich auch bisschen gestört. Könntest Du leicht eliminieren. Dann noch eine kleine Anmerkung bezüglich der Fingerspitzen: Die sind weich, ok, aber biegsam? Biegsam sind wenn die (ganzen) Finger, oder verstehe ich da was falsch?

zwölf Jahre später, den WGs entwachsen, in dieser Küche, meiner Küche
Auch hier: Braucht es das? Das löst sich ja gleich danach auf. Sie hat jetzt einen Sohn, wohnt mit Hanno zusammen. Dürfte klar sein, dass sie den WGs entwachsen ist mittlerweile.

Im Kinderzimmer schaue ich in das vertraute Gesicht unseres schlafenden Sohnes.
Streichen, oder anderes Adjektiv. Wäre ja erschreckend, wenn ihr das Gesicht nicht vertraut wäre ;) Oder extra so, um zu zeigen, dass sie im Gesicht des Sohnes den lange vermissten Luis wiedersieht? Aber auch dann, es könnte weg.

Das soweit meine Anmerkungen, natürlich alles subjektiv. Insgesamt wirklich ein schöner Text. Jetzt rein inhaltlich nichts, was ich besonders oft lese, hab aber trotzdem gerne reingeschaut.

Viele Grüsse,
d-m

 
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Hey @paul98,
hab mich sehr gefreut, dass du den Text gelesen und kommentiert hast und dass er dir gefällt.

Ich bin mir gar nicht sicher, ob das Motiv des Mondes für mich vollständig funktioniert, das war für dich ja dem Titel nach zu urteilen zentral, für mich bleibt es am Ende nebensächlich, stört aber auch nicht groß.
Zentral würde ich nicht sagen, aber ja, weil der Mond sich wiederholt, hab ich ihn in den Titel genommen. Mit dem Titel hab ich aber auch echt gekämpft. Ich hatte auch: In der Nacht. Nachts. Der Mond. Der/Dein Sohn - das schien mir dann aber zu sehr zu spoilern, abgesehen davon, dass er mir auch nicht gefiel. Tatsächlich konnte ich wohl das Zentrale des Textes nicht so ganz für mich rausdestillieren (eigentlich ja nicht so gut), weil ich so große Probleme mit dem Titel hatte, mich dann für den jetzigen entschieden hab. Entstanden ist der Text um das "Ich schreibe: ..." als Rhythmusgeber, der Rest hat sich dann so ergeben im Verlauf. Deine Anmerkung zeigt mir, dass der Titel aber doch auch ein wichtiges Textelement ist und am Ende habe ich ihn gewählt, weil er öfters im Text vorkommt. Und er kommt öfters im Text vor, weil das Ich den als Referenz immer wieder anführt. Warum das Ich das tut, hab ich mich ehrlich gesagt gar nicht so richtig gefragt. Also lange Rede: Ich bin mit dem Titel nicht zufrieden, hatte und habe aber bisher noch keine andere gute Idee gehabt.
Danke dir fürs Mit-Nachdenken über den Titel!

Und danke dir, lieber @Friedrichard, fürs noch mal vorbeischauen. Ich habe jetzt mal zum Konjunktiv II gewechselt und trag den mal n bisschen herum, liest sich auch schon etwas weniger seltsam mittlerweile. Den Konjunktiv I verwende ich ständig, weil ich (berufsbedingt) oft Berichte schreibe, in denen ich wiedergebe, was Leute sagen, da ist es auch total hilfreich, auf so einfache Weise klar zu unterscheiden, was ist meine Interpretation etc, was sagt der/die andere. Inhaltlich ist ein "als ob" natürlich eher an dem irrealis dran, da haste schon recht. Danke dir wie immer für deine lehrreichen, grammatikalischen Exkurse.

Last, but not least: Hallo @deserted-monkey und auch dir vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar. Der hat auf jeden Fall dazu geführt, dass ich noch mal mit dem groben Schleifpapier durch den Text bin, ich glaube, das meiste oder sagen wir: vieles von deinen Vorschlägen habe ich so übernommen, da geh ich jetzt hier nicht noch mal drauf ein.

