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Bescherung

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19.03.2003
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Bescherung

Das nasse Laub lastete schwer auf Deirdre. Zuerst war sie allein. Doch es dauerte nicht lange und ein Fuchs strich durch den Wald. Sein Körper war derart ausgemergelt, dass seine Rippen deutlich hervorstachen. Der Fuchs nahm ihre Fährte auf. Mit der Nase am Boden folgte er ihrem Weg. Während ihr zuvor die Äste ins Gesicht geschlagen hatten, schlüpfte er geräuschlos durch das Unterholz. Endlich fand er sie. Beschnüffelte ihr zartes Fleisch, knabberte an ihren Fingerspitzen und beleckte die blutigen Schrunden in ihrem Gesicht. Sie war nackt, lag auf dem Rücken, hatte ihre Arme schützend über die Brust gekreuzt und fasste sich mit den Händen bei den Schultern. Ihre Beine hatte sie gespreizt. Etwas, das wie eine zerbrochene Glasflasche anmutete, ragte spitz empor. Die Haut war so blass wie der Mond, war durchsichtig, ein Geflecht von Adern durchzog das Weiß ihrer Augen. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem Fächer um den Kopf ausgebreitet. Dicke Schneeflocken tanzten und benetzten Deirdres Körper, waren wie ein hilfloser Versuch dessen Schändung zu verdecken. Tiefdunkle und zu Zacken geronnene Male hatten ein abstraktes Bild auf Deirdres Haut hinterlassen.

Sie war in der Absicht gekommen, ihn zu verführen. Er, der verheiratet war, hatte sich bislang geziert.
Doch sie wusste, er war wie alle Männer darauf erpicht, Frauen zu besitzen. Darum klimperte sie mit den Wimpern, klapperte mit den hohen Absätzen, streifte zufällig mit den Brüsten seinen Arm, als sie sich nach hinten durch in den Fahrstuhl quetschte. Wenn sie ihm die Unterschriftenmappe vorlegen musste, stellte sie sich erst hinter seinen Stuhl und blies von oben in seinen Nacken. Betrachtete genussvoll, wie sich seine Härchen auf der Haut aufstellten, bis er sich zu ihr umdrehte und die Post entgegennahm. Wenn Feierabend war, nickte er ihr zu.

Bald.

Jeden Abend schaute sie aus dem Fenster, es schien, als wollte sie ihn nicht verpassen, wenn er mit hochgezogen Schultern und sich im Schatten der Hauswände verbergend zur ihr schliche. Sie wohnte im dritten Stock. Das Haus war ein Sozialbau aus den siebziger Jahren. Die Fassade bestand aus grauem Mauerputz und es gab keinen Aufzug und keine Sprechanlage. Man hörte die Nachbarn durch die Wand. Auch die Klingel war häufig kaputt. Ihre Wohnung hatte sie sich nach ihrem Geschmack eingerichtet. Nüchtern und ohne den Firlefanz eines jungen Mädchens. Sie hatte selten Besuch. Sie mochte keine fremden Menschen in ihrer Wohnung, hatte sich bewusst dafür entschieden anonym zu sein. Kein Türschild verriet ihren Namen und niemand kannte ihre Anschrift. Ein Postfach half ihr, sich den neugierigen Blicken der Nachbarn zu entziehen, die alles beobachteten, was der Postbote durch die Schlitze einwarf. Sie hatte ein Telefon, aber niemand kannte ihre Nummer. Die Anrufe, die sie am Abend abhörte, waren ihre eigenen. Sie rief sich aus dem Büro zu Hause an, tat so, als spreche sie mit einem Geliebten, nur um seine Eifersucht zu erregen. Oft genug hob er seine Augenbrauen, wenn sie telefonierte. Seine Frau rief auch an. Meist wegen der Kinder. Einmal, weil sie über Nacht wegblieb. Das Wetter war zu schlecht und die Flüge wurden abgesagt. Sie löste sich vom Fenster, er würde nicht kommen. Ein anderes Mal, er würde überrascht sein, sie fuhr den Computer hoch, auf dem Monitor blätterte ein Online-Shop seine Seiten auf. Ihre Augen glänzten in seinem blauen Licht auf.


Er wohnte in einem Einfamilienhaus am Waldrand. Der November hatte das Haus und seinen Garten fest eingepackt. Dichter Nieselregen fiel. Ein grauer Trenchcoat schützte sie und ihre Nacktheit vor dem Regen und Entdeckung. Ihre langen Beine steckten in schwarzen Lack-Overknees, die sie im Internet beim Dark-Fashion-Shop für fünfundsechzig Euro erstanden hatte. Sie zitterte bei dem Gedanken an seine rauen Hände, die über ihre Brüste strichen. Sie hatte sich Patchouli aufgelegt. Berauscht an dem eigenen Duft verlor sie alle Hemmungen und wurde unvorsichtig. Ein Hund bellte, als sie über den geschmiedeten Eisenzaun sprang.


Am nächsten Morgen lastete sein Blick schwer auf Deirdres Brust.
Deirdre.
Wie sie zum Kopierer ging. Mit einem Hüftschwung, der Po und Beine zeigte.
Sie schloss sich auf der Toilette ein und weinte.
Sie war dabei, in ihrem Kummer zu ertrinken. Drei Tage war sie krank. In ihrer winzigen Wohnung haderte sie mit sich und ihrer Liebe. Betrachtete Fotos. Sein Gesicht. Die Linie seines Halses. Fasste einen Entschluss. Strich sich über die Augen. Drückte fest auf die geschlossenen Lider, als wollte sie den Tränen befehlen, für immer fort zu gehen.
Weit fort. Dann doch nicht.
Im Büro strahlte sie mit der Weihnachtsbeleuchtung um die Wette. Er lachte sie an. Sie war glücklich.
Eigentlich mochte sie keinen Eierflip. Seine Frau hatte ihn gemacht. Sie trank ihn trotzdem. Die Weihnachtsfeier war nett. Alle waren nett. Der bevorstehende Urlaub machte sie nett. Machte auch Deirdre netter.

Es war Heiligabend.
Er war bei seiner Frau. Bei seinen Kindern. Sie wollte ihn anrufen. Dann doch nicht. Dann wählte sie. Lauschte dem Atem am anderen Ende. Flüsterte dreckige Worte.

Er liebte sie. Wollte sie. Gleich. Kratzte ihre Stimme vor Erregung. Sie nahm einen großen Schluck, der Weinbrand war sanft zu ihrer Kehle. Sie schnurrte wie ein Kätzchen, sank auf ihren Diwan. Das Geschenk war prachtvoll verpackt. Zunächst hatte sie befürchtet, dass das Paket jemanden wegen seines Absenders aus Flensburg auffallen könnte. Doch am Postschalter hatte niemand seine Miene verzogen. Hastig wickelte sie das Papier ab. Groß und kühl und aus Glas. Sie spreizte ihre Beine.

Deirdre stieg hastig ihr ihr Auto. Ihre Hände waren kalt und hielten das Steuer verkrampft umschlungen. Sie fuhr an festlich beleuchteten Fenstern vorbei. Selbst die eines grauen Mietshauses verströmten den Geruch der bevorstehenden Weihnacht. Deirdre spürte ihre Liebe als einen Ring um ihr Herz. Sie fürchtete sich vor der heiligen Stille an diesem Abend. Die Fahrt mit dem Auto war eine Flucht vor der Erkenntnis, dass nur der Fernseher ihr Gesellschaft leistete. Sie fuhr langsamer, bog in einen Waldweg ein. Beim Schild „zur Wanderlust“ begegnete sie einer dick vermummten Gestalt mit einer Dogge. Am Ende des Weges befand sich ein Picknickplatz. Er war mit einer halbhohen Mauer eingefriedet. Von dort hatte man eine wunderbare Aussicht auf den Fluss und die Stadt. Als die Scheinwerferkegel ihres Wagens durch das Tor zum Picknickplatz fielen, leuchteten die Augen eines Wildtieres auf. Deirdre stieg aus dem Wagen. Sie blickte über das Tal, fühlte wie die feuchte Winterluft sie belebte und den Kopf frei machte. Sie liebte ihn, doch diese Liebe beflügelte nicht, sie wog schwer, war zur einer beklemmenden Last geworden. Sie atmete tief ein und aus, hörte deswegen keine Schritte über den Kies knirschen.
Die Schattengestalt kam hinterrücks auf sie zu. Deirdre strauchelte. Stolperte. Sank.
Als die Schlinge sich um den Hals zuzog, wollte Deirdre zunächst aufbegehren. Versuchte, ihre Hände zwischen Schlinge und Hals zu bekommen.


Bescherung. Leuchtende Kinderaugen. So soll es sein.
Er hatte die Vorhänge wie immer bei Einbruch der Dunkelheit zugezogen. Seine Frau zog sie lächelnd wieder auf, denn es hatte zu schneien begonnen. Ein wenig aus dem Zeitplan gekommen, strich sie das weiße Tischtuch glatt, er hatte, ihrer Anweisung folgend, ihr zur Hilfe zu sein, das feine Tafelgeschirr aufgelegt. Es gab Lachs und Gratin.
Es roch nach Erde und Feuchtigkeit, als er seiner Frau vor dem geschmückten Baum das goldene Kettchen mit dem Kreuz umhängte. Er besaß noch ein zweites Kettchen, eins mit einem Herzen, er verwahrte dieses sorgfältig, freute sich, er wollte sich endlich offenbaren, sie küssen. Wohlige Schauer. Haut auf Haut. Seine Frau hob die Augenbrauen. Er bemerkte es nicht.

Der Fuchs schleckte die Reste einer gelben, klebrigen Flüssigkeit ab. Stellte die Ohren auf. Hörte den Hahn krähen. Trippelte eilig davon. So hungrig er war, so sehr begehrte er auch die Eier aus dem Hühnerstall.

Das Telefon klingelte. Seine Frau nahm den Hörer, horchte, die Knöchel ihrer Hand und zwei hellrote Striemen traten deutlich hervor.

Sie stöhnte. Atmete. Flüsterte die dreckigen Worte. Ihre Finger umschlossen den Dildo.

 

Hallo Goldene Dame,

das ist eine schöne Geschichte, ein Text, den ich gern gelesen habe. Es mag etwas morbid klingen, aber die Vorstellung, wie der Fuchs die Leiche im Unterholz abschleckt, weckt in mir so etwas wie Sehnsucht nach endgültiger Ruhe und Stille unter Tannenzweigen...

Wie dem auch sei, die Geschichte ist schön geschrieben, wenn auch an einigen Stellen sehr lakonisch, bisweilen sogar sarkastisch (Bescherung...) Über die Darstellung der psychischen Dispositionen könnte man sich streiten (die verführungswillige Frau wird ermordet) - will ich aber nicht.

Was ich beim ersten Lesen ein wenig vermisse, ist ein Spannungsaufbau, einen Haken der mehr als bloße Neugier provoziert. Ich habe die Geschichte gelesen, weil ich sie gut geschrieben finde, aber nicht so sehr, weil mich die Ereignisskette unter Druck setzte. Im Krimi/Thriller-Bereich halte ich das aber für wichtig.

Von diesem kleinen Mangel (in meinen Augen) abgesehen, habe ich das Ganze sehr genossen.

Beste Grüße
Achillus

 

Huhu Achillus,

Danke für deinen schnellen Kommentar zu dieser Geschichte. Besonders freut mich, dass dir die Sprache gefällt.
Ich gebe dir Recht, wenn du ein wenig die Spannung vermisst. Ich habe mehr auf Rätsel gesetzt. In der Ereigniskette ist dir, glaube ich, etwas entgangen. Mehr will ich (noch)nicht verraten :)

LG, GD

 

Hallo GD,

eine morbide Story, die ich auch sprachlich sehr gut finde. Ich mag die kurzen Sätze, sie sind wirkungsvoll, auch die Wiederholungen, das ist stark gemacht. Der Text fließt, und auch die sich ergänzenden Szenen sind, obwohl sie nacherzählt werden, fassbar, atmosphärisch.

Ich weiß auf jeden Fall, Deidre ist nicht umgebracht worden, oder? Das ist ein echtes Rätsel, ich mag solche Stories, und jetz verrat es bitte!:D

Habe ich sehr gerne gelesen,

Gruss Jimmy

 

Hallo Nora,

Danke für deine Textanmerkungen. Ist ja ganz hilfreich, wenn andere Augen den Text abklopfen.

Danke auch fürs Starkfinden des letzten Teils. Komischer Weise ist es der erste Teil, der mir am Herzen gelegen ist. Drum musste ich mich überwinden, meine Darlings zu killen.

LG, GD

 

Hallo Goldene Dame,

Also in meiner Lesart war es die Frau des Begehrten Chefs, der Deirdre umbringt, wohl aus Eifersucht.
" Er war bei seiner Frau. Bei seinen Kindern. Sie wollte ihn anrufen. Dann doch nicht. Dann wählte sie. Lauschte dem Atem am anderen Ende. Flüsterte dreckige Worte.*Er liebte sie. Wollte sie. Gleich. Kratzte ihre Stimme vor Erregung."
Also hier zumindest lässt du janoffen, wer da atmet.
Kratzte ihre Stimme vornErregung könnte auch die Frau sein.