Der Anfang wirkt noch ein wenig verstockt im Gegensatz zum Rest, ich mein aufgrund der vielen : Ausserdem verhunzen die das Schriftbild :p
Ja, weil es das Bild verhunzt, hatte ich die Kommas weggelassen, von denen @Friedrichard meinte, dass die sinnvoll wären, was ich im Sinne des Leseflusses auch so sehe. Ich habe jetzt noch mal Punkte statt Kommas verwendet, mir gefällts so besser als mit Kommas. Die : müssen für mich bleiben, weil, wie ich oben bei @paul98 schrieb, sind die "Ich schreibe:" für mich zentral im Text, da herum ist der Text entstanden, das ist nun kein gutes Argument, aber so isses für mich (im Moment noch). Ich will das einfach so :silly:. Muss ich irgendwann später noch mal drüber nachdenken.

Ein Ausdruck wie 'Grill & Chill' passt zum WG-Leben, klar. Ich finde aber, das braucht's nicht, bei 'an der Weser gegrillt' hatte ich das sofort vor Augen.
Hier brauche ich das momentan noch für den Rhythmus, darum ist es vorerst noch drin.

Ist das wichtig, dass die Schale flach und blau war? Mindestens eines davon würde ich streichen.
Naja, was ist schon wichtig bzw wichtig wofür? Für mich gibt das der Erinnerung eine etwas konkretere Richtung. Mit den Details ist das ja immer so eine Sache, als Leserin brauche ich welche, aber nicht zu viele. Als Autorin ist es schwer zu entscheiden, wann es zu viele und vor allem zu willkürlich zusammengewürfelte Details sind. Das flach ist vielleicht nicht so wichtig ...

Hier habe ich nicht genau verstanden, warum Du beim ersten Satz eine andere Zeitform gewählt hast, als bei den beiden darauffolgenden. Damit es nicht zu gleichförmig klingt? Vielleicht könnte das mittlere 'Du nahmst meine Hand' auch einfach weg? Das mit dem 'ballettsteif' finde ich übrigens super!
Ich glaube, da habe ich mir gar keine Gedanken gemacht. Und jetzt nach deinem Komm hab ich mir Gedanken gemacht, bin aber nicht so richtig weit gekommen. Es gibt diesen Satz insgesamt vier Mal, ich habe jetzt als Klammer quasi das Perfekt und innen das Prät verwendet. Keine Ahnung. Auf jeden Fall will ich auch nicht zu viel rauskürzen und den Rhythmus am Ende kaputt machen.

Ja, das mit dem 'voll und gold' passt noch nicht so ganz, wirkt irgendwie abgehackt. Wie wäre es vielleicht mit sowas: draußen vor dem Fenster zeigte sich ein voller, goldener Mond? Schwebte ein voller, goldener Mond? ... etc. Oder einfach: draußen vor dem Fenster ein voller, goldener Mond.
Das ist immer noch so, obwohl du jetzt schon der dritte (?) bist, der das sagt. Keine Ahnung, irgendwas mag ich daran, vielleicht das abgehackte, irgendwas stört mich aber auch, aber alles, was ich ausprobiere, gefällt mir auch nicht.Ich glaube mir ist auch das "war" wichtig, also dass der Mond draußen so war (nicht zeigte, weil das für mich was anderes bedeuten würde - aber ich fühle mich auch wirklich wie eine crazy Korinthenkackerin wenn ich das so schreibe).

Das dreifache 'als' hat mich auch bisschen gestört. Könntest Du leicht eliminieren. Dann noch eine kleine Anmerkung bezüglich der Fingerspitzen: Die sind weich, ok, aber biegsam? Biegsam sind wenn die (ganzen) Finger, oder verstehe ich da was falsch?
Ja, das 3x als hat auch @Morphin angemerkt. Hach, das ist auch so was, wo ich vermutlich zu sehr in ein sprachliches Detail verbissen bin (crazy Korinthenkackerin, die das große Ganze übersieht). Ich will so gerne, dass es hell ist als sie erwacht, und dass es hell ist, als sie mit ihren Fingerspitzen seinen Körper erkundet. Ich find das irgendwie so schön. Und dann will ich auch, dass ihre Hand da liegt, als sei das ihr normaler Platz. Gerne ohne die vielen als. Ich grübel da noch mal :drool:

Streichen, oder anderes Adjektiv. Wäre ja erschreckend, wenn ihr das Gesicht nicht vertraut wäre ;) Oder extra so, um zu zeigen, dass sie im Gesicht des Sohnes den lange vermissten Luis wiedersieht? Aber auch dann, es könnte weg.
Ja, da ist was dran. Weiß gerade nicht, warum mir das hier etwas schwerer fällt als manches, andere was du vorschlägst und wo ich sagen konnte, ja, fliegt raus. Is aber so, muss ich noch mal wirken lassen.

Er hatte schon gepackt, da fanden sie doch noch zueinander, weil er am Ende die Initiative ergriff (vielleicht tat er das nur, weil er sich dachte, 'morgen oder übermorgen bist eh weg, jetzt leg sie noch kurz flach'? Will ich ihm jetzt aber mal nicht unterstellen ;)). Fortgegangen ist er dann sowieso. Was der Prot geblieben ist, sind ein gemeinsamer Sohn und ihre Sehnsucht nach Luis.
Es ist sicherlich sehr leicht, sich nach etwas zu sehnen, das nie Alltag war. Ich würde zB auch nicht sagen, dass Hanno ein Lückenbüsser ist, aber klar, so wird das im Text natürlich angedeutet. @Manuela K. hat das ja auch so interpretiert, dass Hanno zweite Wahl ist. In meiner Fantasie sind sie schon glücklich miteinander, aber klar, so ein richtiges Leben kann natürlich nicht anstinken gegen Träume in der Nacht :) muss es ja aber vielleicht auch gar nicht. Über Luis wissen wir ja nichts, außer, dass an was sie sich erinnert, was ja eigentlich nichts über ihn aussagt (also über seine Person, was für eine Person er war) und dass sie sich an die Nacht mit ihm erinnert. Vielleicht hatte sie aus gutem Grund Angst damals, vielleicht hat er sie tatsächlich noch kurz flach gelegt und sie hat es zugelassen ... vielleicht sitzt er aber auch irgendwo in Spanien oder Südamerika und denkt noch an sie und was hätte sein können ... who knows


Ihr Lieben, habt vielen Dank für eure Kommentare. Hat mich sehr gefreut.
Viele Grüße ausm Sommerurlaub, der mit mausigem Wetter nicht gerade begeistert.
Katta

 

Hallo nochmal @Katta

Manchmal muss man das ja vielleicht gar nicht genau wissen, warum man diesen Titel/dieses Motiv so gewählt und eingebaut hat, manchmal reicht es vielleicht, wenn es sich beim Überarbeiten trotzdem noch passend anfühlt. Jedenfalls wünsche ich viel Erfolg und Spaß dabei, das nochmal für dich selbst herauszuarbeiten, ob Titel und Mond-Motiv am Ende in der Form passen, oder ob sich doch noch etwas ändern lässt.

Schönes Wochenende,
Paul

 

@Katta

Es war hell als ich erwachte, mit einer Hand auf deiner Brust als gehörte sie dorthin, als meine Fingerspitzen über dein Brustbein fuhren
Ich erwachte in der Tageshelle, die Hand auf deiner Brust. Nirgendwo anders dürfte sie sein. Auf dem Brustbein, wie ein Hügel und meine Fingerspitzen gleich kleinen Bergsteigern oben drauf.