Demnach ist diese Auflösung dann also ein Zeitsprung zurück:
"Das Telefon klingelte. Seine Frau nahm den Hörer, horchte, die Knöchel ihrer Hand traten deutlich hervor.*Sie stöhnte. Atmete. Flüsterte die dreckigen Worte."

Njn ja, das könnte zumindest sein. Bewusst rätselhaft hast du ja zumindest deine kg gehalten. Hat insgesamt was angenehm frisches für mich, der Text. Schon, mit der Toten zu beginnen, sie quasi über den Hunger des Fuchses langsam zu "entrollen", ja das mochte ich. Schön auch, dass du das Bild wieder gen Ende aufgreifst.

Gerne gelesen
Grüßlichst
Weltenläufer

 

Hallo Weltenläufer,

Du hast gewonnen! Danke fürs Lesen! Aber es ist noch Rätsel darin versteckt. Es gibt einen Mann, dessen Ehefrau, eine Deirdre und eine Frau mit Liebeswahn.

 

Hey Goldene Dame,

mir hat deine Geschichte gefallen. Die Erzählung beginnt mit dem stärksten Absatz. Hier fängst du eine Atmosphäre ein, wie man sie von Thrillern kennt. Viel Neues schreibst du uns zwar nicht, aber die Bilder habe ich vor Augen und sehr gut gefallen hat mir das Motiv, "Während ihr zuvor die Äste ins Gesicht geschlagen hatten, schlüpfte er geräuschlos durch das Unterholz." Das finde ich richtig stark! Dass du die Rippen nicht mehr hervor treten lässt, finde ich schade, zeigt das den Ernährungszustand des Fuchses doch viel schöner als dieses "ausgemergelt". Das würde ich ändern. Zurück ändern, vielleicht hat das Nora auch anders gedacht. Und freilich kann der Schnee die Schändung verdecken. Der kann alles verdecken. Das Bild mit dem Flaschenboden hingegen - ich weiß nicht ... Meinst du damit, dass trübe Sehen, die nebulöse Ahnung einer Gewalttat? Der Satz fällt bisschen aus der Reihe, das Bild mit der Flasche, meine ich.

Unzählige Schneeflocken tanzten und benetzten Deirdres Körper. Verdeckten dessen Schändung. Nur noch ein Flaschenboden war zu sehen.
Schneeflocken (niemand wird sie je zählen können) tanzten und benetzten Deirdres Körper. Der Satz gefällt mir, aber danach. Dessen Schändung? Wurde sie so richtig geschändet oder nur erwürgt. Das wird hier nicht klar. Viel mehr wollen die Schneeflocken die Gewalttat doch verschweigen, verheimlichen, auch verdecken. Aber hier verwirrt mich die poetische Sprache ein wenig, weil sie in meinen Hirn falsche Bilder provoziert.

Sätze, die mir besonders gut gefallen haben:

Darum klimperte sie mit den Wimpern, klapperte mit den hohen Absätzen, streifte zufällig mit den Brüsten seinen Arm, als sie sich nach hinten durch in den Fahrstuhl quetschte.
Ihre langen Beine steckten in schwarzen Lack-Overknees, die sie im Internet beim Dark-Fashion-Shop für fünfundsechzig Euro erstanden hatte.
Lauschte dem Atem am anderen Ende. Flüsterte dreckige Worte.

Und einer, der mir gar nicht gefallen hat:
Im Büro strahlte sie mit der Weihnachtsbeleuchtung um die Wette.
Dieser Satz tanzt völlig aus der Reihe. Da konnte ich gar nicht glauben, dass du das geschrieben hast.

Insgesamt gefällt mir die reduzierte Sprache, die poetischen Anklänge zwischendurch. An manchen Stellen passt sie nur nicht zusammen. Kann das gar nicht so an einem Beispiel festmachen. Es kommt mir nur so vor beim Lesen, weil der Stil nicht einheitlich ist in deiner Geschichte.

Dass Rätselhafte an deiner Geschichte mag ich auch. Ich weiß allerdings auch noch nicht ganz, ob ich richtig liege. Muss ich noch mal lesen, erst mit dem Auge eines Leser, dann mit dem Augen eines Kritikers, und schließlich mit dem Auge eines Rätselnden. Die psychologischen Anspielungen in deinem Text habe ich bemerkt. Wie ihr Freund Einsamkeit heißt, sie bei sich selbst anruft, um ihren Geliebten eifersüchtig zu machen. Wie sie ihn hasst. Wie sie ihn liebt. Wie sie eigentlich schon tot ist. Er hingegen ist eine sehr blasse Figur, einfach nur der Vater, der Ehemann. Das fande ich ein wenig schade. Der alte Konflikt, Geliebte gegen glückliche Familie, dient dir als Hintergrundgeschichte für den morbiden Teil. Gewiss muss man das nicht ewig durchkauen, aber mir fällt diese Thematik zu sehr in den Schatten des Mordes. Das Problem ist, dass du den Konflikt teilweise sehr genau beschreibst, dann fast ignorierst. Auch die kryptische Darstellung gegen Ende lässt diese psychologische Linie untergehen.

So bleibt die Stärke deiner Geschichte in der mysteriösen Darstellung, die verschiedene Deutungen zulässt und deiner Sprache, die stellenweise poetisch und morbid zugleich ist und zu gefallen weiß.

Beste Grüße
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Goldene Dame,
unter gewaltigem Zeitdruck stehend, begann ich Donnerstag Vormittag die Geschichte zu lesen, war gebannt und gefesselt von deinen ersten Sätzen und vor allem von dem wunderschönen Namen Deirdre. Weil ich über dessen Herkunft und Bedeutung auf der Stelle Bescheid wissen wollte, unterbrach ich die Lektüre, verlor mich daraufhin, die Spuren der irischen Mythologie verfolgend in den abgründigen Tiefen des Internets und als ich dann später daraus wieder hervorkroch, konnte ich, nach einem entsetzten Blick auf die Uhr, den Rest der Geschichte gerademal überfliegen.
Dass mich das Ende erstmal ratlos zurückließ, legte ich zu dem Zeitpunkt meiner Hast und Unkonzentriertheit zur Last, nicht meiner Blödigkeit. Die käme schon noch zu ihrem Recht, dachte ich mir, später dann, abends, wenn ich mich entspannt und voller Muße der Geschichte noch einmal widmen und wiederum an der Entschlüsselung scheitern würde.
Dazu kam es gestern allerdings nicht mehr, erst jetzt finde ich Zeit, mich deiner Geschichte mit der gebührenden Sorgfalt anzunehmen.
Und währenddessen saß mir die ganze Zeit meine Blödigkeit im Nacken, feixend und händereibend sozusagen, und flüsterte mir ins Ohr. („Wirst schon sehen, wer auf dem längeren Ast sitzt, hihi …“)
Mittlerweile sind Kommentare eingetrudelt, und während ich die lese, entspanne ich mich zusehends und im selben Maße wird die Blödigkeit immer einsilbiger und zieht sich schließlich beleidigt in den hintersten Winkel meines Hirns zurück. („Siehst du, keiner hat die Nuss bis jetzt geknackt!“, kann ich mir nicht verkneifen, ihr hinterher zu rufen.)
Das ist ein echtes Rätsel, sagt Jimmy und fleht um Auflösung, Nora hält die Geschichte zumindest für unschlüssig, und du selbst, Goldene Dame, gibst explizit folgendes zu bedenken:

Ich habe mehr auf Rätsel gesetzt. In der Ereigniskette ist dir, glaube ich, etwas entgangen. Mehr will ich (noch)nicht verraten.
Jetzt will ich’s aber wissen, denk‘ ich mir. Und weil mir die Geschichte obendrein gefällt, ich mich sehr wohl fühle in deiner Sprache, spricht nichts dagegen, noch ein bisschen hierzubleiben, das Ganze noch einmal zu lesen, langsam und genießend, auch zwischen und hinter den Zeilen. Ich werde schon dahinterkommen, denk‘ ich mir, Schlaumeier der ich bin.
Und sollte mir irgendwo ein Steinchen fehlen, ließe sich dieses ja vielleicht in der irischen Sage Longas mac nUislenn finden, oder in dem darauf basierenden Drama Deirdre von William Butler Yeats. Wer weiß, immerhin begeht Deirdre in diesen literarischen Werken Selbstmord.
(„Schon mal was von Hybris gehört, Schlaumeier?“, tönt es hämisch aus meinem Kopf. „Halt die Schnauze, Blödi!“, rufe ich zurück.)
Also:
Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem Fächer um den Kopf ausgebreitet.
Dieser Satz war mir schon beim ersten Lesen aufgefallen. Sie selbst, Deirdre, eine vermeintlich Tote, sollte das getan haben, vor dem Sterben, während der Schändung? Wohl kaum, also eine andere Sie, und deren gibt es in der Geschichte nicht allzu viele, eigentlich genau zwei nur.
Der Fuchs schleckte die Reste einer gelben klebrigen Flüssigkeit ab.
Ja, und hier versuchst du noch ein letztes Mal, eine falsche Fährte zu legen, ich erkenne darin allerdings weniger das Sperma eines männlichen Unholdes, sondern vielmehr den Eierflip der betrogenen Ehefrau. Und das würde nachträglich auch das furchtbare Detail mit dem Flaschenboden erklären …
Eine toll geschriebene, herrlich schrecklich schräge Geschichte. Und weil du sie mit so augenscheinlichem Augenzwinkern geschrieben hast, will ich mich nicht weiter zu psychosozialen, zwischenmenschlichen und was weiß ich was für Aspekten darin äußern.

Ich lass mich jetzt lieber von Blödi auf ein Bier einladen, von wegen Hybris.

offshore

edit: geschrieben in Unkenntnis von weltenläufers und Markus' Kommentaren. Schlechtes Timing.

 

Hallo Goldene Dame (was für ein Name ;)!),

Deine Geschichte ist handwerklich hervorragend geschrieben, kurz und knackig.

Allerdings lässt Du mich als Leser meist verwirrt im Walde stehen. Weiß nicht, ich habe eigentlich keine Lust, am Ende jedes Absatzes die Personen zuzuordnen. Ist sicher der Kardinalfehler aller Hobbyautoren, bei Profis weißt Du eigentlich trotz der 40 Personen (bei Stephen King keine Seltenheit) sofort wer, wo, was tut.

Ich habe mir das, gerade auch bei meinen zwei Romanen, wie ich hoffe erfolgreich abgewöhnt - indem ich versuche, den Handelnden sowie den Ort innerhalb der ersten fünf Zeilen eines Absatzes klar zu definieren.

Dennoch gern gelesen,

Danke nastro.

 

”[…]​
And they have news of Deidre’s eyes,
Who being lovely was so wise …”​

Vorweg:
Patchouli
what’s that?, wird ein älterer Herr fragen dürfen, der fürchtet, gar bald wird kein Mensch mehr wissen, wer oder was P. sei.

Aber jetzt geht’s los mit der güldenen Bescherung!

Das nasse Laub lastete schwer auf Deirdre. Zuerst war sie allein. Doch es dauerte nicht lange und ein … Fuchs strich durch den Wald,
woher,

liebe GD,

kennstu meinen Lieblingsköter seel’gen Angedenkens – Bingo (Bongo), der zwar von der quadratischen Form wie der Rute her – dem Laien wär’s der Schwanz gewesen – ein Spitz(un)artiger war, der Kopf aber – innen wie außen – zeigte und verriet eigentlich einen allzu groß geratener Meister Reineke, der freilich selten lautlos blieb (was ja auch dem Wesen des Spitzes widerspräche. Er hätt’ sich an niemand herangeschlichen, gar nicht heranschleichen können …

Ein Hund bellte, …
Sag ich doch!

Da kann ich doch nicht an diesem kleinen rätselhaften Geschehen vorbeikommen, zumal ich den Namen Deidre nur von Salt’n’Pepper und - natürlich viel bedeutender als Spinderella mitsamt der Gewürzmischung - Yeats kenne.

Zugegeben, spätestens am Satze

Doch sie wusste, er war wie alle Männer darauf erpicht, Frauen zu besitzen
müsste ich wegen seines universellen Fehlurteils Einspruch erheben. Eine gewagte Behauptung, denn es gibt grundsätzlich dergleichen in alle Richtungen (hat Begehr/Begierde nicht auch mit Besitz/Eigentum zu tun?)! Vllt immer noch die Ausnahmen, die gar keinen Besitz und erst recht keine Macht erstreben, ohne dass sie unbedingt wie Eremiten leben müssten. Naja, Du bist ja nicht für die Meinung der D. verantwortlich …

Aber noch ein zwoter Einspruch tut sich (eigentlich schon am Anfang) aus im ersten Satz:

Das nasse Laub lastete schwer auf Deirdre.
Du sprichst vom Laubwald?
Sollte Deidre durch eine Schonung gelaufen sein?
Denn aus Pfadfinders leidvoller Erfahrung aus der tiefsten Düsternis (beschönigend „Nachtwanderungen“ genannt) ist mir nur bekannt, dass i. d. R. nicht hochgewachsene Laubbäume liebevoll Gesicht und Körper malträtierten, sondern bestenfalls ein paar lumpige Sträucher und dafür umso erbärmlicher Nadelbäume mit den Ausnahmen Lärche und Kiefer. Es wäre also die Lösung des Rätsels schon am Anfang zu finden:

die Rache der Weihnachtsbäume!,

die aber beladen einen vielleicht mit Nadeln, nicht aber mit, mit Verlaub, Laub.