Mal ein Versuch. Gibt noch viele Möglichkeiten.
Griasle
Morphin

 

Wie titelte schon grammatisch korrekt der realistische Herder im Club der Weimarer Schreiberlinge

»Wenn ich ein Vöglein wär'
Und auch zwei Flüglein hätt',
Flög' ich zu dir.
Weil es aber nicht kann sein,
Bleib' ich allhier.
...«
(grammatisch „korrekt“ weil die Endung des Konjunktivs immer auf dem abschließenden, weichen „e“ liegt),

Schönes Wochenende & so viel und doch so wenig heut’ vom Friedel, der sich alsobald einem „nicht-ig-en“ Volljährigkeitsritus mit einem Ende offen unterziehen wird.

Friedel

 

Hey @Katta ,

schön, mal wieder was von dir zu lesen. Diese Schreibe gefällt mir grundsätzlich und ich halte sie auch grundsätzlich für treffend und kraftvoll. Etwaige Nörgeleien bewegen sich also auf diesem Niveau. An sich finde ich den Text auch von seiner Anlage rund. Die Sprache finde ich im Gros etwas schmalzig. Es geht um die Vielzahl bedeutungsvoller Wiederholungen, symbolischer Romantizismen und 'Sprachspiele'. Das wirkt auf mich sehr aufgeladen und auch ein bisschen manieriert. Ich weiß auf jeden Fall, wovon ich spreche; ich hab selbst viele Texte in einem dem verwandten Stil geschrieben, und ich halte da auch viel von, aber diese Kunst ist – finde ich – enorm zerbrechlich, und da muss einfach alles stimmen und die Überzeugungskraft sehr, sehr groß sein. Dieser Text wirkt auf mich ordentlich konzentriert, aber noch nicht konzentriert und nicht ausgereizt genug. Zu schnell zufrieden irgendwie. Ist eine klar subjektive Einschätzung und von eigenen Schreiberfahrungen hergeleitet. Das ist nur mein Horizont.

ich folge mit dem Finger ihrem Bauch und schreibe ein 'a'.

würde schreiben: ich folge ihrem Bauch mit dem Finger. Das 'a', ja okay, hat man damals so beigebracht bekommen, a = abnehmend, z = zunehmend. Ich sehe hier die Mühe, das Kind nicht beim Namen zu nennen. Vielleicht liegt es an mir und daran, dass ich Texte eben einfach als Kritiker lese. Aber wenn ich der Zauberin zu sehr in die Karten zu schauen meine, funktioniert es bei mir irgendwie nicht mehr.

Oder: Neumond.

Das liest sich wie so ein angehängter, zusätzlicher Gedanke, Redundanz, so eine Art Darling. Ich würde das entweder streichen oder im Satz davor etwas rausnehmen. Entweder oder.

gesogen hast

müsste gesaugt hast, heißen. Auch das Verb danach steht ja im Perfekt. So viel Zeitdifferenz, dass man da PQP machen würde, hat das m. E. n. nicht. Zumal man dann auch eher mit Präteritum als mit Perfekt anschließen würde.

hast und ich geweint habe dabei? Wie du im Sommer erst mit drei, dann vier, dann fünf Bällen jongliert hast, jeden Tag geübt hast auf der Wiese hinterm Haus oder wenn wir alle, die ganze WG, an der Weser gegrillt haben

da würde ich variieren.

wie weiß die Buschwindröschen geblüht haben im Wald von Heiligendamm

das klingt schon sehr nach Namedropping. Namedropping ist ja extrem effektiv. Aber hier ist es mir nicht subtil genug. Meistens ist das, wenn die Motivation der Erzählinstanz, solche Details jetzt zu nennen, unklar ist oder sogar fehlt. Wenn sie jetzt beide Botaniker wären oder es eine anderweite Geschichte gibt, die solchen Nennungen zugrunde liegt, sieht die Sache klar anders aus.

Weißt du noch, wie dir immer die Kresse von den Lachsbrötchen fiel? Kann ich noch eins haben, hast du gefragt, und ich habe das angerührte Gemisch aus Frischkäse, Meerrettich und Zitronensaft auf die Brötchenhälfte geschmiert, eine Scheibe Lachs darauf gelegt, eine Schere genommen und ein wenig Kresse aus der flachen, blauen Schale geschnitten.