Jetz’ kütt doch noch’n kleiner stilistischer Einwand:

Sie zitterte bei dem Gedanken an seine rauen Hände, die über ihre Brüste streichen …
Gedanken = surrealistisch, somit besser Konjunktief

Schwächeanfall gegen Ende?
Bissken Zeichensetzung:

Als die Schlinge sich um den Hals zuzog[,] wollte Deirdre zunächst aufbegehren.

Versuchte[,] ihre Hände zwischen Schlinge und Hals zu bekommen.

Der Fuchs schleckte die Reste einer gelben[,] klebrigen Flüssigkeit ab.

Aber - however - gern gelesen vom Freatle,
der noch ein gutes neues Jahr wünscht, bevor's wieder 'rum ist!

Ach J!
Da is' ja noch der eine oder andere Vers:


”[…]
But the grey rush under the wind
And the grey bird with crooked bill
Rave such long memories that they still
Remember Deirdre and her man; …”​
Aus William Butler Yeats: Baile And Aillin​

 

Hallo markus,

Das Bild mit dem Flaschenboden hingegen - ich weiß nicht ... Meinst du damit, dass trübe Sehen, die nebulöse Ahnung einer Gewalttat? Der Satz fällt bisschen aus der Reihe, das Bild mit der Flasche, meine ich.

Das fällt auch aus dem Rahmen, ich wollte andeuten, dass Deirdre mit einer Flasche p ...... wurde. Und das Bild wollte ich zensieren. Siehe auch meine Erklärung an offshore

Und einer, der mir gar nicht gefallen hat:
Zitat:
Im Büro strahlte sie mit der Weihnachtsbeleuchtung um die Wette.

Das ist ein Darling. Habe ich abgewandelt aus: strahlte sie mit der Sonne um die Wette ...

Da denke ich noch einmal drüber nach.

Insgesamt gefällt mir die reduzierte Sprache, die poetischen Anklänge zwischendurch. An manchen Stellen passt sie nur nicht zusammen. Kann das gar nicht so an einem Beispiel festmachen. Es kommt mir nur so vor beim Lesen, weil der Stil nicht einheitlich ist in deiner Geschichte.

Das stimmt. Ich habe für jede Figur eine andere Stimme gewählt.

Das Problem ist, dass du den Konflikt teilweise sehr genau beschreibst, dann fast ignorierst. Auch die kryptische Darstellung gegen Ende lässt diese psychologische Linie untergehen.

Da hast du mich erwischt. Ganz zufrieden bin ich auch nicht.

So bleibt die Stärke deiner Geschichte in der mysteriösen Darstellung, die verschiedene Deutungen zulässt und deiner Sprache, die stellenweise poetisch und morbid zugleich ist und zu gefallen weiß.
Danke, da freue ich mich sehr drüber!

Hallo offshore,

Du bist kein Blödi. Ich habe den Namen tatsächlich der keltischen Mythologie entnommen. Viele keltische Romanzen schließen Dreiecksbeziehungen ein.
Und schließlich hast du sogar das Rätsel gelöst. Auch die Art der Schändung ist aus der Mythologie. Es handelt sich hierbei um die Erschaffung der Frau. Männer in der Karibik haben sich Frauen erschaffen, indem sie geschlechtslose Wesen eingefangen, gefesselt und dort wo das Geschlecht sein sollte, mit einem Specht ein Loch hineingehämmert. Die sexuelle Energie war eng verknüpft im Glauben damit auch spirituelle Geisteskraft zu besitzen. Ich finde das barbarisch ;)


Und die vielen Gedanken zu meiner Geschichte machen mich sprachlos vor Freude!


Liebe Grüße, GD

 

Hallo nastro,

Ich habe mir das, gerade auch bei meinen zwei Romanen, wie ich hoffe erfolgreich abgewöhnt - indem ich versuche, den Handelnden sowie den Ort innerhalb der ersten fünf Zeilen eines Absatzes klar zu definieren.

Aber natürlich ist eine klare Definition von Vorteil. Hier aber mit Absicht verklärt.
Danke für deinen Kommentar und fürs Lesen.

Moin Moin Friedl

Du sprichst vom Laubwald?
Sollte Deidre durch eine Schonung gelaufen sein?

Nee, sie wurde dorthin versteckt und notdürftig mit Laub zugedeckt. Jedenfalls in norddeutschen Wäldern, peitschen einem immer paar Zweige ins Gesicht, wenn man vom Weg abkommt. Im Laubwald gibt es auch noch anderes Gehölz, das zwischen den Stämmen wächst, lieber Friedel. Das ist doch das Schöne. Jäger lieben solche Wälder, weil das Wild sich sogern darin versteckt. Vielen Dank für die Fehlerlese. Werd auch artig berichtigen.


müsste ich wegen seines universellen Fehlurteils Einspruch erheben. Eine gewagte Behauptung, denn es gibt grundsätzlich dergleichen in alle Richtungen (hat Begehr/Begierde nicht auch mit Besitz/Eigentum zu tun?)!

Einspruch abgelehnt. Ist frei entnommen aus karibischer Mythologie :D die wiederum auf die sexuelle Begierde und anderen Trieben zurückgreift.

Danke Friedel für deine wie immer feinsinnigen Gedanken.


Auch euch allen noch ein frohes Neues Jahr!

GD

 

Es war Heiligabend –
heißt es in Deiner Transformation und Verknüpfung des Büroalltages mitsamt der Privatspähre in mythische Dimensionen, was mir – könnt es anders sein? – sehr gefällt! Die Arbeitsstelle als Partnervermittlung, außer- und zugleich ehelicher Art – so was hatten wir doch gerade schon zum letzten Blue Moon, wenn ich mich recht entsinne,

liebe GD,

doch im ganzen abendländischen Bereich wüsst ich keinen Frauenmord, immer sind es Kerle, die zu Tode kommen (z. B. Baldrs Tod im nordischer Götterhimmel) oder gemeinsame Kinder (etwa von Iason und Medea bei den Argonauten). Und selbst wenn ich durch Claude Lévi-Strauss (nicht Strauss-Kahn!) von den traurigen Tropen überm Wilden Denken bis hin zur Mythologica ziemlich alles verschlungen hab, die Kariben, wie wir sie heute kennen, haben ihre Erzählungen aus Afrika mitgebracht, aber Ägypten und Sudan (dort gab’s Königsmorde, wenn auch anderer Art als sie Robert v. Ranke Graves für die griechische Mythologie vermutet)sind ja nur'n Fitzelchen Afrika, das für mich weitestgehend ein unbeschriebens Blatt ist.

Da wäre ein solcher Fall mit Weihnachten zu nennen: Es hat mit den Mysterien der Römer zu uns gefunden, denn tatsächlich feiern wir nach der Wintersonnenwendeauch ein uraltes ägyptisches Fest, das an sich Ähnlichkeiten zum Baldurmythos aufweist: die Geburt des verwaisten Horus durch die verwitwete Isis, Symbol des Thronsitzes Ägyptens und Modell der –

Madonnendarstellung im Lichte des Abendlandes. Osiris, Gemahl und Vater, ist durch die Hand des eigenen Bruders umgekommen. Aber keine Angst: als Träger der Fruchtbarkeit wird er mit Hilfe seiner Witwe im Frühjahr wieder auferstehen, in Familie Gott ist nix unmöglich (der ägyptische Thron wäre ja beim obsiegen der Wüste, symbolisiert im mörderischen Seth, übrigens auch der Name eines Adamsohns bei den Hebräern, sonst gefährdet).

Ja doch, dann noch mal beim Anschaun der Argonauten kommt’s raus. Es kommt Deiner Geschichte recht nah: Medea hat für den Erfolg Iasons und seines Unternehmens gekämpft (hinter jedem erfolgreichen Mann steht …, naja, Du weißt schon), dafür soll sie bei gegebenem Anlass, als er fürs Unternehmen zum Risiko wurde, ihren eigenen Bruder umgebracht haben. Und doch wird sie von Iason verstoßen!, und rächt sich durch Kindermord (an den gemeinsamen, das brächte freilich Deine Geschichte in die Gruselkammer hier vor Ort) und – wie nebenbei – die künftige Braut Iasons.

Und dann findet sich eine reale Vorlage, die ins Nibelungenlied und die Siegfriedmythen Eingang gefunden hat – wenn auch verschlüsselt und Vertauschungen im Bruderzwist im Hause Merowechs, präzise der Enkelgeneration des großen Chlodwig (hört man da nicht schon den Ludwig, den Bürovorsteher raus?), der sich an den Brüdern Chilperich und Sigibert, den Schwestern Galswintha (Frau von C.) und Brunhilde (Frau des S.) und einer Fredegunde, der Geliebten des C. festmachen lässt und historisch belegt ist. Fiel S. noch auf dem Schlachtfest, pardon, Schlachtfeld, so wurde C. gemeuchelt und B. gevierteilt (noch’ne Vorlage für die Gruselkammer).
[quote

]Bescherung
[/quote]
wie der

Friedel

meint. der sicherlich noch mal vorbeischen wird, wenn er darf ...

Wie der Titel so sagt, mehr als eine schöne

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin Friedel,

heißt es in Deiner Transformation und Verknüpfung des Büroalltages mitsamt der Privatspähre in mythische Dimensionen, was mir – könnt es anders sein? – sehr gefällt! Die Arbeitsstelle als Partnervermittlung, außer- und zugleich ehelicher Art – so was hatten wir doch gerade schon zum letzten Blue Moon, wenn ich mich recht entsinne,

Das ist wegen der Zahl 3, die steckt darin. Diese Zahl war den Kelten heilig. Triadisch aufgebaute Versformen oder Dreigestaltigkei einer Göttin. Deirdre hatte einen Geliebten, Naoise, der wiederum hatte zwei Brüder und die drei unterschieden sich nur in dem Tonfall ihrer Stimmen.
doch im ganzen abendländischen Bereich wüsst ich keinen Frauenmord, immer sind es Kerle, die zu Tode kommen (z. B. Baldrs Tod im nordischer Götterhimmel) oder gemeinsame Kinder (etwa von Iason und Medea bei den Argonauten).

Friedel, ist Dichtung nicht die Komplementierung der Wahrheit?

Es gibt bestimmt einige ansehnliche Beispiele, in denen Frauen anderen Frauen im Wege waren. Denk an Elisabeth die Erste!

Geschlechtspezifisch ist vielleicht die Art des Tötens. Mordet eine Frau mit einer Schlinge? Ich schreibe es der Dichtung zu, dass es die Wirklichkeit dieser Geschichte ist, die damit ein Teil der Wahrheit geworden ist. :D

Danke dass, du wieder einmal vorbeigeschaut hast. :)


LG, GD

 

Friedel, ist Dichtung nicht die Komplementierung der Wahrheit?

Hm, wäre schon ein hoher Anspruch, wenn man wüsste, was wahr und was erfunden ist,

liebe GD,

aber als einer, der alles ironisiert und darum den Schein erweckt, nichts richtig ernst zu nehmen, wäre dann die Lüge als Weg zur Wahrheit zu betreten. Aber was ist Wahrheit im Zeitalter der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der statistischen Größen?

Es gibt bestimmt einige ansehnliche Beispiele, in denen Frauen anderen Frauen im Wege waren. Denk an Elisabeth die Erste!
Ja war denn das eine Mythe? Sicherlich arbeitete nicht nur der Schiller Fritze am Mythos der Frauenrivalität mit ungesundem Ausgang ...

Geschlechtspezifisch ist vielleicht die Art des Tötens. Mordet eine Frau mit einer Schlinge? Ich schreibe es der Dichtung zu, dass es die Wirklichkeit dieser Geschichte ist, die damit ein Teil der Wahrheit geworden ist.
Dass Frauen eher mit Gift arbeiten wird wohl statistischen Größen zuzuschreiben sein. Aber auch hier ist eine Form von Emanzipation gefunden ...

Nicht nur die Geschichten, sondern auch Wort und Widerwort gefallen mir immer wieder,

bis bald!, sagt darum der

Friede

 

Hallo Goldene Dame

Habe deinen Text mit Interesse und Vergnügen gelesen. Hat mir vom Stil her sehr gut gefallen, auch die Idee mit dem Fuchs im ersten Abschnitt finde ich toll. Das hat mich sofort in die Geschichte gezogen.

Ich habe sie eigentlich für ziemlich direkt erzählt gehalten, bis halt auf den letzten Absatz, da hab ich dann gedacht, da stimmt was nicht. Habe sie dann ein zweites Mal gelesen, muss aber gestehen, dass ich sie nicht so recht entwirren konnte.

Als ich dann über die Kommentare bin, hat zumindest ernst offshore ein wenig Licht ins Dunkel gebracht, als er diesen Satz erwähnte:

Ihr schwarzes Haar hatte sie zu einem Fächer um den Kopf ausgebreitet.

Das "sie" hat mich auch gestört, ich habe es aber - im Gegensatz zu offshore - für eine sprachliche Unsauberkeit deinerseits gehalten, nicht für einen verstecken Hinweis - also an der Stelle hab ich dich ganz klar unterschätzt ;).