Das hier ist so ein Beispiel für eine Stelle, wo es mir zu schmalzig ist. Da beißt sich für mich dieses sehnsüchtig Aufgeladene mit dem profanen Lachsbrötchen mit Meerrettich. Das erzeugt beinahe einen komischen Kontrast, finde ich.

obwohl mir gar nicht nach lachen war

nach Lachen

Du nahmst meine Hand, meine Wirbelsäule streckte sich, machte mich gerade wie eine Ballerina

frage mich noch, ob der Vergleich rund ist. Man würde ja jetzt auch nicht sagen: Die Ballerina ist gerade. Vielelleicht hat sie eine gerade Haltung. Da würde ich noch mal drübergehen.

statt ballettsteif wäre ich gerne weich

Das hier ist doch eine Chance. Ich würde das weich auch zum Kompositum aufbauen, um da eine Parallele zu erzeugen.

Den 'Twist' am Ende fand ich gut. Wie gesagt, für mich insgesamt eine runde Anlage, bei der ich mich hier und da an der Sprache störe. Meine 5 Cent.

Viele Grüße
Carlo

 

Hallo @Carlo Zwei,
jetzt komme ich endlich mal zu einer Antwort. Vielen Dank für deinen Kommentar, hab mich sehr gefreut, auch weil er einiges anspricht, das mir auch durch den Kopf gegangen ist. Als ich ihn eingestellt habe, wusste ich selbst nicht so genau, was ich von ihm halte, zumindest da bin ich mir inzwischen ein bisschen klarer. Aber ich geh mal durch deine Anmerkungen durch.

würde schreiben: ich folge ihrem Bauch mit dem Finger. Das 'a', ja okay, hat man damals so beigebracht bekommen, a = abnehmend, z = zunehmend. Ich sehe hier die Mühe, das Kind nicht beim Namen zu nennen. Vielleicht liegt es an mir und daran, dass ich Texte eben einfach als Kritiker lese. Aber wenn ich der Zauberin zu sehr in die Karten zu schauen meine, funktioniert es bei mir irgendwie nicht mehr.
Ja, der ganze Rhythmus hat hier irgendwie auch nicht gestimmt. Hab ich noch mal geändert. Ich denke nicht, dass ich versucht habe, etwas krampfhaft nicht zu benennen, aber ist auf jeden Fall interessant, dass du es so liest. Soll so natürlich nicht sein.

müsste gesaugt hast, heißen. Auch das Verb danach steht ja im Perfekt. So viel Zeitdifferenz, dass man da PQP machen würde, hat das m. E. n. nicht. Zumal man dann auch eher mit Präteritum als mit Perfekt anschließen würde.
hier stehe ich ehrlich gesagt auf dem Schlauch. "gesogen hast" ist doch Perfekt, oder? Gesaugt ist vermutlich insofern besser als dass gesogen eher geschwollen klingt. Auf gesaugt bin ich gar nicht gekommen. Grammatikalisch korrekt ist beides, denke ich. Bei gesaugt, denke ich irgendwie an Staubsauger, vielleicht deswegen. Ich gucke noch mal ...

hast und ich geweint habe dabei? Wie du im Sommer erst mit drei, dann vier, dann fünf Bällen jongliert hast, jeden Tag geübt hast auf der Wiese hinterm Haus oder wenn wir alle, die ganze WG, an der Weser gegrillt haben
da würde ich variieren.
Diese Erinnerungsteile sind im Grunde das, was mich am meisten an dem Text stört. Dieses "Weißt du noch ...?" hat eine sehr sentimentale oder wie du es nennst schmalzige ... Aura. Ich glaube auch, dass der Schmalz am meisten hierher kommt, also aus diesen Erinnerungen. Darum kann ich da jetzt gar nicht so über die vielen "haben" nachdenken, weil ich da eher noch mal grundsätzlich überlegen will, wie ich das insgesamt auflösen kann.

das klingt schon sehr nach Namedropping. Namedropping ist ja extrem effektiv. Aber hier ist es mir nicht subtil genug. Meistens ist das, wenn die Motivation der Erzählinstanz, solche Details jetzt zu nennen, unklar ist oder sogar fehlt. Wenn sie jetzt beide Botaniker wären oder es eine anderweite Geschichte gibt, die solchen Nennungen zugrunde liegt, sieht die Sache klar anders aus
Ich struggle hier so ein bisschen mit dem Begriff Namedropping. Es meint hier, dass ich durch eine konkrete Benennung etwas mit Bedeutung auflade, der Text dieser Bedeutung aber nicht gerecht wird, oder? Also, dass eben wie du sagst, die Motivation für diese konkreten Details fehlt. Ich stimme dir zu. Und da sind wir wieder bei den Erinnerungen und damit auch bei dieser weiteren Anmerkung von dir ...

Weißt du noch, wie dir immer die Kresse von den Lachsbrötchen fiel? Kann ich noch eins haben, hast du gefragt, und ich habe das angerührte Gemisch aus Frischkäse, Meerrettich und Zitronensaft auf die Brötchenhälfte geschmiert, eine Scheibe Lachs darauf gelegt, eine Schere genommen und ein wenig Kresse aus der flachen, blauen Schale geschnitten.
Das hier ist so ein Beispiel für eine Stelle, wo es mir zu schmalzig ist. Da beißt sich für mich dieses sehnsüchtig Aufgeladene mit dem profanen Lachsbrötchen mit Meerrettich. Das erzeugt beinahe einen komischen Kontrast, finde ich.
Diese ganzen Erinnerungen sind ja total willkürlich. Und ja genau, sie konkret zu machen und sinnlich, war da so ein "Trick", wobei ich das Wort "Trick" eigentlich nicht mag, weil es eigentlich null Aussage hat, weil ja im Grunde alles Schreiben ein "Trick" ist. Aber wenn man etwas als Trick bezeichnet, meint man ja, dass er eben (noch) nicht genug geübt wurde, weil der Zuschauer sieht, wie der Trick funktioniert und das steht der Immersion im Weg. Klar ist, dass ein anderer Zauberer anders auf die vorgeführten Tricks schaut als ein Zuschauer bzw. schwerer zu überzeugen ist. Mir geht es ganz ähnlich wie dir, denke ich, also ich bin natürlich kein Zuschauer bei meiner eigenen Zaubershow, aber wenn wir die Metapher mal hier verlassen, dann funktionieren diese Erinnerungen für mich in dem Text nicht, weil sie mMn keine wirkliche Tiefe haben, sondern vor allem Oberfläche bieten. Für mich verliert der Text durch diese Willkürlichkeit der Erinnerungen tatsächlich an Wucht oder eben an Tiefe. Ich will ihn aber gleichzeitig nicht aufblähen, weil man sicher durch mehr Worte auch mehr Tiefe reinbringen könnte, ich will aber die Tiefe mit wenigen Worten erreichen, es soll schon eher im Bereich lyrische Prosa bleiben. Aber ich werde da für mich auf jeden Fall noch mal gucken, ob ich das irgendwie hinkriege.

Den 'Twist' am Ende fand ich gut. Wie gesagt, für mich insgesamt eine runde Anlage, bei der ich mich hier und da an der Sprache störe. Meine 5 Cent.
Hab vielen Dank. Ich glaube es liegt weniger an der Sprache (das heißt an einzelnen Worten, klar am Ende ist es natürlich die Sprache, die überhaupt alles konstruiert) als an der Konstruktion selbst, an dem Versuch, dem Text durch diese willkürlichen Erinnerungen Substanz zu geben, was aber mMn nicht gut funktioniert. Ich ordne deinen Kommentar da im Grunde auch so ein, aber vielleicht spinne ich mir auch nur was zurecht und du meinst alles ganz anders, ich habe mir den jetzt schon auch ein bisschen zurechtgebogen hinsichtlich meiner Theorie, was mir an dem Text selbst nicht so gut gefällt.