Dann schreibst du irgendwann, Deirdre sei gar nicht die Geliebte, oder zumindest nicht diejenige, aus deren Sicht der grösste Teil des Textes geschrieben ist. Die gelbliche Flüssigkeit konnte ich auch dem Eierlikör zuordnen, also versteh ich das richtig, dass die (namenlose) Geliebte eine andere Nebenbuhlerin (Deirdre) in Sichtweite des Hauses umgebracht hat? Sehr morbide und beängstigend, weil sie ja zum Ende dann die Ehefrau ins Auge fasst ...

Wie auch immer, viel Neues hab ich nicht zu sagen, wollte dich nur wissen lassen, dass ich die Geschichte sehr gern gelesen habe. Schön geschrieben, ich fand sie auch spannend, und zwar in dem Sinn, dass die Protagonistin trotz der knapp gehaltenen Beschreibungen sehr lebendig rüberkam und ich in jedem Moment der Geschichte wissen wollte, wie es weitergeht.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups,

Habe deinen Text mit Interesse und Vergnügen gelesen. Hat mir vom Stil her sehr gut gefallen, auch die Idee mit dem Fuchs im ersten Abschnitt finde ich toll. Das hat mich sofort in die Geschichte gezogen.

Der Einstieg ist mir besonders wichtig. Der Fuchs ist vielschichtig von mir gedacht. Zunächst sollte der Fuchs fortführen, was dem Mörder angelastet werden soll. Deirdre mit der Flasche "gefickt" zu haben.
Eine asexuelle Bedeutung von ficken ist „mit Ruten schlagen“. Eine andere semantische Weiterentwicklung von "ficken" ist die Bedeutungsverschiebung hin zu „necken, aufziehen“ in der Lautgestalt foppen, fuchsen. Mir schwebte vor, dass sich jemand gefuchst fühlte. Es könnte Deirdre sein, aber auch ihr Mörder. Oder auch der Leser wird geneckt, weil eine Spur gelegt wird.

Das "sie" hat mich auch gestört, ich habe es aber - im Gegensatz zu offshore - für eine sprachliche Unsauberkeit deinerseits gehalten, nicht für einen verstecken Hinweis - also an der Stelle hab ich dich ganz klar unterschätzt.
Die große Unbekannte kann hier Deirdres Haare ausgebreitet haben, oder auch die Ehefrau. Es sollte ein Hinweis sein, dass keinesfalls nur ein "er" der Mörder ist.
Die gelbliche Flüssigkeit konnte ich auch dem Eierlikör zuordnen, also versteh ich das richtig, dass die (namenlose) Geliebte eine andere Nebenbuhlerin (Deirdre) in Sichtweite des Hauses umgebracht hat? Sehr morbide und beängstigend, weil sie ja zum Ende dann die Ehefrau ins Auge fasst ...

Zum Teil nur richtig. Die Namenlose dachte Deirdre als Nebenbuhlerin und diese wurde ermordet, in der Annahme die Nebenbuhlerin der Ehefrau zu sein. Was aber falsch war.

Danke, dass du meine Geschichte gelesen und kommentiert hast. Ich habe mich sehr darüber gefreut. Besonders, da du das Morbide verstörende in der Geschichte aufgegriffen hast. :)

Lieber Friedel, in Mythen steckt ein Korn der Wahrheit. Letztendlich überliefern sie uns Geschichte. Und manche sagen sogar die Zukunft voraus. ;D Danke, dass du vorbeigeschaut hast.

LG, GS

 

Wir wissen um den hürnen (gehörnten) Sîvrit wie um den gehörnten Ehegatten,

liebe GD,

doch wer hätte je von einer „gehörnten“ Kudrun, Grimhild’ oder Brünhilde gehört – und so zieht es mich wieder hierher, wenn es im zwoten Satz heißt

[z] uerst war sie allein …,
und das Personalpronomen zwangsläufig auf den Namen im ersten Satz gelenkt wird
Das nasse Laub lastete schwer auf Deirdre.

Und plötzlich und doch nicht unerwartet stellt sich die Frage, welche Rolle der Fuchs zu Anfang
[d]och es dauerte nicht lange …
und Ende des kleinen Dramas
o hungrig er war …,

spiele.

Eine Randerscheinung bestimmt Anfang und Ende?
Doch wohl eher nicht!

Der Fuchs, got. fauho, ahd. foha, was zunächst gleichermaßen für Rüde und Fähe/Fehe (politisch korrekt müssten wir heute die „Rüdin“ sagen) galt, versteht das Grimm’sche Wörterbuch vom got. Verb fiuhan (= fauchen, schnaufen) abgeleitet [vgl. ebd. Bd. 4, Sp. 331].

Schon im Übergang vom ahd. zum mhd. findet die Geschlechtertrennung statt: er wird zum fuhs/vuhs. Sie heißt nun vohe und im frühen nhd. Fohe/Föhe. Wir werden sehn, warum hier die Geschichte des fuchsigen Wortes arg breitgetreten wird.

Vom schwedischen Landvolk ist nachgewiesen, dass es den eigentlichen Namen des kleinen bis mittelgroßen Hundes meidet und ihn „Waldgänger“ und „Blaufuß“ nennt (ähnlich auch im Flämischen). Was aber bewirkt die Scheu vor diesem kleinen Räuber, den wir modernen Menschen gar als Krankheitsüberträger fürchten?

Er wird von Römern wie Biologen systematisch mit vulpes bezeichnet, wächst sich irrtümlich überm got. vulfs/wulfs zum wesentlich größeren Wolf aus. Nicht nur für die Grimmbrüder naheliegend, sind Fuchs und Wolf doch klassische Tiere von Mythos bis Fabel.

Teuflisch, dabei vermischen sie sich gelegentlich und erzeugen den Bastard Luchs, eine Katze. Überall in Europa gilt die Gevatterschaft bis hin zu ihrer abermaligen Verwechslung:

Dem in Gefahr nie um Auswege verlegenen Fuchs wird Schläue – die ihn auch zum Ratgeber werden lässt wie in den Namensvarianten übers afrz. Renart bis zum Reineke belegt - und List (!) zugesprochen, dem sich Lug und Trug, Untreue (!) und Bosheit zugesellen, was mancher Naive mit der roten Haarfarbe verbindet (als gäbe es nur Rotfüchse).
Der Wolf gilt als schamlos (!), stolz, neidisch, wütend und böse. Allgemein wird ihm die graue Fellfarbe [= das Grauen, als gäbe es nicht auch andere Fellfarben] zugesprochen. Der Wolf wird in seiner Untreue (er lässt sich nicht einfach domestizieren) wieder wie Gevatter oder Neffe Fuchs. Der schleicht nicht, sondern wie richtigerweise in einer gelöschten Geschichte Noras hierorts genannt, er schnürt. Sein Hoden heißt Geschröt und ist die Fehe hitzig, so rennt sie.

Der Kreis schließt sich: Trägt eine(r) rotes Haar, so ist es ein Fuchs, aber auch mancher Klugscheißer und/oder Weiser gilt als Fuchs, obwohl Klugheit sich von Schläue unterscheidet.

Waren weise Frauen vor Zeiten Ulfilas in den Völkerschaften germanistischer Zunge hochangesehen, so verloren sie ihren Status mit dem Siegeszug des Monotheismus. Damit stehen weise Frauen zunehmend unterm Verdacht der Hexerei im Bunde mit dem Teufel. Der Teufel trägt nicht nur einen Bocksfuß und ordentlich verlängertes Steißbein. Und es ist nicht nur ein gefallener, sondern auch ein gehörnter Engel.
Die Rolle des Fuchses geht nach den Ausführungen im Wörterbuch auf den Teufel über, der den Menschen beschleicht wie der Fuchs die Hühner

So hungrig er war, so sehr begehrte er auch die Eier aus dem Hühnerstall,
was sich in der Bezeichnung der Hahnrei (des langfristig betrognen Göttergatten) spiegelt. Selbst wenn wir nahe dran sind, es wäre da zu Anfang ein anderes Personalpronomen angesagt gewesen, was wir dann ja auch in Laufe der Geschichte bestätigt finden. Es ist eher eine Hühnerei, nicht zu verwechseln mit dem Ei vom Huhn.

Die Fähe hingegen, denn nichts anderes ist der Fuchs als „sie“, finden wir verborgen im Bovist, mhd. vohenvist, einem Bauchpilz, der nur in seiner Jugend genießbar ist: vohe (s. o.), vist (= Bauchwind), wenn wir so wollen, ist es also der Bauchwind der Fähe, der „Füchsinnenwind“, wie der Duden [Bd. 7, S. 108, r. Sp.] berichtet. Im niederl. heißt der Pilz übrigens wolfsveest, wird also wie in romanischen Sprachen dem Wolf zugeordnet.

Der Fuchs nahm ihre Fährte auf. Mit der Nase am Boden …
Zu den Bauchpilzen zählt – passend zum Bovist – der Stink- /Gichtmorchel, der auch Leichenfinger oder Widerlicher Rutenpilz genannt wird. Des jungen Pilzes Fruchtkörper nennt der Volksmund Hexen- oder Teufelseier. In seiner Reife entwickelt er auf seinem Hut einen grünlichen Schleim, dessen uns unangenehmer Geruch z. B. Aas-/Schmeißfliegen anlockt, die dann die Sporen des Pilzes verbreiten. Die Larven der Fliegen sind Aas- und Kotfresser, während die Eltern von Nektar und anderen Säften leben.
Der Fuchs schleckte die Reste einer gelben, klebrigen Flüssigkeit ab.

Sie, die Fähe,
tellte die Ohren auf. Hörte den Hahn krähen …
und ihr Feldzug geht weiter und ihm, dem Göttergatten, an die Eier, die soeben definierte Huhnrei …

Ach, ja, der waidmännische Fachmann nennt den Schwanz des Hundes Rute, der systematische Biologe den Stinkmorchel und Widerlichen Rutenpilz Phallus impudicus.

Die Brüder Grimm notieren „den füchsen zu theil werden = ums leben kommen und unbegraben von den füchsen gefressen werden“ und auch „der fuchs im eisen! = er, der in seine mündel verliebte alte, ist überlistet und gefangen“ [ebd., Sp. 334].

Die kleine Geschichte bereitete mir somit nach der Stunksitzung keineswegs Mühe, sondern ein herrliches vergnügen. Wie dichtet schon der olle Goethe

„Nach Mittage saßen wir / Junges Volk im Kühlen; / Amor kam, und: Stirbt der Fuchs / Wollt er mit uns spielen. /
[…]
Und mir reichte Dorilis / Sie mit Spott und Scherze; / Kaum berührt mein Finger sie, / Hell entflammt die Kerze, / Sengt mir Augen und Gesicht, / Setzt die Brust in Flammen, / Über meinem Haupte schlug / Fast die Glut zusammen. / Löschen wollt ich, patschte zu, / Doch es brennt beständig; / Statt zu sterben, ward der Fuchs / Recht bei mir lebendig.“
JW Goethe: Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg

Und zum Abschluss fällt mir Jürgen von Mangers Kunstfigur Adolf Tegtmeier ein und dessen Geschichte mit der dahingemordeten Schwiegermutter, die der Täter mit der Schubkarre – oder war’s ein Bollerwagen? – in kleine Einheiten zerlegt entsorgte. Er hatte sie zuvor im Keller des Einfamiliehäuschens zersägt, ohne dass das Werkzeug weiter benannt wurde. Aus Sicht der kleinen Studie kann es nur ein Fuchsschwanz gewesen sein …

Gruß & ein schönes Wochenende wünscht der

Friedel

 

Hallo Friedel,

vielen Dank für diesen erbaulichen Ausflug. Was wäre, wenn du etwas zum Fuchs nicht bedacht hättest?

In der Tat, habe ich zwischen Wolf und Fuchs geschwankt. Da die Geschichte nicht in die Fantantastik eingereiht werden sollte, entschied ich mich für den Fuchs. Dieser ist in unseren Breiten häufiger anzutreffen, als ein Wolf. Hätte ein Wolf Deirdre gefunden, wäre diese Besonderheit doch eine andere Gewichtung gewesen. Eher als ein ein Warnsignal, das Deirdres Aufmerksamkeit geweckt hätte. Daher entschied ich mich für den Fuchs, auch weil die Semantik mir großes Vergnügen bereitet hat.

Nebenbei habe ich den antiken Aberglauben des Artemidoro, bzw. seine Traumdeutung aufgegriffen. Der Fuchs steht für listige Schläue, mit der man gerne das Ziel seiner Wünsche erreichen möchte, wobei vor allem die sexuellen Neigungen gemeint sind. Der Mörder könnte also Deirdre begehrt haben, aber der Fuchs wendet sich von Deirdre ab und nimmt stattdessen, die Eier aus dem Hühnerstall.

Der Wolf hingegen, wäre nur Sinnbild für das zweite Ich des Mörders gewesen. Als Sinnbild der Gefahr, hätte Deirdre den Wolf sofort erkannt und sich schützen können. Der Hinterlist des Fuchses, ist sie jedoch erlegen.

Danke für deine wundervollen Sinnbilder!


LG, GD

 

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