Vielen Dank jedenfalls für deinen Kommentar. Hat mich noch mal motiviert hinzugucken ...

Viele Grüße
Katta

 

Du nahmst meine Hand, meine Wirbelsäule streckte sich, machte mich gerade wie eine Ballerina
frage mich noch, ob der Vergleich rund ist. Man würde ja jetzt auch nicht sagen: Die Ballerina ist gerade. Vielelleicht hat sie eine gerade Haltung. Da würde ich noch mal drübergehen.
Ja, das stimmt. Habe das noch mal umgestellt, muss aber morgen noch mal schauen.

Habe die Erinnerungen auch ganz einfach gekickt und finde auch, die fehlen gar nicht. Gefällt mir jedenfalls besser so.

 

Hallo Katta,

huh - ein ansprechender Text! Ruhig, fast sachlich werden Bilder erzeugt, eine verhaltene, melancholische Stimmung erzeugt. Vieles, wie Sehnsucht, Verlust wird nur (und gekonnt) indirekt angesprochen.

Meine Wirbelsäule streckte sich
"Wirbelsäule" finde ich zu anatomisch, zumindet mir kommt da das Bild eines Knochenmodells in den Sinn (hat vielleicht auch persönliche Gründe).
als meine Fingerspitzen über dein Brustbein fuhren, die kleine Erhebung deiner Brustmuskulatur entlang, sich auf dir ausbreiteten wie Invasoren.
"Invasoren" - guter Vergleich, nicht abgenutzt und deutlich.

Hanno, den Luis Papa nennt und der wie immer mit den Zähnen knirscht, die vom Zahnarzt verordnete Schiene nicht trägt. Ich lege meine Hand auf seine Brust und sage leise: Es ist alles gut! Du kannst dich entspannen. Alles gut!
In wenigen Sätzen eine ganze Geschichte erzählt, prima!
Zuerst hatte ich Sorgen um Hanno - wäre schon Mist, wenn seine Frau eigentlich immer noch einen anderen will.
Das "Es ist alles gut!" hat meine Bedenken zerstreut, berechtigt?

Beste Grüße,

Woltochinon

 

Hallo @Woltochinon,
oh, ein kleiner Nachzügler-Kommentar, wie schön, vielen Dank dafür!

ein ansprechender Text! Ruhig, fast sachlich werden Bilder erzeugt, eine verhaltene, melancholische Stimmung erzeugt. Vieles, wie Sehnsucht, Verlust wird nur (und gekonnt) indirekt angesprochen.
danke, das packe ich alles so wie es ist ein und freue mich darüber.

angesprochen.
Meine Wirbelsäule streckte sich
"Wirbelsäule" finde ich zu anatomisch, zumindet mir kommt da das Bild eines Knochenmodells in den Sinn (hat vielleicht auch persönliche Gründe).
Ja, die Stelle hakelt definitiv. Auch komisch, dass die Wirbelsäule sich streckte, ich wollte sowas ausdrücken, dass manchmal etwas in einen fährt, das man sich quasi nicht gerade macht und streckt, sondern etwas einen streckt ... Verstehst du? Das wird aber nicht so richtig transportiert ... ein Knochenmodell im Sinn haben an der Stelle war natürlich nicht meine Intention :D

Zuerst hatte ich Sorgen um Hanno - wäre schon Mist, wenn seine Frau eigentlich immer noch einen anderen will.
Das "Es ist alles gut!" hat meine Bedenken zerstreut, berechtigt?
Hehe, klar! ... ich glaube, es sind nicht mehr als Erinnerungen in der Nacht ... und ja, vielleicht stellt sie sich manchmal vor, was wäre wenn ... aber neben ihr - im Bett oder auch am Tage - ist Hanno ... Herzen sind groß, da passen viele Leute rein ... darf natürlich jeder lesen, wie er mag.

Hab ein entspanntes Weihnachtsfest und
viele Grüße
von Katta

 

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